30. Iskender oder Alexander
[Rand: Iskendername.]
Die Meinungen unter den Gelehrten des Islam's über
Alexandern sind geteilt; die Einen erkennen ihn bloß als König
und Eroberer, die Andern auch als Propheten. Die Ersten deuten
seinen Beinamen, der Zweihörnige, auf die Ausdehnung seiner
Macht, durch die er die ganze Welt von Osten bis Westen wie an
zwei Hörnern umfasste und festhielt; die zweiten sehen in den
Hörnern nichts als Ausströmungen der prophetischen
Begeisterungsflamme, die von den beiden Enden der weit
hinaufgezogenen Stirne hoch emporschlägt, und den
Heiligenschein des Genius bildet.
Sei er nun den Eroberern allein, oder auch den Propheten
beizuzählen, so haben wir um so weniger Schwierigkeit, ihm in
der Geschichte der letzten einen Platz anzuweisen, als er
denselben schon durch das Wunderbare und Außerordentliche
seiner Unternehmungen und Taten, welche den Erdkreis erstaunt
haben, verdient. Die morgenländischen Geschichtsschreiber
kennen aber zwei Fürsten dieses Namens, denen sie beiden den
Ehrennamen des Zweihörnigen beilegen. Unter dem ersten
verstehen sie einen ältern Welteroberer, gemeiniglich
Dschemschid, unter dem zweiten den griechischen Alexander, von
welchem hier die Rede ist.
Mit Bedacht nennen wir ihn den griechischen Alexander, und
nicht den Sohn Philipps, denn die morgenländischen
Geschichtsschreiber halten ihn nicht dafür. Sie erzählen, Dara
(Darius), der große König, habe die Tochter Philipps, des
persischen Statthalters über Makedonien, zur Ehe genommen, sie
aber nach der ersten Nacht ihrem Vater zurückgeschickt, weil
sie aus dem Munde roch. Sie war schwanger und gebar
Alexandern. So weit geht der Stolz und Nationaldünkel der
Perser, dass sie den Zerstörer und Usurpator ihres alten
Reiches für keinen Fremdling, sondern für einen Eingebornen
gehalten wissen wollen. Seine Mutter konnte eine Ausländerin
sein, wie die Frauen der Könige insgemein, aber vom Vater aus
musste persisches Blut in seinen Adern wallen, wenn gleich
durch uneheliche Geburt befleckt.
Sein Großvater Philipp erzog ihn nach griechischer Sitte
mit Unterricht in allen Künsten und Wissenschaften, und
bestellte zu diesem Ende eine Akademie griechischer
Philosophen, deren Vorsteher Aristoteles war. Die erste
Beschäftigung dieser Akademie war, dem Prinzen die Nativität
zu stellen, und sie fanden, dass er die Welt erobern müsse,
weil er unter der Konstellation der Venus und Jupiters geboren
sei, denn Macht und Schönheit, Herrschaft und Liebe zusammen
verbunden erobern die Welt. Daher heißt er auch
Sahibal-Iktiran1
d.i. der Herr der großen Glücksconstellation. Aristoteles
unterwies den Prinzen fleißig in der Moral und
Naturgeschichte.
Der Teufel erschien zwar einige Mal verkleidet bei Hof, um
ihn zu verführen, aber dafür besuchte ihn auch der Prophet
Chisr, um ihn mit heilsamen Ermahnungen auf dem guten Wege zu
bestärken, so dass sich die Bearbeitungen des Sohns der
Finsternis und die Bemühungen des Hüters des Lichtquells das
Gleichgewicht hielten. Satan und Chisr, der böse und gute
Genius, erscheinen wechselweise an jedem Hofe, um Könige und
Fürsten zu beraten. Prinzenerzieher von des Stagiriten
Weisheit lehren ihre Zöglinge, den einen von den andern zu
unterscheiden, damit sie sich vom ersten unter der Gestalt des
letzten nicht verführen lassen.
Satan kam einst als Zigeuner, dem Prinzen wahrzusagen, ein
andermal als Bärentreiber mit einem großen Bären an der Kette,
den er tanzen und possierliche Sprünge tun ließ. So, sagte er,
o Prinz, regiert man das Volk, brich ihm nur erst die Zähne
aus, und leg es in Ketten, es wird dir tanzen nach deinem
Belieben. Chisr erschien einmal[269] als Mährchenerzähler, wo
er Alexandern die Fabel vom reichen Mann, der dem armen sein
einziges Schaf wegnahm, vorerzählte, ein andermal als Jäger
mit einem Löwen, den er nicht in Ketten, sondern an einem
Haare führte. So, sprach er, o Prinz, leitet Liebe und
Sanftmut das Volk, das die Ketten zertrümmern würde.
Auf diese Art empfing Alexander wiederholte Besuche von
Satan und Chisr. Schade nur, dass jener diesem fast immer die
Vorhand abgewann, und der letzte oft zu spät kam, den Eindruck
auszulöschen, welchen die Vorspiegelungen des ersten
hervorgebracht hatten. Aristoteles, der freilich nie fehlte,
den Engel der Finsternis zu entlarven (wenn zugegen) war oft
abwesend, und trug auf seinem Kabinett die Beschreibungen
neuer Tiere ein in seine Naturgeschichte Adschaibol-machlu kat,
d.i. Wunder der Geschöpfe betitelt, oder blätterte in dem
Traumbuch Jussufs, um die Träume Alexanders auszulegen. Träume
sind Eingebungen des Himmels und zeigen, wie die
Vorbedeutungen, bald Glück bald Unglück an. Alexander hatte
von seiner Jugend auf immer glückliche Dara, immer
unglückliche Träume.
Der Tribut, den Alexander als Statthalter des persischen
Königs über Mazedonien entrichten musste, bestand in tausend
goldnen Eiern. Er verweigerte denselben. Dara ordnete eine
Gesandtschaft ab, den Tribut einzufordern. Die Gesandten
brachten einen Sack Sesam mit sich, den sie vor Alexandern auf
der Erde ausstreuten: Dies, sprachen sie, schickt dir der
König als Futter für die Hühner der goldenen Eier. Hierin
bestand der öffentliche und diplomatische Auftrag der
Gesandtschaft, der geheime und politische Sinn aber, der
darunter versteckt lag, war noch ein andrer. Denn der Sack mit
Sesam wollte sagen: Zahlreich wie die Sesamkörner sind des
großen Königs Heere, fürchte seine ungeheure Macht. Alexander,
der sowohl die Botschaft als die angefügte versteckte Drohung
sehr wohl verstand, ließ vierzig Hahnen bringen, und
antwortete den Gesandten: Mir ist leid, die Hühner, welche die
goldenen Eier legten, sind umgekommen, ich habe, wie ihr
sehet, nichts als Hahnen; sagt dies Eurem Könige. Die Hahnen
aber fielen über den Sesam her, und fraßen denselben rein auf.
Dies war zugleich die stillschweigende Antwort auf den
stillschweigenden Teil der Botschaft; nämlich: Ich fürchte
nicht die Macht des Königs, wenn auch noch so zahlreich. Der
Muth meiner tapferen Heere wird dieselbe verschlingen.
Diese Äußerung diente zugleich als Kriegserklärung, und die
Manifeste damaliger Zeit wurden gewöhnlich in solcher
Bildersprache ausgegeben. Auch lassen sich die öffentlichen
und versteckten Gründe der neuesten Kriegsmanifeste sehr wohl
auf die Verweigerung goldener Eier, auf die Drohung mit
Heeren, zahlreich wie Sesamkörner, und auf die Gegenantwort
von Widerstand mit Hahnenmut zurückführen.
Der Krieg war nun entschieden. Alexander zog mit seinem
tapfern Heere, von seinen Philosophen und Gelehrten begleitet,
nach Asien. Unaufhaltsam rückte er vor bis Tarsus, wo er sich
in Besitz des Felsenschlosses setzte, einen Befehlshaber
zurückließ, und sich landeinwärts wandte.
Dara kam mit seinem Heere, das Schloss zu belagern, und
umzingelte es mit sieben und siebzig Umschanzungslinien aus
dem Felsen gehauen. Diese Felsenlinien erregen noch heut zu
Tage das Staunen des Wanderers2.
Zum Glücke für die Besatzung von Tarsus eilte Alexander mit
seinem Heere zum Entsatze herbei.
Nicht weit davon kam es nach mehreren einzelnen Gefechten
zur allgemeinen Hauptschlacht, in der Dara fiel, und alle
seine Feldherren, die Fürsten von Tschin und Matschin, von
Hind und Sind, von Turkistan und Tataristan, von Sistan und
Chorasan, von Schirwan und Kilan, von Zabulistan und
Masenderan, von Balch und Samarkand, von Gurdschostan3
und Kurdistan, von Jemen4
und Mistir5, von
Habesch6 und
Mogrib7 zu
Gefangenen gemacht wurden.
