Ableitung der Theorie aus dem Überbau
Nunmehr, nachdem wir die Aspekte des
Unterschieds zwischen der islamischen und der marxistischen
Theorie so dargelegt haben, wie wir sie sehen und als
zutreffend voraussetzen, können wir im Einzelnen die Belege
und Indizien für diese Unterschiede aus dem von uns
angeführten Überbau aufzeigen, entsprechend unserer
Vorgehensweise, die unterliegende Theorie anhand der darauf
aufbauenden gesetzlichen Bestimmungen herauszufinden.
Bei allen Abschnitten des vorangegangenen
Überbaus lässt sich ein gemeinsames Merkmale feststellen,
nämlich dass das bei der produktiven Tätigkeit verwendete
Material bereits zuvor Eigentum einer bestimmten Person war.
Daher bestätigen sämtliche Abschnitte, dass das Material auch
nach seiner Umwandlung während des Produktionsvorganges
Eigentum seines bisherigen Besitzers bleibt. So bleibt im
Abschnitt 1) die Ware, die von ihrem Besitzer einem
Lohnarbeiter übergeben wird, damit dieser sie bearbeitet und
umwandelt, sein Eigentum, während der Lohnarbeiter sie sich
nicht aufgrund seiner Arbeit aneignen darf, auch wenn er sie
umwandelt und ihr einen neuen Wert verschafft, denn sie war
bereits zuvor Eigentum einer anderen Person geworden. Der
Abschnitt 3) verweist darauf, dass dem Arbeiter, der sich des
Landes eines anderen bemächtigt und dort sein Korn aussät, die
darauf heranwachsende Kultur gehört, während dem Landbesitzer
nichts davon zusteht, da der Ackerbauer Eigentümer des
Saatgutes ist, und die Saat das Grundelement des Materials
darstellt, welches sich im Verlaufe der landwirtschaftlichen
Produktion zu den Kulturen entwickelt. Dagegen gilt das Land,
das seiner Natur nach ein an der Produktion beteiligtes
materielles Potential ist, in der islamischen Theorie als ein
den Ackerbauern dienendes Hilfsmittel, das er vergüten muss,
(d.h. er muss dessen Besitzer entschädigen). Der Islam
bewertet also das Saatgut und das Land unterschiedlich, indem
er das Eigentumsrecht an der Aussaat dem Besitzer des
Saatgutes und nicht dem des Landes zuerkennt, obwohl es sich
bei beidem um Kapital nach wirtschaftlichem Verständnis und um
ein an der Produktion beteiligtes materielles Potential
handelt. Dies enthüllt deutlich die von uns zuvor
festgestellte Tatsache, nämlich dass dem Besitzer des von der
Produktion betroffenen und umgewandelten Rohstoffes jenes
Material auch nach seiner Umwandlung deshalb noch gehört, weil
es sich um das selbe Material handelt, welches bereits sein
Eigentum war, und nicht, weil das Rohmaterial den Charakter
von Kapital beim Produktionsprozess hat. Warum sollte sonst
der Islam einen Unterschied zwischen dem Saatgut und dem Land
machen, und dem Besitzer des Landes das Eigentumsrecht an der
Aussaat vorenthalten, während er dieses dem Besitzer des
Saatgutes gewährt, obwohl das Merkmal des Kapitals, gemäß der
allgemeinen Bedeutung von Kapital, die alle materiellen
Produktivkräfte umfasst, beiden gemeinsam ist?
