Unsere Wirtschaft

Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Privateigentum

Wenn der Islam festsetzt, die Arbeit ist eine Bedingung für Eigentum, entsprechend dem natürlichen Wunsch im Menschen, das Produkt seiner Arbeit zu besitzen, und nach diesem Prinzip die Arbeit zu einem wesentlichen Kriterium der Güterverteilung macht, dann hat das zweierlei Konsequenzen: Einerseits wird das Auftreten von Privateigentum auf der wirtschaftlichen Ebene gestattet, denn wenn die Arbeit eine Voraussetzung für Eigentum ist, dann ist es natürlich, dass dem Arbeitenden das private Eigentum an den Waren zufällt, an deren Herstellung und Umwandlung in Güter er beteiligt war, wie z.B. Agrarprodukte oder Textilien oder dergleichen. Und wenn wir feststellen, es ist Ausdruck eines natürlichen Wunsches in ihm, wenn der Arbeitende sich das Produkt seiner Arbeit aneignet, meinen wir damit: Der Mensch hat eine natürliche Neigung, das Ergebnis seiner Arbeit ausschließlich für sich selbst zu beanspruchen, was – in die gesellschaftliche Bedeutung übersetzt – “Aneignung“ genannt wird, aber die Art der Rechte, die mit dieser Beanspruchung verbunden sind, werden nicht durch natürliche Neigung bestimmt, sondern die Gesellschaftsordnung setzt sie im Einklang mit den Ideen und Zielen, die sie sich zu eigen macht, fest.

Die Frage ist beispielsweise: Hat derjenige, der durch eigene Arbeit in den Besitz einer Ware gekommen ist, das Recht, sie zu verschwenden, sofern sie sein privates Eigentum ist? Oder darf er sie gegen eine andere Ware eintauschen, oder mit ihr Handel treiben und seinen Reichtum vermehren, indem er sie zu Handelskapital oder Zinskapital macht? Die Antworten auf diese oder ähnliche Fragen werden durch die Gesellschaftsordnung festgesetzt, die das Privateigentum und seine Einschränkungen definiert, und hängen nicht von natürlichen Veranlagungen und Impulsen ab. Deshalb griff der Islam in die Festsetzung dieser Eigentumsrechte ein, und entsprechend seiner besonderen Ideale und Wertemaßstäbe verweigerte er einen Teil von ihnen und erkannte einen anderen Teil an. So verweigert er z.B. dem Eigentümer das Recht, sein Vermögen verschwenderisch und ungezügelt auszugeben, aber bestätigt dessen Recht, es ohne Verschwendung und Zügellosigkeit zu genießen, und er verweigert dem Eigentümer das Recht, sein Vermögen durch Zinsnahme [riba] zu vermehren, aber er erlaubt ihm dessen Vermehrung durch Handel, und zwar im Rahmen besonderer Grenzen und Bedingungen, und im Einklang mit seinen allgemeinen Theorien über die Güterverteilung, die wir in einem nachfolgenden Kapitel untersuchen werden.[1]

Die andere Konsequenz, welche sich aus dem Prinzip: „Die Arbeit ist eine Bedingung für Eigentum“ ergibt, ist die Eingrenzung der Domäne des Privateigentums entsprechend den Erfordernissen dieses Prinzips. Denn wenn Arbeit die wesentliche Vorbedingung für Privateigentum ist, dann muss sich der Bereich des Privateigentums auf solche Vermögenswerte beschränken, an deren Schaffung oder Herstellung die menschliche Arbeit Anteil haben kann, und solche Werte ausschließen, an deren Entstehung die Arbeit nicht im Geringsten beteiligt war. Nach dem Prinzip werden die Besitztümer je nach der Natur ihrer Beschaffenheit oder Herstellungsweise in private und kollektive Reichtümer aufgeteilt. Zu den privaten Reichtümern gehören alle Werte, die entstehen oder nutzbar gemacht werden, indem besondere menschliche Arbeit dafür verwendet wird, wie etwa Agrar- oder Textilprodukte, oder solche Werte, die unter Arbeitsaufwand aus der Erde oder aus dem Meer gewonnen, bzw. aus der Luft erjagt werden. Die menschliche Arbeit hat daran Anteil, sei es durch die Herstellung der Güter selbst, wie durch die Landbestellung die Agrarprodukte geschaffen werden, oder durch deren Umwandlung und Nutzbarmachung, wie im Falle der Arbeit, die aufgewendet wird, um aus den in der Natur vorhandenen Energien elektrischen Strom zu gewinnen, oder Wasser oder Öl aus der Erde zu fördern. Denn die elektrische Energie oder die geförderten Mengen von Wasser oder Öl sind zwar nicht durch menschliche Arbeit geschaffen, aber die Arbeit wandelte sie um und gab ihnen eine Form, die es ermöglicht, aus ihnen Nutzen zu ziehen. Solche Reichtümer, die unter Mitwirkung menschlicher Arbeit entstehen, fallen unter den begrenzten Bereich des Privateigentums im Islam, d.h. in den Rahmen, innerhalb dessen der Islam das Auftreten von Privateigentum erlaubt, denn die Arbeit ist die Grundlage für Eigentum. Und sofern diese Güter an menschliche Arbeit gebunden sind, steht es dem Arbeitenden zu, sie sich anzueignen und die damit verbundenen Rechte, wie den Eigengebrauch, Handel usw. wahrzunehmen.

