Schadensminimierung
Die
Reaktionen an meinem Arbeitsplatz waren genau so heftig, wie
die Ereignisse es vermuten ließen. Rektorat, Rechtsabteilung,
Pressestelle, alle hatten viel zu tun. Und wie ich später
erfuhr, hatte die Pressestelle der Universität seit Jahren bei
keinem Thema so viel Andrang gehabt wie in diesem Fall. Selbst
Journalisten und Fernsehsender aus Spanien und Japan fragten
an. Aber es sollte noch lange nicht der Höhepunkt der
Belastung der Pressestelle sein.
Um einer
unkontrollierten Eskalation in jeder Hinsicht
entgegenzutreten, ging ich zwei Wochen nicht mit den Kollegen
in der Mittagspause in die Mensa. Per internem Rundmail bat
ich alle Kollegen, mich nicht während der Arbeitszeit darauf
anzusprechen; nach der Arbeitszeit würde ich zur Verfügung
stehen. Aber von dieser Gelegenheit hat niemand Gebrauch
gemacht. Auch war meine Angespanntheit an den Tagen wohl kaum
zu übersehen.
Ich hatte damals von mir aus angeboten
ggf. nach einer Lösung bezüglich meiner “Dauerstelle“ zu
suchen und kooperativ zu sein. Aus Sicherheitsgründen habe ich
auch sofort meinen Generalschlüssel abgegeben, mit dem ich in
alle Räume unseres Gebäudes eintreten konnte. Zwar hätte mir
bis dahin niemand einen Vertrauensbruch zugetraut, aber ich
wollte mich selbst vor möglichen zukünftigen “Vermutungen“
schützen.
Nicht zuletzt degradierte ich mich selbst
auf unseren Internetseiten vom “Oberingenieur“ zum
wissenschaftlichen Mitarbeiter, bat meine Vorgesetzten diese
“Degradierung“ auch offiziell zu akzeptieren und änderte das
von der Bild-Zeitung “verbrauchte“ Foto im Internet ab. Es
musste unbedingt jeglicher Schaden von meinem Arbeitgeber, der
mich immer fair behandelt hat, abgewandt werden, soweit das
noch möglich war. Dutzende von Reportern, die mich am
Arbeitsplatz anriefen, verwies ich an meine Privatadresse.
Die Reaktionen der Hochschullehrer waren
so unterschiedlich, wie sie unterschiedlicher kaum sein
konnten. Während einige ernsthafte Konsequenzen aus dem
“Skandal“ herbeireden wollten und eine weitere Arbeit mit mir
unter einem Dach für problematisch erachteten, klopften mir
andere immer wieder auf die Schulter. Einige Hochschullehrer
erwiderten eine Zeit lang nicht einmal mehr meinen Gruß und
schauten demonstrativ weg, wenn wir uns begegneten. Aber es
gab auch sehr positive Überraschungen:
Am meisten überrascht und beeindruckt war
ich von der Reaktion eines Hochschullehrers aus einem anderen
Fachgebiet, mit dem ich vorher wissenschaftlich
vergleichsweise wenig zu tun hatte, und der zu jener Zeit die
Geschehnisse nicht sofort mitbekommen hatte und daher erst
Wochen danach reagierte. Ich wollte nach Feierabend gerade
heim fahren und stieg in mein Auto, da kam er von weitem
rufend auf mich zu, reichte mir überraschenderweise halb im
Wagen sitzend die Hand, und während ich höflicherweise
versuchte auszusteigen, sagte er zu mir: „Ich wollte ihnen
nur auf diesem Weg gratulieren, halten sie die Ohren steif und
machen Sie weiter so“. Er sprach mir mehrfach Mut zu,
schüttelte mir kräftig die Hand und ließ mich verdutzt vor
meinem Wagen stehen. Die Mitfahrer meiner Fahrgemeinschaft,
die ich dann unterwegs abholte und ihnen das Geschehnis
schilderte, konnten mir nicht glauben. Ein anderer
Hochschullehrer bat mich, ihn auf eine Islamausstellung zu
begleiten. Mein eigener Vorgesetzter ertrug die Flut der
Ereignisse in geduldiger Sachlichkeit und verwies darauf, dass
mein “Privatleben“ meine eigene Sache sei. Aber auch außerhalb
Bremens hatten die Wissenschaftler davon gehört: Auf
überregionalen Kongressen wurde ich gleich mehrfach darauf
angesprochen, und so mancher Verantwortliche wollte meine
“Beziehungen“ zum Iran für den Wissenschaftsaustausch nutzen.
Doch auch eine Begrenzung meines
Aufstiegs auf der wissenschaftlichen “Karriereleiter“ war
nicht zu übersehen. Kurz vor dem FAZ-Artikel in 2002 wurde in
Berlin eine Professur ausgeschrieben, worauf meine
Qualifikation sehr genau passte. Zwar schickte ich meine
vollständigen Unterlagen ein, aber nach dem Erscheinen des
FAZ-Artikels war die Bewerbung hinfällig geworden, wie ich es
über einen Mitbewerber erfuhr und mir auch vorher schon
gedacht hatte. Die Stelle erhielt später ein guter Freund und
Kommilitone vom mir, dem ich es gönne.
Am 27.8.2002 druckte die FAZ dann einen
Leserbrief eines uns unbekannten Steven Arons aus Heidelberg
mit dem Titel „Schlimmster Rufmord“, in dem u.a. Folgendes zu
lesen war:
Mit dem Artikel „Ayatollah Chamenei
und der öffentliche Dienst“ gehen Udo Ulfkotte und die
F.A.Z.-Redaktion entschieden zu weit.... Wer aus so wenigen
Indizien das Recht ableitet, auf der ersten Seite einer
Tageszeitung einen Artikel abzudrucken, der einen Menschen
namentlich in die Nähe von Terrorismus rückt, begeht
schlimmsten Rufmord. Özoguz wird es als Folge des Artikels
äußerst schwer haben. ... Das deutsche Grundgesetz gibt Özoguz
nun einmal das Recht, seine Religion frei auszuüben, seine
Meinung frei zu äußern und seine Wohnung so zu dekorieren, wie
er es gerne mag. Eine Zeitung, die das nicht akzeptieren kann,
handelt nicht verantwortungsvoll. Sie handelt
verfassungsfeindlich.
Sollte das eine Art verspätete
Entschuldigung der FAZ sein? Zum Ende des Jahres 2002
“beruhigte“ sich die FAZ-Angelegenheit vorläufig ein wenig.
Lediglich die Springerpresse ließ keine Ruhe und zitierte den
Fall weiter in einem Nebensatz eines Artikels des Hamburger
Abendblattes vom 30.12.2002. Allerdings sollte Ende 2002 ein
Buch erscheinen, in dem gleich ein ganzes Kapitel uns gewidmet
wurde, aber dazu später mehr.
Jedenfalls
waren wir jetzt endgültig in die Riege der
“fundamentalistischen Islamisten“ “aufgestiegen“, und das
Feindbild Islam hatte einige weitere “prominente“ Mitglieder
in Deutschland bekommen.