81. Ismail, der Sohn Jahja's
Ismail, der Sohn Jahja's, aus der Familie Haschem (so
erzählt uns Abuabdollah Almerestani) befand sich eines Tages
mit dem Chalifen Harun Raschid auf einer Jagdpartie. Sie sahen
von weitem einen Zug von Reitern, der Chalife fragte, wer sie
wären. Man antwortete, sie gehörten zum Gefolge des Wesirs
Dschafers, des Barmekiden. Einige Augenblicke darnach waren
sie aus dem Gesichte. – Wo ist Dschafer und sein Gefolge
hingekommen? fragte der Chalife, indem er sich zur Rechten und
zur Linken wandte, ohne weiters Etwas zu sehen. – Verzeihe,
Fürst der Rechtgläubigen, antwortete Ismail, sie haben dich
nicht gekannt, sonst hätten sie sich unfehlbar genähert, und
dir die schuldige Huldigung von Ehrfurcht dargebracht.
Nachdem sie ein wenig weiter fortgeritten waren, kamen sie
zu einer Reihe von herrlichen Palästen und Gärten mit
Jagdrevieren und Köschken, und Parken, und Seen umgeben. Wem
gehört alles dieses? fragte der Chalife. Deinem Bruder und
Sklaven Dschafer, dem Sohne Jahja's, dem Barmekiden,
antwortete Ismail. Dsafer, welcher die höchste Würde des
Wesirats begleitete, genoss so großer Gunst und
Vertraulichkeit bei Harun, daß dieser ihn niemals an ders als
Bruder nannte. Der Chalife schwieg, und setzte seinen Weg
fort. Als sie aber nahe an die Thore von Bagdad gekommen
waren, wandte er sich um gegen Ismail und sprach: Siehe
Ismail, wir haben die Barmekiden auf Kosten unserer eigenen
Kinder erhöhet und bereichert. Keiner unserer Prinzen besitzt
solche Gärten und Paläste. Doch bewahre das, was ich gesagt,
bei dir.
Am nächsten Morgen fand Ismail den Chalifen im Fenster
liegend, das gegen die Stadt und gegen den Pallast Dschafers
hinsah. Alle Zugänge wimmelten[158] von Großen und Kleinen,
die sich zu und wegdrängten, Geschäfte halben, oder bloß, um
dem Wesire den Hof zu machen. Siehe einmal, sprach der Chalife,
dieses Gedränge von Sklaven und Reitern, und erinnere dich auf
unsere gestrige Unterredung. Gottes Segen über dich, Fürst der
Rechtgläubigen! antwortete Ismail. Dschafer ist dein Diener,
dein Wesir, dein Freund, wie sollte seine Türschwelle leer
stehen? Wesir und Freund hin und her, antwortete Harun, ich
kann diese Pracht und diesen Hof, der den meinigen verdunkelt,
unmöglich länger mit gleichgültigen Augen ansehen. Bald darauf
kam Dschafer selbst, seine Aufwartung zu machen. Harun
unterdrückte seinen Zorn. Er empfing ihn wie gewöhnlich, mit
den Merkmahlen der größten Gunst und Freundschaft, und
schenkte ihm einen Sklaven, der eigentlich nichts als ein
Spion im Hause und im Hareme Dschafers sein sollte, um den
Chalifen von allem, was dort vorging, zu unterrichten. –
Aber eh' wir in der Erzählung weiter fortfahren, ist es
nothwendig, von einem weit wichtigeren Beweggrunde zu
sprechen, wodurch der Grimm des Chalifen auf das Haupt der
Barmekiden heruntergebracht ward.
Jahre lang schon hatte Dschafer der innigsten
Vertraulichkeit des Chalifen, und des unerhörten Vorrechts
genossen, mit ihm die Abende im Hareme, in Beisein der
Prinzessin Maimuna, der Schwester Harun's, zuzubringen. Diese,
zu Gunsten eines Fremdlings, nachgesehene Verletzung der
Heiligkeit des Harems, hatte schon längst der Prinzessin
Zobeide, der Gemahlin des Chalifen, gar sehr missfallen.
Dschafer war ihr dadurch verhasst geworden, und sie lauerte
nur auf die Gelegenheit, um ihrem Hasse Luft zu machen. Diese
längst erwartete Gelegenheit, ergab sich endlich durch die
Schuld der Liebe, leider! nur zu handgreiflich.
