Reise von Konstantinopel über Beirut nach Jerusalem
Dampfschiff "Erzherzog Johann"
Am 17. Mai
schiffte ich mich also in Gottes Namen auf einem
Dampfschiffe des österreichischen Lloyd, dem "Erzherzog
Johann", ein.
Mit wehmütigem Gefühl stand ich auf dem Verdeck und sah dem
Leben und Treiben, das vor so einer weiten Reise an allen
Orten und Ecken herrscht, halb gedankenlos zu. Und abermals
stand ich in diesem Gewühl ganz allein, nur auf Gott und mein
Vertrauen angewiesen. Keine freundliche, teilnehmende Seele
geleitete mich an Bord. Alles fremd, die Menschen, die
Sprache, das Land, das Klima, die Sitten und die Gebräuche.
Alles fremd! Doch ein Blick hinauf zu den Sternen, ein
Gedanke: Du bist nicht allein, solange du an Gott hältst,
senkte Ruhe in meine Seele, und bald gewann ich es über mich,
mit stiller Heiterkeit alles zu beobachten, was um mich
vorging.
Da war ein altes Mütterchen, das sich von ihrem Sohn nimmer
trennen konnte, immer und immer schloß sie ihn wieder in ihre
Arme und küßte und segnete ihn. Arme Frau, wirst du ihn
wiedersehen? Oder wird die kühle Erde für dieses Leben die
Scheidewand? Gott segne euch beide!
Da stürmte eine Schar von Freunden des Schiffspersonals
heran, die das Schiff von oben bis unten durchstöberten und
Vergleiche machten zwischen diesem und einem englischen oder
französischen.
Da gab es ein Gedränge an der hängenden Schiffstreppe mit
Kisten und Koffern und Körben. Menschen drängten sich
dazwischen hinauf und hinab. Türken und Griechen und andere
balgten sich um die besten Plätze auf dem Oberdeck, und in
wenigen Augenblicken war der große Oberraum in ein Biwak
umgestaltet. Matten und Betten wurden überall ausgebreitet,
Lebensmittel aufgespeichert, Geschirre dazu in Ordnung
gestellt, und kaum waren diese Anstalten halb geendet, so
fingen die Türken mit den Waschungen des Gesichtes, der Hände
und Füße an, breiteten Teppiche aus und verrichteten ihre
Andacht. In einer Ecke des Schiffes war sogar ein kleines,
sehr niedriges Zelt gespannt und so fest verschlossen, daß ich
lange nicht entdecken konnte, ob Menschen oder Waren darunter
verborgen seien. Man bemerkte keine Bewegung unter demselben;
erst nach mehreren Tagen erfuhr ich von einem Türken, daß ein
Scheich von der syrischen Küste zwei Mädchen in Konstantinopel
gekauft habe und sie sorgfältig dem Blick der Neugierigen zu
verbergen suche. Ich war neun Tage mit diesen armen Geschöpfen
auf demselben Schiff und hatte während dieser langen Zeit
keine Gelegenheit, eine davon zu sehen. Selbst bei der
Ausschiffung hüllten sie sich so ein, daß es unmöglich war, zu
erspähen, ob sie weiß oder schwarz seien.
Um sechs Uhr ertönte die Glocke als Zeichen zur Entfernung
der Fremden, und nun erst konnte man die eigentlichen
Reisegefährten erkennen. Ich schmeichelte mir, mehrere Franken
darunter zu finden, die vielleicht ebensolche Reiseprojekte
hätten wie ich, aber mit jeder Minute schwand meine Hoffnung
mehr und mehr; ein Franke nach dem andern verließ das Schiff,
und endlich sah ich mich ganz allein unter all den fremden
Nationen.
