Vierundzwanzigstes KapitelTagebuchblätter von der Ostküste
des Schwarzen Meeres
Ardiller, im Frühsommer 1845.
Wir liegen nun schon seit einer Woche wie
Kriegsgefangene in der Festung Ardiller, mit größerer Ungeduld
als je die so lange ersehnte Ankunft eines uns erlösenden
Schiffes erwartend. Obgleich uns der freundliche Kommandant
sorgsam von einem Tage zum andern vertröstet, so wird doch
vielleicht noch eine geraume Zeit verfließen, ehe unsere
Wünsche in Erfüllung gehen.
Der Barkaß, auf welchem wir unsere abenteuerliche Fahrt
begonnen, ist, nachdem er den Ort seiner Bestimmung erreicht,
die nöthigen Papiere gewechselt und Proviant eingenommen, vor
einigen Tagen mit günstigem Winde sammt unsern Kosaken wieder
nach Redut-Kalé abgesegelt.
Der Kommandant glaubt es nicht verantworten zu können, uns
wieder einem Fahrzeug mit Mannschaft anzuvertrauen, da bei der
hier größeren Gefahr Barkasse wie Kosaken fast täglich zu
Rekognoscirungen und Angriffen gebraucht werden müssen. So
können wir denn weder vor- noch rückwärts, und es bleibt uns
nichts übrig, als uns unsern einstweiligen Aufenthalt so
angenehm als möglich zu machen. In diesem Bestreben werden wir
kräftig von unserm braven Kommandanten, so wie von dem
würdigen General X. unterstützt, den seine Geschäfte auf eine
Zeitlang in unsere Nähe bannen, um Unterhandlungen mit einigen
hierhergesandten Tscherkessenhäuptlingen zu pflegen. Außer den
mir sehr interessanten Unterhaltungen mit General X. und
Swan-Béy, dem Kommandanten, vertreibe ich mir die Zeit mit
Zeichnen, Lesen, Schießen &c., wie es der Augenblick eben mit
sich bringt. In der Festung wohnen einige friedliche
Tscherkessen aus vornehmen Familien, Stammverwandte von
Swan-Béy, mit welchen wir uns auf gastfreundschaftlichen
Fuß gestellt, und in deren Begleitung wir kleine Ausflüge in
die Umgegend unternehmen, wobei wir vielfach Gelegenheit
haben, die Geschicklichkeit dieser Leute im Schießen und im
Tummeln der Rosse zu bewundern. Größere Ausflüge in's Innere
dürfen wir nicht wagen, aus Furcht, das täglich erwartete
Schiff, welches im Hafen von Ardiller gewöhnlich nur ein paar
Stunden anlegt, zu verpassen. Abends bei Mondenschein wohnen
wir dem Tanz, Spiel und Gesang der Soldaten bei, und stärken
unsere oft erschlaffende Geduld durch den Anblick dieser armen
Leute, welche, ihrer Heimath auf immer entrissen, nach mühsam
vollbrachtem Tagewerk, das harte Arbeit und Entbehrungen aller
Art in sich schließt, noch Lust und Geschmack an solch heitern
Unterhaltungen finden.
Es giebt in der Welt kein drolligeres Geschöpf, als einen
russischen Soldaten. Man kann sich, wenn ein Bauerbursch zum
erstenmal den Graumantel überwirft und das Gewehr auf die
Schulter nimmt, nichts Plumperes und Linkischeres denken, als
ein solches Wesen. Aber dies scheinbar so ungefüge Geschöpf
zeigt sich in erstaunlich kurzer Zeit nach jeder Richtung hin
der größten Ausbildung fähig. Der Keim zu allem Edlen und
Gemeinen, zu allem Guten und Schlechten liegt in diesem Volke
versteckt. Er liegt freilich in allen Menschen, entwickelt
sich aber nach den verschiedenartigsten Richtungen bei keinem
Volke so leicht und so schnell, wie bei dem russischen. Der
russische Soldat ist tapfer, feige; ehrlich, diebisch;
menschlich, grausam; fleißig, faul – Alles nach dem Vorbilde
seines Chefs. Wer ihn gehörig zu leiten versteht, kann Alles
aus ihm machen. Er selbst aber macht aus sich Nichts und würde
ohne fremde Einwirkung alle seine Anlagen unausgebildet zu
Grabe tragen, außer einer gewissen natürlichen Gutmüthigkeit
und einer unverwüstlichen Heiterkeit. Es liegt einige Wahrheit
in dem, was mir einst halb scherz- halb ernsthaft ein im
kaukasischen Korps dienender deutscher Offizier sagte: »Wenn
ich einem meiner Soldaten befehle, auf der Stelle ein Lied zu
dichten, wird er keinen Augenblick zögern zu gehorchen, und
das Lied kommt zu Stande; – wie gut oder schlecht, wollen wir
dahingestellt sein lassen. Jedenfalls bildet dieser blinde
Gehorsam – ein Kind der Furcht und des festen Glaubens an die
Unfehlbarkeit des Führers – einen hervorstechenden,
eigenthümlichen Zug im Charakter des russischen Soldaten, wie
überhaupt des ganzen russischen Volkes.
