Aufenthalt in Konstantinopel
Die tanzenden Derwische
Es war gerade an einem Dienstag, als ich Konstantinopel
betrat. Ich erkundigte mich sogleich, was es Sehenswertes
gebe, und man riet mir, die tanzenden Derwische zu besuchen,
die an diesem Tage in Pera ihre Andachtsübungen hatten.
Bei der Moschee um eine Stunde zu früh angekommen, verfügte
ich mich indessen in den anstoßenden Garten, der als
Sammelplatz für die türkische Frauenwelt bestimmt ist. Mehrere
hundert Damen waren hier in den verschiedenartigsten Gruppen
auf dem Rasen gelagert, umgeben von ihren Kindern und deren
Wärterinnen, die sämtlich Negersklavinnen sind. Mehrere dieser
türkischen Frauen rauchten mit wahrer Götterlust eine Pfeife
Tabak und schlürften ein Schälchen schwarzen Kaffee dazu. An
einer und derselben Pfeife rauchen oft zwei, drei Freundinnen,
sie geht von Mund zu Mund. Sie scheinen auch gern zu naschen,
denn die meisten waren mit Rosinen, Feigen, gebrannten
Haselnüssen, Bäckereien und dergleichen reichlich versehen und
aßen trotz der Kleinen. Ihre Sklavinnen scheinen sie sehr gut
zu halten, sie sind gut gekleidet, sitzen mitten unter ihnen
und essen ebenfalls tapfer mit. Nur die Farbe des Gesichts
unterschied Frau und Dienerin.
Auch in der Folge meiner Reise bemerkte ich mit Vergnügen,
daß das Los des Sklaven im Hause eines Muselmanes bei weitem
nicht so drückend ist, als wir glauben. Von lebhaften
Gesprächen sind die türkischen Frauen keine großen
Freundinnen, aber dennoch ging es immer noch lauter zu als bei
den Versammlungen der Männer, die wortkarg im Kaffeehaus
sitzen und halb verschlafen, die Pfeife im Mund, einem
Märchenerzähler gedankenlos zuhören.
Dieser Garten gleicht einem Friedhof. Überall blicken
Grabmonumente unter Zypressen hervor, an und um welche die
Frauen gelagert waren und mit fröhlicher Miene plauderten und
scherzten. Und ebenso plötzlich stand manche unter ihnen auf
und breitete neben ihren Gefährtinnen einen Schal oder Teppich
aus, um ihre Andacht zu verrichten.
Alle waren entschleiert, weil kein Mann anwesend sein
durfte. Ich fand viele hübsche Gesichter unter ihnen, allein
von großer, seltener Schönheit sah ich nichts. Lebhafte, große
Augen, blasse Wangen, breite Gesichter, viel Korpulenz, und
die Dame ist gezeichnet. Die Blattern müssen in diesen
Gegenden noch ziemlich heimisch sein, denn viele trugen die
Narben derselben an sich. Ihr Anzug war auch nicht sehr
malerisch. Wenn sie ausgehen, sind sie ganz eingehüllt in ein
Oberkleid, meistens von dunklem Merino. Im Harem oder auch an
einem solchen Ort, der den Männern verschlossen bleibt, legen
sie dies Oberkleid und das weiße Tuch, in welches Kopf und
Gesicht gehüllt sind, ab. Ihr eigentlicher Anzug besteht aus
sehr weiten Beinkleidern, die unter dem Knöchel
zusammengezogen sind, einem Hemd mit langen weiten Ärmeln und
einer breiten Binde um die Mitte, über welche einige einen
Kaftan, andere nur eine Art Spenser, meist alles von Seide,
anhatten. Feine Stiefeletten, darüber Pantoffeln von gelbem
Saffian, haben sie an den Füßen, und den Kopf bedeckt ein
kleiner Fez, unter welchem die Haare in lauter dünnen Flechten
über die Schultern fallen. Jene Türken oder Türkinnen, die von
Mohammed abstammen, tragen entweder ein grünes Oberkleid oder
einen grünen Turban. Diese Farbe ist ihnen so heilig, daß sie
fast von niemandem getragen werden darf. Selbst den Franken
ist es zu raten, diese Farbe an Kleidern zu meiden, wenn sie
sich nicht Unannehmlichkeiten aussetzen wollen.