Nun wurden die Anker aufgerollt, und langsam begann unsere
Abfahrt aus dem Hafen. Ich sandte ein kurzes, aber inniges
Gebet zu Gott, ich flehte um seinen Schutz auf dieser
gefahrvollen, weiten Reise, und gestärkt und beruhigt konnte
ich neuerdings der Geschäftigkeit meiner Reisegesellschaft,
die nach Beendigung ihrer Andacht sich zum frugalen Mahl
gesetzt hatte, Aufmerksamkeit schenken. Die Nahrung dieser
Leute bestand während der ganzen Zeit, die sie auf dem
Dampfschiff zubrachten, aus kalten Speisen wie Käse, Brot,
harten Eiern, Sardellen, Oliven, Nüssen, sehr vielen Zwiebeln
und aus getrocknetem Mischmasch, einer Gattung kleiner
Aprikosen, die sie anstatt des Kochens einige Stunden vor der
Mahlzeit im Wasser erweichen ließen. Auf einem Segelschiff
nehmen sie gewöhnlich ein Windöfchen nebst Holzkohlen mit, um
sich Pilaw, Bohnen, Hühner, Kaffee und so weiter zu kochen,
was ihnen natürlich auf einem Dampfschiff untersagt ist.
Der herrliche Abend hielt mich noch immer wie gebannt auf
dem Verdeck, ich schaute mit wehmütigem Blick nach der
entschwindenden Kaiserstadt, bis endlich ein sanftes Dunkel im
Verein mit der immer größeren Entfernung alles wie mit einem
Schleier deckte und nur hin und wieder die Spitze eines
Minaretts auftauchte, mir ein letztes Lebewohl zuzuwinken;
aber wer vermag meine Freude zu fühlen, als ich in meiner Nähe
einen Reisenden, einen Franken, erblickte. So war ich denn
nicht mehr allein, ja, für den ersten Augenblick waren wir
sogar Landsleute, denn was die Menschen in Europa auch
scheidet und in einzelne Nationen teilt, ein fremder Weltteil
verbindet sie wieder. Wir fragten nicht: Gehören Sie nach
England, Frankreich, Italien? Wir fragten: Wohin geht wohl die
Reise? Und als es sich zeigte, daß dieser Herr ebenfalls nach
Jerusalem zu gehen gedenke, so hatten wir über diese Reise so
viel zu sprechen, daß es uns gar nicht einfiel, nach unserm
gegenseitigen Vaterland zu fragen. In der überall herrschenden
Sprache der Franzosen unterhielten wir uns und waren
zufrieden, uns gegenseitig verstehen zu können. Erst am
folgenden Tag erfuhr ich, daß er ein Engländer sei und B.
heiße.
In Konstantinopel hatte er mit mir gleiches Schicksal
gehabt. Auch er konnte weder bei seiner Gesandtschaft noch bei
anderen Leuten sichere Nachrichten hinsichtlich der
Möglichkeit der Reise nach Jerusalem erhalten, und so ging
auch er aufs Geratewohl nach Beirut. Wir nahmen uns vor, die
Reise von Beirut nach Jerusalem gemeinschaftlich zu machen,
wenn es möglich sei, durch die wilden Völker der Drusen und
Maroniten zu dringen. Und so stand ich nun nicht mehr ohne
Schutz in der weiten Welt, ich war geborgen bis Jerusalem, was
wollte ich mehr? Jerusalem war das Ziel meiner Reise. Dies
hatte ich nun Hoffnung zu erreichen.
Auf dem Schiff befand ich mich übrigens sehr wohl. Mit
großer Überwindung hatte ich mich entschlossen, wieder auf den
zweiten Platz zu gehen, aber als ich dieses Dampfschiff des
österreichischen Lloyd betrat, lernte ich erst kennen, was
Einteilung und Ordnung vermögen. Männer und Frauen sind da
abgesondert, man findet Waschbecken, hat eine gute Kost und
kann in der Rechnung nicht betrogen werden, da sie der Zweite
Kapitän besorgt; und so wie hier fand ich es in der Folge auf
allen Dampfschiffen.
Wir durchschnitten das Meer von Marmara, fuhren an den
Sieben Türmen vorüber und ließen die Prinzeninseln links
hinter uns.