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Muhammad Baqir al-Sadr

Einstellung des Islam zum Land in neuem Licht

Wir können nach unseren bisher gewonnenen Schlussfolgerungen über die gesetzgeberische Haltung des Islam zum Land einen Schritt weitergehen, um unter Berücksichtigung einiger besonderer Rechtsstandpunkte aus den Schriften der Rechtswissenschaft [fiqh] diese Haltung in einen in sich zusammenhängenderen Rahmen zu stellen. Dies versuchen wir in der folgenden Weise:

Wir haben soeben bemerkt, dass das Land, wenn es in seinem Naturzustand und unabhängig von politischen Erwägungen betrachtet wird, im Islam grundsätzlich als Eigentum des Staates gilt, denn es ist entweder von Natur aus belebt oder tot, und beide Kategorien zählen zum Eigentum des Imam. Wir haben weiterhin gesehen, dass der Einzelne durch die Arbeit der Urbarmachung von Ödland ein persönliches Recht erwirbt, das ihn von anderen bevorzugt, solange das Land kultiviert bleibt, und das er durch die Tätigkeit der Nutzung des kultivierten Landes das vorrangige Nutzungsrecht daran erwirbt, solange er diese fortsetzt. Nunmehr wollen wir herausfinden, ob es Modifikationen gibt, die in dieses gesetzgeberische Grundkonzept eingefügt werden müssen, und wie weit diese Modifikation gehen, und zwar anhand der folgenden Punkte:

Erstens: In kultiviertem Zustand gewaltsam erobertes Land

Es wurde bereits ausgeführt, dass für solches Land das gemeinschaftliche Eigentum aller Muslime vorgeschrieben ist, und deshalb sagten wir, dass es dem Bereich des gemeinschaftlichen Eigentum aller Muslime vorgeschrieben ist, und deshalb sagten wir, dass es dem Bereich des gemeinschaftlichen Eigentums der Umma und nicht dem Bereich des staatlichen Eigentums zugeordnet wird. Wir können aber in diesem Zusammenhang anführen, dass dieses Land, wenn wir seinen Status vor der Eroberung betrachten, ursprünglich einmal Ödland gewesen ist, das dann von einem Nichtmuslim urbar gemacht wurde. Im Sinne des vorher Gesagten hätte also der Imam bzw. der Staat das Eigentum an der Kontrolle des Landes, während dem Nichtmuslimen, der es urbar gemacht hat, oder demjenigen, der es von dem Erstkultivierenden erhalten hat, lediglich das Recht, das sich aus der Neukultivierung ergibt, zustünde. Auch aus den von den Imamen (a.) überlieferten Aussprüchen hinsichtlich des eroberten Landes, das “für die Muslime“ bestimmt sein soll, lässt sich nicht mehr ableiten, als dass das Anrecht, welches der jeweilige Nichtmuslim auf das Land hatte, mit der Eroberung auf die Umma übertragen und zum gemeinschaftlichen Anrecht wird, und die Überlieferung belegen nicht, dass das Recht des Imam mit der Eroberung hinfällig würde, denn die Muslime erobern das Land von ihren Feinden, und nicht von ihren Imam. Folglich wird das Eigentum der Kontrolle über das Land dem Imam verbleiben, während das daran etablierte persönliche Anrecht in das allgemeine Anrecht der Umma umgewandelt wird.

Zweitens: Land, dessen Besitzer sich freiwillig zum Islam bekehren

Es wurde bereits gesagt, dass solches Land privates Eigentum seiner bisherigen Besitzer bleiben soll. Allerdings könnte man auch behaupten, dass die Überlieferungen, welche Aussagen über die Bestimmungen für solches Land machen, dahin tendieren, lediglich anzuordnen, es in den Händen seiner Besitzer zu belassen, im Gegensatz zu der Art und Weise, in der mit dem eroberten Land verfahren wird, dessen Besitzer ihrer Rechte daran verlustig gehen. Das, was dem sich freiwillig zum Islam Bekehrenden belassen wird, entspräche also genau dem Recht, das dem gewaltsam Unterworfenen aberkannt wird, nämlich dem persönlichen Anrecht auf das Land ohne das Eigentum der Kontrolle. Mit anderen Worten: Das Land war bereits vor dem freiwilligen Übertritt seiner Besitzer zum Islam Eigentum des Staates, Kraft der Belegstelle in der Sure des Heiligen Qur´an “die Beute [al-anfal]“, während sein Besitzer lediglich ein persönliches Anrecht darauf hatte, nämlich das Recht, das sich aus der Urbarmachung ergibt. Und der Islam bestätigt ihm lediglich solche Rechte, die er bereits hatte, aber er gewährt ihm keine neuen Rechte oder erlegt ihm neue Pflichten auf. Er behält also das aus der Urbarmachung entstandene Recht, während das Land Eigentum des Staates bleibt. Daher finden wir, dass es, wenn er seine Pflicht versäumt und das Land vernachlässigt und nicht kultiviert, dem Imam obliegt, es zu beschlagnahmen und es von anderen nutzen zu lassen, denn die Kontrolle über das Land gehört immer noch zum Bereich des staatlichen Eigentums.

