Allgemeiner Rahmen der islamischen Wirtschaft
Die Wirtschaftsideologie des Islam
unterscheidet sich von den anderen Wirtschaftsideologien, die
wir untersuchten,
durch ihren allgemeinen religiösen Rahmen. Denn im Islam ist
die Religion der umfassende Rahmen für alle Ordnungselemente
im Leben. Jeden Bereich des Lebens, den der Islam regelt,
verquickt er mit der Religion und gestaltet ihn innerhalb
eines Rahmens von religiösen Verbindungen des Menschen mit
seinem Schöpfer und seinem jenseitigen Schicksal. Es ist
dieser Rahmen, der den Islam zum Erfolg befähigt, und ihn in
die Lage versetzt, das allgemeine gesunde Funktionieren der
menschlichen Gesellschaft zu garantieren, weil diese “sozialen
Interessen“ nur mit Hilfe der Religion verwirklicht werden
können. Um dies zu verdeutlichen, müssen wir untersuchen, wie
der Mensch sein soziales Leben optimal gestalten würde, und in
welchem Maße dieses jeweils möglich ist und realisiert werden
kann. Dabei werden wir die oben erwähnte Tatsache bestätigt
finden, dass die “sozialen Interessen“ des Menschen nur mit
Hilfe einer Gesellschaftsordnung gewährleistet und gesichert
werden können, die über einen wirklichen religiösen Rahmen
verfügen. Wenn wir die Bedürfnisse des Menschen für die
Gestaltung seines Lebens untersuchen, können wir diese in zwei
Kategorien aufteilen:
Die erste Kategorie umfasst Bedürfnisse
des Menschen nach Dingen, die ihm die Natur in seiner
Eigenschaft als Einzelwesen zur Verfügung stellt, wie z.B.
medizinische Heilmittel. So hat der Mensch ein Interesse
daran, sie aus der Natur zu gewinnen, und dieses Interesse hat
nichts mit seinen sozialen Beziehungen zu den Anderen zu tun,
sondern der Mensch als Wesen, das schädlichen Bakterien
ausgesetzt ist, braucht solche Medikamente, ob er für sich
allein lebt oder innerhalb einer Gesellschaft mit
gegenseitigen Abhängigkeiten.
Die zweite Kategorie umfasst Bedürfnisse
des Menschen nach Dingen, die ihm die gesellschaftliche
Ordnung in seiner Eigenschaft als soziales Wesen, das mit den
Anderen durch soziale Beziehungen verbunden ist, sichert, wie
den Vorteil, die Produkte seiner Arbeit mit den Produkten der
Anderen austauschen zu können, oder dass ihm die Gesellschaft
im Falle seiner Arbeitsunfähigkeit oder erzwungenen
Arbeitslosigkeit den Lebensunterhalt sichert.
Wir werden im Folgenden die erste
Kategorie als “natürliche Interessen“ und die zweite Kategorie
als “soziale Interessen“ bezeichnen. Um seine natürlichen und
sozialen Bedürfnisse befriedigen zu können, muss der Mensch
beurteilen können, was gut für ihn ist, er muss wissen, wie er
das erreichen kann, und motiviert sein, sich darum zu bemühen.
So kommt der Mensch z.B. zu Medikamenten gegen die
Tuberkulose, wenn er weiß, dass es gegen diese Krankheit
Heilmittel gibt, herausfindet, wie diese herzustellen sind,
und über die Motivation verfügt, sich die Entdeckung und
Herstellung dieser Medikamente zunutze zu machen. Ebenso
beruht die Institution des gesicherten Lebensunterhaltes im
Falle der Arbeitsunfähigkeit – als soziales Interesse –
darauf, dass der Mensch den Vorteil dieser Sicherheit erkennt,
weiß, mit welcher Art von Gesetzgebung die es gewährleistet
wird, und motiviert ist, die entsprechenden Gesetze zu
erlassen und anzuwenden. Es sind also zwei
Grundvoraussetzungen, ohne die das Menschengeschlecht nicht zu
einer vollkommenen Lebensweise, in der für die natürlichen und
sozialen Bedürfnisse gesorgt ist, finden kann: Erstens müssen
diese Bedürfnisse (Interessen) und die Art und Weise, sie zu
verwirklichen, richtig erkannt werden, und zweitens muss der
Antrieb vorhanden sein, diesem Wissen entsprechend zu handeln.
