Drittes KapitelEin Pferd und zwei Jungfrauen
Die Zeiten sind vorüber, wo Kolchis
alljährlich seinen Tribut von schönen Jungfrauen in das Harem
des Padischah der Gläubigen schickte, und so lange der
Russenkaiser die Krone von Georgien unter den hundert Kronen
seines Reiches wahrt, werden jene Zeiten auch nicht
wiederkehren, so sehr die Sunniten auch jammern mögen, daß
ihrem Sultan das schönste, altherkömmliche Liebesopfer des
Beiram, die Dur Gjirdshistanen (die
Perle von Georgia) fehlt.
Aber heimlich werden aus den östlichen Küstenländern, und
vorzugsweise aus Guria, noch immer eine Menge hübscher Mädchen
nach Anatolien hinübergeschafft, wo sie auf dem Markte von
Trapezunt entweder gleich Liebhaber und Käufer, oder doch
sichere Gelegenheit zum Weiterkommen nach Stambul finden, dem
höchsten und letzten Ziel ihrer Wünsche. Von Poti oder
St. Nikolaus (den nächstgelegenen Küstenplätzen ) bis
Trapezunt ist nur ein kleiner Sprung für ruderkundige
Schiffer; eine einzige Nacht genügt, um auf den leichten,
schnabelförmig zugespitzten Kajiks der griechischen
Küstenfahrer, oder selbst auf kleinen Kosakenbarkassen die
kurze Meeresstrecke zu durchschneiden. Und an schmucken
Mädchen, welche sich bereit finden zu der abenteuerlichen
Fahrt, fehlt es nie.
***
Mein Gastfreund in Osurgethi hatte zwei Töchter,
wovon die ältere Nino, und die zweite, wenn ich nicht
irre, Thamar hieß. Beide waren, obwohl in Gehalt und
Gestalt wesentlich verschieden, ein paar so anmuthig gebaute
Wesen, daß sie an Schönheit wetteifern konnten mit den
herrlichsten Töchtern der Adighe.
Nino, eine hochgewachsene, schlanke Cypressengestalt,
fein von Händen und Füßen, klein von Mund und Ohren, und mit
einem dunklen Haarwuchs geschmückt, üppig und lang genug um
ein Dutzend unerfahrener Männer auf Einmal darin zu
verstricken.
Es war ein Weib, geboren zum Herrschen. In den großen,
schwarzen Augen, den feinen, enganliegenden Lippen und der
leise gebogenen, kühn gezeichneten Nase lag ein entschieden
männlicher Ausdruck. In Weibern dieser Art spielt die Liebe
immer nur eine untergeordnete Rolle.
Thamar, die jüngere Schwester, hatte nicht so
bestimmt schöne Formen wie Nino; sie war kleiner,
voller von Gestalt und weniger regelmäßig in ihren Zügen, aber
unendlich liebreizender und weiblicher in ihrem ganzen Wesen.
Für den etwas zu großen Mund entschädigten die rosigen Lippen
und die kerngesunden, schneeweißen Zähne mit ihrem weichen
Schmelz.
Die Farbe des Gesichts, des vollen Halses und Nackens war
von durchsichtiger Reinheit. Sie hatte, was man so selten
vereint findet, himmelblaue Augen mit langen, dunkelseidenen
Wimpern, und ein glänzendes, schwarzes Haar.
Ich befand mich, diesen beiden schönen Wesen gegenüber,
gerade in der richtigen Lage eines unparteiischen Beurtheilers.
Mein Herz war anderweitig in Beschlag genommen, und mein
sterbliches Theil dermaßen vom Gallenfieber geplagt, daß ich
für nichts weniger Sinn hatte, als für verliebte Abenteuer.
Dazu kam noch, daß es mit meiner Baarschaft zu Ende ging,
und ich vor Allem daran denken mußte, baldmöglichst nach
Odessa zu gelangen, um bei Herrn Konsul Bellino einen
Wechsel in Gold zu verwandeln; denn die ganzen Wälder von
Kolchis entlang hätte mir kein Mensch für einen Wechsel von
zweihundert Dukaten auch nur zweihundert Kopeken gegeben. Und
eine Geldverlegenheit in uncivilisirten Ländern eines fremden
Welttheils gehört nicht zu den geringsten Verlegenheiten des
Lebens.
Trotzdem hatte ich große Freude an den Töchtern meines
Gastfreundes, denn hübsche Mädchen, wie ein reiner Himmel und
duftige Blumen, üben allewege auf Leidende wie Gesunde einen
heilsamen Zauber aus.