Alexander ließ den Leichnam Dara's mit Ehren bestatten,
seine beiden Feldherren Makar und Mahiar aber an Bäumen
aufknüpfen, weil sie sich nicht gehörig geschlagen, und ihren
Herrn verraten hatten. In Tarsus besah Alexander den Pallast
Sam's, des Sohns Noe's, der dorten, wie eine alte Innschrift
sagte, über zweitausend Jahre residierte.
Von da zog er nach den Ufern des Tigris und des Oxus. Auf
dem Wege hatte er einen wunderbaren Traum von sieben
Siebensachen. Es träumte ihm nämlich von sieben Schlangen,
sieben Perlen, sieben glühenden Rosen, sieben Lichtern, sieben
Strömen, sieben Bergen, und von einem siebenköpfigen Drachen.
Aristoteles holte sogleich das Traumbuch Jussufs, schlug unter
der Zahl sieben, und dann die angegebenen sieben Hauptstücke
nach, und fand: die sieben Schlangen seien sieben schlaue
Feldherren, oder Staatsmänner, welche Alexander durch Gewalt
und List besiegen würde; die sieben Perlen, der schönste
Schmuck der Weltkrone, seien sieben Königreiche, die er mit
den sieben glühenden Rosen, das ist, mit ihren sieben Schätzen
erobern sollte. Unter den sieben Lichtern würden die sieben
Weisen der Welt verstanden; siebenfach ströme der Nil ins
Meer; und auf sieben Bergen throne die Hauptstadt der Welt.
Mit den sieben Weisen werde er Verkehr haben, und auf ihr
Einraten zum Verkehr des Welthandels an der Mündung des Nils,
und am Bosporus Städte erbauen (Alexandria und Byzanz). Der
siebenköpfige bezwungene Drache endlich bedeute die sieben
wildesten Völker der Erde, welche er bezwingen, und durch
seine Herrschaft im Zaum halten werde; Gog und Magog, die
Bewohner des Atlas und Kaukasus, die Beduinen der arabischen
und nubischen Wüsten und die Dschinnen oder Diwe.
Die letzten hatte zwar schon Rustem und andere persische
Helden, welche den Ehrennamen der Diwbändiger verdienen, in
die Höhlen des Gebirges Kaf zurückgetrieben, aber von Zeit zu
Zeit wagen sie sich noch heraus, um die bewohnte Erde zu
verwüsten, und wenn möglich, das Reich Ahrimans
zurückzuführen. Unsterblichen Dank verdienen daher die
Fürsten, welche wie Tahmuroß und Dschemschid, oder die Helden,
die wie Sal und Rustem als Diwbändiger auftreten, die Werke
der Finsternis mit starker Hand vernichten, und die Dämonen in
Bergklüfte sperren, wo sie unschädlich mit ihren Ketten
rasseln zum Schrecken späterer Geschlechter, welche mit Grauen
die Möglichkeit denken, dass die Diwe einst ihre Fesseln
zerschlagen, und wieder die Welt in Nacht und Graus stürzen
könnten.
Das Heer stieß am Wege auf eine einzelne Säule, auf der
ehemals eine Statue gestanden zu haben schien. Ein Knabe, der
nichts Besseres zu tun wusste, kletterte hinauf, und setzte
sich oben aufs Capital der Säule nieder. Kaum hatte er sich
niedergesetzt, so fing es an ihn zu heben mit prophetischer
Begeisterung, und er verfiel in eine Art von heiliger Raserei.
Er drehte sich auf seinem Sitze beständig im Kreise herum, und
je nachdem er sich in verschiedene Gegenden kehrte, sprach er
begeistert als Weiser, als Wesir, als König. Alexander sah der
Erscheinung, die ihm noch nicht vorgekommen war, doch in der
Folge häufig vorkam, mit Erstaunen zu, und fragte sogleich den
Stagiriten, was das wäre.
Herr, sprach Aristoteles, diese Säule ist, was wir in der
Kunstsprache Jethi'matalib oder eine Wunschbefriedigung
nennen, und was sonst in Griechenland insgemein ein Orakel
heißt. Hier liegt nämlich ein großer Mann begraben, dessen
Geist auch nach dem Tode fortwirkt, und durch die Säule Allen,
die darauf sitzen, sich mitteilet. War der Begrabene ein
Schätzebesitzer, so teilt er dem Sitzenden seinen Reichtum,
war er ein König, seine Macht mit, war er ein Weiser oder
Prophet, so begeistert er sie mit seinem Genius, und
befriediget auf diese Weise die vornehmsten Wünsche der
Sterblichen nach Reichtum, Macht und Weisheit, weswegen solch
ein Grabmal Jethi'matalib oder Wunschbefriedigung heißt. Wer
sich einmal darauf gesetzt hat, den bewegt der Geist
unwiderstehlich, und er muss, will er oder nicht, von der
Säule herab predigen. Solch ein Grabmal bedarf keine
Innschrift, denn es spricht sich durchs lebendige Wort aus,
und die Steine reden als Orakel. Da der Knabe bald als Weiser,
bald als Wesir, bald als König spricht, so ist kein Zweifel,
der große Mann, der hier ruhet, habe diese drei Würden in sich
vereinet. Wir wollen sehen, sprach Alexander, und ließ die
Säule wegräumen. Man fand darunter das Grab Sandschar's, eines
alten Weisen, der zugleich Wesir und zuletzt König war. Seine
alte Residenz liegt verwüstet an den Ufern des Oxus, dessen
Fluten die meisten Denkmale seiner Macht und Größe begraben
haben.
Alexander wandte seinen Zug gegen Syrien, wo er das Grab
Davids besuchte, so wie in Roche die schöne kühle Grotte, in
der Abraham vor Nimrods Grimm verborgen ward. Von Jerusalem
zog er nach Tadmor und Istachar um die Paläste Salomon's zu
besuchen. Mit Erstaunen durchwandelte er die unabsehlichen
Säulengänge und Marmorhallen, auf deren Wänden Salomons Thron
und Hofstatt eingehauen ist. Die Gelehrten, so Alexandern
überall begleiteten, lasen und erklärten die Innschriften von
Tadmor und Istachar.
Weil ihre Erklärung und Auslegung aber gar nicht
zusammenstimmte, hielt sich Alexander mehr an die Formen der
Gebäude, und an die steinernen Gebilde als an die Ameisenfüße
und Pfeilbuchstaben von Palmyra und Persepolis.
Die Eroberung der festen Schlösser Persiens kostete
Alexandern viele Zeit und Mühe; am meisten die der Festung
Schußer, deren Bewohner sich schon damals durch teuflische
Bosheit auszeichneten. Der Befehlshaber von Schußer war
Tschehelpai Iraki, das ist Vierzigfuß aus Irak, ein gewandter
Schlaukopf, der Alexandern manche Fallen legte, denen er
glücklich entging.
Indem wir die verschiedenen Wunschbefriedigungen, welche
Alexander auf seinen Kreuz- und Querzügen entdeckte und hob,
mit Stillschweigen übergehen, befriedigen wir zweifelsohne den
Wunsch der Leser. Bald waren es Schätze, bald unterirdische
Paläste, bald politische und bald medizinische Orakel.
Schabur, der schon besiegte Fürst von Chorasan, hatte sich
empört, und Alexander zog dahin, die Empörung zu stillen. Auf
dem Wege ward er schwer krank, er badete sich auf Anrathen der
Ärzte in einer warmen Quelle und genas. Ober der Quelle ließ
er zum Andenken einen Palast aufbauen, den er Tabris d.i.
warmströmend nannte. Dies ist der Ursprung der Stadt Tabris,
noch heut zu Tage berühmt durch die heilsame Eigenschaft ihrer
warmen Bäder.
Der Schah von Chorasan unterwarf sich Alexandern, und
erhielt Verzeihung. Sie zogen zusammen nach Bedachschan, um
dort die berühmten Rubinenminen zu besuchen, welche
Dschemschid zuerst entdeckt hatte.
Alexander erkundigte sich, ob es sonst in der Gegend nichts
Wunderbares gebe. Man zeigte ihm verschiedene alte
Innschriften, und seltsame Tiere.
Aristoteles entzifferte die ersten als Vermächtnisse der
Weisheit Dschemschids, und bereicherte mit den Beschreibungen
der zweiten seine Naturgeschichte Adschaibi Machler kat oder
die Wunder der Geschöpfe betitelt.
