Systematisierung des Überbaus
Um den neuen Überbau systematisch zu
ordnen, wollen wir die allgemeinen Schlussfolgerungen, die
sich daraus ergeben, zusammenfassen, und diese Ergebnisse in
einem zusammenhängenden theoretischen Gebäude vereinigen. So
kann gemäß dieses Überbaus islamischer Gesetzgebung die der
Arbeit zustehende Vergütung auf zweierlei Art festgesetzt
werden, wobei der Arbeiter das Recht hat, sich die gewünschte
Art und Weise auszusuchen. Eine dieser Möglichkeiten ist die
des festgesetzten Lohnes, und die andere die Beteiligung an
dem Gewinn oder an dem Produkt der Arbeit. So hat der Arbeiter
das Recht, entweder ein nach Art und Menge festgesetztes Gut
als Entgelt für seine Arbeit zu verlangen, oder auch eine
Beteiligung an dem Gewinn oder an den produzierten Gütern,
wobei er mit dem Besitzer des Gutes, welches er bearbeitet,
einen Prozentanteil an dem Gewinn bzw. dem Produkt vereinbart,
der als Entgelt für seine Arbeit bestimmt wird. Die erstere
Methode zeichnet sich durch das Element der Sicherheit aus,
denn wenn sich der Arbeiter damit begnügt, mit einer
bestimmten Menge von Geld oder sonst einem Gut entlohnt zu
werden – was wir als Lohn oder Entlohnung bezeichnen – dann
muss der Arbeitgeber ihm diese festgesetzte Menge geben, ohne
Berücksichtigung der Ergebnisse der Arbeit und der bei der
Produktion entstandenen Gewinne oder Verlust. Wenn dagegen der
Arbeiter vorschlägt, an den Gewinnen oder an den produzierten
Gütern in einem bestimmten Prozentverhältnis beteiligt zu
werden, in der Hoffnung, auf diese Weise ein höheres Entgelt
zu erhalten, dann macht er seinen Verdienst von dem Erfolg der
Tätigkeit, die er ausübt, abhängig, und verliert somit die
Sicherheit, denn es kann sein, dass er überhaupt nichts
bekommt, weil er keinen Gewinn erzielt, aber als Folge seines
Verzichts auf den garantierten Lohn erhält er ein “offenes“,
nicht begrenztes Entgelt, das in den meisten Fällen höher sein
wird, als der festgesetzte Lohn; denn der Gewinn oder die
produzierten Güter sind Quantitäten, die höher oder geringer
ausfallen können, so dass die Kopplung des Entgelts an den
Gewinn, bzw. an die Produktion, in einem Prozentverhältnis
bedeutet, dass es von deren Auf und Ab abhängig wird. Beide
Methoden haben also jeweils ihre speziellen Vorzüge.
Der Islam hat die erstere Art und Weise –
den Lohn – mit den von ihm erlassenen Bestimmungen über die
Lohnarbeit geregelt, wie wir es im Abschnitt 1) sahen. Und er
regelt die andere Art und Weise – die Beteiligung am Gewinn
oder an den produzierten Gütern – mit dem Erlass der des
Pachtvertrags [mudhara'a], der
Agrarpartnerschaft [musaqat], den
Kapitalbeteiligungsvertrag [mudaraba] und
Honorarvertrag [dschu’ala] betreffenden Bestimmungen,
wie sie in den Abschnitten 3), 5), 8) und 6) angeführt wurden.
