Gebrüder Özoguz

Wir sind (keine) “fundamentalistische Islamisten“ in Deutschland

Eine andere Perspektive

Dr. Yavuz Özoguz und Dr. Gürhan Özoguz

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Gemeinsam für eine bessere Welt

Muslime sind allein schon aus religiösen Gründen zum Respekt gegenüber Christen verpflichtet. Insbesondere alle Muslime, die sich selbst als Anhänger Alis[1] bezeichnen, liegt ein uraltes Schriftstück vor, dass sie bis zum jüngsten Tag verpflichtend bindet:

„Aufgrund dieser Übereinkunft wird allen Christen, die innerhalb des islamischen Reiches leben, Sicherheit gewährleistet. Dieser Vertrag ist ausreichend und für die Ewigkeit gedacht, ... Von mir sowie von den Muslimen darf ihnen keine Kränkung widerfahren, und dieses Abkommen soll vollzogen und als schriftliche Sicherheitsgarantie von der Bevölkerung geachtet werden, ... Dieses Abkommen lädt zu guten und edlen Werken ein, untersagt das Übel und befiehlt die Befolgung von Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit. ... ebenso darf niemand einen Bischof vom Bischofsein, einen Christen vom Christsein, einen Pilger von der Pilgerschaft und keinen Reisenden von seinem Reiseweg abbringen. Außerdem darf niemand ihre Gebäude und Häuser zerstören, und die Muslime dürfen zum Bau ihrer Moscheen von deren Gebäuden und Klöstern nichts benutzen sowie das Glockenläuten nicht stilllegen.

Dies ist ein öffentliches Schreiben und eine Anweisung dafür, was zu tun ist. Ich lade diejenigen, die dem Islam folgen, zu diesem Abkommen ein. Jeder, der diesen Vertrag verletzt, verdient Missachtung und Verfluchung, ob Herrscher oder nicht, oder ob er Muslim und gläubig sei oder nicht. Ich gestatte nicht, dass irgendein Christ gezwungen würde, den Islam anzunehmen. Man muss die Christen unter die Fittiche der Barmherzigkeit und Zuneigung nehmen und die Übel von ihnen und von überall da, wo sie sind, vertreiben. Die Christen haben das Recht, die Kosten ihrer Gotteshäuser, die Renovierungen ihrer Klöster sowie Einsiedeleien und das, was ihre Überzeugungen und ihre Religion erfordern, sicherzustellen; und die Pflicht der Muslime ist es, ihr Leben und ihren Besitz zu schützen und ihnen behilflich zu sein ... Ali, Fürst der Gläubigen,“[2]

Obiges Vertragswerk wird in Form einer Rolle von 6,87 m Länge und 35,5 cm Breite aus Tierhaut mit sehr hübscher und gut leserlicher Kufi-Schrift im Museum des Tschehel-Sotuun-Palastes zu Isfahan aufbewahrt. Es ist ein Vertragstext aus dem siebten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung.

Jeder Muslim in Deutschland wäre dankbar, wenn er nur einen Bruchteil der Rechte genießen und in der praktischen Umsetzung auch spüren würde, welche einer ihrer Vorbilder den Christen schriftlich zugesagt hat. Denn wir sind der festen Überzeugung, dass der Einsatz für eine bessere Welt nur gemeinsam möglich ist. Diejenigen, welche die Menschen gegeneinander hetzen, welche Konflikte von Kulturen heraufbeschwören wollen, welche Vorbeugungskriege predigen und dabei ständig von “Freiheit“ sprechen, haben nicht eine bessere Welt für die Bürger dieser Welt, sondern lediglich die Beherrschung der Welt im Sinn. Und die Bedrohung für den Weltfrieden war nach unserer Einschätzung seit dem zweiten Weltkrieg nie so groß wie heute. Daher ist es uns nicht nur ein Wunsch, sondern wir empfinden es zudem auch als eine Notwendigkeit, einen Weg gemeinsam aus der Sackgasse zu finden, einen Weg, der uns vor dem Abgrund rettet, auf den die Welt derzeit zusteuert.

Im Namen so vieler deutscher und deutschsprachiger Muslime würden wir so gerne mit diesem Buch einen kleinen Beitrag zur gegenseitigen Verständigung leisten. Aber nur der Barmherzige Schöpfer weiß, inwieweit es gelingen wird.

Das gegenseitige Verständnis des “Verschiedenen“ ist die Basis jeder Menschheit und jeder Menschlichkeit: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Diese urchristliche Aussage ist Basis jeder Verständigung. Die Schöpfung bindet bereits zwei “Nächste“ grundverschiedener Geschlechter aneinander. Diese beiden Hälften der einen Seele, von der wir alle abstammen, ergänzen sich durch ihre Verschiedenheit! Und ohne diese Bindung der Verschiedenen gäbe es keinen Fortbestand der Menschheit. Kinder sind an ihre generationsbedingt so “anderen“, aber dennoch “nächsten“ Eltern gebunden, Nachbarn an so unterschiedliche “nächste“ Nachbarn und diese Unterschiedlichkeit aller “Nächsten“, aller Menschen ist die faszinierende Herausforderung, um die Einheit anzustreben.