Auch führte man Alexandern in Grotten und Höhlen, wo es
unheil war und den Besuchenden gewöhnlich die Augen
auskratzte. Alexander bändigte die Stifter dieses Unheils, die
Dschinnen, und Isrit, von denen er sich zur Unterhaltung ihre
Buben- und Teufelsstreiche erzählen ließ.
Von hier richtete Alexander seinen Lauf nach Sistan, wo
damals Ardschasp einer der Nachkommen Rustems herrschte. Die
Tochter Ardschasps, Prinzessin Rosenstengel, verliebte sich
sterblich in Alexander, und weil sie keine bessere Art
ersinnen konnte, ihm ihre Liebe zu erklären, verabredete sie
mit ihrer Amme den Anschlag, ihm ihr Portrait in die Hände zu
spielen. Dies geschah, und wirkte. Mehrere heimliche
Gesandtschaften mit Blumenbriefen und Früchtebotschaften in
der Haremssprache wurden hin und her geschickt, und der große
König beging alle Narrheiten, die ein gewöhnlicher Verliebter
hätte begehen können.
Um bis Prinzessin seines Herzens unbemerkt zu sehen,
verkleidete er sich sogar einmal als Bettler, und wartete auf
dem Wege, wo sie zur Kirche ging, und gewöhnlich Almosen
ausspendete. Prinzessin Rosenstengel erkannte ihn aber
ungeachtet seiner Verkleidung, und gab ihm einen leichten
Schlag auf die Backen, um ihn in seiner Liebe zu konfirmieren.
Eine in den eroberten Provinzen ausgebrochene Empörung
nötigte Alexandern, den angesponnenen Liebeshandel zu
unterbrechen und von Sistan abzuziehen.
Dafür sandte er aber Aristoteles als Brautwerber, dass er
um dieselbe in allen Ehren anhalten möge. Unglücklicherweise
erhielt er von Ardschasp eine abschlägige Antwort, und
Alexander sah sich gezwungen, seinen vorerwählten
Schwiegervater mit Krieg zu überziehen. Aber eben so galant
als tapfer belagerte er zu gleicher Zeit die Prinzessin und
den Fürsten, die Stadt, und das Herz seiner Geliebten,[279]
und zwang beide sich ihm zuletzt auf Gnade und Ungnade zu
ergeben.
Gegenüber dem Köschb der Prinzessin hatte er rosenfarbne
Zelte aufspannen lassen, deren grünseidne Stricke gleichsam
die Stängel der Zeltrosen vorstellten, und also eine witzige
Anspielung auf den Namen der Prinzessin enthielten, der auch
zum Losungswort gegeben ward.
Mit Auf- und Untergang der Sonne warf Alexander Rubinen
aus, wodurch er zu verstehen gab, dies seien die blutigen
Tränen seines Herzens, und während die Belagerungsmaschinen
Felsen gegen die Mauern der Stadt schleuderten, schoss er auf
goldenen Pfeilen Liebesbriefe hinein, welche die Prinzessin
mit vieler Rührung las, und dann die Pfeile statt Nadeln in
die Haare steckte. Auch trug sie zum Kopfputz das Feldzeichen
Alexanders, einen diamantnen zweigehörnten Neumond, als zarte
Anspielung auf ihres künftigen Gemahls Ehrennamen, dem sie
hierdurch im voraus ihren vollen Beifall ertheilte. Von dieser
galanten Belagerung und gewaffneten Bewerbung Alexanders des
zweihörnigen um die Prinzessin Rosenstängel, schreibt sich in
den Haremen die Mode her, Pfeile und Monde in den Haaren zu
tragen, als Symbole von Liebesbriefen und Hörnern.
Endlich ergab sich so Vater als Tochter, wie das Herz so
die Stadt, und die Hochzeit wurde mit persischer Pracht und
griechischem Geschmacke gefeiert. In der Brautnacht beschloss
Alexander seinen Zug nach Indien, bloß in der Absicht, von
dort eine der Prinzessin würdige Morgengabe zu holen; der Zug
ging längs den Küsten des persischen Meeres. Auf einer wüsten
Insel kamen sie zu einem aus dem lebendigen Felsen gehauenen
Palast, zu dem man auf sieben Riesenstufen emporstieg. Die
sieben Stufen formten eine Pyramide, auf deren Platte der
Palast stand. Die Stufen waren zu hoch, um mit den Füßen
erstiegen zu werden.
Man musste sich voltigierend emporschwingen von Stufe zu
Stufe, und dann erst konnte man nicht zum Gipfel emporkommen.
Denn wie man sich auf die erste Stufe emporgeschwungen hatte,
schoss vor dem Thor des Palastes ein Riesenkopf auf; war man
auf die zweite Stufe gelangt, so erhob sich der Riese in
voller Gestalt von Kopf zu Fuß. Bei Ersteigung der dritten
Stufe trat er einen Schritt vorwärts; wenn die vierte
erstiegen war, griff er um ein ungeheueres Felsenstück, und
zerschmetterte damit den Kühnen, der es gewagt hatte, sich bis
zur fünften emporzuschwingen. Alexander wollte den Versuch
machen, aber Aristoteles hielt ihn beim Zipfel des Kleides
zurück, und belehrte ihn, das sei ein Talisman, wodurch ein
verborgener Schatz verwahrt werde. Um den Schatz zu heben,
müsse man die Pyramide von Grund aus zerstören. Alexander
befolgte den Rath, zerstörte die Pyramide, und hob den Schatz.
Aristoteles hielt bei dieser Gelegenheit in der Akademie
eine gelehrte Abhandlung über den Unterschied zwischen einer
Wunschbefriedigung oder Orakelsäule, und zwischen einem
Talismane, welche gewöhnlich über Schätze gesetzt sind. Die
Orakelsäule verkündet den Schatz, der Talisman bewahrt
denselben. Furchtloser Stärke und festem Willen ist kein
Schatz unerheblich, kein Talisman unzerstörbar.
An der Grenze Indiens fand Alexander einen Brahman oder
Gymnosophen, mit dem er sich in Gespräch einließ, um sich über
indische Weisheit zu belehren. Behmen, dies war der Name des
Brahmans, erklärte Alexandern das indische Schöpfungssystem.
Nach demselben wurden zuerst die Berge erschaffen. Vier und
fünfzigtausend Jahre später süßes und bitteres Wasser. Nach
anderen vier und fünfzigtausend Jahren kam ein stierähnliches
Tier zum Vorschein, das lange ruhig die Welt bewohnte, zuletzt
aber übermütig zu werden anfing, und Zweige von Bäumen abriss.
Einen solchen Zweig ließ es aus dem Munde fallen auf den
Platz, wo heute Mekka steht. Der Zweig wurzelte, und ward zu
einem Baume, vor dem das Tier erschrocken davon lief.
Der Baum trug Früchte, die ganz mit Mücken und Gälsen
angefüllt waren. Nach einiger Zeit kam das Tier wieder, und
wollte den Baum ausgraben. Da blies ein heftiger Wind, der die
Früchte des Baumes herunterschüttelte, dass die Schale
zerbrach und die Mückenheere in Freiheit gesetzt wurden. Sie
fielen über das Tier her, und sogen ihm das Blut aus, bis es
umfiel. Dann bewohnten und beherrschten Mücken und Gälsen die
Welt. Da auch diese sich nicht in Einigkeit vertragen konnten,
sandte Gott einen Wind, der sie alle vernichtete. Weil aber
der Wind zu viel Unheil stiftete, schuf Gott aus dem Winde
Pferde, und als auch diese störrig wurden, schuf Gott aus
Feuerfunken Dschinnen, die Pferde zu bändigen. Aus diesen
Pferdebändigern oder Hippocentauren wurden die heutigen
Menschen.
Als Alexander endlich über die Gränze vorgedrungen war,
schrieb er an Keid, den König Indiens: er möge, wenn ihm sein
Thron lieb wäre, kommen, denselben durch freiwillige Huldigung
zu erhalten. Keid antwortete ihm: die ganze Welt hast du
siegreich durchzogen, und willst nun auch mein Reich erobern;
und dann welchen Grund hast du erst, auf diese vergängliche
Welt so stolz zu sein?
Und auf was bist denn du stolz? schrieb ihm Alexander
zurück.
Auf meine Wissenschaft, war die Antwort, die du mir nicht
rauben kannst. Zugleich schickte Keid als Gesandte zwei
Gelehrte, einen Philosophen und einen Arzt. Sobald sie
angekommen waren, sandte Alexander dem Philosophen ein mit
Schmalz angefülltes Gefäß. Dieser sandte es zurück, nachdem er
tausend und einen eisernen Stift hineingesteckt hatte.