Nachdem ich über eine Stunde Zeit hatte, alles zu
betrachten, entstand plötzlich ein Lärm im Vorhof und eine
Bewegung unter den Frauen. Ich schloß daraus, daß es Zeit sei,
in den Tempel zu gehen. Ich fand im Vorhof ein großes
Gedränge, denn der Sultan wurde erwartet. Nun sollte mir
gleich am ersten Tag meiner Ankunft dieses Glück zuteil
werden. Ohne große Bemühung ließ man mich als Fremde in die
ersten Reihen, eine Gutmütigkeit und Artigkeit der Türken, die
manchen Franken zu empfehlen wäre. Und doppelt ist diese
Eigenschaft an diesem Volk zu rühmen, da es für mein
Geschlecht keine Achtung hat und uns armen Wesen seiner
Meinung nach sogar die Seele abspricht.
Kaum stand ich einige Augenblicke, als der Sultan zu
Pferde, von seinem Hofstaate umgeben, erschien. Nur er ritt in
den Vorhof, die übrigen stiegen außer demselben ab und
betraten ihn zu Fuß. Das Pferd, worauf er saß, war von einer
ausgezeichneten Schönheit, wie man mir sagte ein echter
Araber. Es war mit einer reich in Gold gestickten Decke
geziert; die Steigbügel hatten die Form von Schuhen, waren aus
Gold und von feinster getriebener Arbeit.
Der Sultan ist ein schmächtiges, aufgeschossenes Herrchen
von neunzehn Jahren, blaß, matt und abgelebt. Seine Züge sind
hübsch, seine Augen schön. Wenn er sich nicht zu frühzeitig
allen Genüssen der Sinne hingegeben hätte, so wäre ohne
Zweifel ein stattlicher Mann aus ihm geworden. Ein langer,
dunkelblauer Tuchkragen, vorn mit einer Brillantschließe
zusammengehalten, umgab seinen Körper. Ein hoher Fez mit einem
Reiher und einer Brillantagraffe schmückten das Haupt. Die
Begrüßung des Volkes und der Dank des Sultans ist gerade wie
bei uns, nur erhebt das Volk manchmal ein leises
Freudengeschrei.
Nachdem der Sultan den Tempel betreten hatte, stürmte alles
hinein. Die Frauen sitzen auf Galerien, die aber so dicht
vergittert sind, daß man sie gar nicht sieht. Die Männer und
die Franken, letztere ohne Unterschied des Geschlechts, sitzen
und stehen unten im Tempel. Der Tempel oder, besser gesagt,
Saal ist nicht groß, und die Zuseher sind von den Priestern
durch ein niederes Geländer getrennt.
Um zwei Uhr erschienen die Derwische in langen, bis an die
Ferse reichenden Weiberröcken mit unzähligen Falten. Auf dem
Kopf tragen sie hohe, zugespitzte Hüte aus weißem Filz. Sie
breiteten Teppiche und Tierfelle aus und begannen ihre
Zeremonien mit einer Unzahl von Verbeugungen und Küssen des
Bodens. Endlich erscholl Musik, die aber so unter aller Kritik
war, daß ich noch in meinem Leben nichts Erbärmlicheres gehört
habe. Eine Kindertrommel, eine Hirtenpfeife und eine
jämmerliche Geige waren die Instrumente. Dazu fingen mehrere
Stimmen an zu krächzen und zu schnarren, alles ohne Takt und
Melodie.
Zwölf Derwische begannen nun ihren Tanz, wenn man ein
Drehen im Kreis mit ausgestreckten Armen, wobei ihr
faltenreiches Kleid ein schönes Rad bildet, so nennen darf.
