71. Asmai erzählt
Asmai erzählt:
Ich war eines Tages ausgezogen in die Wüste, um seltsame
Abenteuer aufzusuchen. Weiße Mauern blinkten mir entgegen, wie
das weiße Gefieder einer Taube. Ich ging hinein und fand ein
leeres Gebäude, wo nur Raben und Schakale hausten, und der
Wind durch Fenster und Türen heulte. Endlich glaubte ich eine
menschliche Stimme zu vernehmen, aber sie kam mir so wild und
fürchterlich in die Ohren, dass ich mein Schwert zog, weil ich
sonst nicht sicher zu sein glaubte, und mit gezogenem Schwerte
herumging. Ich fand einen Mann auf der Erde sitzend, in einer
Hand einen Stab haltend, in der andern eine Statue. Er schlug
mit seinem Stabe die Erde, und weinte, und improvisierte:
Messias! gib mir Wunderkraft,
Zu bändigen die Leidenschaft!
Denn wenn ich nicht den Tod erflehe,
Ich wie der Rauch im Wind vergehe.
Ich stellte mich schnell vor ihn hin, ohne dass er es doch
gewahr ward, ich grüßte ihn; er hob den Kopf auf, gab mir den
Gruß zurück, und fragte: Woher bist du? und wer hat dich an
diesen Ort gebracht? – Gott der Herr, sprach ich. Da hast du
Recht, antwortete er, denn auch Gott der Herr hat mich in
dieser Einsamkeit von den Menschen abgesondert.
Was machst du denn, fragte ich ihn, mit der Statue in
deinen Armen? O meine Geschichte ist seltsam, und mein
Abenteuer wunderbar! – Ich bat ihn, mir das Ganze zu erzählen,
und keinen Umstand zu verheimlichen. Wisse, fing er seine
Erzählung an, ich bin aus dem Stamme der Beni Temim, und zwar
aus demjenigen, die sich zur christlichen Religion bekennen.
Dies Bildnis hier ist das Bildnis meiner Base, mit der ich von
zarten Kindesjahren auf erzogen ward. Wir liebten uns, ihr
Vater aber, der nichts von unserer Liebe wissen wollte,
verwahrte sie unter strenger Wache.
Deßungeachtet fand ich Mittel, sie zu sehen. Als ich mich
nun eines Tages allein bei ihr befand, klopfte mein Oheim an
der Türe. Sie versteckte mich schnell unter ein Sofa, ging und
machte die Türe auf. – Wo ist mein Neffe, der Diener des
Messias? donnerte mein Onkel. – Ich habe ihn nicht gesehen. –
Ich aber habe seine Stimme bei dir gehöret. – Da hast du
geträumt, Vater. – Bei Gott! bekenne die Wahrheit und lüge
nicht, sonst soll dich der Allmächtige in Stein verwandeln. –
Ja, wenn ich lüge. – Mein Oheim hob die Augen und Hände zum
Himmel auf, und sprach: Gott, der du der Herr bist der Vor-
und Nachzeit, wenn du weißt, dass meine Tochter lügt, so
verwandle sie in harten Stein. Sogleich, erschrecklich zu
erzählen, erstarrten ihre Glieder. Dies ist die Statue, die
ich Tag und Nacht in meine Arme schließe seit vierzig Jahren.
Ich nähre mich von den Kräutern der Wüste, und trinke von
ihren salzigen Quellen. Des Samum'sbrennender Odem ist
kühlender Hauch im Vergleich des Flammenhauches meiner Seele,
und der Sand, der dir unter den Füßen glüht, scheint wir
erfrischender Tau.
Dann improvisierte er wieder:
Bei Gott, der Herzen enget und erweitert,
Der heitre Tage trübt, und trübe heitert,
Der Lebende zur Erde tot hinstrecket,
Die Toten in das Leben auferwecket.
Bei Gott! dem Ewigen! es macht die Liebe
Das Trübe heiter, und das Heitre trübe,
Sie tötet und erwecket dann zum Leben,
Der Herr hat seine Allmacht ihr gegeben.
Hierauf stand er auf, und lief herum wie rasend, seine
Kleider warf er von sich, und die Augen rollten wild in seinem
Vorhaupte herum, dann kam er auf mich zu, und sprach:
Sohn des Weges, dir will ich nun drey Verse sagen, und wenn
ich entschlafen bin, so sollst du mich und diese Statue
begraben, und die drey Verse als Inschrift auf mein Grab
setzen:
Ihr, die nicht glaubt, dass Liebe töte
Kommt her zu meiner Grabesstätte,
Ich wandelte in diesem Dom
Durch vierzig Jahre ein Phantom,
Bis in des Lebens leerer Wüste,
Der Tod mich endlich freundlich grüßte.
Als er ausgesprochen hatte, sank er mit der Statue nieder,
die er fest mit seinen Armen umklammerte.
Er tat einen großen Schrei, und gab den Geist auf. Ich nahm
meinen Mantel, um denselben statt eines Leichentuches damit zu
umwickeln, und begrub ihn samt der Statue. Auf das Grab
schrieb ich die oben angeführten Verse, und besuche es noch
jährlich einmal nicht ohne tiefe Rührung.