Alexander ließ die Stifte einschmelzen, und dem Philosophen
die daraus gewordene Platte überbringen; dieser glättete
dieselbe so, dass sie der König wieder als Spiegel zurück
erhielt.
Nun erschien der Philosoph, und auf die von Alexander
gemachte Frage, was er glaube, dass unter dem mit Schmalz
gefüllten Topfe gemeint gewesen sei, antwortete er: du
wolltest mir hierdurch sagen: weich und jedes Eindrucks
empfänglich, wie das Schmalz, ist mein Geist; aber wie das
Schmalz von jedem fremdartigen Körper rein ist, so ist auch
mein Geist an aller Kenntnis leer. Ich steckte eiserne Stifte
hinein, um anzuzeigen, ich sei Willens, wissenschaftlichen
Stoff in dein Gemüt zu legen, du machtest daraus eine Platte,
mir verstehen zu geben, dass dein Herz durch Blutvergießen
hart geworden sei, wie ein eiserner Schild, und ich
verwandelte denselben in einen Spiegel, weil ich dein Herz
durch meine Lehren zu erweichen und durch meine Ermahnungen
abzuschleifen gedenke.
Alexander ließ hierauf den Arzt rufen, und fragte ihn,
woraus alle Krankheiten entsprängen?
Daraus, antwortete dieser, weil die Menschen Dinge essen,
deren schädliche Eigenschaften sie nicht kennen, und als er
wieder gefragt ward, worin alle Heilmittel beständen,
antwortete er: darin, dass die Menschen Dinge essen, die mit
Kunst zu ihrem Heile bereitet worden.
Dem griechischen König wollte weder die Weltweisheit des
indischen Philosophen, und noch weniger die Arzneikunde des
Arztes behagen, und er fand sowohl die eine als die andere
ziemlich abgeschmackt und ungesalzen.
Einst erblickte Alexander in seinem Ruhegemache ein
fürchterliches Gespenst: Wer bist du? rief ihm der König zu;
die Krankheit, schrie es auf, und sprang gegen Alexandern,
dessen Glieder ein kalter Schauer durchbebte.
Er ging hinaus, und als ihn der Arzt fragte, warum er so
blass aussehe, antwortete er: ich weiß es nicht, und verhehlte
sein Übel. Am nächsten Morgen trat der Arzt zu Alexandern mit
diesen Worten: König, eine Krankheit hat dich befallen, warum
verheimlichst du dein Übel, ich bin ja da, dasselbe zu heben.
– Ei, versetzte Alexander, wenn du darum da bist, warum hast
du denn nicht ohne aufgefordert zu sein, die nötigen Arzneien
bereitet?
Der Arzt bereitete ein Elixier, Alexander nahm es, und bald
hernach erblickte er dasselbe Gespenst im Fliehen begriffen.
Ich fliehe, sprach es, weil dein Arzt eine Arznei bereitet
hat, die mich gänzlich verzehrt. Alexander ging heraus, und
der Arzt goss das noch übrige Glas Arznei zur Erde. – Warum
dies? fragte Alexander. Weil, war die Antwort, während du im
Ruhgemache warst, die Krankheit von dir wich.
Alexander staunte über so tiefe Wissenschaft, und besonders
darüber, dass der Arzt eine so mühsam bereitete Arznei lieber
habe wegschütten, als eingeben wollen. Er hielt ihn fortan in
hohen Ehren; deswegen heißt es im Koran: werden die, so etwas
wissen, denen, so nichts wissen, wohl gleichgehalten werden?
Ein altes Orakel hatte Alexandern vorausgesagt, er werde
dort sterben, wo die Erde Eisen und der Himmel Gold sein
werde. Lange begriff Alexander den Sinn der Worte nicht; als
er aber wenige Stunden vor seinem Hinscheiden bemerkte, dass
er auf seinem Panzer ruhe, und ein Zelt aus Goldstoff sein
Haupt überschatte, erinnerte er sich der Vorhersagung, und
schrieb an seine Mutter folgenden Brief:
Wisse, dass die Mutter der Sterblichen der Tod, und ihr
Vater das Verderben sei. Wem ein Pfand gegeben ist, dem wird
es abgefordert; die Monde steigen und fallen, und
Sterblichkeit ist eine Bürde, die wir überall mit uns tragen.
Wird gleich mein Reich zertrümmert, so werden doch die
Denkmale meiner Kenntnisse bleiben. Dies sind die
eigentümlichen Schöpfungen des Menschen. Das Kind, vom Weib
geboren, ist mir geliehen. Glauben und Geduld sind die besten
Gefährtinnen durchs Leben. Darum empfehle ich sie dir, und
dich ihnen, o Mutter, und wisse, dass, wenn ich gleich hier
nimmer zu dir komme, du doch dort zu mir kommen wirst. Heil
dir!
Hieraus zieht der Verfasser des persischen
Adschaibal-machlukat die Lehre, dass Macht und Herrschaft nur
vergänglichen Glanz gewähren, und der wahre Ruhm nur in der
Wissenschaft bestehe.
So erzählen den Tod Alexanders der persische Übersetzer des
Adschaibal-machlukat und die anderen Geschichtsschreiber,
welche ihn bald nach seiner Rückkehr aus Indien das Leben
beschließen lassen; nach andern aber zog er zuvor noch gegen
Osten und Westen, schloss die Völker von Gog und Magog
zwischen ihren Bergen ein, und vertiefte sich ins Land der
Finsternis, um dort den Quell des Lebens zu suchen. Wir führen
hier noch die Denkwürdigkeiten dieser beiden Züge an, und zwar
den ersten nach der von Abdullah Ben Abbas aufbewahrten
Überlieferung der Worte des Propheten, der die ungläubigen
Juden von Chaibar über die Wahrheit der Geschichte von Gog und
Magog belehrte wie folgt:
Alexander war an den Fuß der großen Gebirge [Rand:
Al-Thabari.] gekommen, die zwar in der Überlieferung mit Namen
nicht genennt, von den meisten Auslegern aber für den
Cuhal-burs oder Kaukasus gehalten werden. Ihre mit ewigem
Schnee bedeckten Gipfel sind der große Behälter der Ströme und
Wasser Oberasiens, ihre grünenden Täler die Scheide der
Völker, aus der mehr als einmal schwärmende Stämme wie ein
flammendes Schwert über die Erde gefahren.
Von diesen zahlreichen Völkerschaften das zahlreichste,
zahlreich wie der Sand des Meeres und die Blätter der Bäume,
ist das Volk Gog und Magog, die Nachkömmlinge zweier Söhne
Jafets des Sohns Noe's.
Die Söhne von Gog und Magog wohnen in einem Bergkessel, dem
sich nur eine einzige Schlucht als Ausgang öffnet. Nackt aber
dicht behaaret schweifen sie herum in den Wäldern, und
vermischen sich untereinander wie Tiere. Das ungeheuerste an
ihrer abscheulichen Gestalt sind ihre Ohren, so ungeheuer
groß, dass wenn sie gehen, dieselben wie eine Schleppe auf der
Erde nachschleifen, und wenn sie schlafen, so dient ihnen eine
der Ohrlappen als Lacke sich darauf zu legen, die andere als
Decke sich damit zuzudecken. So schlafen sie auf und unter
ihren großen Ohren eben so weich als sicher, was nicht immer
der Fall ist, wenn man auf oder unter großen Ohren ruht.
Die benachbarten gesitteten Völker, die von den
wiederholten Ausfällen dieser Barbaren so vieles gelitten, so
vieles zu fürchten hatten, wandten sich an Alexander mit der
Bitte, dass er den Überschwemmungen dieser Wilden einen Damm
entgegensetzen möge. Denn so lang ihnen ein Weg offen
stünde,[288] sei die Welt nicht sicher vor ihrer Verheerung.
Alle Kultur würde untergehen in Barbarei, alle Thronen würden
gestürzt, alle Länder verwüstet werden, wenn Gog und Magog
ihre Sitze verlassen, und sich zu Herren machen sollten der
bewohnten Welt.
Alexander ging in den Sinn der Bitte ein, und beschloss die
Barbaren einzudämmen in ihren Felsenkessel. Zu diesem Ende
befahl er den umliegenden gesitteten Nationen, alles Erz und
Eisen und alle Kohlen, welche das Gebirge reichlich darbot,
aufzuschütten in der Felsenkluft, so, dass der Eingang von dem
Abgrunde der Schlucht bis an den Gipfel des Gebirges
ausgefüllt werde. Als dies geschehen war, ließ Alexander
besondere Vorrichtungen machen von Blasbälgen, mit deren Hülfe
er künstliche Sturmwinde schuf, die Kohlen in Feuer, und das
Erz und Eisen in Fluss setzte. Es schmolz in einen ehernen
Damm zusammen.