Die Abschnitte 4) und 5) bestätigen beide
das sich im Abschnitt 3) manifestierende Prinzip, nämlich dass
das Eigentum an den Kulturen bzw. Früchten demjenigen
zuerkannt wird, dem das Material gehört, welches sich im
Verlaufe der Produktion zu den Kulturen bzw. den Früchten
entwickelte, aber weder dem Besitzer des Landes noch dem
Eigentümer irgendwelcher sonstigen Hilfsmittel, die an dem
Vorgang der landwirtschaftlichen Produktion Anteil haben, und
denen dabei die Rolle des Kapitals zufällt. Der Abschnitt 6)
spricht das Eigentum an dem Handelsgewinn dem Kapitaleigner
zu, falls ein Pachtvertrag [mudhara'a]
ungültig ist, und gestattet es dem Agenten nicht, ihn
sich ganz oder teilweise anzueignen, denn auch wenn dieser
Gewinn – in der Regel – das Ergebnis der Mühe darstellt, die
der Agent aufgewendet hat, um Ware einzukaufen und sie den
Verbrauchern so gut zugänglich zu machen, dass sie zu einem
höheren Preis verkauft werden konnte, so ist diese Mühe doch
nicht anders zu bewerten, als die Arbeitsleistung dessen, der
Wolle spinnt oder verwebt, die einem Hirten gehört, und hat
nach der Theorie keine Auswirkung, da das Objekt der Tätigkeit
– das Handelskapital bzw. die Wolle – bereits Eigentum einer
anderen Person ist.
Wir müssen uns nun noch speziell mit dem
Abschnitt 2) befassen, in welchem von einer Person die Rede
ist, die einer anderen Eier raubt und diese zur Produktion von
Tieren verwendet, oder Saatgut, und dieses zur Produktion von
Getreide nutzt. In dem Abschnitt heißt es, dass nach der in
der Rechtswissenschaft [fiqh] vorherrschenden
Auffassung das Produkt – die Jungvögel bzw. die Aussaat – dem
Besitzer der Eier, bzw. des Saatgutes, gehört, während noch
auf eine andere Rechtsmeinung verwiesen wird, die besagt, dass
der “Räuber“, der die produktive Tätigkeit ausführt,
Eigentümer des Produktes sein soll.
Wir sahen in diesem Abschnitt, der die
beiden Auffassungen vorstellte, dass deren Gegensätzlichkeiten
darauf zurückzuführen ist, dass die Rechtsgelehrten die Art
der Beziehung zwischen dem Ei und dem daraus geschlüpften
Vogel, und desgleichen die Beziehung zwischen dem Saatkorn und
der daraus hervorgegangen Saat, unterschiedlich definieren.
Wer glaubt, dass es sich jeweils um ein und dieselbe Sache
handelt, und dass jeweils nur ein gradueller Unterschied
zwischen beiden besteht, wie etwa der Unterschied zwischen
Holzbrettern und einem daraus gefertigten Bett, der
entscheidet sich für die erstere Auffassung, und erachtet die
Person, welcher die Eier oder das Saatgut geraubt wurden, als
den Eigentümer des Produktes. Wer aber der Meinung ist, dass
der Grundstoff – die Eier oder das Saatgut – bei dem
Produktionsvorgang jeweils eliminiert wird und dass es sich
bei dem Produkt nach allgemein üblicher Sichtweise um eine
neue Sache handelt, welche aufgrund der Mühe und Arbeit des
“Räubers“, die er für den Produktionsvorgang aufwendet,
entsteht, während von dem Grundstoff nur noch unbrauchbare
Reste verbleiben, der erachtet den “Räuber“ als Eigentümer des
Produktes, weil es eine neue Sache ist, die dem Besitzer der
Eier oder des Saatgutes noch nicht gehört hat. Der Arbeitende
hätte also – selbst wenn er den Grundstoff geraubt hat –
aufgrund seiner Arbeit das Recht, sie sich anzueignen.
