92. Predigt – als Leute ihm den Treueid leisten wollten
(Er (a.) hielt diese Predigt)
als die Leute ihm den Treueid leisten wollten.
Lasst mich und sucht einen anderen als
mich, denn wir gehen auf eine Sache zu, die (verschiedene)
Gesichter und Farben hat, die weder die Herzen ertragen noch
der Verstand erfassen kann. Der Horizont wurde von Wolken
verdeckt, und der geradeaus führende Weg hat sich verändert.
So wisset, dass, wenn ich euch stattgebe, ich euch dann so
führen werde, wie ich es weiß und ich mich nicht darum kümmern
werde, was jemand sagt oder was mir jemand vorwirft. Wenn ihr
mich (jedoch) verlasst, dann bin ich (lediglich) wie einer von
euch. Es ist (unter Umständen) möglich, dass ich auf den unter
euch höre und dem gehorche, dem ihr eure Angelegenheit
übertragt (statt mir). Ich bin als Berater für euch besser
denn als Befehlshaber!
Erläuterung
Als der Stuhl
des Kalifen durch die Ermordung Uthmans unbesetzt war,
begannen die Muslime, Imam Ali (a.) als zukünftigen Kalifen
ins Auge zu fassen aufgrund seines friedfertigen Verhaltens,
seiner Prinzipientreue und seiner scharfsinnigen Politik, was
sie während der langen Periode seiner Zurückhaltung während
der ersten drei Kalifen registriert hatten. Folglich eilten
sie herbei, um ihm den Treueid zu schwören in der Art und
Weise, wie ein Reisender, der sich verirrt hat und nun
plötzlich sein Ziel vor Augen hat und dann entsprechend
dorthin eilen würde, wie es der Historiker al-Tabari
berichtet: „Die Leute ballten sich um den Befehlshaber der
Gläubigen und sagten: ´Wir wollen dir den Treueid leisten, und
du siehst, welche Nöte den Islam befallen haben und wie wir
wegen der Allernächsten des Propheten geprüft werden.´“
Aber der
Befehlshaber der Gläubigen (a.) war abgeneigt, ihrer Bitte
nachzukommen, woraufhin die Leute in lautes Geschrei
ausbrachen und anfingen, laut zu schreien: „Oh Abu´l Hassan,
siehst du denn nicht, wie der Islam zerstört wird und (siehst
du denn nicht) die heranrollende Flut von Anarchie und
Zwietracht? Fürchtest du denn Allah nicht?“ Selbst dann
zeigte der Befehlshaber der Gläubigen (a.) keinerlei
Bereitschaft zuzustimmen, weil er sah, dass die Auswirkungen
der Atmosphäre, die nach dem Propheten (s.) entstanden war,
die Herzen und Köpfe der Leute überwältigt hatten.
Selbstsucht und Machthunger hatten in ihnen Wurzeln
geschlagen, ihr Denken war durch Materialismus beeinträchtigt
worden und sie hatten sich daran gewöhnt, die Regierung als
ein Mittel zu missbrauchen, ihre Interessen zu sichern. Jetzt
wollten sie also das göttliche Kalifat ebenfalls für
materielle Ziele missbrauchen und damit spielen.
Unter diesen
Umständen war es unmöglich, die Mentalität der Leute zu ändern
oder die Temperamente zu lenken. Zusätzlich zu diesen Gedanken
hatte Imam Ali (a.) auch die Zukunft im Blick, damit diese
Leute mehr Zeit bekommen sollten. Es sollte nicht dazu kommen,
dass diese Leute aufgrund von Nichterfüllung ihrer materiellen
Interessen anschließend sagen würden, dass der Treueid nur
aufgrund von temporärer Zweckmäßigkeit und momentanen Gedanken
von ihnen geleistet worden sei. Es durfte nicht wieder das
passieren, was Umars Idee über das erste Kalifat war, wie es
aus seiner Aussage ersichtlich wird: „Es kam zu Abu Bakrs
Kalifat ohne Hintergedanken, vielmehr bewahrte Allah uns vor
dessen Zwietracht. Wenn irgendjemand so eine Sache wiederholt,
solltet ihr ihn töten.“
Kurz gesagt,
als sie mehr und mehr darauf drängten, hielt der Befehlshaber
der Gläubigen (a.) diese Predigt, in der er sinngemäß
Folgendes klarstellte: „Wenn ihr mich für eure weltlichen
Belange wollt, dann bin ich nicht bereit, als euer Instrument
dafür zu fungieren. Lasst mich und findet jemand anderen, der
euren Interessen dienlich sein mag. Ihr habt mein vergangenes
Leben gesehen, dass ich nicht bereit bin, etwas anderem zu
folgen als dem Qur´an und der Verfahrensweise [sunna] und dass
ich diese Prinzipien nicht aufgeben werde, um Macht zu
sichern. Wenn ihr jemand anderen wählt, dann werde ich Gesetze
und Verfassung des Staates respektieren, wie es ein
friedlicher Bürger tun sollte. Zu keiner Zeit habe ich
versucht, die kollektive Existenz der Muslime zu zerstören, in
dem ich eine Revolte angezettelt habe. Dasselbe wird jetzt
passieren. Vielmehr, da ich immer das allgemeine Wohl im Sinn
hatte und ich richtige Ratschläge gegeben habe, werde ich mich
nicht scheuen, das Gleiche zu tun. Wenn ihr mich in der
gleichen Position lasst, wäre es für eure weltlichen
Interessen besser, weil ich in diesem Falle keine Macht in den
Händen hielte, so dass ich euren weltlichen Interessen im Wege
stehen und ein Hindernis für eure Wünsche darstellen könnte.
Doch, wenn ihr entschlossen seid, mir den Treueid in die Hand
zu schwören, dann vergesst nicht, dass, wenn ihr gegen mich
(in Missbilligung) die Stirn runzelt oder mir widersprecht,
ich euch zwingen werde, den Weg des Rechts zu beschreiten, und
wenn es ums Recht geht, dann werde ich mich nicht um
irgendjemanden kümmern (der dem Recht widerspricht). Wenn ihr
selbst dann noch mir den Treueid leisten wollt, dann könnt ihr
eurem Wunsch nachkommen.“
Der Eindruck,
den der Befehlshaber der Gläubigen (a.) von diesen Leuten
hatte, wurde von den späteren Ereignissen vollständig
bestätigt. Folglich, als diejenigen, die den Treueid aus
weltlichen Beweggründen heraus geschworen hatten, ihre Ziele
verfehlten, brachen sie weg und erhoben sich gegen seine
Regierung mit Behauptungen, die jeglicher Grundlage
entbehrten, wovon zahlreiche Predigten zeugen.