Reise von Konstantinopel über Beirut nach Jerusalem
Syrien - Libanon
25. Mai 1842
Heute früh sah ich Syriens Küste, die sich immer herrlicher
gestaltete, je mehr wir sie in der Nähe betrachten konnten;
allein das Ziel dieser Reise, Beirut, blieb uns neidisch bis
auf den letzten Augenblick verborgen. Noch mußte eine Spitze
umsegelt werden, und dann erst erschien dies Eden dem
entzückten Auge in der ganzen Fülle seiner Pracht. Gern hätte
ich auf dieser kurzen Strecke von der letzten Spitze bis in
den Hafen das Schiff in seinem Lauf angehalten, um diesen
herrlichen Anblick länger zu genießen. Zwei Augen sind für
diese Ansicht zu wenig und der Gegenstände zuviel, man weiß
wahrlich nicht, wohin man seine Blicke zuerst wenden soll; auf
die Stadt mit ihren vielen altertümlichen Türmen, die an die
Häuser angebaut sind und ihnen das Ansehen alter Ritterburgen
geben, oder auf die vielen Landhäuser im Schatten üppiger
Maulbeerpflanzungen oder auf das schöne Tal, das sich zwischen
Beirut und dem Libanon ausbreitet, oder endlich auf dieses
wunderbare Gebirge selbst? Die gewaltigen Formen dieses
großartigen Gebirges, die eigentümliche Farbe der
Felsenmassen, der schneebedeckte Rücken derselben fesselten
meine Aufmerksamkeit am längsten.
Kaum rollte der Anker in die Tiefe, so war schon unser
Schiff von einer Menge kleiner Barken umschwärmt; es ging hier
noch viel stürmischer zu als in Konstantinopel. Die
halbnackten, ungemein lebhaften Araber oder Fellachen sind so
dienstfertig, daß man sich ihrer nicht genug erwehren kann. Es
wäre nötig, diese armen Leute mit dem Stock zurückzuweisen,
eine andere Erklärung verstehen sie nicht. Da das Wasser hier
sehr seicht ist und man selbst mit der kleinen Barke nicht
ganz an das Ufer fahren kann, kamen abermals gleich wieder
andere dieser braunen Gestalten durchs Wasser heran, packten
uns unter beständigem Streit und Zank auf den Rücken und
brachten uns wohlbehalten an das nahe Ufer.
Bevor man mit dergleichen Menschen wie Barkenführern,
Eseltreibern, Trägern usw. in Verkehr kommt, tut man sehr gut,
sich um den Preis zu erkundigen, den man für solche
Dienstleistungen zu zahlen hat. Ich fragte gewöhnlich den
Schiffskapitän oder einen schon mit allem bekannten Reisenden.
Wenn man diesen Leuten auch das Doppelte des gewöhnlichen
Preises gibt, so sind sie dennoch nie zufrieden und begehren
stets Bakschisch (Trinkgeld). Darum muß man die erste Gabe
immer sehr klein einrichten, um noch etwas für das Trinkgeld
zu bewahren. Endlich hatte ich das einzige hier bestehende
Gasthaus des Herrn Battista glücklich erreicht und freute mich
schon herzlich auf einige Ruhe und Erholung; da erscholl auf
einmal der Schreckensruf: »Kein Platz.«
Wer kann sich meine bejammernswerte Lage in diesem
Augenblick wohl vorstellen? Kein zweiter Gasthof, kein
Kloster, ach, gar kein Ort war vorhanden, wo ich Verlassene
hätte Zuflucht suchen können. Dies vermochte endlich doch so
viel über den Wirt, daß er mich zu seiner Frau führte und mir
eine Privatwohnung zu suchen versprach.
Nun war ich zwar unter Dach und Fach gebracht, aber weder
Ruhe ward mir zuteil noch ein Winkelchen, um mich umkleiden zu
können. Ich saß bei der Wirtin von elf Uhr vormittags bis fünf
Uhr abends; ach, wie lange däuchte mir diese Zeit. Ich konnte
weder schreiben noch lesen, noch schwatzen, denn weder die
Frau noch die Kinder sprachen eine andere Sprache als die
arabische. Ich hatte also Zeit, das Treiben und Leben dieser
Leute zu studieren, und sah, daß die Kinder hier bei weitem
lebhafter sind wie jene in Konstantinopel; das war eine
Beweglichkeit und ein Geschwätz sondergleichen. Die Frau tut
nach der Sitte dieses Landes nichts als mit den Kindern
spielen oder mit der Nachbarin plaudern, während der Mann die
Küche und den Keller und alle Einkäufe besorgt und außerdem
noch die Gäste selbst bedient; ja sogar den Tisch für Weib und
Kinder deckte und besorgte er. Er erzählte mir, daß seine Frau
in längstens acht Tagen in ein Kloster auf dem Libanon gehen
werde, um dort mit den Kindern während der heißen Jahreszeit
zu verweilen.