Maimuna, entzückt von Dschafers Witz und einnehmender
Gesellschaft, bezaubert von seiner Schönheit und Seelengröße,
liebte ihn gar bald unaussprechlich. Dschafer war nichts
weniger als unempfindlich, aber gewissenhaft treu in der
strengsten Erfüllung von Unterthans- und Freundepflicht,
getraute er sich kaum seine Augen aufzuheben gegen Maimuna,
aus Furcht, den ihrigen zu begegnen.
Maimuna, verzehrt von dem Feuer, das in ihrem Busen
brannte, und ohne Hofnung, dass Dschafer je die Schranken der
größten Ehrfurcht überschreiten würde, formte tausend
Entwürfe, und überließ sich endlich ganz den Eingebungen der
heftigsten Leidenschaft, die alle Schranken von Zurückhaltung
und Schonung zu Boden tritt.
Sie hatte erfahren, dass Dschafer manchesmal Tänzerinnen
aus der Stadt zu sich kommen lasse, mit denen er die Nacht
zubrachte, und die Flammen der Sinnlichkeit kühlte, welche in
der Abendgesellschaft des[160] Harems oft auf eine
fürchterliche Art in seiner Brust emporbrannten. Maimuna
betrat als Tänzerin das Schlafgemach des Wesirs, und erst am
Morgen gab sie sich ihm zu erkennen. Dschafer außer sich, und
von dem Kampfe der Pflicht und Liebe überwältigt, umarmte sie
als Gemahlin, und schwor ihr ewige Treue. So lebten sie durch
mehrere Jahre in der glücklichsten Ehe, und hätten das
Geheimnis derselben vielleicht mit sich in's Grab getragen,
wäre es nicht durch den obgedachten unglückseligen Sklaven
verraten worden. Dieser hinterbrachte es zuerst der Gemahlin
des Chalifen, der Prinzessin Zobeide. Harun, dessen Busen für
seine Gemahlin kein Geheimnis verschloss, hatte ihr auch nicht
die Regungen der Eifersucht und des kleinlichen Neides
verborgen, den die Macht und Pracht der Barmekiden in seiner
Seele erweckt.
Wollte Gott! rief Zobeide, die den Augenblick vor sich sah,
den verhassten Wesir zu stürzen, wollte Gott! rief sie, die
Barmekiden hätten keinen andern Anlass gegeben, deinen
gerechten Zorn zu erwecken, und Dschafer wäre nicht andrer
Verbrechen schuldig! Der Chalife drang umsonst in seine
Gemahlin, sich näher zu erklären; sie weigerte sich dessen,
ließ aber den Sklaven vorrufen.
Sprich die Wahrheit, oder du bist des Todes, rief der
Chalife, indem er ihm den gezogenen Degen an die Brust setzte.
Auf welche Weise ward Dschafer Verräther an mir, und seit wie
lange? – Seit sieben Jahren, Herr! ist er der heimliche Gemahl
Maimuna's, die ihm drei Kinder gegeben. Das letzte starb, das
erste aber sechs, und das zweite fünf Jahre alt, werden in der
heiligen Stadt des Propheten erzogen. –
Welches Übermaaß von Verräterei! rief Harun Raschid ganz
außer sich vor Zorn. – Nicht so ganz seine Schuld, Fürst der
Rechtgläubigen, sprach Zobeide, sondern auch die deinige, der
du den Vorhang des Harems gelüftet, und das Heiligtum
desselben durch die Gesellschaft deines Günstlings entweihet
hast.
Harun! rief Mesrur, den treuen Verschnittenen, den
Obervorsteher des Harems, den Vollstrecker der geheimen
Blutbefehle, und begab sich mit ihm nach dem Flügel des
Palastes, den seine Schwester bewohnte. Sie war gesegneten
Leibes. Er ließ sie ergreifen durch Mesrur, und in eine Truche
legen, ohne dass sie wusste warum, ohne dass Harun und Mesrur
ein einziges Wort verloren.
Totengräber, hergeholt von dem andern Ufer des Tigris,
hatten eine Grube gegraben in einem Köschke des Gartens. In
diese Grube ward die Truche versenkt; das Boot, so die Gräber
zurückführte, schlug in der Mitte des Tigris um, damit das
Geheimnis mit ihnen begraben werde.
