Gemeinsam für eine bessere Welt
Muslime
sind allein schon aus religiösen Gründen zum Respekt gegenüber
Christen verpflichtet. Insbesondere alle Muslime, die sich
selbst als Anhänger Alis
bezeichnen, liegt ein uraltes Schriftstück vor, dass sie bis
zum jüngsten Tag verpflichtend bindet:
„Aufgrund
dieser Übereinkunft wird allen Christen, die innerhalb des
islamischen Reiches leben, Sicherheit gewährleistet. Dieser
Vertrag ist ausreichend und für die Ewigkeit gedacht, ... Von
mir sowie von den Muslimen darf ihnen keine Kränkung
widerfahren, und dieses Abkommen soll vollzogen und als
schriftliche Sicherheitsgarantie von der Bevölkerung geachtet
werden, ... Dieses Abkommen lädt zu guten und edlen Werken
ein, untersagt das Übel und befiehlt die Befolgung von
Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit. ... ebenso darf niemand
einen Bischof vom Bischofsein, einen Christen vom Christsein,
einen Pilger von der Pilgerschaft und keinen Reisenden von
seinem Reiseweg abbringen. Außerdem darf niemand ihre Gebäude
und Häuser zerstören, und die Muslime dürfen zum Bau ihrer
Moscheen von deren Gebäuden und Klöstern nichts benutzen sowie
das Glockenläuten nicht stilllegen.
Dies
ist ein öffentliches Schreiben und eine Anweisung dafür, was
zu tun ist. Ich lade diejenigen, die dem Islam folgen, zu
diesem Abkommen ein. Jeder, der diesen Vertrag verletzt,
verdient Missachtung und Verfluchung, ob Herrscher oder nicht,
oder ob er Muslim und gläubig sei oder nicht. Ich gestatte
nicht, dass irgendein Christ gezwungen würde, den Islam
anzunehmen. Man muss die Christen unter die Fittiche der
Barmherzigkeit und Zuneigung nehmen und die Übel von ihnen und
von überall da, wo sie sind, vertreiben. Die Christen haben
das Recht, die Kosten ihrer Gotteshäuser, die Renovierungen
ihrer Klöster sowie Einsiedeleien und das, was ihre
Überzeugungen und ihre Religion erfordern, sicherzustellen;
und die Pflicht der Muslime ist es, ihr Leben und ihren Besitz
zu schützen und ihnen behilflich zu sein ... Ali, Fürst der
Gläubigen,“
Obiges
Vertragswerk wird in Form einer Rolle von 6,87 m Länge und
35,5 cm Breite aus Tierhaut mit sehr hübscher und gut
leserlicher Kufi-Schrift im Museum des
Tschehel-Sotuun-Palastes zu Isfahan aufbewahrt. Es ist ein
Vertragstext aus dem siebten Jahrhundert christlicher
Zeitrechnung.
Jeder
Muslim in Deutschland wäre dankbar, wenn er nur einen
Bruchteil der Rechte genießen und in der praktischen Umsetzung
auch spüren würde, welche einer ihrer Vorbilder den Christen
schriftlich zugesagt hat. Denn wir sind der festen
Überzeugung, dass der Einsatz für eine bessere Welt nur
gemeinsam möglich ist. Diejenigen, welche die Menschen
gegeneinander hetzen, welche Konflikte von Kulturen
heraufbeschwören wollen, welche Vorbeugungskriege predigen und
dabei ständig von “Freiheit“ sprechen, haben nicht eine
bessere Welt für die Bürger dieser Welt, sondern lediglich die
Beherrschung der Welt im Sinn. Und die Bedrohung für den
Weltfrieden war nach unserer Einschätzung seit dem zweiten
Weltkrieg nie so groß wie heute. Daher ist es uns nicht nur
ein Wunsch, sondern wir empfinden es zudem auch als eine
Notwendigkeit, einen Weg gemeinsam aus der Sackgasse zu
finden, einen Weg, der uns vor dem Abgrund rettet, auf den die
Welt derzeit zusteuert.
Im
Namen so vieler deutscher und deutschsprachiger Muslime würden
wir so gerne mit diesem Buch einen kleinen Beitrag zur
gegenseitigen Verständigung leisten. Aber nur der Barmherzige
Schöpfer weiß, inwieweit es gelingen wird.
