19. Hainad, der Geschichtsschreiber
Hainad, der Geschichtsschreiber, erzählt: Ich war [Rand:
Alaim.] in großer Gunst bei Welid, dem Sohne Abdolmelek's. Als
sein Bruder Jesid den Chalifenstuhl bestieg, floh ich nach
Kufa, wo ich die große Moschee zu meinem Aufenthaltsorte
auserwählte. Siehe da ein Bote Mohammeds, des Sohnes Jusufs
Et-takfi. Er kündete mir an, er habe einen Brief des Chalifen
erhalten, der ihm befehle, mich nach Hofe zu führen. Wir
setzten uns zu Pferde, und er gab mir einen Beutel von tausend
Dukaten für die Unkosten des Weges. Am achten Tage nach
unserer Abreise langten wir zu Damaskus an. Der Abgesandte
holte die Erlaubnis ein zu meiner Audienz, und führte mich dem
Chalifen vor. Ich fand denselben in einem Saale von rotem
Granit, dessen Plafond ein Zelt aus rotem Damast war. Die
Vorhänge waren rote Seide, und roter Damast die Bekleidung des
Fußbodens. Alles war rot, und neben dem Chalifen standen zwei
Sklavinnen, ebenfalls roth gekleidet, in der einen Hand
goldene Becher, in der andern Hand kristallene Gefäße mit
rotem Wein haltend.
Ich grüßte ihn, und wünschte ihm Glück als Chalife, und er
gab mir den Gruß zurück. Dann sprach er: Nahe, und sage mir,
ob du weißt, warum ich dich boten ließ. Nein, o Fürst der
Rechtgläubigen. Ich sandte nach dir, um aus dem Schatze deines
Gedächtnisses einige Verse zu holen, deren Anfang mir
entfallen ist, von denen ich aber nur so viel weiß, dass sie
mit dem Worte Kanne endigen.
Ich fing an, meinen Versevorrat im Gedächtnis zu
durchgehen, und erinnerte mich endlich einiger Verse eines
alten Königs aus Jemen, die so lauten:
Früh sind die Tadler und die Neider aufgewacht!
Es schelten mich so Feind als Freund mit Vorbedacht.
Was kümmerts mich! es grünet frisch im Morgentau die Tanne,
Das Mädchen hält den Morgenwein in goldner Kanne.
Bey Gott! rief Jesid aus, das sind grade die Verse, die ich
im Sinne hatte, und begehrte zu trinken. Er befahl der Sklavin
auch mir einzuschenken, was sie zu dreimalen tat, so dass mir
alle Sinne vergingen. Dreimal, sprach ich, o Fürst der
Rechtgläubigen! ist meine Vernunft schon davon gelaufen. – Nun
was wünschtest du denn, um dieselbe noch ein viertes mal zu
verlieren? – Herr, eine der beiden Sklavinnen, die zu deiner
Seite stehen, wäre dies zu bewirken mehr als hinreichend. –
Nun, du sollst sie alle beide haben, mit ihrem ganzen Anzuge,
und hundert tausend Dirhem obendrein. Ich wusste nicht mehr,
wie mir geschah, indem ich Alles für einen Traum hielt. Am
nächsten Morgen aber zog ich mit dem versprochenen Geschenke
nach Kufa, wo ich seitdem ein vergnügtes Leben führe.