Dies ist der berühmte Damm von Gog und Magog, der, so lang
er besteht, die Welt von der Rückkehr der Barbarei rettet, und
der bestehen wird bis an den jüngsten Tag; denn die
Erscheinung der Horden von Gog und Magog auf Erden ist eines
der Zeichen des Endes der Welt; bis dorthin soll ihnen alle
angewandte Mühe den Damm durchzubrechen nicht gelingen, wie
drohend auch stets die Gefahr zu sein scheint. Denn wiewohl
sie keine Werkzeuge haben den Damm zu zerstören, so ist ihr
tägliches Geschäft kein anderes, als denselben mit ihren
Jungen, scharf wie Feilen, zu lecken.
Wirklich genügt ihnen ein Tag, um denselben so dünn zu
lecken wie eine Eierschale: Wenn nun die Sonne sinkt, freuen
sie sich des vollbrachten Tagewerks, und sagen mit anmaßendem
Triumph: Ganz gewiss lecken wir ihn morgen durch. Aber wenn
sie nun des Morgens wiederkehren, finden sie denselben so dick
als jemals, und fangen das Werk von vorn an. Sie lecken und
lecken bis er wieder so dünn wird als eine Eierschale, freuen
sich auf dieselbe Art des gewissen Erfolgs, und werden am
nächsten Morgen dafür auf dieselbe Weise gestraft. So verzehrt
sich Riesenkraft, die auf sich allein baut und traut, in
gemächlichem Bemühen.
Dies Tagwerk treiben sie fort bis ans Ende der Welt. Damals
wird es durch Gottes Zulassung einem von ihnen einfallen zu
sagen: »Söhne von Gog und Magog, seit Jahrtausenden lecken wir
täglich diesen Damm so dünn wie eine Eierschale, und freuen
uns mit jedem Abend des gewissen Erfolgs auf den nächsten
Morgen, und finden dann dieselbe Arbeit zu beginnen.« Lasst
uns klug werden, und nicht mehr bloß auf unsere Kraft
vertrauen, und nicht mehr sagen: Morgen lecken wir den Damm
ganz gewiss durch, sondern morgen lecken wir ihn durch, wenn's
Gott will.
Wenn's Gott will! wird das ganze Volk schreien, und am
nächsten Morgen lecken sie den Damm durch, und verwüsten die
Erde als Vorboten des jüngsten Gerichts.
So groß ist die Kraft des Wörtleins Will's Gott, als
Ausdruck des Vertrauens auf Gottes Beistand und Vorsehung,
ohne die kein menschliches Unternehmen gelingt, und
Riesenkraft zu Schanden wird.
Nicht oft genug können die Rechtgläubigen dies goldne
Wörtlein in ihren Reden wiederholen8.
Nachdem Alexander Gog und Magog in den Felsenkessel
eingedämmt hatte, zog er nach Westen ins Land der Finsternis,
weil er gehört, dass dort der Quell des Lebens ströme, von dem
er Unsterblichkeit trinken wollte. Sieben Tage lang wanderte
er mit seinen Begleitern durch finstere Wüsten. Endlich
strahlte sie ein grüner Schein an, der Abglanz vom Gewande
Chisr's, des Hüters des Quells des Lebens. Je näher sie kamen,
desto mehr funkelte Alles in smaragdenem Glanze. Grün, wie das
Meer an den Küsten in heiterem Sonnenschein, spiegelte sich
vor ihnen der Quell des Lebens. Chisr schöpfte, und reichte
Alexandern die Schale. Weil er aber zu gierig darnach griff,
vergoss er sie, und kehrte nicht wieder aus dem Lande der
Finsterniss.
Nach der wahrscheinlichsten Meinung sind Gog und Magog die
wilden Völker des Kaukasus, die ehemals durch eine Mauer, die
ans kaspische Meer lief, in ihren Sitzen eingedämmt wurden.
Noch heißt zum Andenken des eisernen Dammes Derbend das
eiserne Thor. Das Land der Finsternis sind die Wüsten Afrikas,
und der Quell des Lebens strömt in der Oasis, deren grüner
Palmenhain dem Wandrer in der Wüste, wie eine Insel dem
Schiffer nach einer langen Seereise, freundlich
entgegenstrahlt.
Alexandern ward die Schale des Lebensquells nicht, weil er
zu gierig darnach gegriffen; zu heißer Durst nach
Unsterblichkeit führt vor der Zeit hinab ins Land der
Finsternis, aus dem keine Wiederkehr ist.
[Rand: Adschaib. pers.] Als die Tiere und der Mensch
erschaffen waren, sprach der neubelebte Löwe zu einer
Vögelschaar, die hoch in den Lüften über ihn wegflog, und sich
dann auf dem Gipfel eines Baumes niederließ: Ihr mit Fittigen
begabte Bewohner der Lüfte, die ihr hoch in den Wolken
emporschwebet, was fürchtet ihr wohl auf Erden?
Den Menschen, war die Antwort.
Der Mensch ist ja ein Geschöpf wie ich, fuhr der Löwe fort,
wie ist er denn im Stande, euch zu erreichen?
Er erreicht uns zwar nicht in der Höhe der Lüfte, sprachen
die Vögel, aber er weiß uns herabzulocken auf die Erde,
sperret uns in Käfige ein, tödtet und verzehret uns.
Dess wunderte sich der Löwe und ward begierig, den Menschen
kennen zu lernen. Da begegnete ihm das stolze Pferd im
fliegenden Laufe, hochgesträubt die Mähne, kraftvoller Stirne
und aus der Nase rauchend. Vielleicht ist dies der Mensch,
dachte der Löwe, denn Stärke und Ansehen beseelen diese
Gestalt. Er redete das Pferd an, das ihm antwortete: O Löwe,
der Mensch fängt mich, zähmt mich mit Zaum und Zügel, zwingt
mich, seiner Hand und seinem Sporn zu gehorchen, Lasten zu
tragen, und wenn ich entkräftet bin, so tötet und verzehrt er
mich.
Bald hernach stieß dem Löwen der mächtige Stier auf, und es
dünkte ihm, dass wohl dies der Mensch sein könne. Allein der
Stier belehrte ihn also: In das Joch werd' ich gespannt von
dem Menschen, gezwungen, die Erde mit dem Pflugschar zu
durchwühlen, und wenn ich alt geworden bin, ist die
Schlachtbank mein Lohn, und des Menschen Bauch mein Grab.
Hierauf begegnete ihm das langhalsige, hochtrabende Kamel,
das, befragt, ob es nicht vielleicht der Mensch sei, zur
Antwort gab: Keine Last würde meinen Rücken beschweren, kein
gewaltsamer Tod mir drohen, besäße nicht der Mensch Stärke und
List genug, mich seinem Willen zu unterwerfen. Wenn dies nicht
der Mensch war, dachte der Löwe, so muss es wohl der lebendige
Berg sein, der da einhergeschritten kömmt, und zwischen den
Silberzähnen so gewandt das ungeheure Fühlhorn beweget. Sei
mir gegrüßt, o Mensch! sprach der Löwe. Aber der Elefant
erwiderte: Das bin ich nicht; der Mensch, er umgarnet mich,
besteigt meinen Hals, setzt Türme auf meinen Rücken, und
belastet mich, bis dass ich sterbe. Dann glättet er meine
Zähne als Elfenbein, macht Szepter und Königssitze daraus, und
thronet noch auf meinen Gebeinen.
Jetzt erblickte der Löwe ein kleines schwaches
unansehnliches Geschöpf. Du elendes Tier, sprach er, fürchtest
du dich nicht vor dem Menschen, vor dem die Mächtigsten
unseres Reichs erzittern. Der Mensch bin Ich, ertönte die
Rede. Du der Mensch? brüllte der Löwe erstaunt. Hat dir die
Natur doch keine Waffen, keine Hörner, keine Zähne, keine
Klauen gegeben. Einen Streich will ich dir versehen, und
hiermit die ganze Schöpfung von deinem Unheile befreien. O
Löwe, das kannst du nicht, erwiderte der Mensch. Warum nicht?
fragte der Löwe. Weil ich von hier dir einen Schlag senden
werde, sende auch du einen, wenn du kannst. Nun, so komm
näher, erwiderte der Löwe, denn von hier aus kann dich meine
Klaue nicht erreichen. Aber meine Hand soll dich erreichen,
sprach der Mensch, ergriff zwei Steine und schleuderte sie ins
Antlitz des Löwen, dass beide Augen aus ihren Höhlen rannen.
