55. Harun Raschid konnte
Harun Raschid konnte eine Nacht kein Auge zumachen. Er
stand auf, ging von einem Saale in den andern, warf sich von
einem Sofa auf's andere. Umsonst, es war eine der schlaflosen
Nächte, deren dieser Chalife mehrere hatte, und in denen er
sich Geschichten erzählen ließ, weniger um den Schlaf zu
vertreiben als herbeizulocken. Gegen Morgen ließ er Asmai,
Hussein und Alchalii, die drei ersten Geschichtenerzähler
seines Hofes, rufen, und befahl ihnen, ihm etwas zu erzählen,
für oder wider den Schlaf. Hussein nahm folgendermaßen das
Wort:
Ich durchstrich während eines der heißesten Sommertage die
Straßen der Stadt Bassora, und setzte mich vor dem Thore eines
großen Hauses nieder um auszuruhen. In dem Vorhause erblickte
ich einen Engel von Mädchen, in ein Hemd von rosenfarbem
Musselin gekleidet, durch das ihr weißer Busen, wie der junge
Tag durch die Morgenröte durchschien. Zwei Diamanten hingen an
ihren Ohren wie Tautropfen an einer Rose. Sie wandelte allein
zwischen den Hallen, und Wohlgeruch verbreitete sich, wo sie
ging. Ich bat sie, einem armen Fremden, der vor Durst
verschmachtete, ein wenig Wasser zu geben. Willst du von
diesem Wasser? sprach sie, indem sie sich Tränen aus den Augen
wischte.
Ich fragte sie um die Ursache ihrer Tränen. – Ach! seufzte
sie, ich liebe, und habe keine Hoffnung wieder geliebt zu
werden. – Wo ist das Felsenherz, rief ich, das unempfindlich
bleiben könnte für so viel Reize! – Du wirst ihn sehen, denn
er wird bald hier vorbeikommen. – Ihre Tränen flossen häufiger
bei diesen Worten. Jeden Morgen, sprach sie, wenn die Sonne
hinter den Bergen heraufsteigt, entspringe ich meinem Lager,
weil ich glaube, es sei der Glanz des Angesichts meines
Geliebten, der die Augen blendet, und so verstreichen die Tage
in Wahnsinn. – Du dauerst mich, armes Mädchen, die Rosen
deiner Wangen verwelken, deine Schönheit verblüht, ohne deine
unglückliche Leidenschaft wärest du die Schönste der Schönsten
Bassora's. – Ach! ich war es in den glückseligen Tagen meiner
Gleichgültigkeit; Alle Edeln und Fürsten Bassora's verliebten
sich in mich, bis ich mich selbst verliebte in einen jungen
Menschen. O, selige Tage! als er mich liebte wie ich ihn. –
Und warum hat er denn aufgehört dich zu lieben? – Eines Tages
schäkerte ich wie ein Kind mit einer meiner Gespielinnen; wir
sprangen und rangen, und trieben tausend Narrheiten zusammen,
bis wir aus Zufall beide zugleich zur Erde fielen. Sie hielt
mich in ihren Armen, und gab mir lachend einen Kuss, als mein
Geliebter eintrat. Böse über das, was er gesehen, floh er wie
ein wildes Füllen, so das Geklirre des Zaumes hört, und
seitdem kam er nicht wieder. Er sieht mich nicht an, er
spricht nicht mit mir, er schreibt mir nicht. – Ist er ein
geborner Araber oder Perser? – Er ist einer der Fürsten
Baßora's. – Jung oder alt? – Welche Frage! Er ist in der Blüte
der Jugend. – Sein Name? – Soll dir unbekannt bleiben, es sei
denn, du wollest einen Brief übernehmen für ihn. – Gerne, sehr
gerne. – Er heißt: Samra, der Sohn[91] Mogaira's. Sie rief um
Dinte, Feder und Papier. Sie schürzte ihre Silberarme auf und
schrieb: »Mein Herr und Gebieter! Ich fange meinen Brief nicht
an mit Gruß zuvor, ich drücke einen Kuss auf die Stirne
desselben, und befeuchte ihn mit meinen Tränen. Du hast mir
unermessliches Unrecht getan in Deiner Meinung; erlaube, dass
der Überbringer Dir die Wahrheit entdecke. Meine Tage
schmachten hin in der Hitze eines verzehrenden Feuers, die
Nächte hindurch schwimm' ich in Tränen. Erbarme Dich meiner,
und komm, diejenige zu sehen, welche Dir Heil wünschet, und
für welche kein Heil ist außer Dir.«
Ich nahm den Brief, und ging damit in's Haus Mohammeds, des
Sohnes Suleimans, wo sich damals Samra befand. Als die
Gesellschaft hinweggegangen war, übergab ich ihm den Brief. Er
nahm ihn, las ihn, und reichte denselben dann einer schönen
Sklavin hin, die neben ihm saß. Diese erblasste, wie sie las,
stand auf, und floh auf der Stelle. Als ich das Feld frei sah,
fing ich an, dem jungen Menschen mit Gründen zuzusetzen, und
ihn zu überzeugen, wie ungegründet sein Verdacht gewesen. Er
schrieb seiner Geliebten zurück:
»Im Namen Gottes des Allerbarmers, des Allgütigen. Dass er
mir das Unrecht verzeihen möge, so ich Dir angetan! Möchtest
Du dasselbe verzeihen dem Reuigen, der in Deine Arme fliegt,
um das Heil zu finden, das er dir indessen durch diese Zeilen
sendet.«
Sie söhnten sich aus. Zum Lohne der Vermittelung ward mir
ein prächtiges Geschenk, und der noch schönere Lohn von
Freundschaft und Dankbarkeit.