So kann ein Arbeiter in einem
Pachtvertrag [mudhara'a] mit dem Besitzer von
Land und Saatgut übereinkommen, mit diesem Saatgut das Land zu
bestellen und den Ertrag zwischen beiden aufzuteilen. In einer
Agrarpartnerschaft [musaqat] kann ein Arbeiter
mit einem Besitzer von Bäumen vereinbaren, dass er sich zu
deren Bewässerung verpflichtet, und als Gegenleistung einen
Prozentanteil von den Früchten erhält. In einem
Kapitalbeteiligungsvertrag [mudaraba] wird einem
Agenten gestattet, für einen Kapitaleigner mit dessen Ware
Handel zu treiben, wobei die mit dieser Ware erzielten Gewinne
aufgeteilt werden. Und im Honorarvertrag [dschu’ala]
kann z.B. ein Holzhändler seine Bereitschaft verkünden, einer
beliebigen Person, die aus dem von ihm gestellten Holz ein
Bett herstellt, den halben Wert des Bettes zu überlassen,
derart, dass das Entgelt des Arbeiters vom Erfolg der Arbeit,
die er ausführt, abhängig gemacht wird. Bei beiden Methoden,
das Entgelt des Arbeiters festzusetzen, ist es dem Besitzer
des zu bearbeitenden Gutes nicht gestattet, den Arbeiter für
irgendwelche Verluste haftbar zu machen, sondern der
Kapitaleigner trägt den ganzen etwaigen Verlust, während der
Arbeiter, der z.B. durch einen
Kapitalbeteiligungsvertrag [mudaraba] mit ihm
verbunden ist, nur insofern von einem Verlust betroffen wird,
als dass seine Mühen vergeblich waren.
Dagegen ist die Vergütung von
Produktionsgeräten – d.h. von Dingen und Werkzeugen, die
während des Produktionsvorganges benutzt werden, wie z.B. ein
Spinnrad oder ein Pflug, die gebraucht werden, um Wolle zu
verspinnen, bzw. den Boden zu pflügen – nur in einer Art und
Weise gesetzlich vorgesehen, nämlich in Form der Miete. Wenn
man z.B. einen Pflug benutzen will, der einem anderen gehört,
oder ein Netz, das sich im Besitz einer Privatperson befindet,
dann kann man den Pflug oder das Netz von seinem Besitzer
mieten, wie das aus dem Abschnitt 2) des Überbaus hervorgeht,
während der Besitzer des Pfluges oder des Netzes nicht das
Recht hat, eine Vergütung in Form einer Gewinnbeteiligung zu
verlangen. Die Produktionsgeräte sind als von der Möglichkeit,
einen prozentualen Anteil vom Gewinn zu erhalten, die der
Arbeit freisteht, ausgeschlossen, und der Eigentümer eines
Gerätes hat nicht das Recht, darüber eine
Kapitalbeteiligung [mudaraba] mit einem Arbeiter
abzuschließen, d.h. ihm z.B. sein Fischernetz zu geben, um ihn
damit fischen zu lassen und am Fang beteiligt zu werden, wie
wir es im Abschnitt 10) des Überbaus gesehen haben. Ebenso
wenig darf der Eigentümer eines Pfluges, eines Zugtieres oder
eines landwirtschaftlichen Gerätes darüber ein
Pachtvertrag [mudhara'a] abschließen, d.h. es
einem Vertragspartner übergeben, damit er es bei seiner
Tätigkeit benutzt, und einen Teil von seinem Ertrag
beanspruchen, wie im Abschnitt 3) ausgeführt wurde, wo wir aus
dem Rechtstext von Scheich Tusi erfuhren, dass ein
Pachtvertrag [mudhara'a] nur zwischen zwei
Personen abgeschlossen werden kann, von denen die eine das
Land und das Saatgut stellt, und die andere ihre
Arbeitsleistung beisteuert. Es genügt also zu dessen
Vollständigkeit nicht, wenn der Erstere nur ein
Produktionsgerät zur Verfügung stellt. Ebenso verhält es sich
auch mit dem Honorarvertrag [dschu’ala], bei welchem es
z.B. demjenigen, der Betten aus Holz verfertigt, erlaubt ist,
am Gewinn dessen, dem das Holz gehört, beteiligt zu werden,
wie im Abschnitt 8) beschrieben, denn der Besitzer des Holzes
kann jedem, der aus seinem Holz Betten herstellt, z.B. die
Hälfte des Gewinnes als Honorarvertrag [dschu’ala]
aussetzen. Er darf aber keinen Honorarvertrag [dschu’ala]
vereinbaren, bei welcher er demjenigen die Hälfte des Gewinnes
verspricht, der ihm die Produktionsgeräte zur Verfügung
stellt, die er benötigt, um das Holz zuzuschneiden und daraus
ein Bett zusammenzufügen, denn unter einem Honorarvertrag [dschu’ala]
versteht man im Islam eine Belohnung, die eine Person im
Voraus für eine Arbeit festsetzt, deren Ausführung sie
wünscht, und nicht ein Entgelt für irgendeine Hilfeleistung
beliebiger Art.