Welch Unterschied zwischen einer Orientalin und einer
Europäerin!
Die Hitze fand ich auf dem Meer bisher noch immer recht
erträglich, ein sanfter Wind fächelte uns beständig Kühlung
zu, und ein schützendes Zelt gegen die Sonnenstrahlen war über
uns ausgespannt. Aber welch ein Abstand, wenn man das Land
betritt! Hier saß ich im Zimmer, und die Schweißtropfen
perlten beständig von meiner Stirn. Erst jetzt fing ich an zu
fühlen, was es heißt, sich unter der tropischen Sonne zu
befinden. Ich konnte die Stunde nicht erwarten, wo mir ein
Zimmer zugewiesen würde, um Wäsche und Kleider zu wechseln;
doch so gut sollte es mir heute nicht ergehen, denn um fünf
Uhr kam die Botschaft von Mr. B. mit der angenehmen Nachricht,
daß er sich erkundigt und erfahren habe, man könne
weiterreisen, indem von den Drusen und Maroniten auf diesem
Wege gar nichts zu befürchten wäre und die Pest nur in solchen
Orten herrsche, die wir ohnedies nicht zu betreten hätten. Er
habe schon einen Diener gemietet, der zugleich Koch und
Dragoman (Dolmetsch) vorstelle, Lebensmittel und Kochgeschirre
seien gekauft und Plätze auf einer arabischen Barke bestellt.
Ich hätte nichts anderes zu tun, als um sechs Uhr am Ufer zu
sein, wo mich sein Diener erwarten würde. Diese angenehme
Nachricht versetzte mich in die heiterste Stimmung. Ich vergaß
Hitze und Ermüdung, dachte an keinen Wäschewechsel, sondern
schnürte mein Bündelchen und eilte ans Ufer. Von der Stadt sah
ich nur einige Straßen, in denen es sehr lebhaft zuging.
Ebenso sah ich viele Beduinen und Araber, die nur mit einem
Hemd bekleidet waren und sehr braun aussahen. Ich war
vorderhand nicht so begierig, die Stadt Beirut und ihre
Umgebung genauer zu besehen, da ich ja bald wieder
zurückkehren und dann das Versäumte nachzuholen gedachte.
Vor Sonnenuntergang saßen wir schon auf dem Fahrzeug, das
uns nach dem so sehnlich gewünschten heiligen Boden, nach
Jaffa, tragen sollte. Alles war in Ordnung, nichts fehlte als
die Hauptsache – der Wind.
Dampfschiffe gehen von Beirut nach Jaffa nicht, man muß
sich mit Barken begnügen, die weder Reinlichkeit noch
Bequemlichkeit bieten, wo man keine Kajüte, kein Zelt findet
und die Tage und Nächte unter freiem Himmel zubringen muß. Die
Ladung unserer Barke bestand aus Töpferwaren und aus Reis und
Korn, in Säcken geladen.
Es ging gegen Mitternacht, und noch saßen wir im Hafen,
kein sanfter Wind schwellte die Segel.
Ich hüllte mich fest in meinen Mantel und lagerte mich in
Ermangelung einer Matratze auf die Säcke, doch war mein Körper
noch zu wenig ermüdet, um auf solch ungewohntem Lager Ruhe
finden zu können. Mißmutig erhob ich mich wieder und
betrachtete mit neidischen Blicken die nicht sanft
schlummernden, sondern tapfer schnarchenden Araber, die
ringsherum ebenfalls auf den Säcken gelagert waren. Um meiner
armen Seele einen poetischen Schwung zu geben, versenkte ich
mich in Betrachtung der unnachahmlichen Landschaft bei
Mondbeleuchtung, wobei es aber nicht ohne Gähnen abging.
Meinem Gefährten mag es nicht anders ergangen sein, denn auch
er verließ dies weiche Lager und starrte verdrießlich ins
Weite. Endlich gegen drei Uhr morgens, den
26. Mai 1842
erhob sich ein leises Lüftchen, zwei, drei Segel wurden
aufgehißt, und langsam und leise trieben wir dem Meer zu.
