Gedichte im Islam
Die Erhebung des Steines

von
Friedrich Rückert

Neu die Kaaba zu erbauen
Hat der Stamm Koreisch beschlossen,
Und des Stammes Glieder alle
Legen Hand an unverdrossen.
Aber als soweit die Mauer
Sich erhoben hat vom Grunde,
Als von mittelmäß’gem Wuchse
Reicht ein Mann mit seinem Munde;
Wo dem heil’gen schwarzen Steine
Seine Stell’ ist angewiesen,
Werden die vereinten uneins,
Wer empor soll heben diesen?
Jeder Zweig des Stammes hadert
Um den Ruhm, den Stein zu heben
Dorthin, wo viel tausend Pilger
Künftig ihn zu küssen streben.
Ein Schiedsrichter soll entscheiden;
Wer zuerst vom Stamm Koreisch
Ihnen aus der Stadt wird kommen,
Soll beschwichten ihr Geheisch.
Und Mohammed kam der erste,
Der den göttlichen Beruf
Jetzt noch nicht empfangen hatte,
Der zu Aller Haupt ihn schuf.
Unter Allen der geringste
Scheinet er, der frühverwaiste,
Den der Ahn erst, dann der Ohm zog,
Der jetzt für die Witwe reiste.
Er wird keine Eifersucht
Regen seinen Stammgenossen;
Sich zu unterwerfen seinem
Ausspruch sind sie gern entschlossen.
Er verordnet, und gelegt
Ist der Stein auf eine Matte,
Die an jedem Zipfel jeder
Zweig des Stammes zu fassen hatte.
Als sie mit vereinten Kräften
Ihn gehoben zu dem Ort,
Nimmt Mohammed ihn und legt ihn
Hin wo er nun liegt hinfort.
Alle sind damit zufrieden,
Dass er es für alle tat,
Denken nicht, welch einen Vorzug
Er dadurch vor allen hat.
Die ihm eingeräumte Ehre
(Also ist’s des Himmels Rat)
Werden sie ihm streitig machen
Künftig, wann es ist zu spat .

von Friedrich Rückert aus
Sieben Bücher morgenländischer Sagen und Geschichten", Stuttgart 1837

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