Diese unbedingte Zuversicht, welche bei freiern Völkern
nicht durch Rang und Stand, sondern durch das Uebergewicht des
Geistes errungen werden kann, ist in Rußland schon häufig die
Mutter großer Thaten gewesen. Wer erinnert sich hiebei nicht
jener charakteristischen Anekdote aus dem letzten
Türkenkriege, welche uns die bei Gelegenheit der Belagerung
einer Festung zwischen einem Russen und einem Deutschen
gewechselten Worte aufbewahrt? Der Deutsche betrachtet sich
die Festung mit sachkundigem Blick, und giebt seine Meinung
dahin ab: es sei unmöglich die Festung zu nehmen. »Wie so,
unmöglich?« ruft verwundert der Russe, »der Kaiser hat's ja
befohlen.«
Ein Beweis, daß die Herzen, welche unter diesen russischen
Grauröcken schlagen, doch wenigstens eben so viele gute als
schlechte Eigenschaften bergen, glaube ich in der großen
Zuneigung zu finden, welche die meisten hier dienenden
deutschen Offiziere zu ihren Soldaten hegen. Was meine
persönliche Erfahrung anbelangt, so waren mir die Soldaten im
europäischen Rußland in eben dem Grade peinlich, wie sie mir
während meines Aufenthalts am Kaukasus lieb geworden sind. Der
Krieg, dieses große Urübel der Menschheit, muß doch etwas
Veredelndes haben. Dieser alte Gedanke hat sich oft in mir
erneut bei meinen Zügen in den Ländern des Kaukasus, wo Blut
die Aecker düngt und Menschenknochen aus der Erde wachsen.
Daß aber die Lichtseite des Krieges nicht in Anschlag zu
bringen ist gegen die unberechenbaren Uebel, welche er immer
in seinem Gefolge hat, wird kein ehrlicher Mensch läugnen.
Doch genug der allgemeinen Betrachtungen; kehren wir in
unsere Festung Ardiller zurück! Der Kommandant, ein äußerst
humaner Mann, sucht die Vergnügungen seiner Soldaten auf alle
Weise zu befördern und den Reiz durch größere
Mannichfaltigkeit zu erhöhen, so daß es mir wirklich Genuß
gewährt, allabendlich den Nationaltänzen, den Spielen und dem
Gesange der muntern Burschen beizuwohnen.
Die Lieder, welche sie singen, sind, außer einigen
Kriegsliedern von dem berühmten Marlinsky,
größtentheils von ihrer eigenen Komposition, und es findet
sich unter diesem Liederschlamm da und dort eine Perle, welche
ich mich bemühe, sammelnd herauszusuchen, wobei ich, nebenbei
gesagt, zuweilen auf Schwierigkeiten sonderbarer Art stoße. So
ließ ich z. B. heute Morgen ein paar Hauptsänger zu mir
kommen, um mir einige von den Liedern, welche mich am meisten
angesprochen hatten, diktiren zu lassen; es war jedoch
unmöglich, die Kerle dahin zu bringen, mir ein Lied Wort für
Wort herzusagen. Sie brummten und jodelten in Einem fort, und
hatten gewöhnlich schon das ganze Lied zu Ende gesummt, ehe
ich noch mit dem Niederschreiben der ersten Strophe fertig
war. Ich gab ihnen zu verstehen, daß mir für den Augenblick am
Gesange nichts gelegen sei, sie sollten die Lieder Wort für
Wort hersagen.
Sie versuchten nach Kräften, meinem Wunsche Folge zu
leisten, aber es war ihnen unmöglich, auf diese Weise einen
Vers herauszubringen. »Herr, hub endlich der Eine an, die Hand
an die Mütze legend und sich zu mir wendend, Herr, solche
Sachen kann man nicht hersagen, die müssen gesungen werden.«
So war ich denn genöthigt, mir jedes Lied erst achtmal
vorsummen zu lassen, ehe es mir gelang, den Inhalt desselben
zu Papier zu bringen. Möge wenigstens Eins von den vielen
Liedern, welche ich an der Ostküste des Pontus gesammelt, hier
in der Uebersetzung Platz finden:
Wie der Nebel herabsank auf's blaue Meer,
Sank drückende Wehmuth auf's reuige Herz –
Wie das Meer nicht den Nebel zu scheuchen vermag,
Scheucht das Herz auch die drückeude Wehmuth nicht.
Wohl in fernem Lande, auf wüstem Feld
Brennt ein Feuer, schon bald dem Verlöschen nah –
Und zuneben dem Feuer eine Matte liegt,
Auf der Matte liegt sterbend ein Reitersmann –
In der rechten Hand hält er den straffen Bogen,
In der linken Hand einen gestählten Pfeil,
Zu den schnellen Füßen steht ihm sein gutes Roß,
Wühlt die Erde, die feuchte, mit scharrendem Huf,
Und es wühlt und spricht zu dem Reitersmann:
Du steh auf, steh auf, braver Reitersmann!
Und setz' Dich auf mich, auf Dein gutes Roß,
Will Dich tragen zu Vater und Mutter hin,
Zu Deinem jungen Weib, zu Deinen Kinderchen! –
Allda spricht zur Antwort der Reitersmann:
Du, mein gutes Roß, treuer Diener Du,
Kehre allein heim zum heiligen Russenland,
Kehre heim, grüße Vater und Mutter von mir,
Bring' dem jungen Weibe meinen Abschiedskuß,
Den lieben Kindern aber meinen Segen bring'!
Und sprich, gieb zu wissen meinem jungen Weib,
Daß ich gefreit in der Fremde ein anderes Weib,
Habe zur Mitgift bekommen das wüste Feld,
Dazu noch die Wiese, die grünende;
Unser Freier war gut – war ein breites Schwert,
Und es freite einen gestählten Pfeil,
Eine Bleikugel führte zum Hochzeitsbett.
Rausche, Eichwald! Eichwald, Du grünender!
Liege still, liege stille, Du breites Thal!
Wie Du, breites Thal, blühend und lächelnd daliegst!
Nur Eins trägst Du auf Dir, was traurig macht,
In Deiner Mitte wölbt sich ein Grabhügel hoch –
Auf dem Grabhügel liegt eine Matte von Stroh –
Auf der Matte aber liegt ein Reitersmann,
Ganz zerschlagen, zerschossen, von Wunden entstellt!
