Diese Rede Papst Urbans II. auf dem Konzil von
Clermont stellt den Aufruf zum ersten Kreuzzug dar, dem fünf
weitere folgten:
Liebste Brüder,
ich, Urban, oberster Pontifex und mit Gottes Duldung Prälat
der gesamten Welt, bin in dieser Zeit drängendster Not zu
Euch, den Dienern Gottes in diesen Gebieten, als Überbringer
göttlicher Ermahnung gekommen. Ich hoffe, dass jene, die
Verwalter geistlicher Ämter sind, rein und ehrlich und frei
von Heuchelei angetroffen werden.
Denn wenn einer verschlagen und unredlich ist und sich weit
von einem Maß an Vernunft und Gerechtigkeit entfernt hat und
das Gesetz Gottes vereitelt, dann werde ich mir mit göttlicher
Unterstützung Mühe geben, ihn zurechtzuweisen. Denn der Herr
hat Euch zu Haushaltern Seiner Hofhaltung gemacht, auf dass
Ihr Ihn, wenn die Zeit naht, mit Speise maßvoller Würze
versehen könnt. Ihr werdet freilich selig, wenn der Herr des
Verwalteramtes Euch das tun sieht. Man nennt Euch Hirten; seht
zu, dass Ihr nicht die Arbeit von Gedungenen verrichtet. Seid
wahre Hirten, die stets ihren Krummstab in Händen halten; und
schlafet nicht, wachet nach jeder Seite über die Herde, die
Euch anvertraut ist.
Denn wenn aus Sorglosigkeit oder Nachlässigkeit ein Wolf
ein Schaf hinwegträgt, werdet Ihr sicher nicht nur des Lohns,
der von Unserm Herrn für Euch bereitlag, verlustig gehen,
sondern Ihr werdet, nachdem Ihr zuerst mit den Ruten des
Liktors geschlagen worden seid, fristlos in den Aufenthalt der
Verdammten geschleudert. Mit den Worten des Evangeliums:
„Ihr seid das Salz der Erde.“ Doch wenn Ihr fehlt, wie
soll dann das Salzen geschehen? O wie viele Menschen müssen
gewürzt werden! Es tut Not, dass Ihr die Unwissenden, die
allzu sehr nach den Lüsten der Welt trachten, mit dem
Linderung verschaffenden Salz Eurer Weisheit bestreut. Sonst
werden sie durch ihre Vergehen verfaulen und unbestreut
angetroffen werden, wenn der Herr zu ihnen spricht. Denn wenn
Er wegen Eurer trägen Pflichterfüllung Würmer in ihnen
entdeckt, d.h. Sünden, wird Er sie, die Er verschmäht, in den
Abgrund der Hölle werfen lassen. Und weil Ihr nicht in der
Lage sein werdet, Ihm einen solchen Verlust zurückzuerstatten,
wird Er Euch, von Seinem Urteil dazu verdammt, stracks aus
Seiner Liebe Allgegenwart verbannen.
Denn einer, der ausstreut, sollte klug, weitblickend,
maßvoll, gelehrt, friedensstiftend, wahrheitssuchend, fromm,
gerecht, unparteiisch und rein sein. Denn wie sollen
Ungelehrte andere zu Gelehrten machen, Maßlose andere maßvoll
und Unreine andre rein? Wie kann einer, der den Frieden hasst,
Frieden herbeiführen? Oder wenn einer befleckte Hände hat, wie
kann der jene reinwaschen, die durch andere Verunreinigung
beschmutzt sind?
Denn es steht geschrieben: „Wenn aber ein Blinder den
andern führt, so fallen sie beide in die Grube.“ Tadelt
folglich zuerst Euch selbst, so dass Ihr dann ohne Vorwurf
jene, die unter Eurer Obhut stehen, zurechtweisen könnt. Wenn
Ihr wahrhaftig Freunde Gottes heißen wollt, dann tut frohen
Herzens das, wovon Ihr wisst, dass es Ihn erfreut. Seht
insbesondere zu, dass die Angelegenheiten der Kirche getreu
ihrem Gesetz bewahrt werden, so dass simonische Häresie durch
nichts unter Euch Wurzeln schlägt. Sorgt dafür, dass Verkäufer
und Käufer, von den Peitschenhieben des Herrn gegeißelt,
elendiglich hinausgetrieben werden durch die engen Pforten in
die äußerste Verdammnis. Haltet die Kirche in all ihren Rängen
gänzlich frei von weltlicher Macht, veranlasst, dass der
Zehnte aller Gaben der Erde gewissenhaft an Gott abgetreten
wird, und lasst nicht zu, dass er verkauft oder einbehalten
wird.
Wer auch immer sich an einem Bischof vergriffen hat, solle
verflucht sein. Wer immer sich an Mönchen oder Priestern oder
Nonnen und ihren Dienern oder Pilgern und Händlern vergriffen
hat und sie beraubt hat, möge verflucht sein. Diebe und wer
Häuser niederbrennt und ihre Komplizen sollen aus der Kirche
verbannt und exkommuniziert werden. „Danach müssen wir
besonders erwägen“, sagte Gregor, „wie schwer derjenige
bestraft werden muss, der einem anderen etwas stiehlt, ob er
etwa zu Höllenstrafen verdammt ist, weil er mit dem eigenen
Besitz nicht freigebig umgegangen ist.“ Denn so geschah es
dem Reichen in der bekannten Geschichte aus dem Evangelium. Er
wurde nicht bestraft, weil er einem anderen etwas stahl,
sondern weil er die Reichtümer, die er empfangen hatte,
schlecht verwendete.