Und hier möge eine Bemerkung eingeschaltet werden, die sich
mir oft aufgedrängt hat in den Ländern des Südens, daß man
dort selbst bei den Töchtern der ärmsten und niedrigsten
Volksklassen niemals jene unbeholfene und eckige Steifheit der
Bewegungen findet, wie bei uns. Setzt der geringsten Töchter
dieser Länder eine auf einen Königsthron, und sie wird in
Haltung und Geberde die Königin nicht verläugnen.
Ich hatte Giorgi beauftragt, einen Käufer für mein
Reitpferd zu suchen, ein prächtiges Thier, welches mir Fürst
Andronikow geschenkt hatte. Es kam mir schwer an, von
dem treuen Thiere zu scheiden, das ich lieber als Andenken mit
nach Europa genommen hätte, wenn der Transport nicht mit
unüberwindlichen Schwierigkeiten verknüpft gewesen wäre.
Regelmäßige Kommunikation war damals noch nicht auf dem
Schwarzen Meere; im glücklichsten Falle hätte ich das Pferd
auf einem russischen Kriegsboote nach der Krimm schaffen
können, und von dort über Odessa nach Konstantinopel. Aber so
gern ich alle damit verbundenen Unkosten getragen hätte, bei
der Gewißheit, daß das Roß wohlbehalten den Ort seiner
Bestimmung erreichte, so wenig konnte ich mich unter den
vorwaltenden Umständen dazu entschließen.
Einerseits war es sehr zweifelhaft, ob sich ein Kriegsboot
zum Transport des Pferdes bereit gefunden hätte, und
andererseits noch zweifelhafter, ob das Pferd die Reise ohne
Gefahr machen konnte. Denn die russischen Kriegsboote kreuzen
auf dem Schwarzen Meere nicht zu ihrem Vergnügen, sondern um
Jagd auf die türkischen Sklavenschiffe zu machen, welche
Tscherkessenmädchen nach Stambul führen.
So hielt ich es, Alles in Betracht gezogen, für das
Klügste, das Pferd in Guria zu verkaufen, obwohl ich vorher
wußte, daß in diesem armen Lande kein hoher Preis dafür zu
erzielen sein werde.
Gleich am Abend desselben Tages, an welchem ich Giorgi
beauftragt hatte, sich nach einem Käufer umzusehen, kam der
verschmitzte Armenier zu mir in's Zimmer, wo ich eben in
Nachdenken versunken auf meinem Teppich lag, und sagte: »Aga,
ich habe meinen Mann gefunden, und Insch Allah! so Gott will!
werden Sie mit dem Kaufpreise zufrieden sein.«
»Wer ist der Käufer?« fragte ich.
– Unser Kunak (Gastfreund) – antwortete Giorgi.
»Dolu!« (dummer Kerl!) rief ich und fuhr ärgerlich
mit der Hand über die Stirne, denn einen unangenehmern Käufer
als unsern Gastfreund hätte Giorgi mir nicht bringen
können Nach asiatischem Brauche mußte ich ihm das Pferd
entweder ganz schenken, oder es ihm wenigstens für ein
Spottgeld überlassen.
Giorgi suchte mich zu besänftigen. Er habe ja an
nichts weniger gedacht, als gegen meinen Vortheil zu handeln.
In diesem Lande, wo die Leute selbst so wenig zu verschenken
hätten und Fremde eben so selten wären wie Geld, seien sie
auch nicht eben verwöhnt mit Geschenken und man brauche es
hier mit dem alten »Bu begjanerem« (dieses gefällt
mir) und »Alssen« (so nimm es!) so genau nicht zu
nehmen.
»Was will der Kunak denn geben für das Pferd?« unterbrach
ich Giorgi.
»Sein Gesicht verzog sich zu einem triumphirenden Lächeln
und mich mit schlauen Blicken fixirend, antwortete er: »Nino!«
»Kerl! bist Du des Teufels?« entgegnete ich heftig.
Er ließ sich aber nicht aus der Fassung bringen. Mit immer
sieggewisserm Ausdruck im Gesichte fuhr er fort: »Glauben Sie
denn, ich hätte gleich zugeschlagen, Aga? Bin ich ein Kaswiner
Man erzählt sich von der Stadt Kaswin,
Daß sie voll von lauter Thoren wäre,
Daß voll Thorheit schon von Anbeginn
Jeder, der daselbst geboren wäre.
