Der Rosengarten
Vierte Abteilung: Von den Vorteilen des
Stillschweigens
Zu einem meiner Freunde sagte ich einst: Ich habe mich zur
Zurückhaltung im Reden aus dem Grunde entschlossen, weil meist
in der Rede Gutes und Böses vorkömmt, das Auge der Feinde aber
nur auf das Böse fällt. O Bruder, sprach jener, allerdings ist
es das beste, daß der Feind nichts Gutes zu sehn bekomme.
Der größte Fehler ist Verdienst in scheeler
Feindschaft Auge;
Die Rose Sadi ist ein Dorn in seiner Feinde Auge.
»Der Feind geht an dem braven Manne nie vorbei,
Daß er nicht auf den unverschämten Lügner deutet.«
Das Licht der Welt, der Freudenquell der Sonne,
Gibt einer Fledermaus nicht Licht, nicht Wonne.
*
Ein Kaufmann hatte tausend Dinare eingebüßt; er sprach zu
seinem Sohne: Du darfst keinem Menschen etwas davon mitteilen.
Mein Vater, sagte dieser, du hast zu befehlen, ich werde
nichts davon sagen, aber laß mich doch wissen, welcher Vorteil
durch dieses Verhehlen bezweckt wird? Der Kaufmann antwortete:
Damit uns nicht doppeltes Unglück trifft, erstens der Verlust
des Baren und zweitens die Schadenfreude der Nachbarn.
Bei deinen Feinden nicht beklage dich:
Sie sprechen: Großer Gott! und freuen sich.
*
Ein verständiger Jüngling, der einen reichen Vorrat
ausgezeichneter Kenntnisse und seltener Anlagen besaß, sprach
nie ein Wort, sooft er in der Gesellschaft von Gelehrten saß.
Einst fragte ihn sein Vater: Warum denn, mein Sohn, sagst du
nicht auch etwas von dem, was du weißt? Er antwortete: Ich
fürchte, daß sie mich dann über das fragen, was ich nicht
weiß, und ich mich schämen müsse.
Als einst ein Sufi in die Schuhe
Sich ein'ge Nägel eingeschlagen,
Gleich faßt ein Hauptmann ihn beim Ärmel:
Komm her, mein Pferd mir zu beschlagen.
Wenn du nicht sprichst, so läßt dich jeder gehn,
Doch sprichst du, will man auch Beweise sehn.
*
Ein angesehener Gelehrter geriet einst in einen
Gelehrtenstreit mit einem Ketzer, und da er mit seinen
Argumenten nichts gegen ihn ausrichten konnte, warf er seinen
Schild weg und wandte den Rücken. Als ihn jemand fragte:
Konntest du denn mit deiner Wissenschaft und Bildung, deinem
Talent und deiner Weisheit gegen diesen Gottlosen nicht
obsiegen? antwortete er: Meine Wissenschaft ist der Koran und
die Überlieferung und die Aussprüche der Doktoren, aber jener
hält sich nicht daran gebunden und hört nicht darauf; wozu
brauche ich seine Gottlosigkeiten anzuhören?
Läßt einer sich mit Schrift und Tradition
nicht schlagen,
Die beste Antwort ist, ihm nicht ein Wort zu sagen.
*
Galenus sah einst, wie ein roher Mensch einen Gelehrten am
Kragen gefaßt hatte und ihn mißhandelte. Er sprach: Wenn
dieser klug wäre, so hätte er es mit diesem Toren nicht dahin
gebracht.
Zwei Weise werden stets in Frieden bleiben,
Ein Kluger wird sich nie am Toren reiben,
Und wenn der Tor mit finsterm Grolle spricht,
Erheitert sanft der Weise sein Gesicht.
Bei zwei Verständ'gen wird kein Härchen brechen,
Auch nicht, wo sanfter Mann und Starrkopf sprechen;
Doch wenn auf beiden Seiten Toren stehn,
Muß auch die Kette selbst in Stücken gehn.