Am nächsten Morgen (es war Mittwoch, und Zahlungstag[162]
der Truppen) vereinigte sich der Hof zahlreicher als seit
langem, denn es war der Tag, an dem Dschafer seine Reise nach
Chorasan antreten sollte, indem Harun die Statthalterschaft
dieser großen Provinz der Familie der Barmekiden zum Geschenke
gemacht hatte. Harun empfing ihn wie gewöhnlich, und
schlichtete die Reichsgeschäfte. Als Dschafer Abschied nehmen
wollte, hielt ihn Harun zurück und sprach: Laß uns nach den
Gestirnen schauen, es ist grade halb vier. Harun richtete das
Astrolab, schaute und sprach: Dschafer, verschiebe deine Reise
bis Freytag oder Sonnabend, denn heute ist ein unglücklicher
Tag für dich. Dschafer wollte es nicht glauben, als er aber
selbst das Astrolab in die Hand genommen, und sich von dem
widerwärtigen Aspekt der Gestirne überzeugt hatte, verschob er
die Reise und kehrte nach Hause, von einem zahlreichen Gefolge
begleitet.
Kaum war er hinweggegangen, so ließ Harun den Obervorsteher
des Harems, Mesrur, rufen. – Wer bin ich? Mesrur! redete ihn
Harun an. – Herr, du bist der Statthalter des Himmels auf
Erden, der Nachfolger des Propheten, der Fürst der
Rechtgläubigen. – Wenn ich dir also etwas befehle, wirst du es
tun ohne Widerrede? – Herr, wenn du mir befählest, mir selbst
den Kopf abzuschlagen, so würde ich gehorchen. – Nun, so geh'
und vollstrecke einen Blutbefehl. Verfüge dich zu Dschafer,
sage ihm, Depeschen von der größten Wichtigkeit seien aus
Chorasan angekomen; das Übrige versteht sich von selbst.
Mesrur ging nach dem Palast Dschafers, der ihn sehr lange vor
der Thüre warten ließ. Endlich empfing et ihn, sitzend auf
einem Stuhle von Ebenholz, umgeben von seiner ganzen Familie
und allen seinen Schutzgenossen. Mesrur richtete den Auftrag
des Chalifen, wegen der Depeschen aus Chorasan aus. Dschafer
stand auf, umgürtete sich mit seinem Schwerte und nahm den Weg
nach Hof. Die Bedienten blieben am Thore des ersten, die
Hausoffiziere am Thore des zweiten Hofes zurück; durch das
dritte Thor ging er allein mit Mesrur, nach der gewöhnlichen
Etikette des Hofes des Chalifen. Im dritten Hofe war ein
schwarzes Zelt aufgeschlagen, wo ihn Mesrur hineinführte.
Vierzig schwarze Sklaven, mit gezogenen Schwertern, waren
darin in die Runde gestellt. – Alles dieses scheint nichts
Gutes zu bedeuten, sprach Dschafer, der die Hinrichtung eines
Großen vermutete, aber nichts weniger als die seinige.
Unglücklicherweise bedeutet es nichts Gutes, antwortete Mesrur,
denn ich habe den Befehl des Chalifen, dir den Kopf
abzuschlagen, und ihm zu bringen. Da weinte Dschafer, küsste
die Hände und Füße Mesrurs, und machte ihm tausenderlei
ausschweifende Verheißungen. Endlich bat er ihn nur um einige
Minuten Frist, und um die Gnade, er möge dem Chalifen
Nachricht geben, als habe er seinen Befehl vollzogen, um zu
sehen, ob ihn deß nicht reuen werbe. Mesrur bewilligte ihm
dies, und verfügte sich zum Chalifen, den er ganz ergrimmet
fand, und mit einem eisernen Stocke, den er in der Hand hielt,
die Erde aufwühlend. – Herr! ich habe deinen Befehl vollzogen.
– So bringe mir den Kopf auf der Stelle. Mesrur sah nun klar,
dass er den Kopf Dschafers bringen müsse, oder dass es seinen
eigenen gelten würde. Er kehrte zurück in's Zelt, wo er den
Wesir, von vierzig Sklaven bewacht, gelassen hatte. Er
verrichtete eben sein Gebet, und eh' er es noch vollendet
hatte, hieb ihm Mesrur den Kopf ab, und warf denselben dann
vor des Chalifen Füße.
Harun weinte zuerst bei diesem Anblicke; doch bald nahm
sein Zorn die Oberhand, und er ergoss sich in Schmähungen
wider Dschafers Kopf, indem er ihn der schwärzesten Verräterei
und Undankbarkeit, und des Mordes seiner Schwester
beschuldigte. Gegen Mittag ging er in die Moschee, und
ertheilte zugleich den Befehl, den Vater und Bruder Dschafer's
in's Gefängnis zu werfen, alle ihre Güter einzuziehen, und
alle ihre Anhänger durch das Schwert hinzurichten. Zwei
tausend Menschen, so der Familie Barmek angehörten, wurden in
zwei Tagen hingerichtet, und die Statthalterschaft von
Chorasan erhielt Ali, der Sohn Ißa's, der Sohn Haman's.