Ueber den Bazar der Stadt einst lief
Ein Kaswiner frohen Angesichts,
Pries die Gnade Allah's laut und rief
Daß sein Esel ihm verloren wäre,
Ohne daß er je das Thier beschritten! –
Warum dankst du Gott – fragt ihn ein Andrer –
Daß Du auf dem Grauthier nie geritten,
Als ob's nicht zum Ritt erkoren wäre?
Weil – entgegnete der schlaue Mann –
Hätt' ich auf dem Esel mich befunden
Als er sich verloren, ich alsdann
Sicher selber mit verloren wäre!
, der seinen Esel verliert und Gott dankt, daß er nicht
selbst mit verloren gegangen. Hamdn lillah! Lob sei
Gott! das bin ich nicht! Ich habe gesagt zum Kunak: Freund!
hab ich gesagt. für wen hältst Du meinen Herrn, daß Du
glaubst, er werde dieses Pferd weggeben für Nino? Wenn
mein Herr sein Pferd verkauft, so muß er mindestens beide
Mädchen dafür haben, Nino und Thamar!
Wohlgemerkt, Aga, mindestens beide Mädchen! Er hat noch
nicht zugeschlagen, aber ich will kein Adam (Mensch) bleiben,
ich will ein Grauthier werden, wenn Sie nicht beide Mädchen
bekommen für dieses Roß. Was sagen Sie nun, Aga? – setzte
Giorgi schmunzelnd hinzu.
Ich unterlasse es, die Gefühle zu schildern, welche der
Antrag des schnurrigen Kauzes in mir hervorrief. Der Versuch
zu einer solchen Schilderung würde doch ein sehr
buntscheckiger und unvollkommener werden.
Ein Reisender, der seine Erstlingsstudien der Menschen- und
Völkerkunde in Rußland gemacht, wo das Schicksal vieler
Millionen Menschen verschiedenster Race, Sitte und Bildung von
dem Willen eines Einzigen abhängt, und der weiße Sklavenhandel
nicht zu den schlimmsten Vorkommnissen des Tages gehört,
findet es natürlich weniger überraschend, als es der Mehrzahl
der freundlichen Leser erscheinen wird, einen Vater seine zwei
eigenen Töchter als Kaufpreis für ein Pferd darbieten zu
sehen.
Statt hier mit schönen Gefühlen zu kokettiren, will ich
Euch lieber die Ursachen solch trauriger Erscheinungen zu
erklären suchen.
Seit Jahrhunderten lebten die Völker kartwel'scher Race –
wozu auch die Gurier gehören – in fremder Abhängigkeit;
abwechselnd waren sie den Tataren, den Persern, den Türken und
den Russen unterthan, so daß alle Spuren der früheren Kultur,
des Wohlstandes und der Blüthezeit Georgiens, bis auf die
Erinnerung an Thamar und Davith, die
glorreichsten Herrscher dieser Länder, ausgerottet wurden.
Handel, Gewerbe und Ackerbau kamen in Verfall; die
Einwohner, gewohnt sich nur als willenlose Werkzeuge der
fremden Unterdrücker des Landes mißbraucht zu sehen, versanken
in Trägheit und Stumpfsinn, denn alle Triebfedern der
Kraftäußerung waren gelähmt.
Niemand strebte nach Reichthum, denn wer viel hatte, mußte
viel geben. Niemand strebte nach Auszeichnungen, denn der
Uebertritt zum Islam war die erste Bedingung, um zu Ansehen
und Macht zu gelangen; und dem Glauben ihrer Väter sind die
Stämme von Kartwel durch alle Leiden und Drangsale vieler
Jahrhunderte treu geblieben bis auf den heutigen Tag.
Wie denn überhaupt die christlichen Völker dieser Gegenden,
bis hinauf zu der Hochebene des Ararat, ihren islamitischen
Bedrückern gegenüber dieselbe Rolle spielten, wie in Europa
die Juden gegenüber ihren christlichen Peinigern.
So wurde der Fluch, der bei uns durch die blutdürstigen
Apostel der sanften Lehre Jesu die Kinder Israel traf, gerächt
an den treuesten und ältesten Bekennern des Christenthums bis
ins zehnte und zwölfte Glied.
Zieht man die Summe der Drangsalsperioden der
Völker von
Kartwel und Haighk, so umfaßt die Zeit, welche den
Rahmen zu diesem blutigen Gewebe des Unglücks bildet, über ein
Jahrtausend.
