Lenkung der Produktion zur Sicherung gerechter Verteilung
Wenn der Islam auch bestreitet, dass die
Verteilung der Güter von der jeweiligen Produktionsweise
abhängig ist, und dass sie sich Kraft eines geschichtlichen
Naturgesetzes in Abhängigkeit von dieser modifiziert, so
verneint er doch keineswegs jeden Zusammenhang zwischen der
Güterverteilung und den Formen der Produktion. Aber der
Zusammenhang zwischen Verteilung und Produktion ist nach der
Auffassung des Islam kein Abhängigkeitsverhältnis entsprechend
einem Naturgesetz, sondern eine Verknüpfung, die von der
Ideologie erzwungen wird, und bei der die Produktion mit
Rücksicht auf die Verteilung reglementiert wird, anstatt dass
die Verteilung entsprechend den Erfordernissen der
Produktionsweise Gestalt annimmt, wie es die marxistische
Theorie konstatiert. Das Konzept dieser Verknüpfung geht von
den folgenden Punkten aus:
Erstens: Die islamische
Wirtschaftsideologie erachtet die Prinzipien, für welche sie
eintritt, als zu jeder Zeit und überall anwendbar, so dass in
dieser Hinsicht kein Unterschied zwischen dem Zeitalter der
Elektrizität und Kernenergie und dem Zeitalter der
Dampfmaschine, oder zwischen dem Zeitalter der Dampfmaschine
und der Windmühle und der Handarbeit besteht. So gilt für
jedes dieser Zeitalter z.B. das Prinzip, wonach der Arbeiter
das Recht hat, die Früchte seiner Arbeit zu ernten.
Zweitens: Die produktiven Tätigkeiten,
die der Einzelne ausführt, gelten als ein Bereich der
Anwendung jener allgemeinen Prinzipien der Verteilung. So sind
die Neukultivierung von Ödland, die Erschließung einer
Wasserquelle, das Schlagen von Holz und die Förderung von
Bodenschätzen allesamt Handlungen der Produktion, die
gleichzeitig zur Anwendung der allgemeinen Prinzipien der
Verteilung produzierter Güter führen. Der Bereich der
Produktion ist mithin ein Anwendungsgebiet der Prinzipien der
Verteilung.
Drittens: Indem sich das Niveau der
Produktion erhöht und sich deren Mittel und Möglichkeiten
vervielfachen, nimmt die Gewalt des Menschen über die Natur
zu, und die mit dem produktiven Potential ausgestattete
Einzelperson wird in die Lage versetzt, ihre Aktivität in
einem weiteren Bereich wahrzunehmen, als unter den Bedingungen
vor der besagten Steigerung der Produktivität.
Von diesen Punkten ausgehend können wir
feststellen: Die Weiterentwicklung der Produktivität und der
produktiven Potentiale verschafft dem einzelnen Menschen in
zunehmendem Maße die Möglichkeit, bei den produktiven
Tätigkeiten, die er ausführt, von den Prinzipien der
Verteilung in einem speziellen Bereich ihrer Anwendung zu
profitieren. Und dieses Profitieren kann ein Ausmaß annehmen,
dass es zu einer Gefahr für das allgemeine soziale
Gleichgewicht und für das angestrebte Ideal der sozialen
Gerechtigkeit im Islam wird.
Nehmen wir als Beispiel die Erschließung
von Land: So konnte der einzelne Mensch im Zeitalter der
Handarbeit keine größeren Landflächen urbar machen, denn die
Theorie erlaubte ihm nicht, zu diesem Zweck Lohnarbeit zu
beschäftigen, und mit den Geräten des vorindustriellen
Zeitalters konnte er die Erschließung nur in einem bestimmten
Umfang selbst ausführen. Daher war er nicht in der Lage, die
allgemeinen Prinzipien der Verteilung, welche dort zur
Anwendung kommen, zu missbrauchen, und sich entsprechend dem
Prinzip, welches dem Kultivierenden ein Anrecht auf das von
ihm urbar gemachte Land zuspricht, größere Landflächen
anzueignen. Aber das Zeitalter der Maschine versetzte den
Einzelnen in die Lage, persönlich solche erheblichen
Landflächen urbar zu machen, und das allgemeine Prinzip der
Verteilung in diesem Bereich seiner Anwendung zu missbrauchen.
Unter diesen Umständen muss die Praxis in einer Weise
reglementiert werden, die mit dem Ideal der sozialen
Gerechtigkeit im Islam zu vereinbaren ist.
Dies ist der Ausgangspunkt der
ideologischen Verknüpfung von Produktion und Verteilung im
Islam, welche in Wirklichkeit in dem Konzept der gelenkten
Praxis besteht, demzufolge der Produktion, in ihrer
Eigenschaft als Anwendungsbereich der Prinzipien der
Verteilung, Grenzen vorgegeben werden, welche die
Gerechtigkeit der Verteilung und ihre Vereinbarkeit mit den
Idealen und Zielen des Islam gewährleisten. Der Islam
konkretisiert dieses Konzept der gelenkten Praxis, demzufolge
die Produktion mit Rücksicht auf die Verteilung reglementiert
wird, indem er dem verantwortlichen
Befehlshaber [wali-ul-amr] das Recht verleiht,
einzugreifen, um die Anwendung des besagten
Verteilungsprinzips zu begrenzen, und solche Handlungen zu
verbieten, die zu seinem Missbrauch führen. So gilt für das
von uns angeführte Beispiel des Landes, dass der
verantwortliche Befehlshaber
[wali-ul-amr] befugt ist, jeder Person dessen
Urbarmachung nur in einem Umfang zu gestatten, der
entsprechend der Vorstellung des Islam von sozialer
Gerechtigkeit festgesetzt wird, entsprechend dem Prinzip der
Eingriffe des Staates, welches wir ausführlich in einem
späteren Kapitel
untersuchen werden. Somit erkennen wir, dass die
Weiterentwicklung und Zunahme der Produktivität es
erforderlich machen können, dass der verantwortliche
Befehlshaber [wali-ul-amr]
zur Lenkung der Produktion und zur Eingrenzung der Bereiche,
in denen die allgemeinen Prinzipien der Verteilung angewandt
werden, eingreift, ohne dass diese Prinzipien selbst in ihrer
Substanz angegriffen werden. Das bedeutet, dass der Grundsatz
der Eingriffe des Staates, der diesem die Lenkung der Praxis
erlaubt, das Prinzip darstellt, mit dessen Hilfe der Islam die
Anwendbarkeit seiner allgemeinen Prinzipien der Verteilung und
deren Vereinbarkeit mit seinen Vorstellungen von sozialer
Gerechtigkeit zu jeder Zeit und überall gewährleistet.