62. Eine ähnliche Geschichte
Eine ähnliche Geschichte erzählt der Dichter Ebi Nuwas von
sich selbst folgendermaßen: Durch Dienstpflicht immer an den
Chalifen (Harun Raschid) gekettet, konnte ich nur selten freie
Augenblicke für mich finden. Eines Abends, da es mir so gut
geworden war, mich vom Hofe abstehlen zu können, schloss ich
mich bei mir ein, mit einem Fläschchen Wein. Spät in der Nacht
klopfte Jemand an der Türe; ich ging hinaus, und fand einen
jungen Türken, schöner und liebenswürdiger als ich je gesehen
hatte. Er grüßte mich, und fragte mich, ob ich ihn nicht für
diese Nacht als Gast aufnehmen möchte. – Kein größeres Glück
hätte mir nicht begegnen können, war meine Antwort.
Ich ward halb närrisch bei seinem Anblick. Er zog unter
seinem Kleide eine Flasche Wein und ein Rebhuhn hervor, und
setzte mir es auf. Wir sangen[108] und tranken, und genossen
nach Lust. So verstrich der größte Teil der Nacht, und ich war
fast von Sinnen aus Liebe zu ihm. Endlich wollte er fortgehen.
Mein Herr und Gebieter, sprach ich, mit dir wird sich mein
Geist vom Leibe trennen. Alles, was ich besitze, ist dein; ich
will künftighin dein Sklave sein, bleibe nur bei mir. – Ist
dies dein Ernst? fragte er. – Mein voller Ernst. – Ich will
dich auf eine leichte Probe stellen, fuhr er fort. Ich
verlange nichts von deinem Hab' und Gute, wenn du mich aber
aufrichtig liebst, so scheere deinen Bart ab, damit du ein
glattes Kinn bekommest, wie ich. Er setzte mir mit so vielen
Liebkosungen, und so dringenden Bitten zu, dass ich ihm
unmöglich etwas abschlagen konnte. Er umarmte mich, und ich
überreichte ihm das Barbiermesser, mit dem er auch meinen Bart
in einem Augenblicke abgeschoren hatte. Dann fing er an mich
auszulachen, und sprach: Ebi Nuwas, wie heißen die Verse, die
du über Satanas gemacht? wenn ich nicht irre, so:
Wahrlich, ich kann nicht genug mich über Satan verwundern,
Dass er mit Hoffart vereint niedrigen sklavischen Sinn.
Huldigen wollte er nicht in Eden dem Vater der Menschen,
Während er Adams Geschlecht gerne als Page bedient.
Dann schlug er eine helle Lache auf, und verschwand. Ich
sah also klar, dass der leibhafte Teufel sein Spiel mit mir
getrieben hatte.