Gebrüder Özoguz

Wir sind (keine) “fundamentalistische Islamisten“ in Deutschland

Eine andere Perspektive

Dr. Yavuz Özoguz und Dr. Gürhan Özoguz

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Nachbarn und Freunde

Selbstverständlich haben auch wir – was man uns möglicherweise gar nicht zutraut – zahlreiche Beziehungen zu Nichtmuslimen. Damit meinen wir nicht nur die Arbeitskollegen und die zahllosen Studenten, deren Diplomarbeit wir betreut haben und Doktoranden, die in unseren Arbeitsgruppen gearbeitet haben oder Geschäftpartner. Außer den “normalen“ Bekanntschaften haben auch wir unsere Freunde, unsere guten Bekannten und vor allem auch unsere Nachbarn. Die Pflege der nachbarschaftlichen Beziehung in dem Rahmen, den der Nachbar wünscht, gehört sogar zu unseren religiös geförderten Herzensangelegenheiten.

Mit einem Nachbarehepaar hat sich daraus im Laufe der Jahre auch eine echte Freundschaft gebildet, die sich in der gegenseitigen Hilfsbereitschaft, im gegenseitigen Respekt und gemeinsamen Unternehmungen verfestigt. Z.B. gehen wir gerne gemeinsam mit unseren Kindern zu Werder Bremen und unsere Kopftuch tragenden Töchter sind sicherlich “bremischer“ als die Spieler, denen sie zujubeln.

Mein Vorgänger an meinem universitären Arbeitsplatz hatte sich selbstständig gemacht und leitet ein mittelständisches Unternehmen in Ostdeutschland, woher er auch ursprünglich kam. Gegenseitige Besuche der Familien haben die Beziehung vertieft. Durch ihn habe ich auch erfahren, dass die Ostdeutschen durch eigene leidvolle Erfahrungen dem “Großen Bruder“ nicht so leicht alles glauben, wie es so mancher “Westler“ tut, wobei es angesichts der aktuellen Entwicklung kaum eine Rolle spielt, ob der “große Bruder“ Sowjetunion oder USA heißt.

Die Vielzahl unserer Freunde und Bekannten unter Muslimen und Nichtmuslimen war immer ein Beweis für uns, dass es auch anders geht, als so manche Interessengruppe in dieser Welt, die den Konflikt förmlich sucht, es wünschen mag. Es stellte sich aber heraus, dass die besten Kontakte entstehen, wenn beide Seiten offen sind. Natürlich kann und wird es immer Unterschiede in der Lebensauffassung geben. Solange diese aber offen ausgesprochen und gegenseitig respektiert werden, wird es sicherlich äußerst selten zu Problemen kommen.

Ich habe einen Arbeitskollegen, mit dem ich fast die Hälfte meines Arbeitslebens zusammen gearbeitet habe. Ein Jahr lang mussten wir gemeinsam zu unserer Arbeitsstätte pendeln: Montags vier Stunden hin, Freitags vier Stunden zurück (manchmal ein wenig mehr). In dieser Zeit haben wir viel diskutiert. Es gab nur selten ruhige Minuten im Auto. Insbesondere in den Diskussionen, in denen wir unterschiedlicher Meinung sind, zeigte sich, dass durch den gegenseitigen Respekt ein sicherlich für beide Seiten nützlicher Dialog möglich ist.

Eine frühere Arbeitskollegin, selbst inzwischen promoviert, die mich bei meiner Doktorarbeit sehr viel unterstützte, hat es sogar fertig gebracht, meiner Familie und mir das Skilaufen schmackhaft zu machen. Durch sie haben wir “Fundamentalisten“ Skilaufen gelernt. Obwohl ich ihr natürlich auch nicht die Hand geben kann, war dies nie ein Hindernis dafür, dass sich unsere Familien mit der Zeit kennengelernt und angefreundet haben.

Mein langjährigster Freund (HSV-Fan) kennt mich schon, seitdem wir auf der Welt sind. Er hat praktisch meine gesamte Entwicklung aus sicherer Entfernung mitverfolgt. Auch wenn wir in vielen Fragen der Religion und der Politik, über die wir häufig reden, nicht der gleichen Meinung sind, so entwickelt sich auch hier nie ein Problem, da die Diskussion immer respektvoll geführt wird.

Jahre später, als der ehemalige Bürgermeister Scherf bereits als Rentner umherreiste und seine Bücher vorstellte, kam er auch in eine kleine Delmenhorster Gemeinde. Da die Zuhörerschaft sehr begrenzt war, ging er durch die Reihen und begrüße einmal mehr jeden Anwesenden mit Handschlag. Als er vor mir stand, erkannt er mich, blieb länger stehen, fragte mich höflich nach meinem Befinden und ob mein Abgang von der Universität glimpflich verlaufen sei. Ungewöhnlich lange unterhielt er sich mit mir, als andere darauf warteten, dass er ihnen die Hand reichen solle. In seinem Schlepptau befand sich der neue Delmenhorster Bürgermeister Patrick de La Lanne (SPD). Es schien mir so, als wenn sich sein Gesicht zunehmend verfinsterte, als ihm klar wurde, mit wem sich sein Parteikollege da so lange unterhielt. Im Anschluss reichte er mir schnell die Hand und ging zum nächsten. Der bereits “befreite“ Bürgermeister im Rentenstand konnte sein menschliches Gesicht zeigen. Der andere musste an seine Karriere denken. War das nicht sinnbildlich für das gesamte Dilemma im Land?

An einer Friedensdemonstration zu den Ostermärchen in Delmenhorst mit ca. 30 Teilnehmern, die sich auch gegen den Einmarsch im Irak richtete, hatten wir mit ca. 10 Muslimen teilgenommen. Der Demonstrationszug – so weit man bei 30 Teilnehmern von einem Zug sprechen kann – endete vor einer Kirche. Der Geistliche trat vor das Mikrofon, sprach einige allgemeine Sätze über Frieden, um dann erstaunlicherweise gegen den Muslim-Markt zu hetzen. Nach seiner Rede ging ich zu ihm und fragte ihn – er war immerhin Gemeindeleiter – welche Inhalte des Muslim-Markt ihm aufgestoßen wären. Er antwortete, dass er das im Detail nicht sagen könne, da er kein Arabisch verstehe. Als ich ihn darauf hinwies, dass der Muslim-Markt noch nie Arabisch publiziert hätte, sondern ausschließlich in deutscher Sprache, war er etwas überrascht, blieb aber bei seiner Sturheit. Und auch diese Haltung sollte symptomatisch für das sein, was wir so oft erlebt haben. Menschen verurteilen, ohne sich jemals ein halbwegs faires Bild gemacht zu haben.

Es ist aber generell möglich, einen Dialog zu führen, es kommt nur darauf an, welche Voraussetzungen und welcher Wille zum Dialog bestehen!

Wichtiger aber als ein Dialog zwischen zwei einzelnen Menschen ist der Dialog von ganzen Kulturen. Und so kommen wir zu dem Abschnitt der sicherlich für meinem Bruder und mich mit am wichtigsten ist.

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