Bemerkungen
Vergleichende Untersuchung der islamischen
Wirtschaftstheorie mit anderen Ideologien
Wir haben
gesehen, dass das islamische Recht [scharia] innerhalb
der Grenzen, die von der allgemeinen Theorie der Verteilung
“dessen, was vor der Produktion existiert“ gesetzt werden,
Einzelpersonen den Erwerb persönlicher Rechte an natürlichen
Produktionsquellen erlaubt. Dabei unterscheidet sich die
theoretische Begründung dieser Rechte von deren Begründung
sowohl in der kapitalistischen, als auch in der
marxistischen Ideologie. Die kapitalistische Ideologie
gestattet es jedem Einzelnen, sich natürliche
Produktionsquellen nach dem Prinzip der wirtschaftlichen
Freiheit anzueignen. Der einzelne kann jeden Reichtum, den er
in seine Gewalt bringt, als sein Eigentum betrachten, solange
dem nicht die Freiheit der Aneignung entgegensteht, die
anderen gewährt ist. Der Bereich, innerhalb dessen das private
Eigentum einer Person erlaubt ist, wird also nur durch die
Bewahrung des Rechtes der freien Aneignung anderer Personen
eingegrenzt. Somit leitet der Einzelne die Rechtfertigung
seines Eigentums an bestimmten Gütern aus dem Umstand her,
dass er frei in seinen Handlungen ist, und andere nicht in
ihrer Freiheit beeinträchtigt. Dagegen erkennt die islamische
allgemeine Theorie der Verteilung natürlicher Reichtümer, die
wir untersucht haben, die Freiheit der Aneignung, so wie der
Kapitalismus sie versteht, nicht an, sondern betrachtet das
Anrecht einer Person auf eine “rohe“ natürliche
Produktionsquelle als gebunden an deren Eigentumsrecht an dem
Ergebnis ihrer Arbeit, oder an deren direkte und
kontinuierliche Nutzung der jeweiligen Ressource, so dass das
Recht hinfällig wird, wenn keine der beiden Voraussetzungen
gegeben ist.
Die
persönlichen Rechte an natürlichen Ressourcen ergeben sich
nach kapitalistischer Sichtweise aus der Freiheit des
Menschen, die er unter einem kapitalistischen System genießt,
während sie sich im Islam aus den Aktivitäten des Menschen,
bzw. aus dessen Verrichtung von Arbeiten der Nutzung und
Ausbeutung ergeben. Dagegen glaubt der Marxismus an die
Notwendigkeit der Abschaffung von privaten Eigentum an
natürlichen Ressourcen und sonstigen Produktionsmitteln, und
propagiert die Befreiung jener Produktionsmittel von
persönlichen Rechten, da es für solche keine Rechtfertigung
mehr geben soll, seit die Geschichte im Zeitalter des modernen
kapitalistischen Menschen in eine bestimmte Phase eingetreten
ist, dir durch die maschinelle Industrieproduktion eingeläutet
wurde. Der Glaube des Marxismus an die Notwendigkeit der
Abschaffung solchen Eigentums bedeutet nicht, wenn man die
Frage theoretisch-analytisch betrachtet, dass nach
marxistischem Verständnis das Privateigentum prinzipiell
ungerechtfertigt ist, sondern ist Ausdruck der ideologischen
Überzeugung, dass das Privateigentum seine Zweckbestimmung für
den Lauf der Geschichte bereits erfüllt und in der jetzigen
historischen Phase keinen Sinn mehr hat, nachdem es seine
Existenzberechtigung verloren hat und zu einer gegen den Strom
gerichteten Kraft geworden ist.
Um zwischen
der marxistischen Theorie und dem Islam vergleichen zu können,
müssen wir wissen, welche im Marxismus die theoretischen
Rechtfertigungen für Privateigentum sind, und wie es im
Zeitalter der kapitalistischen Produktionsweise diese
Existenzberechtigung verloren haben soll.
