45. Als Harun Raschad
Als Harun Raschad den Thron bestieg, kamen die Gelehrten,
welche ihm als Kronprinzen Gesellschaft geleistet hatten, ihre
feierlichen Glückwünscheabzustatten. Er nahm sie gnädig
auf und beschenkte sie reichlich. Einer seiner vertrautesten
Freunde war Sofjan Elhuri gewesen, mit dem er ganz auf
brüderlichem Fuße gelebt hatte. Dieser, statt dem Chalifen
seine Aufwartung zu machen, floh weit vom Hofe. Harun, ein
wenig beleidigt durch dieses Benehmen, schrieb ihm: Im Namen
Gottes des Allbarmherzigen, des Allgütigen. Harun der Diener
Gottes seinem Bruder Sofjan Gruß zuvor! Du weißt, dass ich
dich immer wie meinen Bruder geliebt; ich käme zu dir, wäre
ich nicht durch das Halsband, das mir der Himmel angelegt,
zurückgehalten.
Alle meine Freunde haben mich besucht, und sind nicht leer
weggegangen. Komm denn auch du, sobald du diesen Brief
empfangen. Eile dich. Heil dir! Der Brief war geschrieben,
aber nun mußte auch Jemand gefunden werden, der die Zustellung
übernähme, denn Jedermann kannte den wilden, rauhen Charakter
Sofjans.
Der Chalife rief Ibad von Talakan, der eben an der Türe
stand, und sagte: Geh mit diesem Briefe gegen Kufa, erkundige
dich um den Stamm der Beni Tur, und um Sofjan, der mit ihnen
wohnet. Wirf ihm den Brief vor die Füße, und sperre dann Augen
und Ohren auf, um zu sehn und zu hören, was er sagen und tun
wird.
Ibad kam in Kufa an und fand den wunderlichen Heiligen in
der Moschee. Er betete eben nicht, sobald er aber den
Abgesandten des Chalifen erblickte, sprach er die Formel aus:
Wir flüchten uns zu Gott wider die Nachstellungen Satans, und
fing sein Gebet an. Rund um ihn herum auf der Erde lagen seine
Schüler, das Haupt gegen den Boden gekehrt, indem sie dasselbe
aus Scheu vor ihrem Meister zu erheben sich nicht getrauten.
Ibad grüßte sie, keiner antwortete ihm, keiner hieß ihn
sitzen. Ibad warf den Brief, seinem Auftrage gemäß, vor die
Füße Sofjan's, der davor wie vor einer Schlange zurücksprang,
und immer die Formel wider Satans Nachstellungen wiederholte.
Dann wickelte er seine Hand in sein Kleid, nahm den Brief
damit, als ob er eine glühende Kohle wäre, warf denselben dem
entferntesten seiner Schüler zu, und sprach:
Gott verzeih mir meine Sünde, dass ich Etwas berühret habe,
was aus eines Tyrannen Hand kommt. Nachdem er den Innhalt des
Briefes lesen gehört hatte, lächelte er, und diktierte die
folgende Antwort auf den Rücken des Briefes: Im Namen Gottes
des Allbarmherzigen, des Allgütigen. Vom Sünder Sofjan, dem
stolzen Harun, der die Religion ihrer süßesten Früchte beraubt
hat. Du hast Kirchengüter angetastet, und Schätze
verschwendet, auf die du kein Recht hattest. Die Armen, Witwen
und Waisen schreien um Rache gegen dich zum Himmel. Du hast
des Umgangs der Weisen, der Gesellschaft der Frommen und
Tugendhaften genossen. Ist dies die Frucht ihres Umgangs und
deiner Wissenschaft? O Harun! Du sitzest auf dem Thron in Gold
und Seide gekleidet, Kämmerer umrauschen deine Türen, Garden
bewachen deinen Palast; aber dein Volk schreitet einher auf
dem Wege des Verderbnisses. Gedenke, alle Taten werden einst
gewogen in der großen Wage des Gerichtes. Folge meinem Rath,
sei gerecht gegen Gott und die Menschen, bewahre des Propheten
Gebote; fliehe den Wein und die Weiber; jener ist Satans
Nahrungssaft, und diese sind seine Polster. Erspare dir
übrigens die Mühe, mir ein andermal zu schreiben, denn ich
werde nicht mehr antworten. Ibad, ganz zerknirscht durch die
Antwort, nahm dieselbe, und ging von hinnen; als er aus der
Moschee auf den Markt gekommen war, schrie er laut:
Rechtgläubige, wer will einen Menschen kaufen, der von Gott
kömmt, und zu Gott geht? Die Leute, die das hörten, glaubten,
es sei eine neue Art zu betteln, und wollten ihm Geld geben.
Das brauche ich nicht, sagte er, mir ist ein härenes Kleid und
ein Bußgürtel not. In diesem Aufzuge stellte er sich dem
Chalifen vor, der die Hände über den Kopf zusammenschlug, und
als er den Innhalt des Briefes vernommen hatte, bittere Tränen
der wahren Rührung und Reue vergoß. Einige Hofleute machten
den Vorschlag, den neuen Apostel in Ketten zu legen, zum
Beyspiel für diejenigen, denen es einfallen möchte, in
seine Fußstapfen zu treten, und dem Chalifen Lehren zu geben.
Aber Harun, großmüthiger und edler gesinnt, antwortete ihnen:
Kinder der Welt! lasst Sofjan in Ruhe und habt Ehrfurcht vor
ihm.
Er legte den Brief Sofjan's auf den Polster seines Sofas,
wo er während seiner ganzen Regierung lag. Auch tat er
manchesmal einen Blick hinein zur Stunde des Gebets.