Es kommt hier nicht darauf an, den
Widerspruch zwischen diesen beiden Auffassungen mit den
Mitteln der islamischen Rechtsgelehrsamkeit zu lösen und die
jeweiligen Gesichtspunkte genau zu untersuchen, sondern wir
beabsichtigen uns deren theoretischen Gehalt zunutze zu
machen, um unsere These über den ideologischen Gehalt der
islamischen Verteilungstheorie zu untermauern. Denn dieser
Rechtsstreit enthüllt mit größerer Deutlichkeit die Tatsache,
die sich auch aus den anderen Abschnitten des Überbaus
erkennen lässt, nämlich dass dem Besitzer der Wolle das
Eigentumsrecht an dem Tuch, und dem Besitzer jeglichen
Materials das Eigentumsrecht an jenem Material, auch nachdem
es in einem weiteren Produktionsvorgang verarbeitet wurde,
nicht deshalb zuerkannt wird, weil die Wolle oder das
Rohmaterial eine Art von Kapital beim Prozess des Spinnens und
Webens oder sonst einem Produktionsprozess darstellt, sondern
aufgrund des Prinzips der Beständigkeit des Eigentums, welches
besagt, dass jemand, dem ein Grundstoff gehört, sein
Eigentumsrecht daran bewahrt, solange das Material
weiterexistiert und die Rechtfertigungen für sein Eigentum im
Sinne des Islam bestehen bleiben. Denn wenn die
Rechtsgelehrten verschiedener Meinung darüber sind, wem das
aus den Eiern oder dem Saatgut hervorgegangene Produkt gehört,
so machen sie ihren rechtlichen Standpunkt jeweils davon
abhängig, wie sie die Natur der Verbindung zwischen dem
Grundstoff und dem Produkt einschätzen. Das bedeutet, dass
derjenige, der dem Beraubten das Eigentum an dem Produkt
zuspricht, dieses nicht aufgrund eines kapitalistischen
Verständnisses tut, sich also nicht deshalb für das
Eigentumsrecht des Besitzers der Eier oder des Saatgutes
entscheidet, weil dieser der Eigentümer des Kapitals oder
einer Art von Kapital beim Produktionsprozess ist, denn wenn
das die Grundlage seiner Bevorzugung wäre, dann würden die
Rechtsgelehrten nicht zu unterschiedlichen Rechtsaussagen
kommen, je nachdem, ob sie den Grundstoff und das Produkt als
ein und dieselbe Sache oder als verschiedene Dinge erachten,
da der Grundstoff auf jeden Fall ein Kapital beim
Produktionsvorgang darstellt, ob er dabei aufgebraucht wird,
oder in dem Produkt, das aus der Arbeit hervorgeht, verkörpert
bleibt.
Nach kapitalistischen Kriterien müssten
die Rechtsgelehrten dem Eigentümer des Grundstoffes – der Eier
oder des Saatgutes – das Eigentumsrecht an dem daraus
entstandenen Produkt zuschreiben, unabhängig davon, in welcher
Beziehung letzteres zu dem Grundstoff steht. Tatsächlich aber
billigen sie dem Eigentümer des Grundstoffes – wie z.B. des
Saatgutes – nur dann das Eigentum an dem herangewachsenen
Getreide zu, wenn sich eine allgemeine Überzeugung feststellen
lässt, dass es sich bei dem Produkt um denselben Grundstoff in
einem bestimmten Zustand der Weiterentwicklung handelt. Damit
wird deutlich bestätigt, dass die Zuneigung der produzierten
Ware an den Eigentümer des Materials anstelle des Arbeiters
auf dem von uns als “Beständigkeit des Eigentums“ bezeichneten
Phänomen beruht, und sich ihre islamische Rechtfertigung nicht
aus der kapitalistischen Sichtweise herleitet, welche besagt,
dass die produzierte Ware dem Eigentümer des Kapitals gehört,
während der Arbeiter ein Werkzeug des Kapitals ist, das von
diesem den Lohn für seine Arbeit empfängt. So verstehen wir
deutlich das Ausmaß des theoretischen Unterschiedes zwischen
der islamischen Begründung der Tatsache, dass dem Besitzer des
Rohmaterials für eine Produktion das Eigentum an dem
produzierten Gut zuerkannt wird, und deren Erklärung auf der
Grundlage einer kapitalistischen Sichtweise.