Zerstört sind die Feuertempel der Parsen, zerstört die
Denkmäler und Bauten der Römer, zerstört die Kirchen und
Paläste der Byzantiner und Georgier, welche einst die
immergrünen Wälder von Kolchis schmückten, und mit dem
Untergang dieser Kunstdenkmäler ist auch der Sinn des Volks
für die Künste des Friedens untergegangen.
Am härtesten trafen diese Schicksalsschläge immer
diejenigen Landestheile, welche den Mittelpunkten der Macht
und des Verkehrs, den Hauptstädten, am fernsten lagen. Guria
war einer dieser unglücklichsten Stämme kartwel'scher Race.
Daher die Verwilderung des Landes; daher die Trägheit, die
Erschlaffung, die Entartung seiner Bewohner.
Diese Menschen, welche seit Jahrhunderten daran gewöhnt
wurden, die schönsten Jungfrauen aus ihrer Mitte in die Hareme
der Türken oder Perser entführt zu sehen, mußten nach und nach
abgestumpft werden gegen solche Vorgänge.
Wir haben der Schönheit der Mädchen von Guria schon früher
rühmend Erwähnung gethan. Viele dieser Mädchen, welche das
Schicksal in die Hareme islamitischer Großen geführt hatte,
nachdem sie im Vaterhause eine freudenleere und sorgenvolle
Jugend verlebt, kehrten nach einer Reihe von Jahren, beladen
mit Geschenken und Kostbarkeiten in die Heimath zurück, und
genossen hier dann eines Ansehens und Einflusses, welche der
Reichthum überall erzwingt.
Hiedurch wurde der Neid und das Streben anderer Mädchen
rege gemacht, zu ähnlichem Ansehen und Einfluß zu gelangen.
Der einzige Weg dazu führte durch's Harem.
So geschah es denn, daß bald die Mädchen gar nicht mehr
gezwungen zu werden brauchten, ihr Glück in der Fremde zu
suchen, daß vielmehr ein förmliches Drängen, ein förmlicher
Wetteifer unter ihnen entstand, nach Trapezunt oder
Konstantinopel eingeschifft und einem Pascha oder Vesier
anverkauft zu werden.
Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß ein solches
Verhältniß nicht den zarten Anforderungen entspricht, welches
wir an eheliches Beisammenleben zu stellen gewohnt sind; aber
bemerkt muß hier werden, daß man im Orient auch nicht jene
ehelichen Rohheiten findet, welche bei uns so mancher armen
Frau das Haus zur Hölle machen.
Genießt im Orient die Frau nicht jene hohe Achtung und
Verehrung, wie solche aus den deutschen Wäldern hervorgegangen
und in England ihren höchsten Ausdruck gefunden, so wird sie
doch niemals jener rohen Behandlung unterworfen, die bei uns
nicht zu den seltensten Vorkömmnissen gehört.
Der Moslem ist zu stolz, um ein Weib zu mißhandeln; er
kennt nicht jenen feigen Philistermuth der sich nur innerhalb
seiner vier Pfähle äußert und ein wehrloses Weib das entgelten
läßt, was die Welt in ihm Schlimmes erzeugt.
Mißfällt einem türkischen Großen auf die Dauer seine
Auserwählte, so nimmt er sich eine Andere, und entläßt die
Erste mit Geschenken, oder sorgt anderweitig für ihr
Unterkommen. Es ist das ein Gebot des Koran und der
Menschlichkeit, welches fast nie übertreten wird . . .
Bei dieser Gewißheit, ihre Töchter (nach der
landesthümlichen Anschauungsweise) gut versorgt zu sehen,
stellen die Eltern ihnen nicht nur keine Schwierigkeiten
entgegen, sondern sorgen selbst nach Kräften für ihr
Unterkommen in einem Harem.
Wenn ein Mädchen im eigenen Lande eine erträgliche Ehe nach
christlichem Brauche schließen kann, so wird sie ihren
Angehörigen dadurch immer eine größere Freude machen, als wenn
sie ein abenteuerliches Glück in der Ferne sucht.
Ich habe nie gehört, daß hier zu Lande ein Vater seine
Tochter, ein Bruder seine Schwester gezwungen habe, ihr
Schicksal der Barke eines Sklavenhändlers anzuvertrauen; wenn
aber die Mädchen selbst Gelüste der Art hegen, so wird der
Kaufpreis für die schönen Auswanderinnen den Angehörigen zur
Verbesserung ihrer eigenen dürftigen Häuslichkeit allezeit
willkommen sein.
