Musawi Lari

Westliche Zivilisation und Islam

Sayyid Mudschtaba Musawi Lari

Ins Englische übersetzt von J.F. Goulding, hiernach ins Deutsche übertragen durch R.H. Sengler

Das folgende Manuskript ist eine geringfügig überarbeitete und sprachlich verfeinerte Version der 1995 in Qum erschienenen deutschen Übersetzung.

Delmenhorst 2004

Religionspraxis im materialistischen Europa

So weit hat der materialistische Geist die zivilisierten Völker infiziert, dass man heute kaum noch einen Europäer findet mit einem Lebensziel, das größer wäre als seinen Lebensunterhalt zusammenzukratzen. Trotzdem haben viele noch einen religiösen Glauben und halten an ihrem überkommenen Christentum fest, so sehr es auch von Ketzereien verfälscht sein mag und so wenig es imstande ist, jemandes spirituelle und moralische Bedürfnisse zu befriedigen. Es mag seltsam erscheinen, dass eine solche Religion immer noch eine gewisse Autorität in dieser „fortschrittlichen“ Welt genießt; aber sie hat immerhin die geistliche und ethische Form westlicher Zivilisation geschaffen und trägt auch heute noch dazu bei. An den Sonntagen sind die Geschäfte und weltlichen Institutionen geschlossen. Kirchenglocken läuten von allen Seiten mit ihren charakteristischen Klängen. Kongrega­tionen verschiedensten sozialer Schichten versammeln sich und lauschen aufmerksam den Predigten. Das Fernsehen veranstaltet besondere religiöse Sendungen, die von der Kirche beaufsichtigt werden. Die Christen nehmen ihre Kinder mit in die Kirche, wo sie der Geistliche tauft, und bekräftigen ihren Glauben von ihm. Geistliche werden respektiert und „Vater“ genannt.

Während der langen Jahrhunderte kirchlichen Aufstiegs, wo die gesamte Volkswirtschaft Europas auf Landbesitz gegründet war, wurde der Zehnte auf alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse erhoben, um die großen Ausgaben kirchlicher Institutionen zu ermöglichen. Etwa während der letzten 200 Jahre, mit der fortschreitenden Säkularisierung der Gesellschaft und der Verlagerung der wirtschaftlichen Basis auf Handel und Industrie, hat ein Land nach dem anderen das System des „Zehnten“ und die besonderen pfarrherrlichen Einkünfte abgeschafft. Aber gewaltige Stiftungen sind immer noch vorhanden, und die Gläubigen spenden weiter regelmäßig freiwillig, wobei sie oft ein Verwaltungssystem anwenden. Auf diese Weise können die geistlichen Führer der Christenheit stets über ein auskömmliches Budget für ihre weitgespannten Untennehmungen verfügen.

Eine Druckkommission kontrolliert Veröffentlichungen und darin spielt die Kirche eine führende Rolle. Sie beaufsichtigt die erzieherische Planung für Kindergärten und Grundschulen. Sämtliche neun Jahre ihrer Schulzeit hin­durch werden die Schüler angehalten, die Kirche an Sonntagen zu besu­chen, wo es dann besondere Gottesdienste mit religiösen Unterweisung gibt, die ihren Altersgruppen gemäß sind. Und das Allerseltsamste: unschuldige Kleinkinder müssen zur Beichte und vor dem Priester ihre Sünden ablegen.

Es gibt keine Filmvorführungen ohne die Erlaubnis eines Gremiums, das aus Kirchenführern, Ärzten, Soziologen, Volkswirtschaftlern und Psycho­logen zusammengesetzt ist; und die Gesichtspunkte der Religion, Psychologie, Soziologie und Volkswirtschaft werden sämtlich in Betracht gezogen.

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