***
Die Wohnungen der Dshighethen gleichen ganz denen
der Abchasen. Es sind kleine, einstöckige, von Schilf
oder Holz aufgeführte Häuser, mit gelöschtem Kalk
überstrichen, wodurch ihr Aeußeres inmitten der
dunkelbelaubten Bäume, von denen sie immer umgeben sind, einen
recht hübschen Anblick gewährt. Die Dörfer bestehen hier nicht
wie bei uns aus Straßen oder Häuserreihen, sondern aus einer
Menge einzelner, weit von einander abstehender Wohnungen,
deren jede mit einem Hofraume, einer Umzäunung u. s. w. den
Anblick einer kleinen Festung gewährt. Die innere Einrichtung
ist ebenso mangelhaft, und die wenigen Geräthschaften sind
ebenso ärmlich, wie ich's bei den Georgiern und Armeniern
beschrieben habe. Der Ackerbau steht in diesem Lande auf einer
so niedrigen Stufe, daß durch den Fleiß der Menschen fast
nichts als Hirse und Mais gewonnen wird.
Aus der Hirse bereiten sie ihr Brod, der Mais wird theils
roh gegessen, theils zuvor in Wasser gekocht. Die ganze
Industrie dieser Leute beschränkt sich auf die Verfertigung
ihrer Kleidungsstücke und Waffen, in welcher Beziehung sie,
durch die Noth getrieben und durch natürliche Fähigkeiten
unterstützt, es zu einiger Vollkommenheit gebracht haben. Der
Genuß des Weins ist ihnen versagt; statt dessen trinken sie
bei Spielen, Hochzeiten und sonstigen festlichen Gelegenheiten
ein süßes, angenehm berauschendes Getränk, genannt die Busa,
aus einer Mischung von in siedendem Wasser aufgelöstem Honig
und Hirsemehl bereitet. Außer dem hier Angeführten beschränkt
sich alles Wissen dieses Volkes auf das Tummeln der Rosse und
die Führung der Waffen.
In diesem Punkt aber bringen sie es gewöhnlich zu einer
ausgezeichneten Fertigkeit, welche ich selbst oft bei Knaben
von acht bis zehn Jahren zu bewundern Gelegenheit gehabt habe.
Der Werth des Mannes wird hier blos geschätzt nach seiner
Tapferkeit, nach der Stärke und Gewandheit seines Arms, nach
der Anzahl von Russen, die er um's Leben gebracht.
Ein Knabe, der sich schon in zarten Jahren solcher Thaten
rühmen kann, ist die Freude und der Stolz seiner Eltern. Die
Blutrache herrscht hier noch in ihrer ganzen Furchtbarkeit und
fordert fast täglich ihre Opfer.
Der Plan des Herzogs von Richelieu, des bekannten
ehemaligen Gouverneurs von Südrußland, die Tscherkessen mit
den Russen durch Handelsverbindungen zu befreunden, und auf
diese Weise besonders die Küstenvölker nach und nach ihrer
Unterwerfung entgegenzuführen, ist, obwohl durch Herrn von
Crassi (eines früher in russischen Diensten eine
bedeutende Rolle spielenden Italieners) eine geraume Zeit
hindurch vereitelt, in den letzten Jahren wieder mit Eifer
aufgenommen, und es herrscht in der That gegenwärtig ein
lebhafter Verkehr zwischen Russen und Tscherkessen.
Schauplätze dieses Verkehrs sind die bei den Festungen
befindlichen Bazars, welche immer im Bereich der russischen
Kanonen liegen. Hier darf jeder Tscherkesse, von Kopf bis zu
Fuß bewaffnet, ungehindert aus- und eingehen. Der Verkehr
jedoch mit den Leuten innerhalb der Festungsmauern ist nur bei
vorheriger Ablieferung der Waffen an die den Eingang hütenden
Wachen erlaubt. Eine Ausnahme von dieser Regel machen die
Kunaks (Gastfreunde) der Russen, so wie die bekannten
Häuptlinge und Fürsten, von welchen man keinen Mißbrauch der
ihnen gestatteten Freiheit erwartet.
Der oben angeführte Verkehr besteht hauptsächlich im
Tauschhandel; Geld spielt dabei eine unbedeutende Rolle.
Die Tscherkessen bringen die Erzeugnisse ihrer Hände, und
je nach den Umständen ihrer Aecker, zu Markte und tauschen
dafür ihnen nöthige Sachen ein. In diesem Jahr, wo in Folge
der Mißernte des vorigen, eine Hungersnoth über die Aule der
Tscherkessen zu kommen droht und bei einigen Stämmen wirklich
schon ausgebrochen ist, sind Mehl und Salz diejenigen Artikel,
welche in den Bazars am besten im Preise stehen, und wofür
man, nach Geldwerth berechnet, um einen Spottpreis die
kostbarsten Waffen und Gewänder eintauscht.
Man kann sich denken, welch' einen merkwürdigen Eindruck es
macht, die tapfern Söhne des Gebirges, deren kleine Häuflein
so lange Jahre hindurch der Macht des gewaltigen Czaren
trotzten und die jetzt noch unbezwungen dastehen, hier das
Geschäft von Krämern und Höckern treiben zu sehen. Der Eine
zieht einen Hammel neben sich her, der Andere trägt Knoblauch
und Zwiebeln unterm Arme, der Dritte bringt ein Stück Zeug zu
Markte u. s. f. All' diese Sachen aber können nicht immer für
Geld eingehandelt werden; der Preis dafür richtet sich nach
den jedesmaligen Bedürfnissen der Verkäufer. So sah ich z. B.
einen jungen Dshighethen, welcher einen Hammel zu Markte
trieb, so lange mit seinem feisten Thiere halten, bis er ein
altes Hemd dafür erzielt hatte. Kaum war aber das Hemd in
Sicherheit gebracht, so peitschte er sein kleines, knöcheriges
Pferd zur Eile an und jagte wie der Sturmwind davon.