Der Marxismus vertritt die Ansicht, dass sämtliche rohen
natürlichen Reichtümer von sich aus keinen Tauschwert haben,
sondern lediglich vielfältigen Gebrauchswert, denn der
Tauschwert von Gütern soll nur durch darin verkörperte
menschliche Arbeit entstehen. Die Arbeit soll also den
Tauschwert der Artikel schaffen, während rohe Reichtümer in
ihrem Naturzustand, die durch keine bestimmte menschliche
Arbeit geformt sind, keinerlei Tauschwert haben sollen. Damit
verknüpft der Marxismus den Tauschwert mit der Arbeit, und
behauptet, dass der Arbeiter, der an einer natürlichen
Produktionsquelle oder irgendeinem natürlichen Reichtum eine
Arbeit verrichtet, dem Gut, das er bearbeitet, einen
Tauschwert verleihe, der vom Umfang seiner aufgewendeten
Arbeit abhängig sei. Ebenso wie der Marxismus die Arbeit und
den Tauschwert der Güter miteinander verknüpft, macht er auch
das Eigentum vom Tauschwert abhängig, indem er dem Einzelnen,
der durch seine Arbeit einen Tauschwert an einem Gut schafft,
das Recht zugesteht, sich dieses Gut anzueignen, und über
diesen von ihm daran geschaffenen Wert zu verfügen. Das
Eigentum einer Person an Gütern wird im Marxismus dadurch
theoretisch gerechtfertigt, dass diese den Tauschwert dieser
Güter mit der Arbeit geschaffen habe, die sie darauf
aufgewendet hat. Auf der Grundlage dieser Theorie entsteht der
Person ein Eigentumsrecht an natürlichen Ressourcen und
Produktionsmitteln, wenn sie darauf eine gewisse Arbeit
aufwenden kann, die diesen einen bestimmten Tauschwert
verleiht. Tatsächlich erscheint dieses Eigentum im Lichte der
marxistischen Theorie ebenfalls als das Eigentum an dem aus
der Arbeit hervorgegangenen Ergebnis, und nicht als Eigentum
an natürlichen Produktionsquellen unabhängig von diesem
Ergebnis; aber jenes Ergebnis, dass dem Arbeitenden gehören
soll, ist nicht die Gelegenheit der Nutzung, in ihrer
Eigenschaft als ein durch die Arbeit entstandener Zustand, so
wie wir es bei der islamischen allgemeinen Theorie über die
“Verteilung dessen, was vor der Produktion existiert“, gesehen
haben, sondern der Tauschwert, der nach marxistischer
Sichtweise durch die Arbeit entsteht.
Der Arbeiter
soll also den natürlichen Ressourcen einen bestimmten Wert
verleihen, und Eigentümer dieses Wertes werden, zu dem er dem
Gut verholfen hat. Ausgehend von dieser Grundlage der
Rechtfertigung von privatem Eigentum stellt der Marxismus
fest: Dieses Eigentum bleibt so lange legitim, wie eine
Gesellschaft nicht in die Phase der kapitalistischen
Produktionsweise eingetreten ist, in der die Eigentümer von
Ressourcen und Produktionsmitteln diese Menschen, die nichts
besitzen, zur Verfügung stellen, damit letztere dort gegen
Entgelt arbeiten, und die Gewinne den Eigentümern jener
Ressourcen und Produktionsmittel überlassen. Denn der Wert
dieser Gewinne wird nach kurzer Zeit die Höhe des Tauschwertes
der Ressourcen und Produktionsmittel erreicht haben, womit
deren Eigentümer voll entschädigt wäre, da sein Anrecht an den
Wert gebunden ist, den er durch seine Arbeit an diesen
Produktionsquellen geschaffen hat. Sobald er diesen Wert in
Form der Gewinne, die er einzieht, erhalten hat, soll seine
Beziehung zu den Ressourcen und Produktionsmitteln, die ihm
gehört haben, enden. So verliert nach der marxistischen
Theorie das private Eigentum seine Berechtigung und wird
illegitim, wenn die Gesellschaft in die Phase der
kapitalistischen Produktionsweise, bzw. der Lohnarbeit,
eintritt. Auf dieser Grundlage, die das Eigentum des Arbeiters
vom Tauschwert der von ihm produzierten Güter abhängig macht,
ermöglicht es die marxistische Theorie einem anderen Arbeiter
– wenn er ein Gut bearbeitet – sich den neuen Wert anzueignen,
der durch seine Arbeit entsteht. Wenn z.B. jemand in den Wald
geht und dort Holz schlägt, und aus dem Holz unter Aufwand von
Mühe Bretter macht, und dann ein anderer kommt und aus den
Brettern ein Bett fertigt, dann soll jeder von beiden jeweils
Eigentümer des Tauschwertes werden, den seine Arbeit
geschaffen hat. Daher erachtet der Marxismus den Lohnarbeiter
in einem kapitalistischen System als den eigentlichen
rechtmäßigen Eigentümer des gesamten Tauschwertes, den das
Rohmaterial durch seine Arbeit gewinnt, so dass es einem
Diebstahl an dem Lohnarbeiter gleichkomme, wenn der Eigentümer
des bearbeiteten Materials einen Teil dieses Wertes als
sogenannte Gewinn einbehalte. Demnach soll der Wert eines
Gutes von der daran aufgewendeten Arbeit abhängen, und
Eigentum nur im Rahmen des Wertes, den die Arbeit des
Eigentümers selbst geschaffen hat, gerechtfertigt sein. Dies
sind die marxistischen Rechtfertigungen von privatem Eigentum,
die man in den beiden folgenden Postulaten zusammenfassen
kann:
1)
Der
Tauschwert ist abhängig von der Arbeit und wird durch diese
geschaffen.
