Gedichte im Islam
Der Garten von Irem

von
Friedrich Rückert

Ist euch Kunde zugekommen
Von Schedad, dem Sohn des Ad,
Der da, nicht zu seinem Frommen,
Ging des Übermutes Pfad?

Wo er herrscht’ auf Iren’s Auen,
Die zwar blühten schön genug,
Wollt’ er einen Himmel bauen,
Wie die Erd’ ihn nicht ertrug.

Einen Paradiesesgarten
Nach dem Muster jenes dort,
Der die Sel’gen soll erwarten
Nach des Koran’s klarem Wort.

Zwar der Koran war zur Erden
Noch gekommen damals nicht;
Doch Erleuchtung konnte werden
Dem Schedad im Traumgesicht.

Denn von Ewigkeit geschrieben
Lag das Buch an Gottes Thron,
Und nicht unbekannt geblieben
War es manchem Göttersohn.

Mancher Vers aus manchen Suren
War bereits in Engelmund,
Davon ward auf Irem’s Fluren
Dem Schedad ein Wörtchen kund.

Von der Schilderung entzündet
Jener Paradiesespracht,
Hat er sich die Kunst verbündet,
Die aus Erden Eben macht.

Sieben Meister ließ er holen,
Die der Nuhm die größten pries,
Jedem ward ein Thor befohlen
Aufzubau’n dem Paradies.

Sieben nicht, es waren achte,
Weil auch dort acht Pforten trägt
Gottes Grundriss, mit Bedachte
Hatt’ er sich ihn eingeprägt.

Vom Tribut des Morgenlandes,
Von der Abendlande Gold,
Ward statt Mörtels oder Sandes
Silber beigeführt und Gold.

Wechselnd, alle Ziegelsteine,
Einer nach dem anderen fort,
War von Silber hier der eine,
Und von Gold der andre dort.

Um die Gartenbeet’ am Rande
Eines Stroms voll Moschuswein,
Dient die Perl’ im Weg zu Sande,
Und zu Kies der Edelstein.

Bäume, welche nie verlieren
Laub und Blüthe, schmücken ihn
Mit den Blättern von Saphiren,
Mit den Früchten von Rubin.

Alles schon ist Himmelshuldig
Fertig für den Sohn von Ad,
Und im Garten ungeduldig
Harret einzuziehn Schedad.

Alle Fürsten seines Reiches
Ziehn mit ihm im Zug heran;
Niemals sah die Sonn’ ein gleiches
Schauspiel gleichem Schauplatz nahn.

Einen Augenblick verschoben
Sei des Königs Einzug nur,
Bis die Kunst die letzten Proben
Hat getan an seiner Flur!

Einen Augenblick den Riegel
Lass in Silberbanden ruhn,
Bis von Gold die letzte Ziegel
Auf des Daches Haupt wir tun.

Doch woher den Mörtel langen,
Der die Lücke füllen soll?
Grad ist aus der Quell gegangen,
Der so lang und reichlich quoll.

Gold und guter Rath ist teuer,
Alles nahm man, wo sich’s fand,
Und gegeben hat die Steuer
Will’ge und unwill’ge Hand.

Selbst den Rückstand beizutreiben,
Rennt der Vogt verzweiflungsvoll,
Doch an Mannen noch an Weiben
Hebt er weder Zins noch Zoll.

Einen einz’gen Waisenknaben
Sieht er mit der Spange gehen;
Soll er Schmuck am Halse haben,
Und entblößt der Giebel stehn?

Schnell ist ihm die Spang’ entrissen,
Und die Ziegel krönt das Dach;
Doch in seinen Kümmernissen
Weint er seinem Schatze nach:

„Weder Mutter, weder Vater
Bringen mir zurück den Raub;
Du dort oben mein Berater,
Sei nicht meinem Rufe taub!

„Gib mir meine Spange wieder,
Die mir Mutter sterbend gab!“
Und auf goldenem Gefieder
Lässt sich Gabriel herab.

Leise löset er die Ziegel,
Und die Spang’ ist hergestellt;
Doch gelöset scheint das Siegel,
Das den Bau zusammenhält.

Unter seines Flügelschlages
Rauschen sinkt das Eden ein;
Keine Spur ist heut’ges Tages,
Wo es mag gewesen sein.

Von des Sands verstürmtem Meere
Sind die Pforten ausgefüllt,
Wo Schedad mit seinem Heere
Ward beim Einzug überhüllt.

Wenn du dir ein neues Irem
Neuer Schedad, gründetest,
Lass der Waisen Gut! Mit ihrem
Gute baust du niemals fest.

Aus: Sieben Bücher Morgenländischer Sagen und Geschichten

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