Sehr geschickt wissen sie einander auszuweichen, ohne sich zu
berühren, da doch der Raum sehr beschränkt ist. Von
Verzückungen oder anderen Zuständen, wie ich in mehreren
Beschreibungen las, habe ich nichts bemerkt.
Die Zeremonie endete um drei Uhr. Der Sultan stieg nun
wieder zu Pferd und begab sich mit seinem Gefolge und den
Verschnittenen hinweg. Im Lauf dieses Tages sah ich ihn
nochmals, als er von dem Besuch der medizinischen Fakultät
zurückkehrte. Es ist überhaupt sehr leicht, den Sultan zu
sehen, nämlich oft an Dienstagen, aber gewiß an jedem Freitag,
dem Feiertag der Türken.
Imposanter ist der Zug des jungen Herrschers, wenn er sich
zu Schiff begibt, um eine Moschee zu besuchen. Zwei Stunden
vor seinem Auszug erfährt man erst, in welche Moschee er
willens ist, sich zu begeben. Mittags zwölf Uhr setzt sich der
Zug in Bewegung. Zu diesem Zweck sind zwei wunderschöne Barken
in Bereitschaft; sie sind weiß angestrichen und mit
Schnitzwerk und Vergoldung überladen. Auf jedem dieser
Fahrzeuge befindet sich ein schöner Baldachin aus schwerem,
dunkelrotem Samt, mit Goldborten und Tressen reich verziert.
Der Boden ist mit den geschmackvollsten Teppichen ausgelegt.
Die Ruderer sind kräftige schöne Jünglinge, deren Anzug in
einem Hemd, Hosen und Jacke aus weißem Seidenzeug besteht; ein
Fez deckt den Kopf. An jeder Seite des Schiffes sind vierzehn
Ruderer, unter deren angestrengter Arbeit das Schiff über Woge
und Welle gleich einem Delphin dahinschießt. Gar schön macht
sich die ganz gleichförmige Bewegung der Matrosen. Auf einen
Schlag fallen alle Ruder in das Wasser, zugleich erheben sie
selbe wieder und fallen auf ihre Sitze zurück.
Eine Menge eleganter Barken und Kaïks folgt dem Zug. Die
Flaggen der türkischen Flotte und Schiffe sind aufgezogen, und
mit einundzwanzig Kanonenschüssen wird der Sultan begrüßt. Er
verweilt nicht lange in der Moschee und besucht dann
gewöhnlich noch eine Kaserne oder sonst eine öffentliche
Anstalt. Fährt der Monarch zu Wasser hin, so kehrt er zu
Wasser zurück und umgekehrt.
Die beliebtesten Spaziergänge in Pera sind der große und
kleine Campo, richtiger gesagt: Friedhöfe in Zypressenhainen.
Dies ist eine eigentümliche Gewohnheit der Türken, daß alle
ihre Feste, Spaziergänge, Unterhaltungen und Wohnungen
inmitten der Grabstätten sind. Nicht leicht wird man dies bei
einer anderen Nation finden. Überall, in Konstantinopel, Pera,
Galata usw., kann man kaum einige Schritte gehen, ohne auf
einzelne oder mehrere Gräber zu stoßen, die mit Zypressen
umgeben sind. Hier wandelt man beständig zwischen Toten und
Lebendigen, eine Sache, an welche man sich in den ersten
vierundzwanzig Stunden gewöhnt. Ich ging in der Nacht mit
derselben Ruhe und Gleichgültigkeit an den Gräbern vorüber wie
an den Häusern. Von der Ferne verleihen diese zahlreichen
Zypressenhaine den Städten einen eigentümlichen, feenartigen
Zauber, den man mit nichts vergleichen kann. Man sieht nur
überall die Bäume hervorragen, die Monumente sind dem Blick
verborgen.
