Der Quran im Islam
Wissenschaften, deren Entstehung auf den Quran zurückgeht
Die religionswissenschaftlichen Studien,
die zurzeit von den Muslimen betrieben werden, sind zweifellos
erst nach der Berufung des Propheten und der Offenbarung des
Quran, die die göttlichen Erkenntnisse und die religiösen
Gesetze mit sich brachten, entstanden.
Diese Studien wurden im 1. Jahrhundert
nach der Auswanderung nur sporadisch von den
Prophetengefährten und ihren Nachfolgern betrieben, weil das
Kalifat das Sammeln und Aufzeichnen von Überlieferungen
verboten hatte. Einige wenige befassten sich mit der
Rechtswissenschaft, Quran-Exegese und der
Überlieferungswissenschaft. Die meisten aber lernten sie
lediglich auswendig und überlieferten sie der Nachwelt.
Zu Beginn des 2. Jahrhunderts wurde das
Verbot aufgehoben,
und die Muslime schrieben die Prophetenüberlieferung nieder,
beschäftigten sich regelmäßig mit dem Studium anderer
Wissenschaften und verfassten Abhandlungen und Bücher darüber.
Und so entstanden die Überlieferungswissenschaft, die
Überlieferungs- und Überliefererkritik, die Methodenlehre der
Rechtswissenschaft, die Gesetzeswissenschaft und die
Theologie. Die Philosophie wurde zwar erst aus der
griechischen in die arabische Sprache übersetzt und in die
islamische Kulturwelt eingeführt, wo sie sogar eine Zeitlang
in ihrem griechischen Zuschnitt fortbestand, doch sie passte
sich nach einiger Zeit sowohl in der Form als auch im Inhalt
der Denkweise der islamischen Umwelt so an, dass in der
gegenwärtigen islamischen Philosophie keine theologische
Fragestellung existiert, die samt ihrer Begründung nicht im
Quran und in der Überlieferung zu finden wäre.
Diese Feststellung trifft auf die
arabische Philologie ebenfalls zu, denn die Beschäftigung mit
der Morphologie, Syntax, Rhetorik, Stilkunde, Lexikographie,
Wortbildung und Linguistik betraf zwar die arabische Sprache,
wurde jedoch zweifelsohne durch jenes göttliche Meisterwerk
motiviert, das mit seiner klaren Sprache und seinem schönen
Stil eine enorme Anziehungskraft auf die Muslime ausübte, die
daher die Notwendigkeit verspürten, allgemeine Regeln in der
arabischen Sprache aufzustellen, um die Struktur der
Quranischen Worte und Sätze sowie ihre stilistisch
rhetorischen Besonderheiten zu erkennen. Auf diese Weise
entstanden die Morphologie, Syntax und Lexikographie und die
drei rhetorischen Disziplinen.
Es ist überliefert worden, dass Ibn
Abbas, ein Quran-Exeget aus der Reihe der Prophetengefährten,
die Bedeutung der Quranischen Verse mit Beispielen aus der
arabischen Dichtung zu erklären versuchte. Er empfahl,
arabische Gedichte zu sammeln und sie auswendig zu lernen.
Durch solche Bemühungen wurden die arabische Prosa und Poesie
aufgezeichnet, bis der bekannte schiitische Gelehrte Halil ibn
Ahmad Basri das Lexikon “Kitab al-Ain“ verfasste und die
Prosodie zur Erkennung des arabischen Versmaßes begründete.
Andere Gelehrte führten seine Werke fort.
Die islamische Geschichtsschreibung
entwickelte sich aus der Überlieferungswissenschaft. Sie
begann mit der Aufzeichnung der Geschichten der Propheten (a.)
und der Imame sowie der Biographie von Muhammad (s.), dann kam
die frühislamische Geschichte hinzu und entwickelte sich
allmählich zu einer Geschichtsschreibung über andere Gegenden
der Welt.
Einige Historiker wie Tabari,
Masudi,
Yaqubi
und Waqidi
seien hier genannt. Die Beschäftigung der Muslime mit
Naturwissenschaften, Mathematik usw. zuerst durch Übernahme
fremden Gedankengutes auf dem Wege der Übersetzungen und
später durch selbständige Arbeiten geht ebenfalls auf jene
kulturelle Motivation zurück, die durch den Quran
hervorgerufen wurde.
Auf Anordnung der Kalifen, deren Amtssitz
sich auf arabischem Gebiet befand, wurden zuerst
wissenschaftliche Bücher verschiedener Fachgebiete aus der
griechischen, syrischen und indischen Sprache in die arabische
Sprache übersetzt und später auch anderen muslimischen Völkern
zugänglich gemacht. Daraus entwickelten sich ständig Forschung
und Lehre systematisch und in größerem Stil fort.
Die islamische Zivilisation, die sich
bereits kurz nach der Auswanderung und dem Ableben des
Propheten (s.) in weiten Teilen der damals bewohnten Erde
ausbreitete und heute über 600 Millionen Menschen
im Namen des Islam zusammenhält, wurde eindeutig durch den
Quran hervorgebracht. Ein derartiger Wandel in einem
Kettenglied der Weltereignisse wirkt fort und beeinflusst die
weitere Entwicklung. Daher ist der Quran eine der Ursachen
des heutigen kulturellen Wandels und Fortschritts.
Um diese Feststellung gebührend zu
untermauern, bedarf es natürlich einer ausführlicheren
Untersuchung, die im Rahmen dieses kurz gehaltenen Beitrages
nicht möglich ist.