*
Sahban, Sohn Wails, gilt in der Beredsamkeit als ein Muster
ohnegleichen; er konnte ein ganzes Jahr vor einer Versammlung
sprechen, ohne ein Wort zweimal zu gebrauchen, und wenn
derselbe Gedanke zufällig wiederkehrte, so drückte er ihn mit
andern Worten aus. Dieses Talent gehört unter die
erforderlichen Eigenschaften der Hofleute.
Entzückt auch deine süße Rede Herz und Sinnen,
Und muß sie Beistimmung und Glauben sich gewinnen,
Was du gesagt, noch einmal sagen, ist nicht klug:
Denn einmal Honigkuchen essen ist genug.
*
Einen weisen Mann hörte ich einst sagen: Nie gibt jemand
seinen Mangel an Bildung so sehr zu erkennen, als wenn er zu
sprechen anfängt, während noch ein anderer spricht und mit
seiner Rede nicht zu Ende ist.
Der Rede ist ein Anfang und ein Schluß:
Wirf dich nicht in des andern Redefluß.
Wer Einsicht, Klugheit und Verstand besitzt,
Der spricht erst dann, wenn alles schweigend sitzt.
*
Einige von den Dienern des Sultans Mahmud fragten den Hasan
Meimendi: Was hat dir heute der Sultan über die bewußte
Angelegenheit gesagt? Bei euch, erwiderte der Wesir, bleibt
nichts verborgen. Du bist Minister des Reichs, sagten sie, was
er dir sagt, glaubt er unsereinem nicht sagen zu dürfen. Das
tut er, sprach der Wesir, weil er versichert ist, daß ich es
niemandem sage; warum fragt ihr mich also?
Alles, was er weiß, macht nicht der
Einsichtsvolle offenbar,
Bringt durch seines Herrn Verrat den eignen Kopf nicht in
Gefahr.
*
Ich war wegen des Ankaufs eines Hauses unentschlossen; da
sagte ein Jude zu mir: Ich gehöre zu den alten Hausbesitzern
dieses Stadtviertels und kann dir über dieses Haus genaue und
sichere Auskunft geben; kaufe es, denn es hat keinen Fehler.
Ausgenommen, daß es dich zum Nachbar hat, erwiderte ich.
Ein Haus, das Nachbarn hat von deinem Schlage,
Ist kaum zehn Drachmen schlechten Silbers wert;
Doch hoffen muß man, daß nach deinem Tode
Man billig tausend dann dafür begehrt.
*
Ein Dichter kam zu einem Räuberhauptmann und sagte ihm ein
Lobgedicht her; dieser befahl, man solle ihm das Kleid vom
Leibe reißen und ihn zum Dorf hinausjagen. Die Hunde
verfolgten ihn; er wollte einen Stein aufheben, aber die Erde
war fest gefroren und er vermochte es nicht; da rief er: Was
sind das für verruchte Leute, welche die Hunde loslassen und
die Steine anbinden? Der Hauptmann, der es in seiner Wohnung
hörte, lachte und rief: Gelehrter Mann, erbitte dir etwas von
mir. Gib mir mein Kleid wieder, antwortete der Dichter, wenn
du mir eine Gnade erzeigen willst.
Vom Menschen hofft der Mensch zwar Gutes wohl
und Rechtes;
Von dir hoff ich nichts Gutes: tu mir nur nichts Schlechtes.
»Dein Fortgehn heb' ich mehr als deine Gabe.«
Der Räuberhauptmann hatte Mitleid mit ihm, er ließ ihm sein
Kleid zurückgeben, fügte einen Pelzmantel dazu und gab ihm
einige Geldstücke.
*
Ein Astrolog trat in sein Haus und sah einen fremden Mann
bei seiner Frau sitzen; er fing an, zu schelten und zu toben,
und es entstand darüber großer Streit und Lärm. Ein
Einsichtsvoller sprach, als er es erfuhr:
Weiß denn ein Mann, was in des Himmels Höh'
geschieht,
Wenn er, was in dem eignen Hause ist, nicht sieht?