Ein Anderer tauschte ein Gefäß voll Milch gegen einen Laib
Schwarzbrod aus: er brach zum sofortigen Genuß einen Bissen
davon ab, packte das Uebrige sorgfältig in das zur Seite des
Pferdes hängende Säckchen und begab sich ohne Verzug wieder
auf den Rückweg, vielleicht um zu Hause angekommen sein Brod
mit einer ganzen Familie zu theilen.
Wie unbeugsam muß dieses Volk sein, daß es sich bei dem
bittersten Mangel, bei Entbehrungen aller Art, nicht
entschließen kann, seine Unabhängigkeit für ein sichereres,
bequemeres Leben zu opfern . . .
Ich wollte solchergestalt in meinen Betrachtungen
fortfahren, als mich plötzlich ein vom Wachthause aus
gefeuerter und von den Mauern rings wiederhallender
Kanonenschuß aus dem Konzepte brachte und meine Neugier
erregte. Ein paar vorübereilende Offiziere klopften an's
Fenster und riefen mir zu, schnell nach dem Hafen zu kommen.
Ich hing meinen Säbel um, und machte mich ohne Verzug auf den
Weg, hatte aber Mühe, als ich mich außerhalb der Festung
befand, den von allen Seiten schreiend und lärmend
heransprengenden Tscherkessen auszuweichen, welche gleich mir
dem Hafen zueilten. Im Hafen war ein großer Volksauflauf. Man
hatte in der Ferne ein anscheinend feindliches Schiff
entdeckt, vom Wachthause den üblichen Signalschuß gefeuert,
und da derselbe unerwiedert geblieben, so wurde auf Befehl des
Kommandanten sogleich ein Fahrzeug ausgerüstet, um Jagd auf
das mit vollen Segeln dahingleitende Schiff zu machen.
Die in großer Anzahl auf dem Bazar befindlichen
Tscherkessen hatten sich, als sie den Schuß gehört, sogleich
Beute witternd auf ihre Rosse geschwungen und kamen in buntem
Wirrwarr dem Hafen zugesprengt, um Theil an der Expedition zu
nehmen. Ein zu einem türkischen Küstenfahrer gehöriges Boot
war in einem Augenblick so mit Leuten überfüllt, daß es
umschlug und die ganze Mannschaft in's Wasser stürzte.
Dadurch ließen sie sich aber nicht abschrecken; das Boot
wurde flugs wieder flott gemacht, und es entspann sich nun ein
Streit unter den Leuten über die Wahl und Anzahl derer, die
mitfahren sollten. Es wurden tüchtige Stöße und Hiebe
gewechselt, und es herrschte dabei ein Geschrei und ein Lärm,
daß mir die Ohren gellten. Aehnliche Scenen wiederholten sich
überall, wohin das Auge blickte.
Die russischen Offiziere versuchten vergebens, durch ihre
Soldaten und Dolmetscher die wilden Krieger zur Ordnung zu
bringen. Selbst dem unerschrockenen Kommandanten, ihrem
civilisirten Landsmann, der sonst bei ihnen in großer Achtung
steht, wollte es nicht gleich gelingen, die Ruhe herzustellen.
Ein Kosak, welcher das Pferd eines die Menge anfeuernden
hochgewachsenen Tscherkessen zur Seite treiben wollte,
versetzte aus Versehen dem Tscherkessen mit der Knute einen
Schlag auf's Bein; zornig schwang dieser den Säbel aus der
Scheide und führte einen wüthenden Hieb auf den Kosaken, der
um einen Kopf kürzer geworden wäre, wenn er sich nicht durch
schleuniges Niederwerfen zur Erde gerettet hätte.
Einer unserer Gastfreunde aus der Festung fiel dem Pferde
in die Zügel, und während er sich mit dem Reiter
herumschimpfte, hatte der unbewaffnete Kosak Zeit, sich aus
dem Staube zu machen. Es wäre gewiß zu heftigern Auftritten
gekommen, wenn die Feuerschlünde der Festung, deren Wirkung
sie früher schon oft erfahren haben, den Tscherkessen nicht zu
sehr imponirt hätten.
Zudem gehören die Dshighethen zu den sogenannten
friedlichen Tscherkessen, und dürfen es bei der gegenwärtig
unter ihnen herrschenden Theuerung nicht verderben mit den
Russen, auf welche sie für den Augenblick zur Erlangung ihrer
nothwendigsten Lebensmittel angewiesen sind. Umgekehrt müssen
aber auch die Russen dahin streben, mit den Dshighethen
wenigstens scheinbar auf gutem Fuße zu stehen, theils des
günstigen Beispiels wegen für die andern Stämme, theils auch
weil es wirklich schon ein bedeutender Fortschritt für sie
ist, daß die Häuptlinge der wilden Bergsöhne wenigstens Ruhe –
wenn auch noch nicht Unterwerfung gelobt haben. Möge der
Himmel übrigens Jeden vor solcher Ruhe und solchen friedlichen
Gesinnungen, wie die Dshighethen den Russen gegenüber zeigen,
bewahren!