Jetzt erkenne ich, dass du der Mensch, jetzt weiß ich, warum
du das Schrecken aller Tiere bist, brüllte der Löwe, und als
er sich beim Schweife fortgezogen fühlte, rief er: Was machst
du? Willst du mich in einen Käfig sperren, wie den Vogel, oder
mir Lasten auflegen, wie dem Kamele, oder mich mit Zaum und
Zügel zähmen, wie das Pferd, oder dich meiner zum Pflügen
bedienen, wie des Stieres, oder auf mich Türme bauen, wie auf
dem Elefanten? – O nein! antwortete der Mensch: die Haut will
ich dir abziehen, und dein Fleisch den Hunden vorwerfen, kraft
des Vorrangs, den mir Gott verliehen hat vor allen Tieren,
deren er keinem als mir Vernunft und Willensherrschaft gab.
Und wahrlich, nur durch Vernunft und Willenskraft ist der
Mensch der Herr des Landes und des Meeres. Durch ihre Macht
zieht er den Fisch aus der Tiefe des Meeres, und den Vogel aus
der Höhe der Lüfte. Durch sie fesselt er den Elefanten, und
reißt dem Löwen Zähne aus, baut Paläste bis an die Zinnen des
Himmels und gräbt Schachten bis in den Abgrund der Hölle,
schmiedet Waffen, um seine Feinde zu bezwingen, und stimmet
Flöten, um das Ohr der Freunde zu vergnügen. Alle diese Gaben
dankt er nicht sich, sondern der Gnade des Schöpfers, der
dieselben eben sowohl andern Geschöpfen hätte verleihen
können, wie er zum Beispiel der Biene die Kunst verlieh,
sechseckige Zellen zu bauen, zierlich und kunstreich, den
kunstreichsten der Menschen unnachahmbar.
[Rand: Adschaib. pers.] Als ich zum Gebrauche der Vernunft
kam, fing ich an nachzudenken über den Ursprung und die
Bestimmung des Menschen. Ein Tröpfchen Wasser war ich erst in
meiner Mutter Schoße, und als ich mich demselben entwunden
hatte, weinte ich kraft- und hilflos um Muttermilch. Der süßen
Nahrung entwöhnt, kroch und schlief ich im Staube herum, bis
dass mir die Mühe des Lernens, die Pein der Rute zu Teil ward.
Dann drängten sich die Schwärmereien der Liebe um Herz und
Kopf. Weibergroll, Feindeshass, Nahrungssorgen und
Familienzwiste verbitterten mir das Leben.
Und wäre der Mensch auch von allen diesen Übeln frei,
harret nicht seiner doch endlich der Tod? Keiner, und wäre er
auch von allen Ungemächlichkeiten des Lebens befreit
geblieben, kann ihm entfliehen. Der Mensch gleichet der Frucht
am Baume, die, wenn gleich von Hagel und Stürmen gerettet,
doch zuletzt reif wird und zur Erde fällt.
Sechzig Jahre sind der gewöhnliche Zeitraum des
Menschenlebens; dreißig verschlafen wir, und die Hälfte der
übrigen dreißig sind die Jahre der Kindheit und Jugend. Was
bleibt also wohl zu tun übrig in kurzen fünfzehn Jahren; was
darf der Mensch zu unternehmen wagen in dieser Spanne Zeit!
Noch in meinen Knabenjahren sah ich ein Traumgesicht. Am
Ufer des Meeres ging ich einsam hin, da stellte sich meinen
Blicken ein Palast dar, aus dem ein Weib auf einer Wolke
thronend mir entgegenschwebte. Sie gab mir einen Spiegel, und
sprach: Sie strömet fort, die Welt verzehrend. Völker und
Jahrtausende hat sie verschlungen, die Gefräßige! Beim Namen
Gottes, des Allerbarmers! ein Zeitmaß ist dem Menschen
bestimmt worden, und es wird dahin rollen, und man wird seiner
nicht mehr gedenken.
Der Sinn dieses Traumes ist:
Der Strom der Zeiten wogte, als noch kein Mensch war, und
der Strom der Zeiten wird fortwogen, wenn kein Mensch mehr
sein wird. Erschaffen hat der Herr den Menschen aus einem
Tropfen Wasser, und ihm gegeben das Gesicht und das Gehör, und
ihn geleitet auf den rechten Wegen, dass er ihm dankbar sei. –
Doch ist er's nicht. – Er soll den Allmächtigen erkennen, und
zu ihm aufblicken, und das Dankgefühl für seine Wohltaten
ausströmen.
Der Spiegel will so viel sagen, als: Bei Gott dem
Allwissenden; er kann dir zeigen, was du ohne seinen Beistand
zu sehen nicht vermagst. [Rand: Fereidol fewaid. 147.]
Mohammeds, des Sohns Abdallah, Hölle und Himmel, oder des
Islam's Lehre von den letzten Dingen, nach den Überlieferungen
des Propheten.
Von der peinlichen Frage des Grabes, welche jeder Mensch
gleich nach dem Tode zu untergehen hat, ist schon oben bei den
Grabesengeln eine Überlieferungsstelle Mohammeds angeführt
worden, hier sind deren andere:
Wenn der Leichnam begraben wird, kommen zwei schwarze Engel
mit blauen Augen, deren einer Monkir, der andere Nikir heißt.
Sie fragen den Toten: Was sagst du vom Manne Gottes
(Mohammed)? Ists ein Gläubiger, so sagt er: Er ist Gottes
Diener und Prophet. Ich bezeuge, es ist kein Gott, außer Gott.
Ich bezeuge, Mohammed ist sein Diener und Gesandter. Die Engel
erwidern: Wir wussten im Voraus, dass du uns so antworten
würdest. Hierauf erweitert sich sein Grab siebzig Ellen im
Gevierten, und wird erleuchtet, und sie sagen: Schlafe. Er
aber sagt: Lasst mich zu meinen Freunden zurückkehren, dass
ich ihnen von meinem Wohlsein Nachricht gebe. Die Engel
erwidern: Schlafe den Schlaf der Brautnacht, von dem nur der
Geliebte erwecket. So schläft der Gläubige, bis ihn der Herr
erwecket.
Ist der Tote aber ein Ungläubiger, so antwortet er auf die
erste Frage der Engel, was sagst du vom Manne Gottes? Ich habe
davon reden gehört, und habe nachgeplaudert, weiß aber nichts
Gewisses. Wir wussten, sagen die Engel, im Voraus, dass du uns
so antworten würdest. Dann erhält die Erde Befehl, den Toten
zusammenzupressen, und sie presst ihn, dass Ribbe an Ribbe
kracht. Dieser Zustand der Pein dauert bis auf den Ruf des
jüngsten Tages.
Das Grab ist dem Tugendhaften eine Paradiesesflur, dem
Lasterhaften eine Höllengrube.
Das Grab ist die erste Station von den Stationen der
anderen Welt. Wer sich dort wohl befindet, kömmt leicht auf
den übrigen fort; wem's dorten schwer fällt, wird schwer auf
den übrigen befördert.
Hütet Euch vor vielem Harnen9,
[Rand: Fereidol fewaid.] denn dies führt die Grabespein
herbei.
[Rand: S. 157.] Die Geister der Auserwählten genießen nach
den verschiedenen Graden ihres Verdienstes in der andern Welt
auch eines verschiedenen Ranges. Von den Geistern der
Blutzeugen ist folgende Überlieferung aufbewahret:
Die Geister der Blutzeugen wohnen in den Leibern grüner
Vögel, und ihnen zu Ehren sind Lampen aufgehängt am
himmlischen Gezelte.
Die Blutzeugen (d.i. die im heiligen Kriege fallen) wohnen
an den Ufern des Flusses Barik, der vor des Paradieses Thoren
vorbeiströmt, unter grünen Lauben, wo ihnen Morgens und Abends
himmlische Nahrung gesendet wird.
Die Geister der Rechtgläubigen wohnen im Paradiese unter
der Gestalt grün befiederter Vögel, essen von den Früchten des
Paradieses, trinken aus dessen Quellen, umflattern die
goldenen Lampen des himmlischen Gezeltes, und sagen: Vereine
uns, o Herr, mit unseren Brüdern, und verleih' uns die
versprochenen Gnaden.
[Rand: S. 164.] Nährend die Geister der Auserwählten als
grüne Vögel die Lampen des Paradieses umflattern, senken die
Geister der Verworfenen als schwarze Vögel den Flug zur Hölle.
Der Prophet wurde gefragt: reden die Toten? [Rand: Fereidol
fewaid. S. 166.]. Er antwortete: ja, und sie besuchen
einander; die frommen Seelen fliegen im Paradiese als Vögel,
und erkennen einander als solche.
