Gebrüder Özoguz

Wir sind (keine) “fundamentalistische Islamisten“ in Deutschland

Eine andere Perspektive

Dr. Yavuz Özoguz und Dr. Gürhan Özoguz

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Kurze Lebensgeschichte

Fast ganz normale deutsche Türken

Eigentlich sind wir ganz “normal“, fast wie echte Deutsche groß geworden, sehr modern. Unsere inzwischen verstorbene Mutter – Gott habe sie selig – hatte das amerikanische College in Istanbul und unser Vater das französische St. Josef College besucht. Als Kaufmann kam er noch vor der ersten Gastarbeiterwelle 1959 nach Hamburg. Entsprechend waren unsere ersten Jahre vorgezeichnet: Grundschule in Hamburg, dann Gymnasium Corveystraße im Stadtteil Lokstedt; beide hatten wir die Leistungsfächer Mathe und Physik. Das Studium an der TU Clausthal im Herzen des Harzes gehörte sicherlich zu den Höhepunkten unseres Lebens. Währenddessen Tanzschule, Gitarre und Klavier, Windsurfen, Schallplattensammlung (inklusive eines extrem wertvollen Schwarzdrucks eines Konzertmitschnitts von Pink Floyd), Ausbildung zum Forschungstaucher auf Helgoland usw. usf. ... eigentlich alles ganz “normal“.

  Selbst eigene Songs haben wir geschrieben und mit Freunden gespielt. Unsere nachgespielten Lieblingslieder waren “Von guten Mächten wunderbar geborgen“ von Dietrich Bonhoeffer[1], “Kinder“ von Bettina Wegner und „Hymn“ von Barcley James Harvest jeweils untermalt mit zwei Gitarren. Der Gedanke an das Leben des christlichen Märtyrers Bonhoefer war dabei immer herzergreifend für uns, da er das Gedicht aus dem Gefängnis an Seine Familie schrieb und diese damit zu trösten suchte:

 Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Noch will das Alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last,
ach, Herr, gib unsern aufgescheuchten Seele
das Heil, für das Du uns bereitet hast.....[2]

 Auch Cat Stevens’ Lieder waren bei uns sehr beliebt, und “Father and Son“ entsprach unserer Lebenseinstellung.

Aber auch sonst waren wir “ganz normal“. Wir spielten leidenschaftlich Fußball bei FC Eintracht Lokstedt in den jeweiligen Jugendklassen (die dürften noch heute unsere Spielerpässe von damals haben), Gürhan immer in Sturm, ich entweder im Mittelfeld oder als Libero. Und in Skiurlaub bin ich mit den Klassenkameraden in die italienischen Dolomiten gefahren, um Nachttouren nach Venedig zu machen. Viele alte Freunde von damals dürften noch zahlreiche Fotos von mir haben, auf denen man mich heute nicht wieder erkennen würde!

 Den Schulabschluss feierte ich mit einer monatelangen Autotour gemeinsam mit einem guten Schulkameraden durch fast alle Länder des damaligen Ostblocks und quer durch die Sowjetunion, um uns selbst ein Bild vom “bösen“ Ostblock zu machen (der damalige Schulkamerad ist inzwischen anerkannter Urologe in Hamburg). Danach verließ ich erstmals mein Elternhaus und zog nach Clausthal-Zellerfeld, um an der dortigen Technischen Universität zu studieren.

Meine Entwicklung war ähnlich. Ich hatte schon als Kleinkind immer wieder darüber nachgedacht, warum es mich gab. Allerdings hatte ich nie lange Zeit für diese Gedanken, denn ich war sehr mit meinen sportlichen Aktivitäten beschäftigt. Zwar hatte ich immer zum Fastenmonat gefastet, aber das war ja auch eine wirklich schöne Zeit. Ich empfand es als besonders faszinierend, einmal dieses Hunger- und Durstgefühl mitzumachen. So hoffte ich, dass ich die Armen dadurch niemals vergessen würde. Aber zu mehr war keine Zeit, so dass die Frage nach meiner Herkunft immer in den Hintergrund gedrängt wurde.