Von vielen Beispielen, welche geeignet wären, den Zustand
der Dinge anschaulich zu machen, hier nur Eines: vor einigen
Tagen hörte man auf dem Bazar – welcher außerhalb der Festung,
aber dicht neben der Militärkolonie liegt – um Mitternacht
mehrere Schüsse fallen. Eine kleine Anzahl Dshighethen waren,
um zu plündern, in das Haus eines Kaufmanns eingebrochen,
hatten bei dem Eigenthümer jedoch unerwarteten Widerstand
gefunden und sich eiligst auf den Rückweg begeben, um nicht
von den bei dem Geräusch herbeieilenden Soldaten gefangen zu
werden. Bei Tagesanbruch ist der Kaufmann nicht wenig
erstaunt, vor seiner Thür den Leichnam eines ihm sehr
wohlbekannten Mannes zu finden; aber sein Erstaunen wird noch
vermehrt, als kurze Zeit darauf der Bruder des Getödteten
herbeigeritten kommt, um den Leichnam zu holen und denselben
nach herkömmlicher Sitte bei seinem Dorfe zu bestatten. Sein
Bruder – fügte er entschuldigend hinzu – hätte sich den
Räubern nur beigesellt, um ein Stück Tuch zu erlangen, welches
er zu einem neuen Rock brauchte. »Aber so hätte er zu mir
kommen und mich darum bitten können, ich würde ihm gerne das
Stück Tuch gegeben haben, ohne ihn todt zu schießen,«
erwiederte der Kaufmann. – Ja, aber das ist nun zu spät –
wandte der Andere ein – so gieb mir nun lieber das
Zeug, ich habe auch einen neuen Rock nöthig, und gieb mir noch
ein Leichentuch dazu, damit ich meinen Bruder begraben kann. –
Solche und ähnliche Begebnisse sind nichts Seltenes hier, und
würden noch viel häufiger vorkommen, wenn Swan-Béy, der
Kommandant von Ardiller, nicht in so großem Ansehen bei den
Dshighethen stände.
Swan-Béy ist selbst ein Dshigheth von Geburt. Sein
Vater war einer der angesehensten Häuptlinge des Landes und
einer der erbittertsten Russenfeinde. In dem Hause, wo der
jüngere Swan-Béy erzogen wurde, befand sich ein
gefangener Georgier von guter Herkunft und einigen
Kenntnissen, welcher den hübschen Knaben lieb gewann und ihm
Unterricht in der georgischen und mingrelischen Sprache
ertheilte.
Eben durch diesen Georgier wurde Swan-Béy in den
Grundlehren des Christenthums unterrichtet und insgeheim
getauft. Der wißbegierige Schüler, der in seinem Lande so
wenig Gelegenheit und Mittel fand zu weiterer Ausbildung,
hörte immer mit Begier den Erzählungen der russischen
Gefangenen zu, von der Pracht und den schönen Einrichtungen
der großen Städte des Reichs, von den herrlichen Tempeln und
Palästen der neuen und der alten Czarenstadt, von den vielen
großartigen Schulen, wo man sich alle Kenntnisse der Welt
aneignen könne &c. Durch Schilderungen der Art angeregt,
entwickelte sich in dem lebhaften Knaben immer mehr der
Vorsatz, das von den Gefangenen so gepriesene Land mit eigenen
Augen zu sehen. Der junge Swan-Béy war etwa sechzehn
Jahre alt, als sich ihm, bei Gelegenheit eines längern
Kriegszuges der Mannen seines Auls, ein günstiger Augenblick
darbot, in das russische Lager zu entfliehen.
Auf seinen Wunsch wurde er unter sicherer Obhut nach
Petersburg geschickt, in einem dortigen Kadettenhause erzogen
und nach abgelegter Prüfung der kaukasischen Armee eingereiht.
Hier zeichnete er sich durch Muth und Geschicklichkeit so
vortheilhaft aus, daß er in wenigen Jahren zum Range eines
Majors vorrückte und eine Menge Ehrenzeichen erhielt. Niemals
war er zu bewegen, die Waffen gegen seine Landsleute zu
ergreifen. Er wußte jedoch das Vertrauen der Russen in einem
solchen Grade zu verdienen, daß er zum Kommandanten der
Festung Ardiller ernannt wurde, in welcher Eigenschaft er
gewissermaßen den Vermittler zwischen Russen und Dshighethen
spielt. Es ist hier die Gewandheit zu bewundern, mit welcher
Swan-Béy seine schwierige Stellung den beiden Völkern
gegenüber behauptet. Wie bei den Russen, so bei den
Dshighethen hat er sich des unbedingtesten Vertrauens zu
erfreuen, das bei den letzteren so weit geht, daß sie ihm
erlaubt haben, eine Fürstin ihres Landes zu heirathen und sich
wieder in den Besitz aller seiner Familie gehörigen Güter zu
setzen. Seine junge und schöne Gattin, welche noch ganz der
Tracht und den Sitten ihres Heimathlandes treu geblieben ist,
lebt mit ihren Kindern in einem etwa dreißig Werst von
Ardiller entfernten reizend gelegenen Aul, wo sie ihr Gemahl,
so oft es seine Geschäfte erlauben, in Tscherkessentracht
besucht.
Die Achtung, welche Swan-Béy gegenwärtig bei seinen
ihm anfangs feindlich gesinnten Landsleuten genießt, hat er
vorzüglich den kräftigen Maßregeln zu verdanken, durch welche
er versuchte, der in seinem Lande ausgebrochenen Theuerung
Grenzen zu setzen.
Durch seinen Einfluß gelang es ihm, mehrere der
angesehensten Häuptlinge für das Interesse der Russen zu
gewinnen und sie zu bereden, ihre Söhne zur Erziehung nach
Petersburg zu schicken. Viele junge Dshighethen sind sogar,
nach dem Beispiel des Swan-Béy, ihren Eltern entlaufen
und haben sich in die russischen Festungen geflüchtet, von wo
sie dem hier schon mehrfach erwähnten General X. ausgeliefert
wurden, welcher in Bambor eine förmliche Schule für die
kleinen Flüchtlinge angelegt hat, wo dieselben sich mit
unglaublichem Eifer die Elementarkenntnisse aneignen. Der
General erzählte mir Wunder von dem Fleiß und der
Aufmerksamkeit der unter seiner Obhut befindlichen kleinen
Tscherkessen, welche übrigens, wie er lächelnd bemerkte, noch
immer besser zu Pferde sitzen, als auf der Schulbank, und die
Pistole geschickter zu führen wissen als den Gänsekiel.