2)
Das
Eigentum des Arbeiters ist abhängig von dem Tauschwert, den
seine Arbeit schafft.
Wir
widersprechen beiden Postulaten des Marxismus. Was das erstere
Postulat betrifft, das den Tauschwert mit der Arbeit
verknüpft, und aus dieser den prinzipiellen und alleinigen
Maßstab dafür macht, so haben wir es in den Kapiteln dieses
Buches “Über den Marxismus“ mit aller Ausführlichkeit
erörtert, und konnten nachweisen, dass sich der Tauschwert von
Gütern nicht prinzipiell aus der darauf verwandten Arbeit
ergibt. Damit brechen sämtliche Gedankengebäude zusammen, die
der Marxismus auf der Grundlage dieses Postulats errichtet
hat. Und das zweite Postulat, welches das Eigentum des
Einzelnen von dem Tauschwert, der aus seiner Arbeit
hervorgeht, abhängig macht, widerspricht der Sichtweise der
allgemeinen Theorie des Islam über die “Verteilung dessen, was
vor der Produktion existiert“. Denn auch wenn im Islam die
persönlichen Rechte Einzelner an natürlichen
Produktionsquellen darauf beruhen, dass dem Einzelnen das
Ergebnis seiner Arbeit gehört, so handelt es sich bei dem
Ergebnis der Arbeit, das einem Arbeiter gehört, der z.B. ein
Stück Land während einer Woche Arbeitszeit urbar gemacht hat,
doch nicht um den Tauschwert, der während einer Woche
geschaffen wurde, wie es der Marxismus sieht. Vielmehr ist das
Ergebnis, das dem Arbeiter an dem von ihrem erschlossenen Land
gehört, die Gelegenheit der Nutzung dieses Landes. Indem ihm
diese Gelegenheit gehört, entsteht sein persönliches Anrecht
auf das Land selbst, und solange diese Gelegenheit
weiterbesteht, gilt sein Anrecht auf das Land als unverändert.
Und kein anderer kann Eigentümer dieses Landes werden, indem
er eine neue Arbeit darauf verwendet, selbst wenn die neue
Arbeit dessen Tauschwert vervielfachen sollte, denn die
Gelegenheit der Nutzung dieses Landes gehört dem ersteren, und
man darf sie ihm nicht streitig machen.
Dies
ist der grundsätzliche Unterschied in theoretischer Hinsicht
zwischen dem speziellen marxistischen Prinzip bei der
Verteilung von natürlichen Produktionsquellen und dem
entsprechenden islamischen Prinzip. Nach dem ersteren Prinzip
wird das persönliche Recht eines Einzelnen darauf
zurückgeführt, dass dem Arbeiter nicht mehr und nicht weniger
als der Tauschwert gehört, den das Land durch seine Arbeit
erhält, und nach dem letzteren Prinzip darauf, dass dem
Arbeiter die tatsächliche Nutzungsgelegenheit, die durch seine
Arbeit an dem Land entstanden ist, gehört. Der Grundsatz,
demzufolge die persönlichen Rechte an natürlichen
Produktionsquellen auf Arbeit beruhen, und dem Arbeitenden das
tatsächliche Ergebnis seiner Arbeit gehört, spiegelt die
islamische Theorie wider. Und der Grundsatz, demzufolge der
Tauschwert natürlicher Produktionsquellen auf der daran
verrichteten Arbeit beruht, und das Eigentum des Arbeitenden
durch den von ihm geschaffenen Tauschwert bestimmt wird,
spiegelt die marxistische Theorie wider. Aus diesem
wesentlichen Gegensatz der beiden Grundprinzipien entspringen
alle Unterschiede, die wir auch bei den Konzepten des Islam
und des Marxismus für die Verteilung der produzierten Güter
finden werden