Erst zum Abitur hin wuchs in mir die Neugier, auch einmal die Hintergründe der Religionen zu erfahren. Allerdings hatte ich eher das Bedürfnis, etwas über die Kirche zu erfahren als über den Islam, da ich ja meinte, den Islam von der Abstammung her ohnehin zu kennen. Und dies, obwohl ich noch nicht einmal den Qur´an in Deutsch gelesen und mich auch sonst kaum mit einem Thema im Islam auseinandergesetzt hatte.

Ich erkundigte mich also, ob es irgendwelche Bibelkreise oder Ähnliches in unserem Stadtteil gab, an denen ich teilnehmen konnte. Als ich einen fand, der wöchentlich stattfand, fragte ich den Pastor unserer Gemeinde, ob es möglich sei, als Muslim daran teilzunehmen. Der sehr freundliche Pastor erlaubte dies, und so freute ich mich auf die erste Bibelstunde.

Diese fing allerdings mit einer riesigen Überraschung für mich an: Der Nächstjüngere nach mir war schätzungsweise 55 Jahre alt! Es soll meinerseits keine Unhöflichkeit gegenüber dem Alter sein. Allerdings dachte ich schon, dass die Gruppe ein wenig gemischter wäre. Leider interessierten sich Jugendliche in meinem Alter kaum noch für die Kirche.

Dies hatte allerdings auch einen großen Vorteil. Die Teilnehmer waren relativ Bibel- und Geschichtsfest, und so konnte ich mich praktisch kompetent informieren. Jede Woche wurde ein Thema festgelegt und versucht, aus der Bibelsicht zu behandeln. Immer mehr lernte ich über das Christentum, und es gab wirklich vieles, was mich begeisterte. Je mehr ich über das Christentum und dessen Gedanken erfuhr, umso mehr Fragen hatte ich.

Nach ca. einem Jahr kam ich allerdings an den Punkt, an dem es aus meiner Sicht keine logische Antwort mehr gab. Jeder wusste, dass in der Bibel vieles später verfälscht wurde. Die Frage für mich war: Wenn es einen Gott gibt, der in der Lage ist, das zu erschaffen, was wir heute erkennen können und vieles, was wir nicht erkennen, warum hat uns der Schöpfer nicht eine unverfälschbare Botschaft hinterlassen? Wie konnte ein Buch meine Richtschnur werden, bei dem niemand weiß, welche Stellen unverfälscht sind, aber jeder weiß, das viele Stellen verfälscht worden sind? War dieser Gott, an den ich fest glaubte, nicht in der Lage, seine Botschaft unveränderlich zu formulieren und zu bewahren?

Meine persönliche Vorstellung von meinem Schöpfer war, dass die Existenz der Menschheit eine ganzheitliche (monotheistische) Erklärung haben musste. Diese ganzheitliche Erklärung musste in der Sprache sowohl des menschlichen Verstandes als auch des Herzens vom Schöpfer unmissverständlich vermittelt worden sein, bzw. vermittelt werden.

So hatte ich in diesem Jahr unglaublich viel gelernt, weswegen ich heute noch dem Pastor und den Teilnehmern dankbar bin. Ich hatte auch gelernt, dass die meisten Christen gar nicht wissen, was das Christentum eigentlich ist.

Gerade dieser Aspekt brachte mich dazu, mir die Frage zu stellen, ob dies im Islam nicht genauso war, dass viele Muslime gar nicht wissen, was der Islam ist und so auch ich!? Also dachte ich, dass ich mich bevor ich mir eine endgültige Meinung darüber bilde, doch zumindest auch mit dem Islam auseinandersetzen müsste.

[1] Dietrich Bonhoeffer war ein pazifistischer Christ, der sich gegen das Hitler-Regime stellte und am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg hingerichtet wurde. Sein Das Gedicht zum neuen Jahr schrieb er im Dezember 1944, das später unter als Lied „Von guten Mächten“ bekannt wurde.

[2] Das vollständige Gedicht bzw. Lied beinhaltet noch fünf weitere Strophen.

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