Wir werden heimisch in Delmenhorst
Da
waren wir also in Delmenhorst eingezogen, einer kleinen Stadt
mit ca. 70.000 Einwohnern. Eigentlich ist die Stadt nicht
besonders bekannt. Und den damaligen Bürgermeister kannten wir
nicht, was sich bei den späteren Bürgermeistern allerdings
ändern sollte. Es fiel uns lediglich auf, dass die Behörden
und Ämter der Stadt erheblich freundlicher zu Muslimen waren,
als wir es von Bremen gewohnt waren. Die Ausweise und
Führerscheine mit Kopftuch waren hier kaum ein Problem!
Als Neulinge im
Stadtteil Heidkrug luden wir zunächst die gesamte
Nachbarschaft ein, uns zu besuchen, damit sie uns kennenlernen
konnten. Viele kamen auch. Daraus entstanden bis heute einige
sehr gute nachbarschaftliche Beziehungen, teilweise auch
freundschaftliche und herzliche.
Nach und nach haben
wir das Haus immer weiter ausgebaut und inzwischen auch ein
von außen nicht einsehbares acht Meter langes Schwimmbecken im
Garten errichtet. Viele muslimische Frauen aus der Umgebung
nutzen diese Gelegenheit und verbringen zusammen mit ihren
Kleinkindern heiße Sommernachmittage in und an dem kleinen
Becken. Gott sei Dank sind unsere Nachbarn so geduldig und
ertragen das fröhliche Geplantsche der muslimischen Gäste, ist
es doch deren einzige Möglichkeit, in erreichbarer Nähe
Schwimmen zu gehen. Denn nirgends sonst im erreichbaren
Umkreis wird den muslimischen Frauen eine Schwimmmöglichkeit
angeboten, bei der sie sich fern von männlichen Blicken
untereinander im Badeanzug zeigen können. Unsere Frauen
versuchen dann auch den Nichtschwimmerinnen unter den Gästen
einige Schwimmübungen abzuverlangen, aber das ist bei den
älteren Glaubenschwestern nicht so einfach. Auch einige ältere
Männer haben hier erstmalig Schwimmen gelernt. Viele Menschen
in diesem Land können sich gar nicht vorstellen, dass ein
Erwachsener nicht schwimmen kann. Dabei sei erwähnt, dass es
zu dem Vorbild des Propheten Muhammad gehört – der Friede
Gottes sei mit ihm und den Reinen seiner Nachkommenschaft –
den Kindern Schwimmen beizubringen, was aber vielen Muslimen
aus sehr unterschiedlichen Gründen offensichtlich nicht
möglich war.
Ausgehend
von dieser Erfahrung haben mein Bruder und ich dafür Sorge
getragen, dass alle unsere Mädchen vor dem Alter der
religiösen Reife und damit Verhüllung, was bei Mädchen mit
knappen neun Jahren eintritt (neun Mondjahre), die
verschiedenen Schwimmabzeichen in öffentlichen Bädern erlangt
haben. Im Urlaub reisen wir dann entweder in ein Land mit
getrennten Stränden, oder aber die Frauen schwimmen in
Vollkörpermontur. Inzwischen gibt es jene Montur auch in
geeignetem, schnell trocknendem Schwimmanzugmaterial. Unsere
ersten Versuche, jene Anzüge auch in Deutschland einzuführen,
wurden von den Medien als “integrationshemmend“ bezeichnet,
wie grundsätzlich alles zunächst abgelehnt wird, was
“islamisch“ ist. Inzwischen haben aber viele im Land erkannt,
dass genau das Gegenteil der Fall ist, weil so auch Kopftuch
tragende Frauen am gemeinsamen Schwimmen teilnehmen können und
so die Integration gefördert und nicht behindert wird.
Auch im Wasser kann die Frau sich vor Blicken schützen
Es kann
sein, dass solch ein Foto für Menschen, die diesen Anblick
nicht kennen, “befremdlich“ erscheinen mag. Der eine oder
andere fühlt sich allein bei dem Foto wahrscheinlich sogar
“unwohl“. Aber liegt das nicht möglicherweise daran, dass man
es nicht kennt? Kann es nicht sein, dass man ganz anders
darauf blicken würde, wenn man mit diesen Menschen befreundet
wäre und sie und ihre Bekanntschaft sogar schätzen würde? Der
Präsident der Evangelischen Akademie zu Berlin Robert Leicht
hat bereits 2003 sehr treffend formuliert: „In Wirklichkeit
stört uns an der Religionsfreiheit für Muslime, dass es nicht
unsere Religion ist. Uns stört das Befremdliche, nicht das
Religiöse. Aber das Befremdetsein hat zwei Seiten den
anderen und uns! Auch wir haben zu lernen, damit umzugehen.“
Im Laufe
der Zeit wurden wir immer “echtere“ Delmenhorster Bürger mit
regionaler Einbindung. Nur im Fußball musste die Stadt Bremen
noch ab und zu den Delmenhorster Lokalpatriotismus ablösen,
aber gehörte Werder Bremen nicht auch zu Delmenhorst?