Bewertung der modernen westlichen Zivilisation
Die Welt, in der wir leben,
hat riesenhafte Schritte gemacht, die eine gedankliche
Revolution zur Folge hatten, da die Wissenschaft geradezu
täglich vorankommt beim Studium und der Erfüllung menschlicher
Bedürfnisse. Wissenschaft und Industrie haben die Arbeit, die
noch gestern der Menschen zu hartem Fron zwang, maschinellen
Werkzeugen überantwortet. Der Mensch wäre nun frei, die
Bequemlichkeit des Lebens nach Lust und Laune zu genießen.
Dies könnte Sinn und Geist von den Schranken des
Geschäftsdenkens befreien, und sie könnten nun in
unbegrenzter Erforschung der Geheimnisse der Schöpfung
expandieren.
So rasch hat sich dieser
Fortschnitt vollzogen, dass Entwicklungen, bei denen es um
Jahrhunderte ging (die alte Zeit drückte es in „Tagen und
Nächten“ aus), jetzt in Minuten oder bloß noch Sekunden
moderner „Zeit“ ablaufen. Schiffe, die Monate und Jahre
benötigten, um mit der Kraft des Windes Ozeane zu überqueren,
brauchen jetzt, dampf- oder elektrisch getrieben, nur noch
Tage. Der Güterverkehr zu Land, einst von Lasttieren abhängig,
bewegt sich auf Lkws, Zügen und Flugzeugen mit geisterhaften (arab.
Djinn Geisteswesen) Geschwindigkeit fort. Der schauende Blick
des Menschen, nicht mehr erdgebunden, erkundet unsere
Milchstraße und den Weltraum dahinter, lotet die Weltmeere aus
und dringt bis zum Kern der Erde vor. Früheres Nichtwissen um
unseren herrlichen Planeten gibt faszinierenden Erkenntnissen
über die Tatsachen der Natur Raum, vom unendlichen Weltall bis
zu den winzigen Bestandteilen der Atome, die man millionenfach
vergrößern und unter dem Elektronenmikroskop sichtbar machen
kann. Die Vielseitigkeit, der Überfluss, der Komfort und die
Bequemlichkeit der modernen Zivilisation können weder
geleugnet noch verkleinert werden. Die Fortschritte im
Gesundheitswesen, in der Wohlfahrt, Kinderversorgung und
Mutterschaft haben die Kindersterblichkeit herabgesenkt, das
Leben der Alten verlängert, unheilbare Krankheiten heilbar
gemacht, Pest und Seuchen in Vergessenheit geraten lassen.
Und doch, obwohl Wissenschaft
und Technologie die Menschheit im letzten Jahrhundert weiter
und schneller vorangebracht haben als in zehn voran gegangenen
Jahrhunderten, haben wir vom Düsen-, Atom- und
Weltraumzeitalten erst angefangen, das ABC dessen, was in dem
mächtigen Buch der Natur niedergelegt ist, gründlich zu
studieren.
Es muss bedauerlicherweise
zugegeben werden, dass die Unzulänglichkeiten und Schwächen
der westlichen Zivilisation nicht geringer sind als ihre
Vorzüge. Aller Muße und Bequemlichkeit zum Trotz, welche
Wissen und Kultur für die Gesellschaft bereithalten, und
obwohl die Geschichte ganz neue Seiten aufgeschlagen hat, hat
sich das Glück der Menschen nicht vermehrt und haben sich die
sozialen Übel nicht vermindert.
Technologie und
Industrialisierung haben einen Zenit erreicht, während Moral
und Geist zu ihrem Tiefpunkt abgesunken sind. Die Wissenschaft
steigt bergab, aber das Denken verarmt, Spaltungen nehmen
überhand, und der Westen, indem er geistige und sittliche
Werte von sich weist, hat seinen Nacken unter das Joch der
Maschinenergötzung gebeugt. Maschinenanbeter werden nie auf
Freude, Frieden oder Glück aus sein. Die Wissenschaft legt
dem Leben eine Ordnung auf, welche zwar Überfluss, aber kein
Glück gewährt. Denn Glück gehört nicht zu ihrem Bereich. Die
Wissenschaft unterscheidet nicht zwischen Segen und Unheil,
oder Richtiges vom Falschen. Eine solche Ordnung, die die
Wissenschaft dem Menschen auferlegt, setzt die Hölle in
Bewegung; und heute müssen wir ihn, koste es was es wolle,
widerstehen. Denn die Zivilisation zieht im Gefolge ihrer
unschätzbaren Gaben eine verderbliche, tödliche Unsicherheit
nach sich, eine Brutstätte von Verbrechen und Verfall. Sie
entfacht die Begier nach Lust, nach Verlangen an, welche die
Seele und Geist in Ketten legen und der Freiheit berauben.
