Der Quran im Islam
Gabriel und der zuverlässige Geist
Nach der oben (in früheren Abschnitten) beschriebenen Erklärung hat
der Prophet (s.) seine eigene lautere Seele, die von
Wohlwollen erfüllt war, zuverlässigen Geist und ihre
Eingebungen Offenbarungen genannt. Doch für diese Ansicht
lässt sich im Quran keine Bestätigung finden, denn laut
Quranischer Auffassung ist Gabriel (a.) der Übermittler der
Verse. Daher kann die erwähnte Deutung diese Bezeichnungen
nicht erklären. Der erhabene Gott sagt:
„Sag: Wenn einer dem Gabriel Feind ist
- und der hat doch mit Allahs Erlaubnis dir ins Herz
herabgesandt.“ (2:97)
Dieser Vers ist als Antwort auf die Frage
der Juden offenbart worden, die den Propheten fragten: „Wer
sendet dir diese Verse herab?“ – „Gabriel“, antwortete der
Prophet (s.). „Wir sind Feinde Gabriels“, antworteten
sie, „denn er hat uns, Kindern Israels, Beschränkungen
auferlegt. Da er unser Feind ist, glauben wir an keine
Schrift, die er gebracht hat.“
Der erhabene Gott antwortet in diesem
Vers, dass Gabriel den Quran nicht von sich aus, sondern mit
Gottes Erlaubnis herabgesandt habe und dass der Quran nicht
sein, sondern Gottes Wort sei, woran geglaubt werden müsse.
Jene Juden betrachteten sich also als Feinde eines himmlischen
Wesens, das beauftragt war, die göttliche Offenbarung zu
übermitteln. Dieses Wesen ist natürlich mit Moses (a.) und
Muhammad (s.) bzw. mit ihren Seelen nicht gleichzusetzen.
Der Quran, der in diesem Vers das
Herabsenden der Worte Gottes Gabriel (a.) zuschreibt, schreibt
sie in einem anderen Vers dem zuverlässigen Geist zu:
„Der zuverlässige Geist hat ihn
herabgebracht, dir ins Herz, damit du ein Warner seiest.“
(26:193-194)
Aus diesen beiden Versen geht hervor,
dass mit dem zuverlässigen Geist Gabriel (a.) gemeint ist.
Über diesen Übermittler der Offenbarung sagt der erhabene Gott
an einer anderen Stelle seiner Schrift:
„Er (der Quran) ist die Aussage eines
vortrefflichen Gesandten (Gabriel), der beim Herrn des Throns
über große Gewalt verfügt und Ansehen hat, und dem man dort
Gehorsam leistet und Vertrauen entgegenbringt. Euer Freund
(der Prophet) ist nicht besessen. Ich schwöre, er hat ihn (den
Überbringer der Offenbarung) am deutlichen Horizont gesehen.“
(81:20-23)
Diese Verse weisen darauf hin, dass
Gabriel (a.) zu jenen gehört, die Gott nahestehen, über Macht
und Ansehen verfügen, und dass ihnen Gehorsam und Vertrauen
entgegengebracht wird. Über diese, dem Gottesthron
nahestehenden Wesen, d.h. über die Engel, wird an einer
anderen Stelle gesagt:
„Die (Engel), die den Thron (Allahs)
tragen, und die ihn umgeben, lobsingen ihrem Herrn und glauben
an ihn. Und sie bitten um Vergebung für die Gläubigen.“
(40:7)
Aus diesem Vers geht hervor, dass die
Gott nahestehenden Engel unabhängige, vernunftbegabte und mit
dem Willen ausgestattete Wesen sind. Denn die ihnen
zugeschriebene Haltung: „Glaube an Gott und Bitte um Vergebung
für die Anderen“ ist nur bei unabhängigen, vernunftbegabten
und mit dem Willen ausgestatteten Wesen möglich. Dazu heißt es
noch im Quran:
„Der Messias wird es nicht
verschmähen, ein Diener Allahs zu sein, auch nicht, die
nahestehenden Engel. Und wenn einer es verschmäht, Allah zu
dienen und zu hochmütig dazu ist, den wird er einst am Tage
des Gerichts vor sich bringen. Denen aber, die es verschmähen,
ihm zu dienen und zu hochmütig dazu sind, wird er eine
schmerzhafte Strafe zukommen lassen, und sie werden dann für
sich außer Allah weder Freund noch Helfer finden.“
(4:172-173)
Obwohl der Messias und die nahestehenden
Engel keine Sünden auf sich laden würden, ist ihnen in diesen
Versen für den Fall der Übertretung der Gebote die Strafe am
Tage der Auferstehung angedroht worden. Die Strafandrohung am
Tage der Auferstehung bezieht sich hier auf die Unterlassung
einer Pflicht und ist dann sinnvoll, wenn bei den betreffenden
Wesen Unabhängigkeit, Vernunft und Wille vorausgesetzt werden
können.
Aus diesen Versen wird deutlich, dass es
sich bei dem Gabriel genannten zuverlässigen Geist, der die
Offenbarung übermittelt hat, nach dem Zeugnis des Quran um
einen himmlischen Engel handelt, der ein vernunftbegabtes
Wesen ist und einen unabhängigen Willen besitzt.
Aus einem Satz des Verses (81:21), in dem
von „Gehorsam und Vertrauen“ ihm gegenüber die Rede
ist, geht vielmehr hervor, dass Gabriel im Himmel
Befehlsgewalt besaß, einer Gruppe von Engeln vorstand und dass
die Quranische Offenbarung immer oder gelegentlich durch
seine Untertanen übermittelt wurde, wie es auch in folgenden
Versen angedeutet wird: „Nein! Es ist eine Erinnerung (was
hier verkündet wird). Wer will, denkt an ihn. Er ist auf
Blättern, die in Ehren gehalten werden, emporgehoben und rein
in den Händen vornehmer und frommer Botschafter.“
(80:11-16)