Begriffsinhalte werden in Untersuchung einbezogen
Wir können, um die islamische
Wirtschaftsideologie herausarbeiten, neben den Bestimmungen
des islamischen Rechts [scharia]
die Begriffsinhalte, die einen wichtigen Teil der islamischen
Kultur darstellen, untersuchen. Mit einem Begriffsinhalt
meinen wir: Jede islamische Ansicht oder Vorstellung, die
einen existenziellen, gesellschaftlichen oder
gesetzgeberischen Sachverhalt interpretiert. So ist der
Glaube, dass alles Existierende auf Allah den Erhabenen
zurückgeht und mit ihm verbunden ist, Ausdruck einer
bestimmten Vorstellung des Islam von der existierenden Welt.
Und der Glaube, dass die menschliche Gesellschaft eine
Entwicklungsphase, während der sie von natürlichen Instinkten
geleitet wurde durchlebt hat, bevor sie die Stufe erreichte,
in der Verstand und Reflektion dominierten, ist Ausdruck eines
bestimmten islamischen Begriffes von der Gesellschaft.
Und der Glaube, dass das Eigentum kein Recht aus sich selbst
heraus ist, sondern nur ein Akt der Stellvertretung, zeigt
eine besondere Vorstellung, die der Islam mit einem bestimmten
gesetzgeberischen Terminus verbindet, nämlich dem Eigentum an
Gütern, denn alle Güter gehören nach islamischen Verständnis
Allah, und Allah beauftragt bisweilen die einzelnen Menschen,
die Güter zu verwalten und dieser Auftrag wird durch den
gesetzgeberischen Terminus Eigentum ausgedrückt.
Die Begriffsinhalte sind in diesem
Zusammenhang also islamische Sichtweisen und Vorstellungen bei
der Interpretation der existierenden Welt und ihrer Phänomene,
oder der Gesellschaft und ihrer Wechselbeziehungen, oder
irgendwelcher gesetzgeberischen Bestimmungen, und umfassen
nicht unmittelbar die Bestimmungen selbst. Aber ein Teil von
ihnen ist uns dennoch von Nutzen bei unserem Bemühen, die im
Islam enthaltene Wirtschaftsideologie zu erkennen, nämlich der
Teil von islamischen Begriffsinhalten, die im Zusammenhang mit
dem Wirtschaftsleben und dessen Phänomene, oder mit den
gesetzgeberischen Bestimmungen des Islam für diesen Bereich,
stehen. Um die Rolle, die dieser Teil von Begriffsinhalten für
die Definition der Merkmale der Wirtschaftsideologie im Islam
spielen kann in groben Zügen zu verdeutlichen, müssen wir
einige der Ergebnisse vorwegnehmen, die sich in den folgenden
Kapiteln herauskristallisieren werden, und uns zwei islamische
Begriffsinhalte, die in diesen Kapiteln näher untersucht
werden, herausgreifen, die für das Verfahren zur Herausfindung
der Ideologie, wie es in diesem Buch praktiziert wird, wichtig
sind.
Einer dieser Begriffsinhalte ist das
islamische Verständnis von Eigentum, demzufolge Allah der
Erhabene der menschlichen Gemeinschaft als seinen
Stellvertretern die Güter und Reichtümer der Natur anvertraut
hat, und der Islam machte seine das Privateigentum betreffende
Gesetzgebung zu einem Mittel, dem einzelnen Menschen zu
ermöglichen, seiner Rolle als Stellvertreter gerecht zu
werden, nämlich indem er aus den Gütern Nutzen zieht, sie
bewahrt und sie für das Wohl seiner Mitmenschen verwendet. Das
Eigentum ist also der Auftrag für Handlungen, die der Einzelne
für die Gemeinschaft und für sich selbst als Mitglied der
Gemeinschaft ausführt. Der andere Begriffsinhalt, den wir aus
den folgenden Kapiteln vorwegnehmen, ist das islamische
Verständnis von Handel als einem der wichtigen Phänomene des
wirtschaftlichen Lebens.
Der Islam vertritt die Auffassung, das
der Handel in seiner ursprünglichen Form einen Teilbereich der
Produktion darstellt, denn wenn der Händler die Produkte eines
anderen verkauft, dann hat er damit an der Produktion Anteil,
da Produktion immer die Produktion von Nutzen und nicht die
Produktion materieller Dinge bedeutet, denn die Materie wird
nicht von neuem geschaffen; und der Händler schafft, indem er
die produzierte Ware aufkauft und sie den Verbrauchern
zugänglich macht, eine neue Nutzungsmöglichkeit, ja, die Ware
überhaupt erst durch diese Bereitstellung ihren Nutzen für die
Verbraucher. Und jede Tendenz, den Handel von seiner
ursprünglichen Bestimmung zu entfremden, macht ihn zu nichts
weiter als einer bewussten Schmarotzertätigkeit an den
Reichtümern der Gesellschaft, die den Abstand zwischen Ware
und Verbraucher vergrößert und ist folglich eine Verirrung,
die von der natürlichen Aufgabe des Handels abweicht.
Wir wollen die ausführliche Erörterung
des islamischen Verständnisses von diesen beiden Begriffen auf
den entsprechenden Platz in diesem Buch aufschieben, und uns
hier auf eine Darstellung in dem Umfang beschränken, der
erforderlich ist, um die Bedeutung der Begriffsinhalte für
unsere Herausarbeitung der islamischen Wirtschaftsideologie
verständlich zu machen, auch wenn wir uns dadurch etwas
wiederholen müssen. Anhand dieser beiden Beispiele von
Vorstellungen, die der Islam mit bestimmten Begriffen
verbindet, können wir die Rolle erfassen und definieren, die
derartige Begriffsinhalte für die Untersuchung und
“Entdeckung“ der islamischen Wirtschaftsideologie spielen
können.