Wenn wir die natürlichen Interessen des
Menschen –wie z.B. die Herstellung von Medikamenten zur
Behandlung der Tuberkulose – betrachten, bemerken wir, dass
die Menschheit mit den Möglichkeiten ausgestattet ist, diese
Interessen wahrzunehmen, nämlich durch die geistige Fähigkeit,
die Phänomene der Natur zu durchschauen und die darin
verborgenen Nutzungsmöglichkeiten zu erkennen. Auch wenn sich
diese Fähigkeit nur langsam im Laufe der Zeit entwickelt hat,
führt sie doch zu immer weiterer Vervollkommnung durch neue
Erkenntnisse und Erfahrungen, und im gleichen Maße begreift
der Mensch immer besser, was gut für ihn ist, und erkennt den
Nutzen, den er aus der Natur ziehen kann. Neben dieser
intellektuellen Fähigkeit besitzen die Menschen eine
persönliche Motivation, die sie veranlasst, ihre natürlichen
Interessen zu verfolgen, denn diese stimmen mit dem
persönlichen Antrieb in jedem Menschen überein. So geschieht
es nicht nur im Interesse einzelner Menschen oder zum Nutzen
einer bestimmten Gruppe, dass beispielsweise Medikamente aus
der Natur gewonnen werden. Die menschliche Gesellschaft bemüht
sich immer mehr, die Natur für ihre gemeinsamen Interessen
nutzbar zu machen, und zwar durch den persönlichen Antrieb
jedes Einzelnen, da alle in gleicher Weise betroffen und sich
über die Notwendigkeit dieser Art von Ausnutzung einig sind,
die jedem Einzelnen persönlichen Vorteile bringt. So wissen
wir, dass der Mensch in besonderer Weise geistig und seelisch
derart beschaffen ist, dass er aus der Natur Nutzen ziehen und
den “natürlichen“ Bereich seines Lebens durch immer neue
Erkenntnisse über das Leben und die Natur vervollkommnen kann.
Die Verwirklichung des Allgemeinwohls
hängt ihrerseits – wie bereits erwähnt – ebenfalls davon ab,
dass der Mensch die dafür angemessene Gesellschaftsordnung
herausfindet, sowie von der psychologischen Motivation, so
eine Ordnung aufzubauen und in Kraft zu setzen. In welchem
Maße sind nun diese beiden Voraussetzungen für das
Allgemeinwohl beim Menschen vorhanden? Besitzt der Mensch die
geistige Fähigkeit, das im Interesse der gesamten Gesellschaft
Richtige zu erkennen, und die Motivation, dies zu
verwirklichen, ebenso wie er seine “natürlichen Interessen“ zu
verfolgen weiß?
Was die erste Voraussetzung betrifft, so
ist es eine verbreitete Ansicht, dass der Mensch nicht
selbstständig in der Lage sei, die Gesellschaftsordnung zu
erkennen, die allen seinen sozialen Bedürfnissen gerecht wird
und mit seiner allgemeinen Natur und psychologischen
Konstitution harmoniert, weil er angeblich nichts schwerer
durchschaut, als die soziale Situation mit ihren Einzelheiten
und die menschliche Natur in ihrer ganzen Tiefe. Und die
Verfechter dieser Ansicht kommen zu der Schlussfolgerung, dass
die Gesellschaftsordnung den Menschen von höherer Warte
bestimmt werden muss und es ihnen nicht selbst überlassen
werden darf, sich eine eigene Ordnung zu geben, solange ihre
Erkenntnisfähigkeit begrenzt bleibt und ihnen die geistigen
Voraussetzungen fehlen, die Geheimnisse der sozialen Situation
ganz zu durchschauen. Auf dieser Grundlage weisen sie die
Notwendigkeit der Religion im Leben des Menschen nach, und
dass die Menschheit der Gesandten Gottes und Propheten
bedürfe, die als einzige in der Lage seien, über die
Offenbarung die wahren Bedürfnisse des Menschen im
gesellschaftlichen Bereich zu erfassen und dieses Wissen den
Menschen zu enthüllen. Unserer Meinung nach stellt sich das
Problem jedoch mit größerer Deutlichkeit dar, wenn wir uns mit
der zweiten Voraussetzung befassen.