Weit entfernt davon, ein Licht anzuzünden, um menschliches
Verhalten zu erleuchten, stürzt die Wissenschaft es in ein
immer nebelhafteres Dunkel.
Die Errungenschaften und
Siege der Wissenschaft lassen wie beim Krieg Vergeudung und
Verwüstung, unheilbare Trauer und Leid hinter sich. Neben
jeder Blüte im Garten der Kultur wächst ein Dorn, der die
Seele verwundet. Man wäge die Gaben der Motorisierung, der
Flugzeuge, Fabriken, der Operationstechnik, der Wunderdrogen
und des Überflusses ab gegen den Fluch von Bomben, Gas,
Düsenflugzeugen und Raketen, Todesstrahlen, Verbrechen und
Gewalt. Innerhalb seiner eigenen Schranken ist der Verstand
ein guter Diener. Aber fürs Nicht-Materielle taugt er nicht.
So kommt es, dass mit dem Verfall der Sittlichkeit viele
Axiome der Ethik heilloser Vergessenheit anheimgefallen sind.
Die Welt des Islams, obwohl
sie nicht im Zentrum der Störungen und den Bestrebungen der
Wissenschaft liegt, entrinnt keineswegs ihren Symptomen im
persönlichen, gesellschaftlichen, kulturellen Leben und in der
Erziehung; die Flut der „Zivilisation“ stürmt auf uns ein.
Denn Ideen und Moralvorstellungen kennen keine nationalen
Bremsen; sie infizieren ein Land nach dem anderen, ob sie gut
oder schlecht sind. So wie die Neigungen der Menschen nun
einmal sind, fassen Laster und Verdorbenheit schneller und
tiefer Fuß. So manifestiert unsere östliche Gesellschaft,
obwohl sie auf naturwissenschaftlichem und technologischem
Gebiet den Vergleich nicht aushält, doch schon das komplette
Muster westlichen Dekadenz.
Einer Gesellschaft kann kein
schlimmeres Unglück widerfahren, als das Abhandenkommen der
Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden; keine
Gesellschaft, die das durchgemacht hat, kann zu Wohlfahrt und
Wohlbefinden gelangen.
Zu viele von uns sehen nun
die faszinierende Außenseite der „Zivilisation“, sind aber
blind gegen die schmerzlichen Tragödien und die moralische
Krise der Moderne. Die „zivilisierte“ Welt lässt ihren
oberflächlichen Charme spielen, so dass Personen, die sich
dort kurz aufhalten, willig ihr Unterscheidungsvermögen, ihr
Unteil dahingeben und die Augen von unangenehmen Tatsachen
und Unrecht verschließen; denn sie fühlen zwar, dass die
geringste Abweichung der daheim geltenden Sitten und Gebräuche
zu denen im Westen sie beschämen müsste; aber statt sich auf
die Ursachen des westlichen Fortschnitts und seiner Wege,
solche Ziele zu erreichen, zu konzentrieren, bringen sie
dennoch moralischen Niedergang und geistige Erniedrigung als
Gaben mit nach Hause. Solcher Selbstbetrug ist der schlimmste
Schaden, denn er verursacht den Persönlichkeitsverlust, den
Verlust des unabhängigen Denkens und der Hochhaltung der
eigenen nationalen Schätze an Kultur, Religion und Brauchtum.
Von religiöser Überzeugung
führt solches Denken weg. Es beraubt die Menschen der
Fähigkeit, Ereignisse mittels tiefer und universaler Lehren,
welche Gut von Böse unterscheiden, zu bewerten und zu
analysieren. Gar viele Wahrheiten werden so verdunkelt.