Vom jüngsten Gericht und dessen [Rand: S. 178] Zeichen.
Die Stunde des Gerichts ist da, wenn ihr einst Krieg zu
führen habt mit einem Volke, das kleine rote Augen, und
Gesichter breit wie Schilder hat.
Die Stunde des Gerichts ist da, wenn der Mann am Grabe des
Mannes vorbeigehen und ausrufen wird: O wäre ich an seiner
Stelle! –
Die Stunde des Gerichtes ist da, wenn sich euere Weiber
empören werden.
Eine Zeit wird kommen, wo vom Islam [Rand: S. 174.] nichts
als der Name übrig, wo die Moschee von außen in gutem Stande,
von innen wüste sein wird, wo die Ulemas die bösesten Menschen
sein werden unter der Sonne, von denen Zwist und Hader
ausgehen, und zu denen Zwist und Hader zurückkehren wird.
[Rand: Fereid. few. S. 175.] Die vorzüglichsten Zeichen des
Gerichts sind die folgenden neun: der Heerrauch, der die ganze
Welt bedecken wird, der Dedschal (oder Antimohammed), der
Aufgang der Sonne in Westen, das Tier der Erde (der
Apokalypse) die Erscheinung Jesus des Sohnes Maria's, der
Ausbruch der Völker von Gog und Magog, das Feuer in Jemen,
eine dreifache Sonnenfinsternis, und die Sendung Mahdis.
Mahadi ist aus meinem Geblüte, sagt der Prophet. Er
schlummert in einer Grotte, und wird dann hervorgehen um die
Welt zu regieren als Kalifen. Unter seiner friedlichen
Regierung wird aller Groll, alle Feindschaft zwischen Menschen
und Tieren ausgesöhnt; alle Sekten vereinen sich, und es wird
nur ein Schaafstall, nur eine Kirche sein. Denn die
Ungläubigen werden sich entweder Alle bekehren oder getötet
werden. Den Empörer Dedschal oder Antimohammed wird der Herr
Jesus mit eigner Hand erlegen.
Jesus wird die Zweifel der Christen über die Wahrheit des
Islam's aus dem Wege räumen, und sie dazu bekehren. Die seinen
Worten Gehör geben, werden vom Tribute befreit, die andern
frisst das Schwert.
Die Rathgeber und Helfer des Mahdi, als Kalifen der
friedlichen Welt, werden die heiligen Siebenschläfer sein.
Jesus, der Sohn Maria's, sagt der Prophet, wird dann auf
der Erde erscheinen, sich verehelichen, ein Kind zeugen, fünf
und vierzig Jahre predigen, und dann mit mir in einem Grabe
begraben werden. Ich erstehe dann mit Jesus aus einem Grabe
zwischen Omar und Ebubekr.
Der Dedschal oder Antimohammed, welchen [Rand: Feraid. S.
178.] die Nazaräer unter dem Namen des Antichristen, und die
Juden unter dem des Messias erwarten, ist ein falscher
Prophet, der viel Unheil stiften wird auf Erden. Zum Glücke
dauert seine Regierung nicht länger als vierzig Tage, von
denen der erste ein Jahr, der zweite einen Monat, der dritte
eine Woche lang sein, die übrigen die Länge gewöhnlicher Tage
haben werden. Zwei Flüsse werden zu seinem Befehl stehen, der
eine von Wasser, der andre von Feuer. Doch wird der Fluss, der
Feuer scheint, Wasser, und der andere, der Wasser scheint,
Feuer sein. Er wird in Chorasan erstehen; siebzigtausend Juden
aus Isfahan, und das Volk mit kleinen roten Augen und breiten
Schildgesichtern wird ihm folgen.
Kein Mensch wird ihm etwas anhaben können, als der Herr
Jesus, der ihn im Zweikampf erlegen, und die in sein Blut
getauchte Lanze den Rechtgläubigen zeigen wird. In den vierzig
Tagen seiner Herrschaft wird er die ganze Welt verheeren,
Mekka und Medina ausgenommen, denn nach einer Überlieferung
des Propheten stehen auf den Bergen von Mekka und Medina Engel
Wache, dass die Pest und Dedschal nimmer ihr Gebiet betreten
möge.
[Rand: Fereid. S. 181.] Nach dem Tode Dedschal's werden die
Völker Gog und Magog den Damm durchbrechen und die ganze Erde
überschwemmen als ein verheerender Strom, dem nichts
widersteht. Auf ihrem Wege werden sie den Euphrat, den Tiger,
und den See von Tiberias austrinken, und den Herrn Jesus in
Jerusalem belagern.
Groß wird die Hungersnot sein in Jerusalem, und ein
Kalbskopf hundert Dukaten kosten. Gog und Magog werden die
Berge um Jerusalem besetzen, und in der Meinung, dass sie die
Herrn der Erde seien, Gott im Himmel den Krieg erklären. Sie
werden Pfeile in die Wolken schießen, die blutig auf ihre
Häupter zurückfallen sollen.
Jesus mit den Belagerten wird zum Himmel flehen, und sein
Gebet, durch die Vernichtung der Völker Gog und Magog mit
einem Streich, erhört werden. Die ganze Erde wird mit ihren
Leichnamen bedeckt, und keine Spanne Erdreichs frei sein. Auf
Gottes Befehl werden Lämmergeier die Aeser wegtragen, und ins
Meer werfen, und ein allgemeiner Regen das Blut von der Erde
abspülen.
Der Aufgang der Sonne in Westen, als Vorzeichen des
jüngsten Tages, ist ebenfalls durch mündliche Überlieferung
des Propheten bekräftigt.
Wisst Ihr wohl, sprach er eines Tages [Rand: Fereid. S.
182.] zu seinen Jüngern, wohin sie geht, diese Sonne? Gott und
sein Prophet weiß es, antworteten die Jünger. Sie geht,
erwiderte der Prophet, bis an den Ort ihres Stillstands unter
dem Himmelsgezelt. Dort verweilt sie anbetend, bis dass der
Ruf erschallt: Geh' hin, von wannen du gekommen; Und sie kehrt
zum Aufgang, und gehet auf im Osten, und verfolgt ihren Lauf,
ohne dass die Menschen daran etwas Besonderes finden. So
wandelt sie, bis eines Tags, wenn sie anbetend verweilt, unter
dem Himmelszelt der Ruf erschallen wird: Gehe zurück, wie du
gekommen, und gehe auf in Westen.
Von dem Erdentiere ist sowohl im Koran [Rand: S. 183.], als
in zahlreichen Überlieferungen die Rede. Nach der Meinung der
meisten Ausleger wird dasselbe in der Moschee von Mekka aus
der Erde zum Vorschein kommen, und rein arabisch sprechen. Es
wird den Stab Moses und den Ring Salomons besitzen; mit dem
Stabe wird es die Auserwählten berühren, deren Gesicht dann
sogleich himmlischer Glanz verklärt; den Verworfnen wird es
mit dem Siegel das Zeichen der Verdammnis ins schwarze Gesicht
brennen. Drei Tage lang wird es sich der Erde entwühlen, von
Kopf ein Stier, von Augen ein Schwein, von Ohren ein Elefant,
von Brust ein Löwe, die Stärke aller dieser Tiere in sich
vereinigend. Ganze Bücher sind über die Eigenschaften dieses
Tieres geschrieben worden.
Der Heerrauch, von dem ebenfalls der Koran spricht, wird
nach des Propheten mündlich hinzugesetzter Auslegung die ganze
Erde bedecken durch vierzig Tage und Nächte, den Gläubigen
wird er einen leichten Schnuppen, den Ungläubigen Schwindel
verursachen, und ihnen bei Nasen und Ohren herausgehen.
Von den drei Sonnenfinsternissen wird eine in Osten, die
andere in Westen, die dritte nur in Aldschesira oder
Mesopotamien sichtbar sein.
Das Feuer endlich wird ausgehen von Hedschas, und laut der
Überlieferung, die Nacken der Kamele von Basra beglänzen. Es
wird die Menschen zusammentreiben, die sich dann zu vier und
fünf auf ein Kamel setzen, und zum Gerichte versammeln werden.
Dies ist das letzte der Vorzeichen des Gerichts. Die Zeit
der Auferstehung und des letzten Gerichts lässt sich zwar
nicht aus den Offenbarungen bestimmen, wohl aber der Tag der
ersten, der ein Freitag sein wird. Denn als Ebi Hureire den
Propheten fragte, warum der Freitag Jaum dschumaa, das ist,
der Versammlungstag heiße, antwortete Er: Weil an diesem Tage
der Lehm zur Erschaffung deines Vaters Adam gesammelt ward,
weil an diesem Tage der erste, zweite und dritte Ruf der
Gerichtsposaune die Menschen versammeln wird. Wie werd' ich
mich freuen, sprach der Prophet, am Tage, wo der Gerichtsengel
die Posaune wie einen Leckerbissen an den Mund gesetzt, und
seine Stirne entrunzelt haben wird, allbereit den Befehl des
Herrn zum Ruf der Toten zu empfangen.