Bekanntlich suchen die Russen, sowohl in den ihnen
unterworfenen, wie in den feindlichen kaukasischen Ländern,
der Menschenausfuhr alle möglichen Schranken zu setzen; in
wieweit dieses aber aus sittlichen oder christlichen Gründen
geschieht, dürfte leicht festzustellen sein, wenn man weiß,
daß ein gutes karabagh'sches Pferd, nach dem üblichen
Geldwerthe berechnet, in Rußland nicht zwei, sondern sechs
Mädchen aufwiegt.
***
Die obigen Betrachtungen erschienen mir nöthig, um den
Leser auf den richtigen Standpunkt der Beurtheilung zu
stellen.
Daß Guria, wie das ganze Kaukasus-Land, eines gewaltigen
civilisirenden Einflusses zu seiner Hebung und Verbesserung
bedarf, wird kein vernünftiger Mensch in Zweifel ziehen; daß
aber gerade Rußland berufen und tüchtig sei, einen
solchen heilsamen Einfluß auszuüben, wird jeder vernünftige
Mensch in Zweifel ziehen, dessen persönliche Interessen nicht
allzunahe mit den russischen Interessen verwandt sind.
Wir fahren jetzt in unserer Erzählung fort.
Ich bedeutete Giorgi mit aller Entschiedenheit, daß
aus dem Handel nichts werden könne, und gab ihm dafür die
einzigen Gründe an, welche in seinen Augen Gewicht haben
konnten, nämlich: daß es mit meiner Baarschaft stark auf die
Neige gehe, so, daß meine Reisemittel bis Odessa kaum für uns
Beide ausreichen würden, wenn wir sparsam lebten, geschweige
denn, wenn wir ein paar Mädchen, die doch vor Allem reich
ausgeputzt werden müßten, in unserm Gefolge führten.
Ferner stellte ich ihm die Gefahren vor, welche uns von den
Russen droheten, wenn wir es versuchten, die Mädchen auf
türkisches Gebiet zu schaffen.
Es bedurfte für Giorgi keiner weiteren Argumente,
denn die Gefahr scheute er so, daß das bloße Wort ihn schon in
Schrecken versetzte.
Uebrigens schien ihm das Mißlingen des Geschäfts doch
wesentlich böse Laune zu machen; »Aman! Aman! (Ach! Ach!)«
rief er ein Mal über das andere, so daß sich mir unwillkürlich
die Vermuthung aufdrängte, er habe sein Vermittlergeschäft
nicht ausschließlich in meinem Interesse betrieben.
Aber noch mehr, als über das Mißlingen des Handels, gerieth
er außer sich über mein Bekenntniß, daß es mit dem Gelde auf
die Neige gehe. Dies wollte ihm gar nicht einleuchten. Meine
Börse hatte er für unerschöpflich gehalten wie seinen Witz.
»Wo ist nur all das Geld geblieben,« fragte er kopfschüttelnd.
»Das mußt Du am besten wissen, – entgegnete ich – denn Dir
ist es alle durch die Finger gegangen! Wer dachte daran, daß
in diesen armseligen Ländern solche Theuerung sein würde? Hast
Du mir nicht bei Deinem Kopf geschworen, als wir zum letzten
Male Abrechnung hielten, und ich mich wunderte über die hohen
Preise, Du hättest in Redut-Kalé den griechischen Kaufleuten
jedes Huhn mit einem Dukaten bezahlen müssen, wegen des
Osterfestes? Statt mir das vorher zu sagen, um eine andere
Einrichtung möglich zu machen, kommst Du mit Deinen
Klageliedern lange nachdem die theuren Hühner alle verzehrt
sind! Hast Du mir nicht zwei
Abbas auf die Rechnung gesetzt für jedes Hemde zu
waschen, und sind nicht alle meine Hemden, nach dieser
Rechnung öfter gewaschen, als ich sie getragen habe? Ist es da
ein Wunder, wenn das Geld durch die Finger läuft, wie das
Wasser durch's Sieb?«
Giorgi sah mich verblüfft an, ohne ein Wort zu
erwiedern, und verließ dann, rückwärts gehend und die Blicke
abwechselnd auf den Boden und auf mich heftend, langsamen
Schrittes das Zimmer . . .
Es war schon spät am Abend. Ich warf einen leichten
Schlafrock über, der mir in den warmen Sommernächten zugleich
als Decke diente, behielt meine weiten, rothseidenen
Beinkleider an und legte mich schlafen, nachdem ich, wie immer
in diesen Gegenden, wo Schloß und Riegel noch zu den
seltensten Luxusartikeln gehören, Etwas gegen die Thüre
gestellt, um durch das Geräusch des Umfallens beim Oeffnen
geweckt zu werden.
