Gedichte im Islam
Abraham in Ägypten

von
Friedrich Rückert

Als nach Ägypten Abraham
Mit seinem Weibe Sara zog,
Und an der Grenze schon vernahm,
Dass drin ein König Unbill pflog,
Der Männern ihre Beine nahm,
Und sie in seinen harem zog;
Ließ er noch auf den letzen Rasten
Für Sare machen einen Kasten,
Und ein Kamel damit belasten.
Als er nun bei der Grenze Zoll
Richt wollt’ angeben, was er führt,
Und seinen Kasten öffnen soll,
Der Zöllner hat den Fund erspürt:
„Der Kasten ist von Schazgut voll,
Das nur dem Könige gebührt.
Wir müssen’s gleich nach Hofe senden;
Du magst, und nicht mit leeren Händen,
Dahin um Rückgab’ auch dich wenden.“
Doch Tigend braucht nicht fremde Hut,
Sie hütet selber ihre Türen.
Der König will in truntner Wut
Die Hand nach ihrem Schleier führen;
Doch in der Hand erstarrt das Blut,
Dass er daran kein Glied kann rühren.
Erschrocken ruft er: „Zauberin!“
„Rein,“ spricht sie, „dessen Weib ich bin,
Dem Freunde Gottes gib mich hin.“
Lust hat er nicht, zurückzugeben
Die schöne Patriarchenfrau.
„Darf nicht die Hand den Schleier heben,
Doch wohl vergönnt ist eine Schau?“
Die Blicke lässt er lüstern schweben,
Doch vor den Augen wird’s ihm grau,
Von Blindheit fühlt er sich geschlagen,
Er muss dem Sehen auch entsagen,
Will er nicht gar die Augen wagen.
Wer kann die starre Königshand,
Den Star des Königsauges heilen?
Der Patriarch ist es im Stand,
Man muss ihn holen ihre Weilen,
Und ihm, so viel er gut besand,
Für die Bemühung Lohn erteilen.
Reich führt der unbescholtne Mann
Sein Weib und all sein Gut von dann,
Das ihre Schönheit ihm gewann.

Aus: Sieben Bücher Morgenländischer Sagen und Geschichten

© seit 2006 - m-haditec GmbH - info@eslam.de