112. Wer da suchet
Wer da suchet, der findet, und wer anklopft, dem wird
aufgetan, sagt ein arabisches Sprichwort. – Das will ich
versuchen, sagte ein junger Mensch, der dasselbe oft genug von
seinem Lehrer wiederholen gehört hatte. Er machte sich auf
nach Bagdad und stellte sich dem Wesire vor. – Herr! sprach
er, ich habe lange genug ein stilles, abgeschiedenes Leben
geführt, dessen ich nun überdrüssig bin. Ich habe stets meinen
Willen bekämpft, und mir nie etwas ernstlich zu wollen
erlaubt. Weil mein Lehrer mir aber gar zu oft wiederholt hat:
Wer da suchet, der findet, und wer da anklopft, dem wird
aufgetan; so habe ich es mir in den Kopf gesetzt, etwas recht
ernstlich zu wollen, und zwar nichts Geringeres, als die
Tochter des Chalifen zur Frau.
Der Wesir glaubte, der arme Mensch sei verrückt, und hieß
ihn ein andermal wiederkommen. Er kam alle Tage, ohne sich
abweisen zu lassen. Einmal traf es sich, dass der Chalife
selbst unbekannterweise sich beim Wesire befand, als der junge
Mensch wieder kam. – Er hörte sein sonderbares Begehren mit
Erstaunen an; weil aber seine Majestät eben nicht in der Laune
waren, ihm den Kopf abschlagen zu lassen, so sprachen
Höchstdieselben: Eine Prinzessin sei keine Kleinigkeit, wer
dieselbe verdienen wolle, müsse sich ihrer auch durch irgend
eine außerordentliche Gabe oder Unternehmung würdig erzeigen.
Vor undenklichen Jahren sei ein Karfunkel in den Tigris
gefallen, wer denselben brächte, dem sei die Hand der
Prinzessin bestimmt. – Der Jüngling nahm des Chalifen Zusage,
und ging an das Ufer des Tigris.
Er hatte nichts als ein Geschirr, mit dem er Wasser
ausschöpfte, das er am Ufer ausgoss, worauf er sein Gebet
verrichtete. Dies tat er vierzig Tage lang. Die Fische, die
ihn alle Tage wiederkommen und dasselbe tun sahen, fingen an
unruhig zu werden. Sie hielten Staatsrat darüber. Was will der
Mann? fragte der Altvater der Fische. – Den Karfunkel, der
seit so vielen Jahren im Schlamme des Tigris liegt. – Ich rate
euch, sagte der Altvater, liefert ihm denselben aus, denn,
wenn er den festen Willen und ernstlichen Vorsatz hat,
denselben zu finden, so wird er, das sag' ich euch, eher den
Tigris ausschöpfen, als von seinem Vorhaben abstehen. Die
Fische, aus Furcht ins Trockne zu kommen, warfen den Karfunkel
ins Geschirr des Jünglings, der alsdann die Tochter des
Chalifen zur Frau erhielt. Es kann viel, wer ernstlich will.