199. Die Feder und der Degen
Die Feder und der Degen, jedes auf seine Vorzüge stolz, und
stets im Streite begriffen, welchem von beiden vor dem andern
der Vorrang gebühre, kamen darüber einmal gar lebhaft zur
Sprache. Die Feder, immer gesprächiger als der Degen, begann
auch diesmal wacker zu schimpfen: Du zweischneidiger Bluthund!
sagte sie, du Herzendurchbohrer und Wohlstandzerstörer, wie
unterstehst du dich, mir in die Nähe zu kommen, mir
friedlichen Seele, die ohne Lärm zu machen, Jedem sein Recht
gewähre; glaubst du mir vielleicht Neigung einzuflößen zu
deiner langen hageren Figur, und zu deinem eisernen Antlitz
mit zwei Gesichtern? Du solltest wenigstens wissen, dass der
Koran in meinem Namen schwört, und dieser Schwur sollte dich
in den Schranken der gehörigen Ehrfurcht erhalten.
Der Degen. Ey du unerträgliche Schwätzerin, du herzloses
zweizüngiges Gesicht, wenn du nur deine schwarze Galle
ausgießen kannst, so geschieht dir schon leichter; mit welchem
Recht und Erfolge, das kümmert dich wenig. Das heiß' ich doch
gewaltig in der Einbildung leben, wenn du glaubst, dass man in
deine tintenbeklekste Fratze verliebt sein könne, oder dass
nur du allein dir auf deinen Adel Etwas zu Gute tun dürfest.
Geschieht meiner etwa weniger als deiner im Koran Erwähnung?
Schwört Gott der Herr nicht beim Degen wie bei der Feder? Und
welcher von diesen beiden Schwüren der wirksamere sei,
hierüber kann, dünkt mich, sogar in deiner ausgehöhlten Brust
kein Zweifel obwalten.
Die Feder. Sage, was du willst; mit meinem Ruhme kommt der
deinige doch nie in Vergleich. Die Leute zeigen nicht nur nach
mir mit den Fingern, sondern halten mich sogar mit dem
Zeigefinger fest.
Der Degen. Wohl wahr! ein Paar Finger sind genug, dich
federleichtes Geschöpf nach Belieben zu regieren; mich kann
nur die ganze Hand umfassen, mich regiert nur die Stärke des
Arms.
Die Feder. Siehst du, wie mein weiß atlasnes Kleid glänzt1,
wie die weißen Reiger auf dem Kopfe nicken, und Moschus meinen
Tritten entströmet.
Der Degen. Und hast du keine Augen für mein blaugewässertes
spiegelndes Staatskleid, für das goldne Diadem, das sich um
meinen Kopf schlingt, und für mein Haus mit Goldblech gedeckt,
dem ich wie der Blitz entfahre, während du nur langsam und mit
Mühe deiner Behausung, dem Futterale, entschliefest.
Die Feder. Rede mir nur nicht viel von deinem schielenden
Staatskleid; sieht es ja aus, als ob ganze Heere von Ameisen
darauf herumkröchen2.
Der Degen. Die doch immer mehr Ehrfurcht gebieten, als die
Ameisenfüße, die dein Werk sind.
Die Feder. St! mache deinen Prahlereien einmal ein Ende,
schweige und höre dem lieblichen Tone, der meiner Zunge
entfließt, wenn ich mit dem Schritte des Zephirs über die
weißen Papyrusfluren hingleite3.
Der Degen. Hättest du lieber selbst geschwiegen, und mir
dein ohrenzerreißendes Gekratze nicht in den Sinn gebracht.
Zum Glücke höre ich wenig davon mitten unter dem Schalle von
Trompeten und Pauken, mit dem mich das Lager früh und Abends
begrüßt.
Die Feder. Sage auch, mitten unter dem Getöse des
Hufschlags der Pferde, dem Geklirre der Waffen, dem
Schlachtgeschrei, dem Mordausruf, dem Wehklagen der
Verwundeten, dem Ächzen der Sterbenden, dem Gekrächze der
Raubvögel, und dem Geheul der Schakale.
Der Degen. Freilich hast du keinen Begriff von männlicher
Kraft und Tapferkeit; ich durchwühle die Minen der Brust, und
hole die Rubinen der Herzen daraus hervor, wie der
Schatzgräber in Bedachschan4.
Die Feder. Ich beneide dich um solche Schätze nicht. Um wie
viel kostbarer sind nicht die, so ich auf meinen Reisen
sammle, und auf meinen beständigen Wanderungen vom schwarzen
Meere nach Chatan, und von Chatan nach dem schwarzen Meere5.
