Unsere Wirtschaft

Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Systematisierung des Überbaus

Um den neuen Überbau systematisch zu ordnen, wollen wir die allgemeinen Schlussfolgerungen, die sich daraus ergeben, zusammenfassen, und diese Ergebnisse in einem zusammenhängenden theoretischen Gebäude vereinigen. So kann gemäß dieses Überbaus islamischer Gesetzgebung die der Arbeit zustehende Vergütung auf zweierlei Art festgesetzt werden, wobei der Arbeiter das Recht hat, sich die gewünschte Art und Weise auszusuchen. Eine dieser Möglichkeiten ist die des festgesetzten Lohnes, und die andere die Beteiligung an dem Gewinn oder an dem Produkt der Arbeit. So hat der Arbeiter das Recht, entweder ein nach Art und Menge festgesetztes Gut als Entgelt für seine Arbeit zu verlangen, oder auch eine Beteiligung an dem Gewinn oder an den produzierten Gütern, wobei er mit dem Besitzer des Gutes, welches er bearbeitet, einen Prozentanteil an dem Gewinn bzw. dem Produkt vereinbart, der als Entgelt für seine Arbeit bestimmt wird. Die erstere Methode zeichnet sich durch das Element der Sicherheit aus, denn wenn sich der Arbeiter damit begnügt, mit einer bestimmten Menge von Geld oder sonst einem Gut entlohnt zu werden – was wir als Lohn oder Entlohnung bezeichnen – dann muss der Arbeitgeber ihm diese festgesetzte Menge geben, ohne Berücksichtigung der Ergebnisse der Arbeit und der bei der Produktion entstandenen Gewinne oder Verlust. Wenn dagegen der Arbeiter vorschlägt, an den Gewinnen oder an den produzierten Gütern in einem bestimmten Prozentverhältnis beteiligt zu werden, in der Hoffnung, auf diese Weise ein höheres Entgelt zu erhalten, dann macht er seinen Verdienst von dem Erfolg der Tätigkeit, die er ausübt, abhängig, und verliert somit die Sicherheit, denn es kann sein, dass er überhaupt nichts bekommt, weil er keinen Gewinn erzielt, aber als Folge seines Verzichts auf den garantierten Lohn erhält er ein “offenes“, nicht begrenztes Entgelt, das in den meisten Fällen höher sein wird, als der festgesetzte Lohn; denn der Gewinn oder die produzierten Güter sind Quantitäten, die höher oder geringer ausfallen können, so dass die Kopplung des Entgelts an den Gewinn, bzw. an die Produktion, in einem Prozentverhältnis bedeutet, dass es von deren Auf und Ab abhängig wird. Beide Methoden haben also jeweils ihre speziellen Vorzüge.

Der Islam hat die erstere Art und Weise – den Lohn – mit den von ihm erlassenen Bestimmungen über die Lohnarbeit geregelt, wie wir es im Abschnitt 1) sahen. Und er regelt die andere Art und Weise – die Beteiligung am Gewinn oder an den produzierten Gütern – mit dem Erlass der des Pachtvertrags [mudhara'a], der Agrarpartnerschaft [musaqat], den Kapitalbeteiligungsvertrag [mudaraba] und Honorarvertrag [dschu’ala] betreffenden Bestimmungen, wie sie in den Abschnitten 3), 5), 8) und 6) angeführt wurden. So kann ein Arbeiter in einem Pachtvertrag [mudhara'a] mit dem Besitzer von Land und Saatgut übereinkommen, mit diesem Saatgut das Land zu bestellen und den Ertrag zwischen beiden aufzuteilen. In einer Agrarpartnerschaft [musaqat] kann ein Arbeiter mit einem Besitzer von Bäumen vereinbaren, dass er sich zu deren Bewässerung verpflichtet, und als Gegenleistung einen Prozentanteil von den Früchten erhält. In einem Kapitalbeteiligungsvertrag [mudaraba] wird einem Agenten gestattet, für einen Kapitaleigner mit dessen Ware Handel zu treiben, wobei die mit dieser Ware erzielten Gewinne aufgeteilt werden. Und im Honorarvertrag [dschu’ala] kann z.B. ein Holzhändler seine Bereitschaft verkünden, einer beliebigen Person, die aus dem von ihm gestellten Holz ein Bett herstellt, den halben Wert des Bettes zu überlassen, derart, dass das Entgelt des Arbeiters vom Erfolg der Arbeit, die er ausführt, abhängig gemacht wird. Bei beiden Methoden, das Entgelt des Arbeiters festzusetzen, ist es dem Besitzer des zu bearbeitenden Gutes nicht gestattet, den Arbeiter für irgendwelche Verluste haftbar zu machen, sondern der Kapitaleigner trägt den ganzen etwaigen Verlust, während der Arbeiter, der z.B. durch einen Kapitalbeteiligungsvertrag [mudaraba] mit ihm verbunden ist, nur insofern von einem Verlust betroffen wird, als dass seine Mühen vergeblich waren.