Neulich kommt ein solcher kleiner Räuber, ein bildhübscher
Knabe von etwa dreizehn Jahren, angeritten, läßt sich zum
General führen und redet ihn ohne die mindeste Befangenheit
mit den Worten an: »Kannst Du mich nach Petersburg schicken?«
O ja, erwiederte der General freundlich; was willst Du aber da
machen, mein Sohn? »Ich habe gesehen, daß die Leute, welche
von Euch in unser Land kommen, klüger sind und besser leben
als wir; ich will eben so klug werden und eben so leben.
Schicke mich nach Petersburg!«
– – Ich benutzte gestern eine höchst erfreuliche
Gelegenheit, einer längern Unterhaltung des Generals mit
verschiedenen Häuptlingen des Landes beizuwohnen, deren
hauptsächlichster Wortführer Asslan-Béy, der vornehmste
der Dshighethenfürsten, war. Asslan-Béy ist eine der
herrlichsten Männergestalten, die mir je zu Gesicht gekommen.
Ich konnte sein schönes, durchdringendes Auge, seine scharf
ausgeprägten würdevollen Züge, seinen majestätischen Wuchs,
seinen edlen Anstand nicht genug bewundern. Ganz hingerissen
wurde ich von seinem beredten Mienenspiel, von seinen
anmuthigen Bewegungen, wenn er sprach. Er schilderte dem
General mit grellen Farben die jetzt im Lande herrschende Noth
und Armuth und fügte hinzu: er, wie die meisten andern Fürsten
seines Landes, würden unbedingt Ruhe geloben, wenn von
russischer Seite schleunige Abhülfe des täglich mehr und mehr
um sich greifenden Elends geschähe, welches nicht blos von der
Mißernte des vorigen Jahres herrühre, sondern größtentheils
eine Folge des Absperrungssystems der Russen sei. »Ihr habt
uns so oft mit leeren Worten und Versprechungen hingehalten,«
erwiederte der General, »daß wir uns hinfort unmöglich auf
Eure Bitten einlassen können, bevor Ihr uns nicht
überzeugendere Beweise von der Aufrichtigkeit Eurer
Gesinnungen gegeben. Ihr gelobt uns Ruhe, weil der Hunger Euch
dazu zwingt; der Magen spricht aus Euch, und nicht das Herz.
Versuchten wir's noch einmal, wie wir schon oft gethan, der
bei Euch herrschenden Volksnoth zu steuern, Ihr würdet uns
wenig Dank dafür wissen und bald auf's Neue unsere Festungen
überfallen, aller Verträge und Gelübde vergessend.«
»Es ist Wahres in Deinen Worten,« wandte der Fürst ein, »so
dachte und handelte mein Volk noch vor wenigen Jahren, aber so
denkt und handelt es heute nicht mehr. Einige wohlwollende
Züge Deines edlen Vorgängers
Murawiew haben uns mehr zu Euren Gunsten
gestimmt, als alle Drohungen Eures Herrschers. Ich war einst
des tapfern Führers erbittertster Feind; soll ich Dir
erzählen, bei welcher Gelegenheit ich
Murawiew-Béy's Freund geworden bin? Eine
Schlacht war geschlagen zwischen Euren und unsern Truppen;
Eure Truppen blieben Sieger. Ich ritt zum Lager des Generals,
um wegen des Friedens zu unterhandeln. Wie Viele, fragte er
mich, sind von Eurer Seite gefallen? Dreihundert, erwiederte
ich. Sind unter den Gefallenen, fragte er weiter, viele
Fürsten und Edle des Volks gewesen? Nein, erwiederte ich. Er
bezeugte laut seine lebhafte Freude darüber. Wie kannst Du
Dich freuen, fragte ich erstaunt, wenn die Fürsten und Edlen
meines Volkes, die mächtigsten Deiner Feinde, am Leben
geblieben? Ich dachte, solche Botschaft müsse Dir mehr
Besorgniß als Freude bereiten. »Du sprichst nicht weise,
Asslan-Béy,« antwortete er, »der Tod eines Helden thut mir
wehe, mir gilt's gleich, ob er auf Eurer oder auf unsrer Seite
gefallen.«
Die Unterhandlung wurde hier abgebrochen und auf einen
andern Tag verschoben.
Asslan-Béy blieb jedoch bis zum Abend in der
Festung und aß mit uns zu Mittag. Obgleich ihm unsere Art und
Weise zu essen etwas ganz Ungewöhnliches war, so benahm er
sich doch dabei mit viel natürlichem Anstand und bediente sich
des Messers und der Gabel, so gut es gehen wollte. Er lud uns
ein, ihn auf ein paar Tage in seiner Behausung zu besuchen; er
würde uns als Gastfreunde sicher hin und zurück geleiten.
»Sehen Sie,« sagte der General lächelnd in deutscher Sprache
zu mir, »es sieht heutzutage hier so schlimm nicht mehr aus,
da die Fürsten unserer Feinde mit uns zu Tische sitzen.«
Nach Tisch unterhielt ich mich ein Stündchen mit dem
stattlichen Tscherkessenfürsten. Er erzählte mir ein Langes
und Breites von dem bekannten Engländer Bell, der zwei Jahre
in den Aulen der Ubychen und Dshighethen zugebracht, und auch
im Hause Asslan-Béy's eine geraume Zeit gewohnt hat.
Herr Bell hatte unter den Völkern der Küste das
Gerücht verbreitet: die Engländer und Franzosen würden eine
große Flotte schicken, mit Ueberfluß an Mannschaft,
Lebensmitteln und Kriegsbedarf. Diese fabelhafte Flotte hat
die armen Leute Jahre lang hingehalten und getäuscht; sie
warten darauf wie die Juden auf den Messias; aber endlich ist
ihnen das Warten ein bißchen langweilig geworden, und sie
fangen nachgerade an zu glauben, daß die Hülfe der Engländer
ganz ausbleiben könnte.