Der Kernpunkt des Problems ist nicht: Wie
erfasst der Mensch, was das Beste für die Gemeinschaft ist?
Vielmehr ist das Grundproblem: Wie wird der Mensch motiviert,
das als richtig erkannte in die Tat umzusetzen und die
Gesellschaftsordnung in einer Form zu gestalten, die das
Allgemeinwohl garantiert? Dieses Problem entsteht, weil die
Interessen der Allgemeinheit meistens nicht mit den
persönlichen Motiven übereinstimmen, denn sie stehen oft im
Gegensatz zu den individuellen Interessen der Menschen. Die
persönliche Motivation, die gewährleistet, dass der einzelne
sich für die “natürlichen Interessen“ der Menschheit einsetzt,
zeigt hinsichtlich der “sozialen Interessen“ nicht die gleiche
Wirkung. Während persönliche Motive den Menschen veranlassen,
sich um die Herstellung einer Medizin gegen die Tuberkulose zu
bemühen, weil dies im Interesse jedes Einzelnen geschieht,
bemerken wir, dass ebendiese persönlichen Antriebe die
Verwirklichung vieler Dinge im kollektiven Interesse der
Allgemeinheit verhindern und die Etablierung einer
Gesellschaftsordnung, die dieses Allgemeinwohl sicherstellt,
bereits im Ansatz oder aber in der Praxis hemmen. So
widerspricht die Sicherung des Lebensunterhaltes von
Arbeitslosen den Interessen der Reichen, weil diese die Kosten
dafür zu tragen haben, und die Verstaatlichung von Grund und
Boden ist gegen die Interessen derjenigen gerichtet, die
Landbesitz für sich selbst monopolisieren. Jedes Interesse der
Allgemeinheit wird durch die persönlichen Motive der
Individuen, deren Interesse diesem Allgemeinwohl
entgegensteht, auf die Probe gestellt. In diesem Licht
erkennen wir den grundsätzlichen Unterschied zwischen den
“natürlichen Interessen“ und den “sozialen Interessen“. Denn
die persönlichen Antriebe der Individuen geraten nicht in
Konflikt mit den “natürlichen Interessen“ aller Menschen,
sondern fördern sie und motivieren jeden Einzelnen, in diesem
Sinne von seinen durch Reflektion gewonnenen Erkenntnissen
Gebrauch zu machen. Dadurch hat die Spezies Mensch die
Fähigkeit, ihre “natürlichen Interessen“ zu verwirklichen, und
zwar stufenweise, je nach dem Grad dieser Fähigkeiten, die
sich mit der praktischen Erfahrung weiterentwickeln.
Mit den “sozialen Interessen“ verhält
es sich umgekehrt, denn die persönlichen Antriebe, die der
Eigenliebe des Menschen entspringen, und ihn veranlassen, sein
Wohl über das Wohl der Anderen zu stellen, diese Antriebe
hindern ihn daran, aufrichtig entsprechend den Ergebnissen
seiner Reflektion zu handeln, wenn es um die Verwirklichung
der Interessen der Allgemeinheit geht, bzw. um die Schaffung
und Durchsetzung einer Gesellschaftsordnung, die das
Allgemeinwohl sichert. So wird deutlich, dass das soziale
Problem, das die Menschheit an der Vervollkommnung ihres
sozialen Zusammenlebens hindert, der zwischen den Interessen
der Allgemeinheit und den persönlichen Motiven bestehende
Gegensatz ist; und solange der Menschheit nicht die
Möglichkeiten gegeben sind, die “sozialen Interessen“ und die
grundsätzlichen Antriebe, die jeden Einzelnen beherrschen,
miteinander in Einklang zu bringen, kann die Menschheit ihre
gesellschaftliche Vollkommenheit nicht erlangen. Worin
bestehen nun diese Möglichkeiten? Die Menschheit bedarf einer
Triebkraft, die im Sinne der Interessen der gesamten
Gemeinschaft wirksam ist, ebenso wie die “natürlichen
Interessen“ in der persönlichen Motivation einen Verbündeten
finden.