Unsere Wirtschaft

Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Phänomen der Beständigkeit des Eigentums in der Theorie

Wir können den Unterschied zwischen der islamischen und der marxistischen Theorie in zwei Kernpunkten zusammenfassen: Einer dieser beiden Punkte ist, dass die islamische Theorie der Verteilung produzierter Güter dem arbeitenden Menschen nur dann die ganzen von ihm produzierten Güter zuerkennt, wenn es sich bei dem Grundstoff, an welchem der Arbeiter seine produktive Tätigkeit verrichtet, um einen natürlichen Reichtum handelt, der keiner anderen Person gehört, wie das Holz, das der Arbeiter von den Bäumen des Waldes schlägt, oder die Fische und Vögel im Meer und in der Luft, die der Jäger aus der Natur erjagt, oder die mineralischen Rohstoffe, die der produzierende Mensch aus ihren Fundorten hervorholt, oder das Ödland, das der Ackerbauer kultiviert und für die Produktion erschließt, oder die Quelle, deren Wasser eine Person aus den Tiefen der Erde an die Oberfläche fließen lässt.

Alle diese Reichtümer sind in ihrem Naturzustand nicht Eigentum irgendeiner Einzelperson, daher verleiht die jeweilige produktive Tätigkeit dem Menschen, der sie ausführt, ein persönliches Recht daran, während aus dem Besitz der materiellen Produktionsmittel kein Eigentumsanspruch an solchen Gütern entsteht, wie wir bereits erfahren haben. Wenn aber der Grundstoff, an welchem der Mensch seine produktive Tätigkeit verrichtet, einer anderen Person gehört, bzw. ein anderer aufgrund der Prinzipien, die wir im Zusammenhang mit der allgemeinen Theorie über die Verteilung “dessen, was vor der Produktion existiert“, dargelegt haben, daran ein persönliches Recht erworben hat, so bedeutet das, dass die Aneignung oder Zueignung dieses Grundstoffes bereits vollzogen wurde, so dass er nicht aufgrund eines weiteren Produktionsvorganges dem arbeitenden Menschen oder irgendeinem Hilfsmittel, welches er bei seiner Tätigkeit benutzt, zuerkannt werden kann. Wer also eine gewisse Menge Wolle, die einem Hirten gehört, spinnt und verwebt, hat nicht das Recht, sich die von ihm verwebte Wolle anzueignen, oder auch nur aufgrund der darauf verwendeten Arbeit am Eigentum des Hirten beteiligt zu werden; vielmehr gilt das ganze gewebte Tuch als Eigentum des Hirten, da diesem der Grundstoff, d.h. die Wolle, gehört. Das Eigentumsrecht des Hirten an der Wolle, die er produziert hat, hört also weder auf, noch verringert es sich, wenn eine andere Person weitere Arbeit daran wendet, indem sie die Wolle spinnt und verwebt. Dieses Phänomen bezeichnen wir als “Beständigkeit des Eigentums“. Im Gegensatz dazu vertritt der Marxismus die Auffassung, dass dem Arbeiter, der die Rohstoffe von dem Kapitalisten zur Verfügung gestellt bekommt und darauf seine Mühe wendet, so viel von dem verarbeiteten Material gehören soll, wie dem neuen Tauschwert entspricht, welchen er diesem durch seine Arbeit verliehen hat. Daher ist nach marxistischer Ansicht der Arbeiter rechtmäßiger Eigentümer der produzierten Ware, abzüglich des Materialwertes der ihm von dem Kapitalisten vor der Produktion zur Verfügung gestellten Rohstoffe. Dieser Gegensatz zwischen dem Marxismus und dem Islam geht darauf zurück, dass der Marxismus sowohl Eigentum und Tauschwert, als auch Tauschwert und Arbeit jeweils miteinander verknüpft. So ist der Marxismus – in wissenschaftlicher Hinsicht – davon überzeugt, dass der Tauschwert einer Ware durch die Arbeit, die darauf verwendet wird, entsteht, und interpretiert – in ideologischer Hinsicht – das Eigentumsrecht des Arbeiters an dem von ihm bearbeiteten Material auf der Grundlage des Tauschwertes, den er durch seine Arbeit an diesem Material geschaffen hat. Infolgedessen entsteht jedem Arbeiter, wenn er einem Material zu einem neuen Wert verhilft, das Eigentumsrecht an diesem Wert, den er in dem Material Gestalt annehmen ließ.

