94. Harun Raschid fragte einmal in Asmais Gegenwart
Harun Raschid fragte einmal in Asmais Gegenwart einen
seiner Wahrheitsliebe wegen bekannten Mann, ob die Familie
Ommia oder Abbas besser herrsche? Der Gefragte bat den
Chalifen zu schwören, dass ihn die Wahrheit nicht verdrießen
wolle; Harun schwur und der Andere sagte: Euch Fürsten aus der
Familie Abbas mangelt es, um die Wahrheit zu gestehen, an
Festigkeit und ausdaurender Kraft; was Ihr pflanzet, reißet
ihr mit eigener Hand wieder aus, während die Familie Ommia
jeder Pflanze sorgsam wartete, und dieselbe mit steter Pflege
groß zog. Herrschaft wird nur durch Kraft befestigt; das Glück
tut viel zur Gründung, wenig zur Erhaltung derselben. Den
Mann, der Euch große Dienste geleistet, glaubt Ihr ungestraft
stürzen zu können; Ihr verlasst Euch darauf, das Glück werde
den Giebel des Hauses aufsetzen, zu dem er die Grundfesten
gelegt; aber Ihr betrügt Euch. Der Sturz der Barmekiden ist
Euer Verderben. Wie ganz anders benahm sich die Familie Ommia.
Hedschadsch, ihr Statthalter in Irak, war ihnen und dem ganzen
Reiche verhasst, und doch hielten sie ihn aufrecht in seiner
Würde und Macht, bloß um folgerecht und standhaft zu sein in
einmal ergriffener Maßregel. Ihr aber baut und zerstöret,
pflanzet und reißet aus. – Der Chalife schwieg, der Redner
küsste die Erde und ging von hinnen. Wahrlich! sprach Harun zu
Asmai, hätte ich diesen Mann einige Monate früher gefragt, so
wären die Barmekiden nicht gefallen. |