Zu den kollektiven Reichtümern gehören solche Werte, die ohne menschliches Zutun bestehen, wie z.B. Land, denn dieses wurde nicht von Menschenhand gemacht, und auch wenn der Mensch zeitweise darauf einwirkt, indem er das Land für den Feldbau oder sonstige Nutzung geeignet macht, ist doch diese Umwandlung begrenzt, wie umfangreich sie auch sein mag; denn die Lebensdauer des Landes ist länger als die des Menschen, und es kann sich immer nur um die Einwirkung während einer begrenzten Zeitspanne im Lebensalter des Landes handeln. Das Land ähnelt in dieser Hinsicht den Bodenschätzen und den in der Erde verborgenen Reichtümern, denn deren Entstehung und Beschaffenheit ist nicht menschlicher Arbeit zu verdanken, sondern Arbeit steckt nur in den geförderten Mengen, denn es wird Mühe aufgewendet, um sie aus der Erde herauszuholen und von anderen beigemengten Materialien zu trennen. Diese ihrer Natur nach – oder, wie die islamischen Rechtsgelehrten sagen, in primärer Bedeutung – kollektiven Reichtümer können nicht das private Eigentum irgendeines Einzelnen werden, denn die Bedingung für Privateigentum ist Arbeit, und Vermögenswerte, die nicht an Arbeit gebunden sind. Sie gehören nicht zum begrenzten Bereich des privaten Eigentums, sondern stehen entweder jedermann zur Verfügung oder sind als “Eigentum der Gemeinschaft“ festgelegt. So kann z.B. Land – als Vermögenswert, der ohne menschliche Arbeit entstanden ist – nicht als Privateigentum besessen werden; und was die Arbeit, die für die Kultivierung und Vorbereitung des Landes zum Anbau aufgewendet wird, betrifft: Da es sich nur um eine vorübergehende Verbesserung für eine begrenzte Zeitspanne, viel kürzer als die Lebensdauer des Erdbodens, handelt, überführt sie das Land nicht in den Bereich des Privateigentums, sondern gibt demjenigen, der diese Arbeit verrichtet, besondere Rechte an dem Land, die ihm erlauben, es zu nutzen und andere davon abzuhalten, ihn dabei zu stören, denn er wird wegen der Arbeit, die er auf das Land verwendet hat, bevorzugt. Es wäre ungerecht, wenn die Hände, die gearbeitet und sich ermüdet haben, mit denjenigen, die nicht den Boden bearbeitet und sich dafür verbraucht haben, gleichgesetzt würden, deshalb wird der Arbeitende durch ein Nießbrauchsrecht an dem Land ausgezeichnet, ohne das er es sich aneignen darf, und dieses Recht bleibt bestehen, solange das Land durch seine Arbeit kultiviert wird, und verfällt, wenn er das Land vernachlässigt.

So wird als allgemeine Regel deutlich: Privateigentum kommt nur bei Gütern vor, deren Entstehung bzw. Ausformung mit menschlicher Arbeit verbunden ist, und schließt solche Werte und Reichtümer aus, bei denen dies nicht der Fall ist, denn die Bedingung für Privateigentum ist Arbeit, und sofern die Werte nicht im Rahmen menschlicher Arbeit geschaffen sind, können sie nicht in den Bereich des Privateigentums überführt werden. Allerdings gibt es auch Ausnahmen von dieser Regel, die im Zusammenhang mit den Interessen der islamischen Einladung [dawa] stehen, auf die wir an anderer Stelle hinweisen werden.[2]

[1] Siehe Kapitel „Der Zusammenhang zwischen Produktion und Handel“

[2] Siehe Kapitel: „Das Land“ und „Das zur Zeit der Eroberung unkultivierte Land“

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