Dagegen ist die Vergütung von Produktionsgeräten – d.h. von Dingen und Werkzeugen, die während des Produktionsvorganges benutzt werden, wie z.B. ein Spinnrad oder ein Pflug, die gebraucht werden, um Wolle zu verspinnen, bzw. den Boden zu pflügen – nur in einer Art und Weise gesetzlich vorgesehen, nämlich in Form der Miete. Wenn man z.B. einen Pflug benutzen will, der einem anderen gehört, oder ein Netz, das sich im Besitz einer Privatperson befindet, dann kann man den Pflug oder das Netz von seinem Besitzer mieten, wie das aus dem Abschnitt 2) des Überbaus hervorgeht, während der Besitzer des Pfluges oder des Netzes nicht das Recht hat, eine Vergütung in Form einer Gewinnbeteiligung zu verlangen. Die Produktionsgeräte sind als von der Möglichkeit, einen prozentualen Anteil vom Gewinn zu erhalten, die der Arbeit freisteht, ausgeschlossen, und der Eigentümer eines Gerätes hat nicht das Recht, darüber eine Kapitalbeteiligung [mudaraba] mit einem Arbeiter abzuschließen, d.h. ihm z.B. sein Fischernetz zu geben, um ihn damit fischen zu lassen und am Fang beteiligt zu werden, wie wir es im Abschnitt 10) des Überbaus gesehen haben. Ebenso wenig darf der Eigentümer eines Pfluges, eines Zugtieres oder eines landwirtschaftlichen Gerätes darüber ein Pachtvertrag [mudhara'a] abschließen, d.h. es einem Vertragspartner übergeben, damit er es bei seiner Tätigkeit benutzt, und einen Teil von seinem Ertrag beanspruchen, wie im Abschnitt 3) ausgeführt wurde, wo wir aus dem Rechtstext von Scheich Tusi erfuhren, dass ein Pachtvertrag [mudhara'a] nur zwischen zwei Personen abgeschlossen werden kann, von denen die eine das Land und das Saatgut stellt, und die andere ihre Arbeitsleistung beisteuert. Es genügt also zu dessen Vollständigkeit nicht, wenn der Erstere nur ein Produktionsgerät zur Verfügung stellt. Ebenso verhält es sich auch mit dem Honorarvertrag [dschu’ala], bei welchem es z.B. demjenigen, der Betten aus Holz verfertigt, erlaubt ist, am Gewinn dessen, dem das Holz gehört, beteiligt zu werden, wie im Abschnitt 8) beschrieben, denn der Besitzer des Holzes kann jedem, der aus seinem Holz Betten herstellt, z.B. die Hälfte des Gewinnes als Honorarvertrag [dschu’ala] aussetzen. Er darf aber keinen Honorarvertrag [dschu’ala] vereinbaren, bei welcher er demjenigen die Hälfte des Gewinnes verspricht, der ihm die Produktionsgeräte zur Verfügung stellt, die er benötigt, um das Holz zuzuschneiden und daraus ein Bett zusammenzufügen, denn unter einem Honorarvertrag [dschu’ala] versteht man im Islam eine Belohnung, die eine Person im Voraus für eine Arbeit festsetzt, deren Ausführung sie wünscht, und nicht ein Entgelt für irgendeine Hilfeleistung beliebiger Art.

Auf jeden Fall werden die Produktionsgeräte nicht an den Gewinnen beteiligt, sondern erfordern nur Mietgebühren. Die Einkünfte, die sich aus dem Eigentum an Produktionsgeräten ergeben, sind also auf einen engeren Bereich begrenzt, als die Einkünfte, die durch eigene Arbeit entstehen, denn erstere sind nur in einer Art und Weise zulässig, während für Arbeit zweierlei Arten von Entgelt erlaubt sind.

Umgekehrt wie zu den Produktionsgeräten verhält es sich mit dem Handelskapital, denn bei diesem ist kein Profit auf der Grundlage von Leihgebühren erlaubt. Wer Geld besitzt, darf dieses nicht gegen Zinsen verleihen, d.h. er darf es nicht einem Agenten geben, damit er damit Geschäfte macht, und von dem Agenten dafür eine Gebühr verlangen, denn eine Gebühr hat den Vorzug einer Garantie, und ist nicht abhängig von den Ergebnissen der Tätigkeit des Agenten, die zu Gewinnen oder Verlusten führen kann. Ebendies sind Zinsgeschäfte, die vom islamischen Recht [scharia] verboten wurden, wie im Abschnitt 7) beschrieben. Der Besitzer von Geld oder Ware kann sein Kapital dem Agenten nur unter der Voraussetzung für Handelsgeschäfte anvertrauen, dass er selbst allein die Verluste trägt, während er die Gewinne in einem vereinbarten Prozentverhältnis mit dem Agenten teilt, wenn dessen Tätigkeit Gewinn erzielt. Dem Handelskapital steht also als einziger Weg die Gewinnbeteiligung bei gleichzeitiger Eigenhaftung für Verluste frei.

Somit erkennen wir, dass die Produktionsgeräte und das Handelskapital hinsichtlich der Art und Weise, in der aus ihrem Besitz legitime Einkünfte entstehen können, einander entgegengesetzt sind. Für beide ist jeweils eine bestimmte Art und Weise vorgeschrieben, während für die Arbeit beide Möglichkeiten bestehen. Aus dem Land als Produktionsmittel dürfen Einkünfte auf der Grundlage von Pachtgebühren bezogen werden, aber nicht in Form einer Beteiligung an dem Ertrag und den Gewinnen der Kultivierungstätigkeit. Es stimmt zwar, dass bei einem Pachtvertrag [mudhara'a] der Landbesitzer prozentual an den Gewinnen beteiligt wird, aber wir haben aus dem Rechtstext des Scheich Tusi im Abschnitt 3) erfahren, dass ein Pachtvertrag [mudhara'a] nur zwischen zwei Personen abgeschlossen werden darf, von denen die eine Arbeit ausführt, während die andere das Land und das Saatgut teilt. Dem Landbesitzer, der ein Pachtvertrag [mudhara'a] vereinbart, muss nach der Auffassung des Scheich Tusi – wie aus dem vorliegenden Text deutlich wird – auch das Saatgut gehören, und die Beteiligung an dem Ertrag beruht nicht auf dem Besitz des Landes, sondern auf dem Eigentum an dem Grundstoff, nämlich dem Saatgut.

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