Hierauf ordnete Harun einen seiner Getreuen nach Mekka ab,
um dort die beyden Söhne Dschafers und Maimunas aufzusuchen.
Es waren zwei Knaben, schön wie das Morgenlicht, die alle
Herzen durch die Sanftmut ihrer Gesichtszüge, und durch die
Reinigkeit ihrer Rede für sich einnahmen. Harun Raschid selbst
ward bis zu Tränen gerührt bei ihrem Anblicke, aber er
glaubte, er sei schuldig, sie der Ruhe des Staats und der
öffentlichen Sicherheit aufzuopfern; denn diese wäre nicht
wenig gefährdet worden durch diese Abkömmlinge vom Blute des
Chalifen, welche dem rechtmäßigen Prinzen hätten den Thron
streitig machen können.
Mesrur erhielt den Befehl, ein großes Feuer anzurichten,
auf derselben Stelle, wo Maimuna in die Erde gesenkt worden
war. Harun nahm seine Neffen auf den Schooß, liebkoste sie und
weinte. Die Kinder sagten: Lieber Oheim! thu' uns nichts zu
Leide, und straf' uns nicht für das Vergehen von Anderen.
Harun weinte eine zeitlang, dann übergab er einen der Knaben
in die Hände Mesrurs, und befahl ihm zu tun wie er selbst. Sie
warfen die Knaben in's Feuer, die Asche wurde gesammelt und in
den Tiger gestreut. Dann gingen Befehle aus, zur Hinrichtung
aller Anhänger der Barmekiden, in den entferntesten Provinzen
des Reiches, der Bruder und Vater Dschafers schmachteten im
schwersten Gefängnis. Der letzte sandte eine Bittschrift
folgenden Inhalts:
Im Namen Gottes des Allbarmherzigen, des Allgütigen, an den
Imam der Rechtgläubigen.
Die Barmekiden sind vorübergegangen, ihre Spuren sind
verschwunden, die Gelbsucht des Unglücks hat ihr Gesicht
befleckt, sie schmachten im Dunkel des Kerkers, nachdem sie
auf Fürstenstühlen gesessen. Begnüge dich damit, o Fürst der
Rechtgläubigen! dass du sie auf solchen Grad gedemütigt, und
bedenke die Launen des Schicksals. Der Chalife, antwortete mit
dem folgenden Vers des Korans: Im Namen Gottes des
Allbarmherzigen, des Allgütigen:
Der Herr hat Euch das Gleichnis gegeben von einem
verwüsteten Dorfe, dessen Einwohner des höchsten Wohllebens
genossen auf Erden. Aber sie waren undankbar, deswegen schlug
sie der Herr mit Hungersnot und großer Strafe. Jahja, der
nichts mehr zu schonen und zu verlieren hatte, machte eine
zweite Bittschrift in Versen an den Chalifen, worin er unter
anderm sagte:
»In wenig Tagen erscheinen wir beide vor dem Richterstuhle
Gottes. Da wirst du Rechenschaft geben von deiner
Ungerechtigkeit. Vor Gott dem Herrn werden die Feindschaften
abgeurteilt.«
Harun ward hierdurch so aufgebracht, dass er sogleich den
Befehl erteilte, sowohl dem Vater als dem Sohn den Kopf
abzuschlagen. Aber der Vater war wenige Augenblicke, nachdem
er seine zweite Bittschrift abgesendet, verschieden, und dem
Sohne ward das Leben gefristet, durch die Fürbitte Abdolmeleks,
der den Chalifen beschwor, sich nicht mit unnützen
Grausamkeiten zu beflecken.
Unterdessen blieb der Leichnam Dschafers durch vierzig Tage
zur Schau ausgestellt auf der großen Brücke zu Bagdad, und von
einer starken Wache umgeben. Nach Verlauf der vierzig Tage
ward er unter einem einfachen Steine beerdigt.
Der strengste Befehl verbot den Vorübergehenden das
geringste Beileid, die geringste Theilnahme am Schicksal
Dschafers zu bezeigen; Niemand getraute sich zu Gunsten der
Barmekiden den Mund zu öffnen. Die Stimme des Mitleidens und
der Menschlichkeit verstummte vor den blutigen Drohungen des
Despotismus. Ungeachtet dieser dumpfen Todesstille, die in
ganz Bagdad herrschte, ergab sich doch selbst während der
vierzig Tage, wo Dschafers Leichnam bei der Brücke zur Schau
ausgestellt, und von einer starken Wache umringt war, ein
erzählenswertes Beispiel von edler Freimütigkeit und
großmütigen Verachtung des Todes.