Das
gegenseitige Verständnis des “Verschiedenen“ ist die Basis
jeder Menschheit und jeder Menschlichkeit: „Liebe deinen
Nächsten wie dich selbst.“ Diese urchristliche Aussage ist
Basis jeder Verständigung. Die Schöpfung bindet bereits zwei
“Nächste“ grundverschiedener Geschlechter aneinander. Diese
beiden Hälften der einen Seele, von der wir alle abstammen,
ergänzen sich durch ihre Verschiedenheit! Und ohne diese
Bindung der Verschiedenen gäbe es keinen Fortbestand der
Menschheit. Kinder sind an ihre generationsbedingt so
“anderen“, aber dennoch “nächsten“ Eltern gebunden, Nachbarn
an so unterschiedliche “nächste“ Nachbarn und diese
Unterschiedlichkeit aller “Nächsten“, aller Menschen ist die
faszinierende Herausforderung, um die Einheit anzustreben.
Muslime
sind aufgrund ihres Glaubens dazu verpflichtet, in allen
Lebensbereichen diese Einheit, den wahren Monotheismus,
anzustreben. Das Streben nach Einheit, um die Verschiedenheit
in allen Bereichen zu überwinden, ist ein Wegweiser auf dem
Weg zum Streben nach Gott. Unterschiedliche Menschen,
unterschiedliche Kulturen, unterschiedliche Traditionen,
Völker und Religionen, unterschiedliche “Nächste“ können beim
aufrichtigen Streben nach Einheit einander sehr bereichern.
Eine solche Bereicherung besteht auch darin, dass wir im
Anderen, im “Nächsten“ unsere eigene Begrenztheit erkennen und
die Begrenztheit zu überwinden suchen, selbst wenn nicht jede
Bemühung zum idealen Erfolg führt.
Die
überwiegende Mehrheit der Muslime, auch im deutschsprachigen
Raum, versteht sich als Mitglied ihrer jeweiligen Familien,
Nachbarschaften, Stadtteile und Länder, unabhängig davon, ob
es sich um eine muslimische oder nichtmuslimische Gesellschaft
handelt. Sie wollen ihren bescheidenen Anteil zur Entwicklung
der Gesellschaft beitragen. Als Minderheiten in westlichen
Gesellschaften ist fast allen Muslimen bewusst, dass ihre
religiösen Wünsche und Interessen nicht immer von der
Mehrheitsgesellschaft mitgetragen werden. Aber dennoch sind
sie der festen Überzeugung, dass sie wertvolle Mitglieder der
Gemeinschaft und Gesellschaft werden und sein können, einer
Gesellschaft, von der sie sich nicht abkoppeln wollen und für
die sie ein Verantwortungsgefühl empfinden. Das ist neben
allen bereits erwähnten Chancen auch und vor allem eine große
Chance für menschliche Beziehungen! Dieses Buch ist im Streben
nach dieser Chance geschrieben worden.
Wir
sind der festen Überzeugung, dass die nicht allzu ferne
Zukunft der deutschen Gesellschaft sich auch daran messen
lassen wird, wie sie mit ihren eigenen Minderheiten und
insbesondere den Muslimen, den deutschen und deutschsprachigen
Muslimen umgeht. Auch wenn unsere eigene Lebensgeschichte
stellvertretend für die Geschichte so vieler Muslime in
Deutschland, insbesondere in letzter Zeit, alles andere als
einfach war und wir noch auf viele weitere Schwierigkeiten
gefasst sind, glüht das Licht der Hoffnung immer noch taghell
in unseren Herzen.
Die in
diesem Buch beschriebene unbekannte alte Frau, die eine ihr
fremde Muslima mit Kopftuch im Supermarkt umarmt, die
Nachbarn, die mit Kaffe und Kuchen vor der Tür stehen, um uns
an schwierigen Tagen nach Kräften beizustehen, die vorher kaum
getroffenen Hochschullehrer, die ihre Solidarität bekunden,
die Vorgesetzten, die trotz Verärgerung über die privaten
Ansichten ihrer Mitarbeiter, diese sehr fair behandeln und
schwierige Tage ertragen, die zahllosen namenlosen gütigen
Menschen, die helfen möchten und sich dem all zu
offensichtlichen Unheil entgegen stemmen, sie alle sind
Mitglieder dieser Gesellschaft, auch wenn sie nicht so laut zu
hören sind. Aber eine einzige Umarmung kann manchmal schwerer
wiegen als Tausende und Abertausende Hetzschriften! Und solch
eine einzige Umarmung kann hunderten Menschen Hoffnung
schenken. Das haben wir am eigenen Leib gespürt!
Kurz
vor dem Abschluss des Buches sei es wiederholt: Dieses Buch
ist “nur“ die Geschichte der Gebrüder Özoguz, aber wir wissen,
dass viele Aspekte dieser Geschichte stellvertretend für so
viele Geschichten so vieler Muslime in Deutschland stehen und
viele so vieles Ähnliches erlebt haben.