Mr. B. hatte mit dem Schiffskapitän bedungen, so nahe als
möglich an der Küste zu fahren, damit wir die an ihr liegenden
Städte sehen konnten. Anlegen durfte er unterwegs nicht, nur
bei Cäsarea, denn in Es Sur und an mehreren andern Orten war
die Pest.
Dergleichen Verträge muß man schriftlich auf dem Konsulat
machen und nie mehr als die Hälfte des Preises im vorhinein
zahlen. Mit der andern Hälfte müssen die Leute stets im Zaum
gehalten werden. Selbst bei der größten Vorsicht geht es
selten ohne Streit und Zank ab; da muß man nur gleich anfangs
sein Recht behaupten und nicht in der geringsten Sache
nachgeben; auf diese Art allein verschafft man sich Ruhe.
Gegen sieben Uhr früh kamen wir an der Stadt und Festung
Saida vorüber. Die Stadt nimmt sich gut aus und besitzt einige
große Häuser. Die Festung ist durch eine kleine Bucht des
Meeres von der Stadt getrennt und durch eine hölzerne Brücke
mit ihr in Verbindung gesetzt. Sie sieht sehr zerstört aus,
mehrere Breschen sind noch in demselben Zustand wie nach der
Eroberung durch die Engländer im Jahre 1840, und ein Teil des
Mauerwerks liegt im Meer. Im Hintergrund sieht man auf einem
Berg Ruinen wie von einer alten Burg.
Der nächste Ort, den wir sahen, war Sarepta, wo der Prophet
Elias von der armen Witwe während einer Hungersnot ernährt
wurde.
Der Libanon wird nun immer niederer und niederer; dagegen
erhebt sich sein Namensgefährte, der Antilibanon. Er ist
ebenso hoch wie ersterer und ihm auch in der Form ganz gleich.
Beide sind mit Schneefeldern durchzogen. Zwischen ihnen steht
ein dritter Bergkoloß, der Hermon.
Nun folgte die Stadt Tyrus oder Es Sur, jetzt einsam und
verödet, denn die größte Geißel der Menschheit, die Pest,
herrschte daselbst in hohem Grad. Man sieht einige verfallene
Festungswerke und mehrere Fragmente von Säulen, die zerstreut
am Ufer liegen.
Und nun sollte ich Orte schauen, nach welchen sich viele
sehnen und deren Anblick doch nur wenigen zuteil wird; mit
klopfendem Herzen sah ich unverwandt nach der Gegend, wo ich
endlich die Stadt Acre und im Hintergrund den Berg Karmel von
den Meereswogen umspült erblickte. Dies also ist der heilige
Boden, auf welchem Christus für uns Menschen gewandelt ist.
Beide sieht man schon aus großer Ferne.
Die Nacht senkte sich zum zweitenmal mild und heiter über
die Erde, allein mir brachte sie wieder keine Ruhe. Daß man
sich doch die Bequemlichkeiten ebenso schnell ab- als
angewöhnen könnte! Wie leicht wäre dann das Reisen; so aber
kostet es gar manchen Kampf, sich von den Beschwerden nicht
abschrecken zu lassen. Doch nur Geduld, dachte ich, es wird
schon noch ärger kommen; sollte ich glücklich zurückkehren,
werde ich abgehärtet sein gleich einem Eingeborenen.
Unsere Mahlzeiten und unser Getränk waren einfach wie
unsere Barke und unsere Schlafstätte. Pilaw hatten wir des
Morgens, Pilaw des Abends, und lauwarmes Wasser mit etwas Rum
gemischt war unser Getränk.
Von Beirut bis in die Nähe von Acre ist die Küste sowie ein
ziemlich breiter Strich des Landes unfruchtbar und versandet.
Bei Acre ändert sich alles, man sieht wieder hübsche
Landhäuser, umgeben von Pomeranzen- und Zitronenpflanzungen,
und eine großartige Wasserleitung, die das liebliche Tal
durchschneidet. Nur der Berg Karmel ist öde und unfruchtbar
und bildet einen grellen Gegensatz zu dieser blühenden
Landschaft; er ragt weit in das Meer hinaus und trägt auf
seinem Rücken ein großes, schönes Kloster.
Die Stadt Acre und ihre Festungswerke sind seit dem letzten
Krieg vom Jahr 1840 noch ganz zerstört und seufzen vergebens
nach einer Wiederherstellung. Häuser und Moscheen sind voll
Kugeln und Löcher; alles liegt und steht noch, als wäre der
Feind erst gestern abgezogen. Sechs Kanonenschlünde sind
drohend auf dem Wall aufgepflanzt. Stadt und Festung liegen
meerumgürtet auf einer Erdzunge.