Im Gegensatz zum Marxismus setzt der Islam Eigentum und Tauschwert in keinen Zusammenhang zueinander, und gewährt dem Arbeiter das Eigentumsrecht an Gütern nicht auf der Grundlage des neuen Wertes, den der Arbeiter dem Material verleiht, sondern macht die Arbeit zur direkten Grundlage von Eigentum, wie wir es bei der Erörterung der Theorie über die Verteilung “dessen, was vor der Produktion existiert“, erfahren haben. Wenn also eine Person aufgrund von Arbeit Eigentümer eines Gutes geworden ist und die Ursache dafür weiterbesteht, dann ist es einer anderen Person nicht erlaubt, ein neues Eigentumsrecht an dem Gut zu erwerben, auch wenn sie diesem durch ihre Arbeit zu einem neuen Wert verhilft. Damit können wir die islamische Theorie wie folgt zusammenfassen:

Wenn das Material, welches ein produktiv tätiger Mensch bearbeitet, nicht bereits irgendeiner Person gehört, dann stehen alle produzierten Werte diesem Menschen zu, während alle sonstigen Faktoren, die an der Produktion Anteil haben, als dem Menschen dienend gelten und von ihm vergütet werden müssen, aber nicht auf der gleichen Ebene wie er selbst an dem Ertrag beteiligt werden. Wenn das Material aber bereits einer bestimmten Person gehört, dann bleibt es deren Eigentum, welche Veränderungen daran auch vorgenommen werden mögen, entsprechend dem Prinzip der Beständigkeit des Eigentums, wie wir es am Beispiel der Wolle gesehen haben. Manch einem mag es so erscheinen, als ob dieser Eigentumsanspruch – d.h. die Tatsache, dass dem Besitzer der Wolle das auch mit seiner Wolle gewebte Tuch gehört, und dass allgemein dem Eigentümer des Rohstoffes sein Eigentumsrecht daran erhalten bleibt, ungeachtet der Verwandlung, die dieser durch die Arbeit eines anderen erfährt – bedeutet, dass die produzierten Güter dem Kapital und dem materiellen produktiven Potential vorbehalten seien, wenn man berücksichtigt, dass das Rohmaterial der produzierten Ware – nämlich die Wolle in unserem Beispiel – in wirtschaftlicher Hinsicht als eine Art von Kapital beim Vorgang des Spinnens und Webens anzusehen ist, da das Rohmaterial jeder produzierten Ware eine Art von Kapital für deren Produktionsprozess darstellt. Es ist aber ein Fehler, das Phänomen der Beständigkeit des Eigentums auf kapitalistischer Grundlage zu interpretieren, wenn dem Eigentümer der Wolle auch das Tuch gehören soll, welches der Arbeiter aus seiner Wolle webt, dann beruht dieser Anspruch nicht auf dem Kapital-Charakter der Wolle, und bedeutet nicht, das ihm das Kapital deshalb ein Recht auf Aneignung der produzierten Ware – des Tuches – verschaffen würde, weil es am Vorgang der Produktion des Tuches beteiligt wäre oder dessen Grundlage darstellen würde. Denn wenn auch die Wolle als Rohstoff ein Kapital beim produktiven Prozess des Spinnens und Webens ist, so haben die Geräte, die für deren Spinnen und Weben verwendet werden, ebenfalls Kapital-Charakter, und in ihrer Eigenschaft als eine andere Art von Kapital an der Produktion Anteil, aber sie verschaffen ihrem Besitzer kein Eigentumsrecht an den produzierten Gütern, und erlauben ihm nicht, zusammen mit dem Eigentümer der Wolle am Eigentum des Tuches beteiligt zu werden.

Dies beweist, dass die islamische Theorie, wenn sie das Eigentum des Hirten an der Wolle bewahrt, auch nachdem der Arbeiter daraus ein Tuch gefertigt hat, damit nicht beabsichtigt, das Eigentumsrecht an den produzierten Gütern allein dem Kapital vorzubehalten, denn sie gewährt dieses Recht nicht dem in Geräten und Maschinen verkörperten Kapital. Vielmehr ist es Ausdruck der Respektierung des privaten Eigentums, das an dem Rohstoff bereits etabliert war, bevor er versponnen und verwebt wurde, durch die Theorie.

Die Theorie konstatiert, dass die bloße Umwandlung eines Gutes dieses nicht aus dem Bereich des Eigentums seines ursprünglichen Besitzers herausführt, auch wenn diese Umwandlung daran einen neuen Wert schafft. Dies bezeichnen wir als das Phänomen der Beständigkeit des Eigentums. Dem Kapital und den materiellen Hilfsmitteln, die an der Produktion Anteil haben, werden von der islamischen Theorie ein Anrecht auf die produzierten Güter nicht in ihrer Eigenschaft als Kapital und an der Produktion beteiligte Kräfte zugesprochen, denn in dieser Eigenschaft werden beide nur als Diener des Menschen angesehen, der die zentrale Rolle beim Produktionsvorgang spielt, und in dieser Eigenschaft müssen sie von ihm vergütet werden. So erlangt der Hirte, dem in unserem Beispiel die Wolle gehört, das Eigentumsrecht an dem Tuch, weil es sich bei dem Tuch letztlich um dieselbe Wolle handelt, die ihm gehört, und nicht, weil die Wolle ein Kapital beim Produktionsvorgang des Tuches ist.

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