Unsere Wirtschaft

Unsere Wirtschaft / Iqtisaduna

Muhammad Baqir al-Sadr

Lenkung der Produktion zur Sicherung gerechter Verteilung

Wenn der Islam auch bestreitet, dass die Verteilung der Güter von der jeweiligen Produktionsweise abhängig ist, und dass sie sich Kraft eines geschichtlichen Naturgesetzes in Abhängigkeit von dieser modifiziert, so verneint er doch keineswegs jeden Zusammenhang zwischen der Güter­verteilung und den Formen der Produktion. Aber der Zusammenhang zwischen Verteilung und Produktion ist nach der Auffassung des Islam kein Abhängigkeitsverhältnis entsprechend einem Naturgesetz, sondern eine Verknüpfung, die von der Ideologie erzwungen wird, und bei der die Produktion mit Rücksicht auf die Verteilung reglementiert wird, anstatt dass die Verteilung entsprechend den Erfordernissen der Produktionsweise Gestalt annimmt, wie es die marxistische Theorie konstatiert. Das Konzept dieser Verknüpfung geht von den folgenden Punkten aus:

Erstens: Die islamische Wirtschaftsideologie erachtet die Prinzipien, für welche sie eintritt, als zu jeder Zeit und überall anwendbar, so dass in dieser Hinsicht kein Unterschied zwischen dem Zeitalter der Elektrizität und Kernenergie und dem Zeitalter der Dampfmaschine, oder zwischen dem Zeitalter der Dampfmaschine und der Windmühle und der Handarbeit besteht. So gilt für jedes dieser Zeitalter z.B. das Prinzip, wonach der Arbeiter das Recht hat, die Früchte seiner Arbeit zu ernten.

Zweitens: Die produktiven Tätigkeiten, die der Einzelne ausführt, gelten als ein Bereich der Anwendung jener allgemeinen Prinzipien der Verteilung. So sind die Neukultivierung von Ödland, die Erschließung einer Wasserquelle, das Schlagen von Holz und die Förderung von Bodenschätzen allesamt Handlungen der Produktion, die gleichzeitig zur Anwendung der allgemeinen Prinzipien der Verteilung produzierter Güter führen. Der Bereich der Produktion ist mithin ein Anwendungsgebiet der Prinzipien der Verteilung.

Drittens: Indem sich das Niveau der Produktion erhöht und sich deren Mittel und Möglichkeiten vervielfachen, nimmt die Gewalt des Menschen über die Natur zu, und die mit dem produktiven Potential ausgestattete Einzelperson wird in die Lage versetzt, ihre Aktivität in einem weiteren Bereich wahrzunehmen, als unter den Bedingungen vor der besagten Steigerung der Produktivität.

Von diesen Punkten ausgehend können wir feststellen: Die Weiterentwicklung der Produktivität und der produktiven Potentiale verschafft dem einzelnen Menschen in zunehmendem Maße die Möglichkeit, bei den produktiven Tätigkeiten, die er ausführt, von den Prinzipien der Verteilung in einem speziellen Bereich ihrer Anwendung zu profitieren. Und dieses Profitieren kann ein Ausmaß annehmen, dass es zu einer Gefahr für das allgemeine soziale Gleichgewicht und für das angestrebte Ideal der sozialen Gerechtigkeit im Islam wird.

Nehmen wir als Beispiel die Erschließung von Land: So konnte der einzelne Mensch im Zeitalter der Handarbeit keine größeren Landflächen urbar machen, denn die Theorie erlaubte ihm nicht, zu diesem Zweck Lohnarbeit zu beschäftigen, und mit den Geräten des vorindustriellen Zeitalters konnte er die Erschließung nur in einem bestimmten Umfang selbst ausführen. Daher war er nicht in der Lage, die allgemeinen Prinzipien der Verteilung, welche dort zur Anwendung kommen, zu missbrauchen, und sich entsprechend dem Prinzip, welches dem Kultivierenden ein Anrecht auf das von ihm urbar gemachte Land zuspricht, größere Landflächen anzueignen. Aber das Zeitalter der Maschine versetzte den Einzelnen in die Lage, persönlich solche erheblichen Landflächen urbar zu machen, und das allgemeine Prinzip der Verteilung in diesem Bereich seiner Anwendung zu missbrauchen. Unter diesen Umständen muss die Praxis in einer Weise reglementiert werden, die mit dem Ideal der sozialen Gerechtigkeit im Islam zu vereinbaren ist.

Dies ist der Ausgangspunkt der ideologischen Verknüpfung von Produktion und Verteilung im Islam, welche in Wirklichkeit in dem Konzept der gelenkten Praxis besteht, demzufolge der Produktion, in ihrer Eigenschaft als Anwendungsbereich der Prinzipien der Verteilung, Grenzen vorgegeben werden, welche die Gerechtigkeit der Verteilung und ihre Vereinbarkeit mit den Idealen und Zielen des Islam gewährleisten. Der Islam konkretisiert dieses Konzept der gelenkten Praxis, demzufolge die Produktion mit Rücksicht auf die Verteilung reglementiert wird, indem er dem verantwortlichen Befehlshaber [wali-ul-amr] das Recht verleiht, einzugreifen, um die Anwendung des besagten Verteilungsprinzips zu begrenzen, und solche Handlungen zu verbieten, die zu seinem Missbrauch führen. So gilt für das von uns angeführte Beispiel des Landes, dass der verantwortliche Befehlshaber [wali-ul-amr] befugt ist, jeder Person dessen Urbarmachung nur in einem Umfang zu gestatten, der entsprechend der Vorstellung des Islam von sozialer Gerechtigkeit festgesetzt wird, entsprechend dem Prinzip der Eingriffe des Staates, welches wir ausführlich in einem späteren Kapitel[1] untersuchen werden. Somit erkennen wir, dass die Weiterentwicklung und Zunahme der Produktivität es erforderlich machen können, dass der verantwortliche Befehlshaber [wali-ul-amr] zur Lenkung der Produktion und zur Eingrenzung der Bereiche, in denen die allgemeinen Prinzipien der Verteilung angewandt werden, eingreift, ohne dass diese Prinzipien selbst in ihrer Substanz angegriffen werden. Das bedeutet, dass der Grundsatz der Eingriffe des Staates, der diesem die Lenkung der Praxis erlaubt, das Prinzip darstellt, mit dessen Hilfe der Islam die Anwendbarkeit seiner allgemeinen Prinzipien der Verteilung und deren Vereinbarkeit mit seinen Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit zu jeder Zeit und überall gewährleistet.

[1] Siehe Kapitel “Prinzip der Eingriffe des Staates“.

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