35. Beim Chalifen Harun
Beim Chalifen Harun Raschid ward einer der Abkömmlinge der
Familie Ommia, der in Damaskus lebte, angegeben, wegen der
Menge seiner Reichtümer und der Herrlichkeit seiner Feste.
Harun, der eine geheime Eifersucht nicht unterdrücken konnte,
befahl Minara, einem seiner Vertrauten, sich nach Damaskus zu
begeben, und ihm den Sohn Ommia's in Ketten zu bringen. Dies
geschah im Jahre der Hedschira acht hundert und sechs, wo
Harun gegen Kufa ausgezogen war. Er gab seinem Abgesandten
nicht mehr Zeit, als sechs Tage zur Hinreise, sechs Tage zur
Rückkehr, und einen zum Aufenthalte, so, dass er ihn am Abend
des dreizehnten Tages ganz gewiss zurückerwartete. Er befahl,
den Gefangenen mit seinem ganzen Hause herbeizuführen, auch
sollte Minara auf jedes Wort, das auf dem Wege gesprochen
würde, wohl acht haben.
Minara rannte mit unglaublicher Hast auf unterlegten
Dromedaren, und kam am Abend des siebenten Tages vor den
Thoren von Damaskus an. Da dieselben verschlössen waren,
musste er warten bis an den Morgen. Er begab sich in's
bezeichnete Haus, das er voll fand von Pferden und Sklaven.
Der Herr war im Bade.
Minara ließ sich als Abgesandter des Chalifen melden, mit
dem Bedeuten, dass sein Auftrag schleunig ausgerichtet sein
müsse. Ungeachtet dessen währte es lange, bis der Hausherr
erschien. Endlich kam er, von einer Schar von Sklaven und
Knaben umgeben. Er hieß Minara niedersetzen, und das
Mittagsmahl auftragen, das an Glanz und Verschwendung die
Tafel des Chalifen übertraf.
Die große Schar der Dienerschaft entfernte sich, und es
blieb nur ein Dutzend Sklaven zurück. Minara fing nun an, für
seine eigne Sicherheit zu fürchten, und bedachte, was zu tun,
während der Hausherr das Gebet verrichtete. Nach dem Gebete
zog Minara den Befehl des Chalifen aus dem Busen. Der Hausherr
las ihn, ohne im geringsten seine Fassung zu verlieren. Dann
rief er seine Kinder, seine Verwandten, und sein ganzes Haus
zusammen, und schwor bey der Kaaba, und bei allem was heilig,
um ihnen die geringste Widersetzlichkeit wider des Chalifen
Befehl zu untersagen. – Gib mir die Ketten her, Minara, ich
werde sie mir selbst anlegen, und brauche Niemanden dazu. Er
bestieg den Dromedar, und behielt den ganzen Weg hindurch
dieselbe unerschütterliche Gleichheit des Gemütes, las den
Koran, oder rezitierte Sprüche der Weisheit.
Endlich langten sie am Abend des fünfzehnten Tages vor Kufa
an. Sechs Paasangen weit hatte der Chalife besondere Posten
ausgestellt, ihm die Ankunft Minara's zu melden. Er ward auf
der Stelle vorgelassen, und musste haarklein erzählen, was er
in Damaskus und auf der Reise gesehen und gehöret hatte. Die
Regungen der Eifersucht, des Mitleidens, der Bewunderung,
verfolgten sich abwechselnd in der Seele des Chalifen. Er ließ
den Abkömmling Ommia's berufen, und fragte ihn, ob er nichts
bedürfe. Dieser begehrte die Gnade, in den Schoß seiner
Familie zurückzukehren. Harun gewährte ihm dieselbe, und
Minara erhielt den Auftrag, ihn mit einem zahlreichen Gefolge
und mit allen Ehren zurückzuführen. Auch überhäufte ihn Harun
mit Geschenken, und dachte mit Recht, dies sei das edelste
Benehmen gegen einen Abkömmling der Familie Ommia, welcher das
Haus Abbas Rache und Untergang geschworen hatte.