Muslime sind aufgrund ihres Glaubens dazu verpflichtet, in allen Lebensbereichen diese Einheit, den wahren Monotheismus, anzustreben. Das Streben nach Einheit, um die Verschiedenheit in allen Bereichen zu überwinden, ist ein Wegweiser auf dem Weg zum Streben nach Gott. Unterschiedliche Menschen, unterschiedliche Kulturen, unterschiedliche Traditionen, Völker und Religionen, unterschiedliche “Nächste“ können beim aufrichtigen Streben nach Einheit einander sehr bereichern. Eine solche Bereicherung besteht auch darin, dass wir im Anderen, im “Nächsten“ unsere eigene Begrenztheit erkennen und die Begrenztheit zu überwinden suchen, selbst wenn nicht jede Bemühung zum idealen Erfolg führt.

Die überwiegende Mehrheit der Muslime, auch im deutschsprachigen Raum, versteht sich als Mitglied ihrer jeweiligen Familien, Nachbarschaften, Stadtteile und Länder, unabhängig davon, ob es sich um eine muslimische oder nichtmuslimische Gesellschaft handelt. Sie wollen ihren bescheidenen Anteil zur Entwicklung der Gesellschaft beitragen. Als Minderheiten in westlichen Gesellschaften ist fast allen Muslimen bewusst, dass ihre religiösen Wünsche und Interessen nicht immer von der Mehrheitsgesellschaft mitgetragen werden. Aber dennoch sind sie der festen Überzeugung, dass sie wertvolle Mitglieder der Gemeinschaft und Gesellschaft werden und sein können, einer Gesellschaft, von der sie sich nicht abkoppeln wollen und für die sie ein Verantwortungsgefühl empfinden. Das ist neben allen bereits erwähnten Chancen auch und vor allem eine große Chance für menschliche Beziehungen! Dieses Buch ist im Streben nach dieser Chance geschrieben worden.

Wir sind der festen Überzeugung, dass die nicht allzu ferne Zukunft der deutschen Gesellschaft sich auch daran messen lassen wird, wie sie mit ihren eigenen Minderheiten und insbesondere den Muslimen, den deutschen und deutschsprachigen Muslimen umgeht. Auch wenn unsere eigene Lebensgeschichte stellvertretend für die Geschichte so vieler Muslime in Deutschland, insbesondere in letzter Zeit, alles andere als einfach war und wir noch auf viele weitere Schwierigkeiten gefasst sind, glüht das Licht der Hoffnung immer noch taghell in unseren Herzen.

Die in diesem Buch beschriebene unbekannte alte Frau, die eine ihr fremde Muslima mit Kopftuch im Supermarkt umarmt, die Nachbarn, die mit Kaffe und Kuchen vor der Tür stehen, um uns an schwierigen Tagen nach Kräften beizustehen, die vorher kaum getroffenen Hochschullehrer, die ihre Solidarität bekunden, die Vorgesetzten, die trotz Verärgerung über die privaten Ansichten ihrer Mitarbeiter, diese sehr fair behandeln und schwierige Tage ertragen, die zahllosen namenlosen gütigen Menschen, die helfen möchten und sich dem all zu offensichtlichen Unheil entgegen stemmen, sie alle sind Mitglieder dieser Gesellschaft, auch wenn sie nicht so laut zu hören sind. Aber eine einzige Umarmung kann manchmal schwerer wiegen als Tausende und Abertausende Hetzschriften! Und solch eine einzige Umarmung kann hunderten Menschen Hoffnung schenken. Das haben wir am eigenen Leib gespürt!

Kurz vor dem Abschluss des Buches sei es wiederholt: Dieses Buch ist “nur“ die Geschichte der Gebrüder Özoguz, aber wir wissen, dass viele Aspekte dieser Geschichte stellvertretend für so viele Geschichten so vieler Muslime in Deutschland stehen und viele so vieles Ähnliches erlebt haben.

[1] In der Regel werden die Schiiten als die Anhänger Alis, dem Schwiegersohn des Propheten bezeichnet, aber auch die Sunniten sind Anhänger Alis, was die hier angesprochenen Angelegenheiten betrifft, denn er war der vierte Kalif und wird als “rechtgeleitet“ anerkannt.

[2] Für den vollständigen Vertragstext siehe Spektrum Iran 14 (2001) 4, 13-18)

 

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