Nachbarn und Freunde
Selbstverständlich
haben auch wir – was man uns möglicherweise gar nicht zutraut
– zahlreiche Beziehungen zu Nichtmuslimen. Damit meinen wir
nicht nur die Arbeitskollegen und die zahllosen Studenten,
deren Diplomarbeit wir betreut haben und Doktoranden, die in
unseren Arbeitsgruppen gearbeitet haben oder Geschäftpartner.
Außer den “normalen“ Bekanntschaften haben auch wir unsere
Freunde, unsere guten Bekannten und vor allem auch unsere
Nachbarn. Die Pflege der nachbarschaftlichen Beziehung in dem
Rahmen, den der Nachbar wünscht, gehört sogar zu unseren
religiös geförderten Herzensangelegenheiten.
Mit
einem Nachbarehepaar hat sich daraus im Laufe der Jahre auch
eine echte Freundschaft gebildet, die sich in der
gegenseitigen Hilfsbereitschaft, im gegenseitigen Respekt und
gemeinsamen Unternehmungen verfestigt. Z.B. gehen wir gerne
gemeinsam mit unseren Kindern zu Werder Bremen und unsere
Kopftuch tragenden Töchter sind sicherlich “bremischer“ als
die Spieler, denen sie zujubeln.
Mein
Vorgänger an meinem universitären Arbeitsplatz hatte sich
selbstständig gemacht und leitet ein mittelständisches
Unternehmen in Ostdeutschland, woher er auch ursprünglich kam.
Gegenseitige Besuche der Familien haben die Beziehung
vertieft. Durch ihn habe ich auch erfahren, dass die
Ostdeutschen durch eigene leidvolle Erfahrungen dem “Großen
Bruder“ nicht so leicht alles glauben, wie es so mancher
“Westler“ tut, wobei es angesichts der aktuellen Entwicklung
kaum eine Rolle spielt, ob der “große Bruder“ Sowjetunion oder
USA heißt.
Die
Vielzahl unserer Freunde und Bekannten unter Muslimen und
Nichtmuslimen war immer ein Beweis für uns, dass es auch
anders geht, als so manche Interessengruppe in dieser Welt,
die den Konflikt förmlich sucht, es wünschen mag. Es stellte
sich aber heraus, dass die besten Kontakte entstehen, wenn
beide Seiten offen sind. Natürlich kann und wird es immer
Unterschiede in der Lebensauffassung geben. Solange diese aber
offen ausgesprochen und gegenseitig respektiert werden, wird
es sicherlich äußerst selten zu Problemen kommen.
Ich
habe einen Arbeitskollegen, mit dem ich fast die Hälfte meines
Arbeitslebens zusammen gearbeitet habe. Ein Jahr lang mussten
wir gemeinsam zu unserer Arbeitsstätte pendeln: Montags vier
Stunden hin, Freitags vier Stunden zurück (manchmal ein wenig
mehr). In dieser Zeit haben wir viel diskutiert. Es gab nur
selten ruhige Minuten im Auto. Insbesondere in den
Diskussionen, in denen wir unterschiedlicher Meinung sind,
zeigte sich, dass durch den gegenseitigen Respekt ein
sicherlich für beide Seiten nützlicher Dialog möglich ist.
Eine
frühere Arbeitskollegin, selbst inzwischen promoviert, die
mich bei meiner Doktorarbeit sehr viel unterstützte, hat es
sogar fertig gebracht, meiner Familie und mir das Skilaufen
schmackhaft zu machen. Durch sie haben wir “Fundamentalisten“
Skilaufen gelernt. Obwohl ich ihr natürlich auch nicht die
Hand geben kann, war dies nie ein Hindernis dafür, dass sich
unsere Familien mit der Zeit kennengelernt und angefreundet
haben.
Mein
langjährigster Freund (HSV-Fan) kennt mich schon, seitdem wir
auf der Welt sind. Er hat praktisch meine gesamte Entwicklung
aus sicherer Entfernung mitverfolgt. Auch wenn wir in vielen
Fragen der Religion und der Politik, über die wir häufig
reden, nicht der gleichen Meinung sind, so entwickelt sich
auch hier nie ein Problem, da die Diskussion immer respektvoll
geführt wird.
Jahre später, als der ehemalige Bürgermeister
Scherf bereits als Rentner umherreiste und seine Bücher
vorstellte, kam er auch in eine kleine Delmenhorster Gemeinde.
Da die Zuhörerschaft sehr begrenzt war, ging er durch die
Reihen und begrüße einmal mehr jeden Anwesenden mit
Handschlag. Als er vor mir stand, erkannt er mich, blieb
länger stehen, fragte mich höflich nach meinem Befinden und ob
mein Abgang von der Universität glimpflich verlaufen sei.
Ungewöhnlich lange unterhielt er sich mit mir, als andere
darauf warteten, dass er ihnen die Hand reichen solle. In
seinem Schlepptau befand sich der neue Delmenhorster
Bürgermeister Patrick de La Lanne (SPD). Es schien mir so, als
wenn sich sein Gesicht zunehmend verfinsterte, als ihm klar
wurde, mit wem sich sein Parteikollege da so lange unterhielt.
Im Anschluss reichte er mir schnell die Hand und ging zum
nächsten. Der bereits “befreite“ Bürgermeister im Rentenstand
konnte sein menschliches Gesicht zeigen. Der andere musste an
seine Karriere denken. War das nicht sinnbildlich für das
gesamte Dilemma im Land?
An einer
Friedensdemonstration zu den Ostermärchen in Delmenhorst mit
ca. 30 Teilnehmern, die sich auch gegen den Einmarsch im Irak
richtete, hatten wir mit ca. 10 Muslimen teilgenommen. Der
Demonstrationszug – so weit man bei 30 Teilnehmern von einem
Zug sprechen kann – endete vor einer Kirche. Der Geistliche
trat vor das Mikrofon, sprach einige allgemeine Sätze über
Frieden, um dann erstaunlicherweise gegen den Muslim-Markt zu
hetzen. Nach seiner Rede ging ich zu ihm und fragte ihn – er
war immerhin Gemeindeleiter – welche Inhalte des Muslim-Markt
ihm aufgestoßen wären. Er antwortete, dass er das im Detail
nicht sagen könne, da er kein Arabisch verstehe. Als ich ihn
darauf hinwies, dass der Muslim-Markt noch nie Arabisch
publiziert hätte, sondern ausschließlich in deutscher Sprache,
war er etwas überrascht, blieb aber bei seiner Sturheit. Und
auch diese Haltung sollte symptomatisch für das sein, was wir
so oft erlebt haben. Menschen verurteilen, ohne sich jemals
ein halbwegs faires Bild gemacht zu haben.
Es ist
aber generell möglich, einen Dialog zu führen, es kommt nur
darauf an, welche Voraussetzungen und welcher Wille zum Dialog
bestehen!
Wichtiger aber als ein Dialog zwischen zwei einzelnen Menschen
ist der Dialog von ganzen Kulturen. Und so kommen wir zu dem
Abschnitt der sicherlich für meinem Bruder und mich mit am
wichtigsten ist.