Drittens: Land, das in einem Friedensvertrag seinen Besitzern zugesprochen wurde

Es gibt in der Tat eine Art von Vertrag, Kraft dessen der islamische Staat das Eigentum an solchem Land den Vertragspartnern überträgt, als Gegenleistung für bestimmte Konzessionen, die er erzählt, wie z.B. die Schutzsteuer [dschizya]. Und es wurde bereits gesagt, dass die staatseigenen Ländereien als “spezielle Güter des Staates“ gelten, über welche der Staat frei verfügen kann, z.B. indem er Austauschvereinbarungen und dergleichen abschließt. Aber der Friedensvertrag, von dem hier die Rede ist, ist seiner Natur nach ein politischer Vertrag und keine Austauschvereinbarung, mithin bedeutet er nicht wirklich, dass das Eigentum des Staates oder des Propheten (s.) bzw. des Imam (a.) an der Kontrolle über das Land hinfällig und an die Vertragspartner übertragen würde, sondern lediglich, dass deren Land nicht behelligt und ihnen als Gegenleistung für bestimmte Konzessionen überlassen wird. Die Pflicht zur Vertragstreue verbietet es dem Imam zwar, ihnen eine weitere Gebühr für die Nutzung des Landes aufzuerlegen; dies bedeutet aber noch nicht die Überantwortung des Eigentums an der Kontrolle, denn die Vereinbarung, dass das Land “ihnen gehören soll“, ist im praktischen und nicht im gesetzgeberischen Sinne dieser Wendung zu verstehen, da für die nichtmuslimischen Friedensvertragspartner nur die praktische Implikation des Vertrages wichtig ist. Der Friedensvertrag ist dem Vertrag der Schutzbefohlenen[dhimmi][1] vergleichbar, einem politischen Vertrag, bei dem der islamische Staat auf die Einziehung der Almosenabgabe [zakat] und der Fünftelabgabe [chums][2] von dem Schutzbefohlenen [dhimmi] verzichtet, als Gegenleistung für die Zahlen der Schutzsteuer [dschizya]. Auch hier bedeutet es nicht, dass dem Nichtmuslimen die Almosenabgabe [zakat] in gesetzgeberischer Hinsicht erlassen wäre, sondern es ist nur eine Verpflichtung des Staates, die Einziehung dieser Steuern nicht vorzunehmen, obwohl dies durch die Gesetzgebung verbindlich vorgeschrieben ist.

Nach all dem bisher Gesagten kann man behaupten, dass alles Land Eigentum des Staates oder der Autorität ist, die durch den Propheten (s.) bzw. den Imam (a.) verkörpert wird, und zwar ohne jede Ausnahme. In diesem Sinne können wir auch den Ausspruch Imam Alis (a.) verstehen, der in der Überlieferung des Abu Chalid al-Kabuli unter Berufung auf Imam Muhammad ibn Ali al-Baqir (a.) zitiert wird:

Alles Land gehört uns, und wer von dem Muslimen Land urbar macht, der soll es weiter kultivieren und die entsprechende Steuer an den Imam zahlen.“[3]

Das Land ist prinzipiell Eigentum des Staates, aber neben diesem Grundsatz gibt es das “Recht der Urbarmachung“, nämlich das vorrangige Anrecht auf das Land für denjenigen, der es zuerst kultiviert hat, oder für denjenigen, der es von dem Kultivierenden erhalten hat, vor anderen Personen. Dieses Anrecht erwirbt jeder Einzelne, ob Muslim oder Nichtmuslim, als persönliches Recht, wenn er Ödland erschließt, falls ihm dies nicht vom Imam untersagt wurde. Handelt es sich aber um einen Nichtmuslim, dessen Land in der Anstrengung [dschihad] von den Muslimen gewaltsam besetzt wurde, dann wird dieses persönliche Anrecht in ein kollektives Recht umgewandelt und gilt für die islamische Umma als Ganzes. Wenn man berücksichtigt, dass der Imam den Status des Grundbesitzersatzabgabe-Landes nicht durch den Verkauf der Kontrollgewalt darüber oder durch dessen Verschenkung verändern darf, kann man sagen, dass dieses gemeinschaftliche Recht zwar nicht die staatliche Kontrolle und das staatliche Eigentum an diesem Land hinfällig macht, aber das Land von dem “speziellen Besitz des Staates“ in dessen “öffentlichen Besitz“ umwandelt, das der Staat zwar behält, aber für besonders vorgeschriebene Zwecke nutzen muss. Dies wird durch Zitate bestätigt in welchen das Grundbesitzersatzabgabe-Land als Stiftung [waqf] bezeichnet wird. Deshalb werden wir immer die Bezeichnung “Eigentum der Gemeinschaft“ verwenden, wenn ein derartiger Status gegeben ist, um es von dem Status des reinen staatlichen Eigentums zu unterscheiden, welches vorliegt, wenn die Kontrolle über das Land Eigentum des Staates ist und kein öffentliches Anrecht der besagten Art existiert.

[1] Der Begriff Schutzbefohlene stammt vom arabischen “dhimma“, was einen besonderen Schutz für Leute des Buches [ahl-ul-kitab] unter islamischer Herrschaft garantiert. Die Bezeichnung beschreibt Sonderrechte, welche u.a. Christen genießen, unabhängig davon, ob sie die Schutzsteuer [dschizya] entrichten, als Ersatz für Wehrdienst oder davon befreit sind.

[2] Die Fünftelabgabe [chums] ist vereinfacht ausgedrückt eine Art Einkommensteuer gemäß dschafaritischer Rechtsschule. Nach Abzug aller abzugfähigen Kosten - dazu gehören u.a. auch staatliche Steuern - , womit ein Lebensstil gemäß dem üblichen sozialen Stand des Muslim ermöglicht werden kann, wird ein Fünftel (20%) des überschüssigen erworbenen Kapitals an einen selbst gewählten Vertreter des 12. Imam abgegeben, damit dieser es auf dem Weg des Islam einsetzt. Die restlichen vier Fünftel sind somit gereinigt.

[3] “Wasail al-Schia“ des al-Hurr al-Amili, 2. Kapitel über die Urbarmachung von Ödland, Band 2, Seite 143 der neuen Auflage

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