– – Ich hatte heute wieder Gelegenheit, zu bewundern, wie
heilig die Tscherkessen das Andenken der Männer halten, welche
sich einmal durch Edelmuth oder Tapferkeit ihre Achtung
erworben haben, mögen es Freunde oder Feinde sein.
Heute Morgen kommt Jérynbük-Bersek-Béy, der
vornehmste der Ubychenfürsten, in größter Hast auf die Festung
zugeritten, um sich bei Swan-Béy zu erkundigen, ob es
wahr sei, daß General Murawiew um's Leben gekommen? Er
habe die Nachricht von seinem Tode in Sotscha gehört.
Swan-Béy erwiederte: die Kunde von seinem Tode müsse
falsch sein; er habe erst vor wenigen Tagen Briefe von
Murawiew erhalten, aus welchen hervorgehe, daß derselbe
noch ebenso munter und rüstig sei, wie früher; auch habe er
Jerynbük-Bersek's in seinem Briefe mehrfache Erwähnung
gethan, versichere ihn seiner Freundschaft und lasse ihn
herzlich grüßen. Bei diesen Worten wirft sich der alte
Ubychenfürst vor Freude Swan-Béy an den Hals, und herzt
und drückt ihn, als ob er ihn zermalmen wollte.
Es sind jetzt erst drei Jahre her, als sich
Jérynbük-Bersek und Murawiew noch als Todfeinde
kämpfend gegenüber standen. In der Nähe der Festung von
Ardiller sollte eine Zusammenkunft der beiden Helden
stattfinden; es war zur Bedingung gemacht, daß beide nur von
ihren Dolmetschern begleitet, ohne sonstiges Gefolge, und
unbewaffnet erschienen. Murawiew war den Bedingungen
getreu nachgekommen; der Ubychenfürst aber, den Russen wenig
Zutrauen schenkend, erschien bewaffnet von Kopf bis zu Fuß,
und hatte noch obendrein einen Haufen Tscherkessen im
Hinterhalte versteckt. Murawiew, ohne sich im Mindesten
dadurch einschüchtern zu lassen, wußte durch sein kühnes
Auftreten dem Jérynbük-Bersek so zu imponiren, daß er
seine ganze Achtung gewann, welche, wie wir aus dem oben
angeführten Beispiel ersehen haben, noch jetzt ungeschwächt
fortdauert. In General X. hat Murawiew einen würdigen
Nachfolger gefunden, welcher während der kurzen Zeit seines
Aufenthalts hier sich schon in hohem Grade das Ansehen und
Zutrauen der Dshighethen erworben hat.
Das Streben des Generals geht vorzüglich dahin, die
Dshighethen an regelmäßige Beschäftigung zu gewöhnen, wozu er
ihnen, so viel es in seinen Kräften steht, Gelegenheit
darbietet. Kommen hin und wieder Haufen von Hungerleidenden
und bitten um Abhülfe ihrer Noth, so weist ihnen der General
Festungs- oder Feldarbeiten an, wo sie bei Fleiß und gutem
Willen leicht ihr tägliches Brod und noch etwas Geld dazu
erschwingen können.
Hiezu verstehen sich jedoch die Tscherkessen, selbst die
ärmsten unter ihnen, nicht so leicht wie man denken sollte,
denn Arbeit ist ihnen eben so zuwider wie Schweinefleisch.
Sogar der sonst so gewichtige Einfluß ihrer Fürsten, welche
endlich selbst die Nothwendigkeit solcher Maßregeln zur
Erhaltung ihrer Unterthanen einsahen, hat diese nicht bewegen
können, sich den Russen zur Arbeit zu verdingen. Mehrere
Dshighethen, welche durch Noth getrieben, eine Zeitlang Theil
an den Festungsarbeiten der Soldaten genommen, und sich sehr
wohl dabei befunden hatten, wurden bei ihrer Rückkehr mit
Schimpf und Hohn von ihren Landsleuten empfangen.
Wie schwer ist es, ein solches Volk an regelmäßige
Beschäftigung zu gewöhnen, das keine andere Arbeit kennt, als
den Säbel zu schwingen und das Roß zu tummeln; und wie schwer
ist es, ein solches Volk zur Ruhe zu gewöhnen, das keine
andere Ruhe kennt, als die Rast nach blutigem Tagewerk!
***
Heute ist der General mit Swan-Béy unter Bedeckung
nach Sotscha abgereist, wo einer der unbeugsamsten
Ubychenfürsten, Hadshi-Béy, sie erwartet. Wir
geleiteten die beiden Herren bis zum Hafen, wo sich unsern
Blicken ein trauriges Schauspiel darbot.
Ein Trupp Soldaten hatte sich um zwei, mehr thier- als
menschenähnlich aussehende Wesen versammelt, welche einige von
den Umstehenden mit bedenklichem Kopfschütteln und Lächeln,
die meisten aber mit dem Ausdruck des tiefsten Mitleids
betrachteten.
Es waren ein paar Unglückliche, welche nach langen Jahren
harter Sklaverei bei den Tscherkessen endlich ihre Freiheit
wieder erlangt hatten. Aber beide waren schon so vorgerückt im
Alter und so abgestumpft an Geist und Körper, daß es schien,
als könne weder das Leben noch die Freiheit ihnen Ersatz für
die ausgestandenen Qualen bieten. Beiden war der Bart so
struppig und lang gewachsen, daß man sehen konnte, es habe
seit dem ersten Tag ihrer Gefangenschaft kein Messer das Kinn
berührt. Die rauhen Tscherkessenmützen auf den haarigen,
zusammengeschrumpften Gesichtern gaben ihnen ein grausenhaftes,
wildes Ansehen. Die Unglücklichen gingen barfuß, und schienen
überhaupt halb nackt den Händen ihrer Peiniger entronnen zu
sein, denn die zerfetzten Filzmäntel, mit welchen sie beide
das Obertheil ihres Körpers umhüllten, hatten sie erst von den
russischen Soldaten erhalten.