Auf jeden Fall werden die
Produktionsgeräte nicht an den Gewinnen beteiligt, sondern
erfordern nur Mietgebühren. Die Einkünfte, die sich aus dem
Eigentum an Produktionsgeräten ergeben, sind also auf einen
engeren Bereich begrenzt, als die Einkünfte, die durch eigene
Arbeit entstehen, denn erstere sind nur in einer Art und Weise
zulässig, während für Arbeit zweierlei Arten von Entgelt
erlaubt sind.
Umgekehrt wie zu den Produktionsgeräten
verhält es sich mit dem Handelskapital, denn bei diesem ist
kein Profit auf der Grundlage von Leihgebühren erlaubt. Wer
Geld besitzt, darf dieses nicht gegen Zinsen verleihen, d.h.
er darf es nicht einem Agenten geben, damit er damit Geschäfte
macht, und von dem Agenten dafür eine Gebühr verlangen, denn
eine Gebühr hat den Vorzug einer Garantie, und ist nicht
abhängig von den Ergebnissen der Tätigkeit des Agenten, die zu
Gewinnen oder Verlusten führen kann. Ebendies sind
Zinsgeschäfte, die vom islamischen
Recht [scharia] verboten wurden, wie im
Abschnitt 7) beschrieben. Der Besitzer von Geld oder Ware kann
sein Kapital dem Agenten nur unter der Voraussetzung für
Handelsgeschäfte anvertrauen, dass er selbst allein die
Verluste trägt, während er die Gewinne in einem vereinbarten
Prozentverhältnis mit dem Agenten teilt, wenn dessen Tätigkeit
Gewinn erzielt. Dem Handelskapital steht also als einziger Weg
die Gewinnbeteiligung bei gleichzeitiger Eigenhaftung für
Verluste frei.
Somit erkennen wir, dass die
Produktionsgeräte und das Handelskapital hinsichtlich der Art
und Weise, in der aus ihrem Besitz legitime Einkünfte
entstehen können, einander entgegengesetzt sind. Für beide ist
jeweils eine bestimmte Art und Weise vorgeschrieben, während
für die Arbeit beide Möglichkeiten bestehen. Aus dem Land als
Produktionsmittel dürfen Einkünfte auf der Grundlage von
Pachtgebühren bezogen werden, aber nicht in Form einer
Beteiligung an dem Ertrag und den Gewinnen der
Kultivierungstätigkeit. Es stimmt zwar, dass bei einem
Pachtvertrag [mudhara'a] der Landbesitzer
prozentual an den Gewinnen beteiligt wird, aber wir haben aus
dem Rechtstext des Scheich Tusi im Abschnitt 3) erfahren, dass
ein Pachtvertrag [mudhara'a]
nur zwischen zwei Personen abgeschlossen werden darf,
von denen die eine Arbeit ausführt, während die andere das
Land und das Saatgut teilt. Dem Landbesitzer, der ein
Pachtvertrag [mudhara'a] vereinbart, muss nach
der Auffassung des Scheich Tusi – wie aus dem vorliegenden
Text deutlich wird – auch das Saatgut gehören, und die
Beteiligung an dem Ertrag beruht nicht auf dem Besitz des
Landes, sondern auf dem Eigentum an dem Grundstoff, nämlich
dem Saatgut.