Es dauerte lange, ehe ich die Ruhe finden konnte, deren ich
so sehr bedurfte.
Zuerst kamen durch die glas- und gitterlosen Oeffnungen,
welche oben in der Wand angebracht, die Stelle der Fenster
vertraten, ein Paar Vögel hereingeflogen und schwirrten so
lange im Zimmer umher, bis es mir gelang, sie durch Zischen
und Werfen zu verscheuchen.
Kaum hatte ich die Augen wieder geschlossen, als ich durch
etwas mir in's Gesicht Fallendes von Neuem aufgeweckt wurde.
Es war ein Stückchen Lehm, oben von der Wand losgebröckelt
durch eine junge Katze, welche, wie ich die Augen aufschlug,
eben die Wand herabgeklettert kam. Die mondhelle Nacht machte
es mir zum Glück möglich, die Gegenstände meiner Beunruhigung
ausfindig zu machen und zu beseitigen.
Doch sollte ich in dieser Nacht keine dauernde Ruhe finden.
Eine Stunde mochte etwa vergangen sein, seit ich die Katze
glücklich vertrieben hatte, und in festen Schlaf versunken
war, als ich durch ein lautes Gepolter an der Thüre abermals
gestört wurde.
Ich sprang ärgerlich auf, griff in der Schlaftrunkenheit
nach meinem Pistol und – wer beschreibt mein Staunen, als mir
eine hohe weibliche Gestalt, gespensterhaft in weißes Gewand
gehüllt, entgegentritt, vor mir niedersinkt, meine Hand küßt
und mich beschwört, sie nicht zu verlassen.
Es war Nino, die Tochter des Gastfreundes. Sie hatte
von Giorgi das Mißlingen der Handelspläne vernommen und
kam deshalb selbst, um einen letzten Versuch zu machen, mich
zu bewegen, sie mit mir zu nehmen.
Daß sie dabei einen großen Aufwand rührender Worte und
liebevoller Gesinnungen für mich machte, lag in der Natur der
Sache. Hinzufügen muß ich, daß sie das Wort mit
bewundernswürdiger Gewandtheit handhabte und ihren Artigkeiten
in hohem Grade einen Anstrich der Aufrichtigkeit zu geben
wußte.
Alle meine Einwendungen und Ausflüchte wurden immer schnell
durch passende Antworten beseitigt.
Ich bewunderte und lobte die natürliche Beredtsamkeit des
Mädchens, blieb aber nichts desto weniger hartnäckig bei
meiner Weigerung.
In sehr feiner Wendung gab Nino mir zuletzt zu
verstehen, daß es ihr um den Besitz des Pferdes durchaus nicht
zu thun sei; ich möchte das Thier immerhin anderweitig
verkaufen, wenn ich nur meine Einwilligung gäbe, heimlich mit
ihr zu entfliehen und ihr Herz in meine Hand zu nehmen. Und
wenn es ihr nicht gelänge, in mir einen Funken von Zuneigung
für sie zu erwecken, so stände es mir ja immer noch frei, sie
in Trapezunt oder Constantinopel zu verkaufen. Mit einigem
Selbstgefühl gab sie mir dabei zu verstehen, der Preis für
eine solche Schöne werde doch in den genannten Städten kein
allzu geringer sein.
Wie sehr mir auch diese materielle Anschauungsweise mißfiel,
und wie sehr überhaupt das Benehmen Nino's meinen
Gefühlen widerstrebte, so war ich doch dergestalt bezaubert
von der Schönheit dieses formvollendeten Mädchens, daß ich
wirklich einen Augenblick schwankend wurde in meinem
Entschlusse. Aber der Kampf war nur ein kurzer.
Und ich muß der Wahrheit die Ehre geben und gestehen, daß
wenn ich mich hätte entschließen können, eines der beiden
lieblichen Wesen mitzunehmen, ich nicht Nino, sondern
Thamar, ihre minderschöne Schwester, gewählt haben
würde.
So aber blieben sie Beide zurück, und ich verließ Osurgethi
zwei Tage später, nachdem ich das Pferd durch Vermittelung des
Polen zu einem geringen Preise verkauft hatte.
Doch ich darf dem Gange der Dinge nicht vorgreifen; vor
meiner Abreise hatte ich noch ein kleines Erlebniß, dessen
Nicht-Erwähnung eine Unterlassungs-Sünde sein würde.
Davon im nächsten Kapitel.