*
Ein Prediger, der eine häßliche Stimme hatte, hielt seine
Stimme für lieblich und rein und hörte nicht auf,
unnützerweise draufloszuschrei'n; es war, als hörte man das
Krächzen des Unglücksraben aus seiner Kehle dringen, oder als
könnte man den Vers: »Wahrlich, die häßlichste Stimme ist die
Stimme des Esels«, auf ihn in Anwendung bringen.
»Fängt Pred'ger Eselsvater an die Stimme zu
erheben,
Sieht man bei dem Iah-Geschrei ganz Istachar erbeben.«
Die Leute des Ortes fanden für gut, um seiner Stellung
willen die Unannehmlichkeit zu ertragen, und hatten Bedenken,
ihn deshalb zu plagen, bis ein anderer Prediger jener Gegend,
der eine geheime Feindschaft gegen ihn hegte, einst bei einem
Besuche zu ihm sagte: Es hat mir von dir geträumt, mög' es dir
Gutes bringen! Was hast du gesehn? fragte jener. Es kam mir
vor, antwortete er, als ob du eine angenehme Stimme hättest
und die Leute durch deine Rede entzückt wären. Der Prediger
dachte einen Augenblick nach und sagte dann: Gesegnet sei
dieser Traum, denn ich sehe, daß du mich zur Erkenntnis meines
Fehlers gebracht hast; ja, ich sehe ein, daß ich eine
unangenehme Stimme habe und daß die Leute durch meine Rede
gepeinigt werden; doch ich werde mich bekehren und zukünftig
das Kanzelgebet mit gedämpfter Stimme vortragen.
Zuwider ist mir ganz der Freunde Umgang,
Die mir mein Schlechtes stets als Gutes zeigen,
Im Fehler nur Verdienst und Vorzug sehen,
Den Dorn als Jasmin und als Rose zeigen.
Weit lieber unverschämte freche Feinde,
Die mir ganz offen meine Fehler zeigen.
*
In der Moschee zu Sandscharieh verrichtete einer aus freien
Stücken den Gebetausruf mit einer Stimme, daß alle, die es
hörten, davonliefen. Der Patron der Moschee war ein gerechter
und gutgesitteter Emir; da er jenen nicht kränken wollte,
sagte er zu ihm: O edler Mann, es sind an dieser Moschee
ältere Gebetausrufer, von denen jeder fünf Dinare Einkommen
hat; dir will ich zehn Dinare geben, damit du an einen andern
Ort gehest. Er willigte ein und ging fort. Nach einiger Zeit
kam er wieder zu dem Emir zurück und sagte: O Herr, du hast
unbillig an mir gehandelt, denn du hast mich mit zehn Dinaren
von hier fortgeschickt, und dort, wo ich hingegangen bin,
wollen sie mir zwanzig Dinare geben, damit ich anderswohin
gehe, ich nehme sie aber nicht an. Der Emir lachte und sprach:
Hüte dich, sie zu nehmen, denn sie werden sich auch zu fünfzig
Dinaren verstehn.
So krächzt die Axt nicht, wenn sie den Stein
vom Kote reinigt,
Wie deine rauhe Stimme uns durch ihr Krächzen peinigt.
*
Jemand, der eine unangenehme Stimme hatte, las sehr laut
den Koran. Ein Einsichtsvoller, der vorüberging, sagte:
Wieviel bekommst du Monatlohn? Nichts, antwortete der Lesende.
Warum gibst du dir denn so viele Mühe? fragte er. Ich lese um
Gottes willen, antwortete jener. So lese um Gottes willen
nicht, sagte der andere.
Wenn man dich den Koran so lesen hört,
Wird ja des Islams Glanz und Ruhm zerstört.