Durch diese Sünden, liebste Brüder, hattet Ihr die Welt
lange Zeit in Unordnung geraten sehn, und ganz besonders in
manchen Teilen Eurer Provinzen, wie man uns erzählt hat.
Vielleicht aufgrund unserer eigenen Schwäche, Recht zu
sprechen, wagt sich kaum noch einer, der auf Sicherheit baut,
auf den Straßen zu reisen, aus Angst, am Tag von Räubern
heimgesucht zu werden oder in der Nacht von Dieben, mit Gewalt
oder Hinterlist, zu Hause oder draußen. Und deshalb sollte der
Gottesfriede, wie er genannt zu werden pflegte, der vor langer
Zeit von den heiligen Vätern eingeführt wurde, erneuert
werden. Ich rate jedem von Euch dringend, ihn in Eurer eigenen
Diözese strikt durchzusetzen. Doch wenn einer, der von Habgier
oder Hochmut befallen ist, diesen Frieden bereitwillig bricht,
möge er sich kraft Gottes Amtsgewalt und mit Billigung der
Entscheide dieses Konzils unter die Exkommunizierten
einreihen.
Weil Ihr Ihm, o Söhne Gottes, gelobt habt, untereinander
Frieden zu halten und für die Rechte der heiligen Kirche
aufrichtiger als bisher treu einzustehen, verbleibt Euch eine
wichtige Aufgabe, die jüngst durch göttlichen Eingriff
wachgerüttelt sich sowohl für Euch als auch für Gott ziemt,
bei der Ihr die Ernsthaftigkeit Eures guten Willens erweisen
könnt. Denn Ihr müsst Euch sputen, um Euren im Osten lebenden
Brüdern, die Eure Unterstützung brauchen, um die sie oft
dringend nachsuchten, Hilfe zu bringen.
Denn die Türken, ein persisches Volk, haben sie
angegriffen, wie viele von Euch bereits wissen, und sind bis
zu jenem Teil des Mittelmeers, den man den Arm des heiligen
Georg nennt, auf römisches Territorium vorgedrungen. Sie haben
immer mehr Länder der Christen an sich gerissen, haben sie
bereits siebenmal in ebenso vielen Schlachten besiegt, viele
getötet oder gefangengenommen, haben Kirchen zerstört und
haben Gottes Königreich verwüstet. Wenn Ihr ihnen gestattet,
noch viel länger weiterzumachen, werden sie Gottes gläubiges
Volk auf weiter Flur unterwerfen.
Und deshalb ermahne ich, nein, nicht ich, ermahnt Gott Euch
als inständige Herolde Christi mit aufrechter Bitte, Männer
jeglichen Standes, ganz gleich welchen, Ritter wie Fußkämpfer,
reiche und arme, wiederholt aufzufordern, diese wertlose Rasse
in unseren Ländern auszurotten und den christlichen Bewohnern
rechtzeitig zu helfen. Ich richte mich an die Anwesenden, ich
verkündige es jenen, die abwesend sind; überdies befiehlt es
Christus. All jenen, die dorthin gehen, ob sie auf dem Landweg
marschieren oder übers Meer fahren oder im Kampf gegen die
Heiden das Ende dieses Lebens in Gefangenschaft finden, werden
ihre Sünden vergeben. Dies gewähre ich all denen, die gehen,
kraft der Vollmacht, mit der Gott mich ausgestattet hat.
O welch eine Schande, wenn eine Rasse, die so verächtlich,
so verkommen und von Dämonen geknechtet ist, auf solche Art
ein Volk überwinden sollte, welches mit dem Glauben an den
allmächtigen Gott ausgestattet ist und im Namen Christi
glänzt.
O welche Vorwürfe werden Euch vom Herrn selbst zur Last
gelegt, wenn Ihr nicht jenen geholfen habt, die wie Ihr dem
christlichen Glauben zugerechnet werden! Jene, die
leichtfertig einen persönlichen Krieg gegen die Gläubigen zu
führen pflegen, mögen nun gegen die Ungläubigen in einen Krieg
ziehen, der jetzt begonnen und siegreich zu Ende gebracht
werden sollte. Jene, die lange Räuber gewesen sind, mögen nun
zu Streitern Christi werden.
Die, die einst gegen Brüder und Verwandte kämpften, mögen
nun rechtmäßig gegen Barbaren kämpfen. Jene, die käuflich
gewesen sind für einige Stücke Silbers, sollen nun ewigen Lohn
empfangen. Jene, die sich selbst zum Nachteil von Körper und
Seele erschöpft haben, sollen nun um doppelten Ruhm arbeiten.
Zur einen Hand, fürwahr, werden die Traurigen und die Armen
sein, zur anderen die Fröhlichen und die Wohlhabenden, hier
die Feinde des Herrn, dort Seine Freunde. Nichts möge jene,
die sich anschicken zu gehen, aufhalten. Sie sollen ihre
Angelegenheiten regeln, Geld anhäufen, und wenn der Winter
vorbei und der Frühling gekommen ist, die Reise unter der
Führung des Herrn voll Eifers antreten.
Daraufhin rief Adhemar de Monteil,
Bischof von Le Puy,
Deus lo vult!