Ich durchwühle nicht, wie du, blutige Busen, um Rubinen zu
finden, aber ich tauche ins Meer, um Perlen heraufzuholen, und
wenn ich sie aufgefischt, so weiß ich sie auch zu durchbohren,
und an einander zu reihen.
Der Degen. Du bildest dir auf deine Reisen gar zu viel ein,
meinst du denn, ich habe die Welt nicht gesehen, weißt du
nicht, dass ich ursprünglich aus Indien komme, und in den
Fluten des Ganges zuerst gestählt ward.
Die Feder. Das heiß' ich weit hergeholt; wenn ich von
meinem Vaterlande hätte sprechen wollen so hätte ich dir von
Ägypten erzählt, wo ich neben dem Papyrus an den Ufern des
Nils aufgewachsen bin.
Der Degen. Ich habe mehr als einmal die ganze Erde
durchzogen, alle Reiche erobert, und alle Völker mir
untertänig gemacht.
Die Feder. Wie hättest du aber deine Herrschaft ohne mich
befestigen können; was wäre aus ihr geworden ohne Gesetze und
Wissenschaften? Ich schreibe das Gesetz. –
Der Degen. Und ich vollstrecke es.
Die Feder. Mich lieben die Guten und Weisen aller Zeiten
und Geschlechter.
Der Degen. Mich ehren die Mächtigen und Großen aller Länder
und Völker.
Die Feder. Vor Erschaffung der Welt ward ich erschaffen,
und schrieb auf der diamantenen Tafel die unabänderlichen
Beschlüsse des Schicksals.
Der Degen. Am Tage des Gerichts noch werde ich flammen in
der Hand des Engels, der die Guten von den Bösen scheiden
wird.
Die Feder. Ohne mich wäre Gottes Wort auf Erden nie
unverfälscht erhalten worden. Gabriel stieg damit vom Himmel
nieder, um es dem Propheten zu offenbaren, aber ich habe es
aufbewahret für künftige Zeiten.
Der Degen. Wer aber hat es ausgebreitet über den ganzen
Erdkreis als ich? – Vergiss nicht, der Prophet hielt in der
einen Hand den Koran, in der andern mich.
Die Feder. Da hast du ein wahres Wort geredet, und fast
sollte ich daraus schließen, dass wir einer näheren Verbindung
und Freundschaft fähig sind, als wir es unserer Natur nach zu
sein scheinen.
Der Degen. Vielleicht ist's so, wie du sagst, wenn wir die
Sache näher beym Lichte betrachten.
Die Feder. Wirklich könnte man dich eine Feder nennen,
welche viele Namen aus dem Buche der Lebendigen mit einem Zuge
ausstreicht.
Der Degen. Und dich einen zweyschneidigen Degen, der die
verworrensten Knoten mit einem Hiebe entzwei haut.
Die Feder. Auch übernimmst du meine Rolle und schlichtest
meine Geschäfte. So schreibst du nicht selten Gesetze vor. –
Der Degen. Und du eroberst die Meinungen.
Die Feder. Auch gestehe ich, dass ich nur zu oft gezwungen
bin, dir zu gehorchen.
Der Degen. Wofür du mich mehr als einmal wider meinen
Willen in die Scheide steckest.
Die Feder. Wie wäre es denn, wenn wir künftighin, anstatt
einander Schabernake anzutun, und böse Streiche zu spielen,
uns einmal für allemal im Guten verglichen, Jedes von unsern
Forderungen des Vorranges Etwas nachgäben, und alle unsere
Kräfte aufböten, die Erde und ihre Bewohner so glücklich zu
machen als möglich.
Der Degen. Was den letzten Punkt anbetrifft, so magst du
träumen so viel du willst, und ich mag kein Wort darüber
verlieren. Unter uns allein kommen wir schwerlich je ins
Reine, und es bedarf eines Mittlers, der uns Beide in den
gehörigen Schranken zu erhalten weiß, so dass wir weder zu
viel, noch zu wenig angesehen werden, dass weder du mir
unumschränkt gehorchen, noch ich dir blindlings folgen darf.
Wo der aber zu finden, das weiß Gott besser.
Fußnote: Hier mussten die Farben des Bildes
verändert werden, um auf unsere Federn anwendbar zu sein. Der
gelbe Taft und der schwarze Kopfputz des Originals, wo von
orientalischen Federn, das ist, von gelbbraunen Röhren mit
schwarzen Knoten die Rede ist, wäre sonst vielen Lesern
unverständlich. Ohnedies wird eine kältere nordische
Einbildungskraft öfters nur mit vieler Mühe dem Hipogrifenflug
der orientalischen nacheilen.