Weniger schnell konnte ich mich an die vielen herrenlosen
Hunde gewöhnen, die in allen Ecken, auf Plätzen und Straßen
den Fremden entgegentreten. Sie sind von einer auffallend
häßlichen Rasse, dem Schakal ganz ähnlich. Bei Tag machen sie
zwar wenig Ungelegenheit; sie sind zufrieden, wenn man sie
ruhig in der Sonne liegen oder ihre Beute verzehren läßt. Bei
Nacht geht es freilich nicht so gelassen her. Sie bellen
beständig, packen aber niemanden an, besonders wenn man einen
Diener bei sich hat, der mit einem Stock und einer Laterne
versehen ist. Unter sich haben sie oft Händel und Raufereien,
wobei es manchmal sogar Tote gibt. Sie leiden durchaus nicht,
daß ein fremder Hund ihr Gebiet, nämlich die Gasse oder den
Platz betrete, den sie innehaben. Über einen solchen Fremdling
fallen alle her und verfolgen ihn, bis er den Platz räumt oder
tot liegen bleibt. Darum sieht man höchst selten, daß jemand
einen Haushund mit sich nimmt, man müßte das Tier beständig
tragen, und dessenungeachtet würden diese ungebetenen Gäste
nachlaufen und immerwährend bellen und heulen. Die
Hundekrankheit, die Wut, kennt und fürchtet man bei diesen
herumirrenden Tieren nicht, obwohl niemand für ihre Nahrung
sorgt. Sie nähren sich von den ekelhaftesten Exkrementen, die
sie im Überfluß auf allen Straßen finden, da jeder Unrat aus
den Häusern hinausgeworfen und hinausgeschüttet wird. Vor
einigen Jahren wollte man sie aus Konstantinopel verbannen und
gab sie auf zwei unbewohnte Inseln im Meer von Marmara, und
zwar die Männchen auf die eine, die Weibchen auf die andere.
Allein der Unrat nahm nun in der Stadt dermaßen überhand, daß
man sie gern wieder zurückberief.
Die Stadt ist nicht beleuchtet. Jedermann, der nachts
ausgeht, muß eine Laterne mit sich tragen. Wird er von der
herumstreifenden Wache ohne diese ertappt, so muß er ohne
Gnade und Barmherzigkeit aufs nächste Wachthaus wandern und
die Nacht dort zubringen. Die Stadtteile werden nach
Sonnenuntergang geschlossen.
Sosehr ich von der himmlischen Lage Konstantinopels
entzückt war, in ebendem Grad mißfiel mir das Innere. Schmutz
und Gestank, die man überall antrifft, die engen, häßlichen
Gassen, das ewige Bergauf- und Bergabsteigen auf den
schlechtesten Wegen verleidet nur zu schnell den Aufenthalt in
dieser Stadt. Und alles dieses wird noch durch die beständige
Angst vor Feuergefahr überboten.
In jedem Haus sind große Koffer und Körbe bereit, damit
man, wenn irgendwo Feuer ausbricht, seine Habseligkeiten
schnell hineinwerfen und fortschaffen kann. Zu diesem Zweck
macht man mit zwei oder drei Türken einen Vertrag, zahlt ihnen
jeden Monat eine Kleinigkeit, und dafür müssen sie zur Stunde
der Not erscheinen, um die gepackten Kisten und Koffer an
sichere Orte zu schaffen und überall helfend zur Hand zu sein.
Auf die Ehrlichkeit der Türken kann man sicherer bauen als auf
die der Christen und Griechen. Höchst selten soll ein Beispiel
vorkommen, daß der Türke von dem ihm anvertrauten Gut etwas
entwendet. Die ersten Nächte erschrak ich vor jedem Lärm,
besonders wenn der Wächter durch die Straße zog und mit dem
Stock auf die Steine stieß. Im Fall einer Feuergefahr schlägt
er an jedes Haustor und schreit: »Feuer! Feuer!« Gott sei Lob
und Dank! ich erlebte keines.