So gibt es Begriffsinhalte, die gewisse
Bestimmungen des Islam beleuchten, und die Aufgabe, diese aus
den gesetzlich relevanten Textquellen zu erschließen,
erleichtern und die Hindernisse, die dem im Wege stehen,
überwinden helfen. Der erstere Begriffsinhalt – von dem
Privateigentum, den wir gerade ausgeführt haben – beeinflusst
die islamische Mentalität und macht sie empfänglich dafür, die
Textquellen des islamischen Gesetzes, welche die
Verfügungsgewalt des Eigentümers mit Rücksicht auf das
Allgemeinwohl der Gesellschaft einschränken, als verbindlich
zu akzeptieren. Denn nach diesem Verständnis bedeutet Eigentum
auch eine soziale Pflicht, die der Gesetzgeber dem Einzelnen
auferlegt, nämlich dass er sich an der Verantwortung der
Stellvertreterschaft beteiligt, mit der Allah den Menschen auf
dieser Erde ausgezeichnet hat, und es ist kein elementares
Recht, das keinen Restriktionen oder Ausnahmen unterworfen
wäre. So ist es nur natürlich, dass die Eigentumsrechte den
Erfordernissen dieser Stellvertreterschaft angepasst werden,
und in diesem Sinne werden Texte, welche die Verfügungsgewalt
des Eigentümers einschränken, und es dem Staat erlauben, unter
Umständen Vermögenswerte zu enteignen bereitwillig akzeptiert.
Hierzu gehören islamische Textquellen über das Land, die
bekräftigen, dass das Land, wenn sein Besitzer es nicht
produktiv nutzt und Sorge dafür trägt, wie es den
Erfordernissen der Stellvertreterschaft entspricht diesem
weggenommen wird, dass sein Anrecht drauf verfällt, und dass
es einem anderen übergeben wird. Vielleicht werden viele
zögern, die Textquellen als verbindlich zu akzeptieren, weil
sie die geheiligte Unverletzlichkeit des Eigentums
untergraben. Sicher würde es diesen Unentschlossenen nicht
mehr schwerfallen, diese Texte zu akzeptieren und sich für
deren Geist und Denkweise empfänglich zu zeigen, wenn sie
diese durch die Brille des islamischen Verständnisses von
Eigentum betrachten würden. Wir wissen also: Die islamischen
Vorstellungen von Begriffen des wirtschaftlichen Lebens bilden
einen geistigen Rahmen, der notwendigerweise angelegt werden
muss, um den Sinn der gesetzgeberischen Textquellen des Islam
klar und vollständig hervortreten zu lassen und sie leicht und
ohne Zweifel verstehen zu können.
Und es gibt einige derartige
gesetzgeberische Textquellen, die die Bedeutung der besonderen
Sichtweise klar berücksichtigen, und den in diesem
Zusammenhang wichtigen Begriffsinhalt oder Rahmen vorbereitend
vor der eigentlichen gesetzlichen Bestimmung erwähnen; so gibt
es z.B. eine Überlieferung, die über das Land und dessen
Aneignung durch den Menschen aussagt:
„Die Erde gehört Allah dem
Erhabenen, und er machte sie zum Stiftung [waqf]
für seine Diener. Wenn aber jemand sein Land drei
aufeinanderfolgende Jahre ohne Grund brachliegen lässt, dann
soll es ihm weggenommen und einem anderen gegeben werden.“
Wir sehen also, dass die Überlieferung
zur Erklärung und Rechtfertigung der Anordnung, das Land unter
bestimmten Umständen seinem Eigentümer wegzunehmen, auf ein
bestimmtes Verständnis vom Landeigentum und der Rolle, die der
einzelne Mensch dabei spielt, Bezug nimmt. Und einige
islamische Begriffsinhalte bilden die Prinzipien, auf deren
Grundlage der verantwortliche Befehlshaber [wali-ul-amr],
wie das seinen Kompetenzen entspricht, den vom
islamischen Recht [scharia] gelassenen Freiraum
nach eigenem Ermessen ausfüllen darf.
So eignet sich z.B. das islamische
Verständnis von Handel, das wir bereits dargelegt haben, als
Grundlage, wenn der Staat von seinen Kompetenzen im Bereich
der Reglementierung des Handels Gebrauch macht. Er unterbindet
dann – im Rahmen seiner Kompetenzen – jeden Versuch, den
Handel von seiner Zweckbestimmung als Hilfsmittel der
Produktion zu entfernen, und ihn zu einem Verfahren zu machen,
den Weg zwischen dem Verbraucher und der produzierten Ware zu
verlängern, anstatt ihn, wie es sein sollte, als ein Verfahren
zu betreiben, die Ware bereitzustellen und dem Verbraucher
leichter zugänglich zu machen. Die islamischen Begriffsinhalte
machen also die allgemeinen gesetzgeberischen Textquellen
leichter zugänglich und geben dem Islamischen Staat
Richtlinien für die Art der wirtschaftlichen Gesetzgebung an
die Hand, mit denen er den vom
islamischen Recht [scharia] gelassenen Freiraum
ausfüllen muss.