Übrigens sind die Zeichen des jüngsten Tages in [Rand:
Feraid. S. 188.] mehr als einer Stelle des Korans erwähnt: wie
z.B. wenn die Meere sich entflammen, weil nach der Meinung der
Ausleger, Sonne, und Mond und Sterne vom Himmel ins Meer
fallen werden. Wenn die Himmel sich spalten, und zerfließen
werden wie Öl; wenn die Sterne zerstreut vom Himmel fallen;
wenn die Himmel wie eine Rolle zusammengerollt werden usw.
Alle diese Zeichen verkünden diesen schrecklichen Tag, der
eine Menge bedeutungsvoller Namen hat10.
[Rand: Feraid. S. 210.] Wo finden wir dich am Tage des
Gerichts? fragten die Jünger den Propheten.
Bei der Wage, antwortete er, und wenn nicht bei der Wage,
am Wasserbecken, und wenn nicht am Wasserbecken, an der
Scheidungsbrücke11.
Fußnoten
1 Weil mancher Herr der großen Glückskonstellation ein
Tyrann ist, so haben Einige dies Wort aus dem oberwähnten
Arabischen ableiten wollen.
d.U.
2 Das sind vermutlich die gigantischen amphitheatralischen
Bergstufen, von denen Paul Lukas eine so wunderbare und
fabelhaft scheinende Beschreibung macht, die bisher von
späteren Reisenden weder bestätigt noch zu Lüge gestraft
worden.
d.U.
3 Georgien.
4 Arabien.
5 Ägypten.
6 Äthiopien.
7 Mauretanien.
8 Sie wiederholen es wirklich bis zum Übermaß. Inschallah,
wenn's Gott will, ist bei Türken, Arabern, und Persern
gleichsam ein unerlässliches Bedingungswort geworden, das jeder
Rede, die ein künftiges Handeln oder Unternehmen andeutet,
vorgesetzt wird. Wer Etwas beginnt, ohne vorher wills Gott
gesagt zu haben, mag das Misslingen seiner Unternehmung sich
selbst zuschreiben, noch weit mehr, wenn ihm der stolze,
keinem Sterblichen geziemende Gedanke, es aus eigener Kraft zu
tun, durch den Sinn fuhr. Von den gleichgültigsten
Handlungen, die der Abendländer tausendmal des Tages mit
absprechender Gewissheit vorlaut wird, spricht der Morgenländer
nur bedingungsweise und mit vorausgesetztem will's Gott.
Auf die unbedeutendsten Fragen: kommen Sie morgen? Gehen wir
heut spazieren? Schicken Sie mir das Buch? Reifen Sie diesen
Abend ab? Traut sich der gewissenhafte Morgenländer kein
bestimmtes Ja, sondern nur ein bedingtes will's Gott, das die
Ratifikation der Vorsehung voraussetzt, zu antworten. Noch
weit weniger würde er sich getrauen, von dem Erfolge größerer
und wichtigerer Begebenheiten Etwas mit Gewißheit
vorherbestimmen zu wollen.
Diese Unbestimmtheit des Entschlusses, diese Ungewissheit
über den Erfolg, dieses Misstrauen in eigene Kraft, das so tief
in dem Innersten des Morgenländers wohnt, sticht mächtig ab
mit dem Alles berechnenden, Alles bestimmenden, Alles aus sich
selbst greifenden Geiste, der den Abendländer charakterisiert.
Der schneidende Abstand, der sich in tausend Gelegenheiten
zwischen dem Charakter, den Sitten, der Denkungsart und
Lebensweise des Abend- und Morgenländers darbietet, springt
dem Beobachter nirgends besser und öfter ins Auge, als bei der
im Gespräche des Letzten alle Augenblicke wiederkehrenden
Äußerung der Grundmaximen seines Religions- und Moralsystems.
Inschallah, wenn's Gott will, ist die eine; Maschallah, was
Gott will, die andere. Vertrauen auf die Vorsehung und
Ergebung in ihre Beschlüsse sind die Pole, um die sich die
innere Welt des wahren Moslim's dreht. Was geschehen, ist
nicht mehr zu ändern, es war der Beschluss des Schicksals, in
das sich der Mensch ergeben muss. Was Gott will. Was geschehen
soll, ist in der Hand der Vorsehung, und mit ihrem Beistand
vermag der Mensch sein Beginnen auszuführen. Wenns Gott will.
Wenn mit dem Erwachen aus dem Schlaf die Rolle des Lebens neu
ausgebreitet wird, und der Moslim an's bestimmte Geschäft
geht, erhebt er seinen Geist zu Gott und spricht als
Morgengebet mit Zuversicht und Vertrauen: Wenn's Gott will.
Wenn mit sinkender Nacht die Karte des vollbrachten Tagewerks
zusammengerollt wird, und Glück oder Unglück darauf
eingezeichnet ist, fügt er sich mit Gehorsam und Ergebung in
den Willen Gottes und spricht als Abendgebet: Was Gott will.
Mit dem einen beschwört er die Zukunft, mit dem andern die
Vergangenheit, und für die Gegenwart ist sein Gefühl, Preis
und Dank dem Herrn. Elhamd lillah. Lob sei Gott.
Ungeachtet die zwei gedachten Formeln Inschallah und
Maschallah in ihrer ursprünglichen Bedeutung auf die gedachte
Weise gebrauchet werden, so ist es doch gewiss sehr
bemerkenswert, dass dieselben bei den Türken (die durch
unmittelbare Nachbarschaft und Verbindung mit dem Okzident
schon Vieles vom wahren Geiste des Orients verloren) auch
diese beiden Formeln gleichsam ihre eigentliche und wörtliche
Bedeutung eingebüßt haben, und meistenteils in einem ganz
verschiedenen Sinne gebrauchet werden; wie dies schon aus dem
Ton der Stimme ganz allein, und ohne Verbindung mit
vorhergehenden oder nachfolgenden Ideen abzunehmen. Inschallah
wiederholen sie zwar bis zum Eckel, so oft sie von einer
künftigen Sache reden, aber nicht mit dem Tone zweifelnder
Ungewissheit, sondern sehr oft in dem der größten Zuversicht,
beiläufig, wie wir ganz gewiss sagen würden. Das Maschallah
brauchen sie gar als einen Ausruf des lauten Beifalls statt
Bravo! und o wie schön! In diesem Sinne schreiben sie es auch
an ihre Häuser, um dem Vorbeigehenden, der es liest, gleichsam
die Worte: o wie schön ist das! als gute Vorbedeutung in den
Mund zu legen. In dieser Absicht tragen auch die Frauen und
Kinder der Großen und Reichen den Schriftzug des Maschallah
als Diamanteninschrift in den Haaren.
So macht auch hier der Ton die Musik, und so viel haben
diese Grundmaximen des Islams unter den türkischen Großen von
ihrem Geiste verloren.
9 Die Wirkung statt der Ursache: Hütet Euch vor vielem
Trinken.
10 Hier sind einige der drei und sechzig, die der Verfasser
des Fereidal-fewaid aufführt: Tag der Auferstehung, der
Rechenschaft, des Erdbebens, des Bundes, der Trennung, der
Wiedervergeltung, der jüngsten Stunde, des letzten Zeichens,
der Pein, der Verheißung, der Drohung, des Posaunenschalls,
der Scheidungsbrücke, der Gerichtswaage, der Verzweiflung, des
Gerichts, der Ewigkeit, des Heulens und Wehklagens, der
Zerstreuung, der Versammlung, der Reue, des Unglücks, der
Vorladung, des Heils usw.
11 Die Wage der guten und bösen Werke, das Reinigungsbecken,
und die Scheidungsbrücke, die über einen flammenden Abgrund
führt, sind augenscheinlich von der alten ägyptischen Lehre
der später nach Eleusis genannten Mysterien hergenommen. Auch
dort musste der Eingeweihte einer Prüfung seiner Werke, die
Wasser- und Feuerprobe, unterziehen; auf den Mumiensärgen
finden sich diese Totenprüfungen in sprechenden Hieroglyphen,
und bis auf die neuesten Zeiten hat sich die Wasser- und
Feuerprobe in den symbolischen Proben geheimer Gesellschaften,
und in Bliomberis und der Zauberflöte erhalten.