Ich war neugierig, etwas Näheres über die Geschichte ihrer
Gefangennehmung und Sklaverei zu erfahren, hatte indessen
unsägliche Mühe, mich mit ihnen zu verständigen, da ihnen ihre
Muttersprache fast ganz fremd geworden war, und ich nur nach
oft wiederholten Fragen hin und wieder Sinn in ihr Gemisch von
russischen, tscherkessischen und tatarischen Wörtern bringen
konnte. Ihnen selbst wurde es schwer, sich mit einander zu
verständigen, da sie sich erst seit ihrer Befreiung kennen
gelernt, und bis dahin getrennt unter verschiedenen Stämmen
gelebt hatten.
Der Jüngere, etwa ein Funfziger, hatte bei schmaler Kost
und harter Arbeit drei und zwanzig Jahre im Lande der Ubychen
zugebracht, und es war ihm abwechselnd schlechter und besser
ergangen, nach Maßgabe des Erfolges der Unternehmungen der
Ubychen gegen die Russen. Kehrte Asamat-Béy, der
Häuptling, dessen Sklave er war, von einem Siege heim, so gab
es daheim Schmausereien und Feste, und es wurde dann auch das
Loos des armen Sklaven merklich besser. Kehrten die Männer des
Aules aber geschlagen zurück, so bekam auch der arme Alexéi
statt der berauschenden Busa gewöhnlich Prügel zu schmecken.
Vor einiger Zeit kam Asamat-Béy bei einem Angriff
auf Sotscha um's Leben. Seine Verwandten fanden es für gut,
Alexéi an einen türkischen Sklavenhändler zu verhandeln,
welcher jedoch, auf der Heimkehr nach Stambul begriffen, das
Unglück hatte, den Russen in die Hände zu fallen, bei welcher
Gelegenheit Alexéi nebst mehreren andern Gefangenen
seine Freiheit wieder erhielt.
Pattap, der ältere von den beiden Unglücklichen, der
schon hoch in den Sechzigern sein muß, war so lange in der
Sklaverei beim Volke der Adighé, dem stolzesten aller
Tscherkessenstämme, gewesen, daß er die Zahl der Jahre, die er
daselbst zugebracht, nicht mehr im Stande war anzugeben. Ich
konnte von ihm weiter nichts erfahren, als daß er in seiner
Jugend auf einem Schiffe gedient habe, das Schiff sei bei
einem Angriff in Brand gesteckt, viele von der Mannschaft
seien dabei um's Leben gekommen und die Uebrigen in die
Gefangenschaft geschleppt. Er habe nach und nach wohl fünf
verschiedene Herren gehabt. Der erste, ein alter ehrwürdiger
Mann, bei welchem er eine Reihe von Jahren gedient, habe ihn
immer sehr gelinde behandelt, bei den übrigen aber habe er
viel auszustehen gehabt. Da er jetzt aus Altersschwäche zur
Arbeit untauglich geworden und die Lebensmittel im Lande
theuer seien, so habe man ihn vor kurzem für einen großen
Beutel voll Mehl in Sotscha an die Russen verkauft.
Erst heute Morgen sind die beiden Unglücklichen auf einem
russischen Fahrzeuge von Sotscha hier angetroffen, um dem
General zu weiterer Verfügung vorgestellt zu werden. . . . .
»Die können Gott danken, daß sie noch so mit heiler Haut davon
gekommen sind,« sagte ein bejahrter Unteroffizier, der sich
den Zuschauern beigesellt hatte, »da sollten Sie mal den alten
Kosaken Iwan sehen, der bei den
Schapssuch in Gefangenschaft gewesen; dem haben
sie die Fußsohlen aufgeschlitzt und Pferdehaare durchgezogen,
um ihm so das Entlaufen unmöglich zu machen. Der arme Teufel
wird in seinem Leben nie wieder auf heilen Füßen stehen!« –
Aber wie hat er denn unter solchen Umständen aus seiner
Gefangenschaft entweichen können? fragte ich den
Unteroffizier. – »Ein uns befreundeter Schapssuch hat ihn
selbst auf seinem Pferde heimlich wieder zu uns gebracht. Sie
wissen ja wohl, daß wir unter den wildesten Stämmen unsere
Gastfreunde und Spione haben.« – Und auf welche Weise war
Iwan in Gefangenschaft gerathen? – »Das will ich Ihnen
erzählen. Wir lagen damals zusammen in der Festung
Nowo-Troitzko, unweit des Flusses Pilao. Seit
langer Zeit war zwischen uns und den Schapssuch Nichts
vorgefallen, und wir hatten uns nach und nach daran gewöhnt,
uns etwas weiter, als wir eigentlich durften, aus der Festung
hinaus zu wagen. Iwan, der das Meerwasser nicht gut
vertragen konnte, pflegte sich immer gegen Abend im Flusse zu
baden. Er trieb das eine gute Weile, ohne daß ihm etwas
Besonderes dabei aufgestoßen wäre; eines Tages aber, als er
eben aus dem Wasser gestiegen kommt, wird er von ein paar im
Gebüsch versteckten Schapssuch überfallen, nackt wie er war
auf's Pferd gebunden und im Galopp davon geführt. Niemand in
der Festung wußte, was aus dem armen Teufel geworden war, bis
ihn unser Kunak wieder zu uns brachte.«