Mohammed
Mohammed - Roman eines Propheten (Klabund)

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1917 n.Chr.

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Es wird ausdrücklich darauf verwiesen, dass der Autor Historisches mit Märchen vermischt hat, so dass der Inhalt nicht authentisch ist. Er hilft aber das Verständnis der Zeit über Islam nachzuvollziehen.

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Offenbarung

Unerträglich wird mir der Anblick der Menschen, die Lüge ihres Mundes, das Prahlerische ihres Gesichtes. Sie sind wie Schnecken aus sich herausgekrochen, ihr Haus und Hort aber liegt weit hinter ihnen, ihre schleimige Spur ist verwischt, und niemand findet mehr zur Burg der Behütung. Ich selber, o Gott, was bin ich für ein schlimmer Gauch! Gefallener Engel! Liebloser Liebender! Wie der Gärtner das Wasser in den Mund nimmt, die Blumen zu besprengen, habe ich schöne Worte im Munde und lasse sie über die dürre Wiese regnen. Was nützt dem Grashalm der Regen von Worten, das edle Geplätscher, wenn ihm die Sonne, die Tat des Lichts, nicht folgt? Ich bin mir widerlich wie eine tote Ratte. Ich stinke von der Verwesung der Untat. Ich bin ein Gespött: der spinnenden Spinne, dem jagenden Wolf, der emsigen Ameise, der turtelnden Taube, dem hurtigen Hecht. Nichts tue ich als träumen. Nichts will ich als Wünsche. Nichts kann ich, als dich ehren, Erde, dich lieben, Tier, dich preisen, Geist – mich aber, ziellosen Wanderer in Listen und Lüsten, tatenlosen Trunkenbold, muß ich: ja: unausdenkbar und unaussprechlich verachten.

Mohammed stürzte sich in die Einsamkeit, brandend und brüllend, daß sie wie ein Meer über ihm zusammenschlug. Niemand durfte sich mit seinem zerbrechlichen Kahn auf die von der Geißel Gottes gepeitschten Wogen wagen, sie hätten ihn zerschmettert und als wertloses Strandgut an die Küste geworfen. Nicht Chadidjeh, die schillernde Schlange, kroch die besonnten Felsen zur Einsiedelei empor. Nicht Maria, dem singenden Vogel, glückte der schmerzliche Flug durch das Dornengebüsch und an den Leimruten und Netzen der Vogelsteller vorbei.

Mohammed jubelte: sein Lachen brauste in den Lüften: seine Stirn stürmte zu den Wolken:

Ich bin allein! Niemandes Folgsamer und meiner endlich gewiß! Die Sonne ist meine Sonne, ich wandle meinen Schritt. Ich sehe mich im Spiegel des Baches und bin betroffen. Ich falle nieder am Ufer und trinke durstig mein Antlitz. Nachts fallen die Sterne auf meinen Weg und sind Kiesel, die im Mondlicht glänzen. Ich hebe sie in meine Hand und betrachte sie willig. Die Eidechse, meine kleine Schwester, hält an der Mauer meinen Blicken stand, und zärtlich sehe ich sie in dunkler Höhle entschwinden. Der ich in der Gemeinschaft und Gemeinheit der Menschen mich hassen lernte – ich wage mich zum erstenmal zu lieben und weine mich wie ein Kind in seligen Schlaf ...

Mohammed rannte bis in die tiefsten Täler Mekkas.

Die Wildnis entwirrte sich vor ihm. Schlinggewächse entschlangen sich. Sumpf ward Erde. Silberne Quelle Labsal. Die Steine ebneten sich unter seinem fröhlichen Fuß. Die Fichten verneigten sich. Und die Felsen warfen sich Echo auf Echo zu wie einen klingenden Ball: Heil dir, Mohammed, Gesandter Gottes!

Es war der heißeste Ramadhan seit vielen Jahrzehnten. In den Straßen der Städte fielen die Maultiere tot um. Kamele verdursteten. Hunde wurden tollwütig. An den Karawanenstraßen schimmerten wie Meilensteine eines qualvollen Weges die Leichen der von der Sonne erschlagenen Araber. – Chadidjeh und Maria lagen im steinernen Schatten des Hauses, im kühlsten innersten Gemache, auf Bastdecken. Sie hatten die Kleider von sich gestreift, die, zu einem Knäuel geschichtet, wie ein bunter Götze aus der Dämmerung glotzten. Ihre schönen Brüste leuchteten wie weiße Ampeln. Sie tranken Fruchtwasser, naschten an Zuckergebäck und spielten Mühle. Ein zahmer chinesischer Zeisig mit einem sonderbaren hahnähnlichen feuerroten Schöpf sprang auf den Feldern des Spielbrettes zirpend zwischen den Steinen.

Plötzlich warf Ali, der Knabe, den Vorhang zurück und meldete:

»Ein Bettler, Herrin, steht am Tor und läßt sich nicht abweisen. Ich bot ihm Datteln. Er wies sie zurück. Ich bot ihm Münze. Er schlug sie mir aus der Hand. Sein Bart und sein Haar ist verwildert wie ein Wald aus Knieholz. Er stinkt wie ein Schakal. Sein Leib ist mit schwarzen Krusten bedeckt. Er ähnelt einem Taschenkrebs. Die Arme schlägt er wie Mühlenflügel. Aus seinem Mund tropft heißer Speichel wie gesiedetes Blei. Seine Augen sind groß wie die Augen von Irren. Er wünscht Euch zu sprechen, Herrin ...«

Maria zitterte.

Ein Spielstein fiel aus ihren Fingern und klirrte aufs Brett.

Der Zeisig kreischte.

Chadidjeh stützte das Kinn in die Hand.

»Bring uns Decken, Ali.«

Der Knabe huschte maushaft durch den Raum.

Die weißen Ampeln erloschen unter Tüchern.

»Der Mann soll kommen.«

Mit klappernden Gliedern tanzte ein gebrechlicher Greis durch die Tür.

Unreiner Atem erfüllte die Luft.

Häßlichkeit mißhandelte die Blicke, die ihn beschauten.

Grauweißes Haar wuchs pilzig aus dem Kopf.

Der Burnus, der ihn wie mit Krähenflügeln beschirmte, stob schmutzig und zerrissen von seinen Lenden.

Lallend fiel er zwischen den Frauen nieder.

»Mohammed!« schrien die Frauen.

Wie Bambus schössen sie steil in die Höhe. Die Decken fielen von ihren Hüften. Ihre weißen Brüste funkelten.

Mohammed gesundete.

Die Frauen pflegten ihn wie ein Kind: mit Hühnerfleisch und Eselsmilch. Sie wuschen und kämmten ihn des Morgens. Sie trugen ihn im Sessel nachts, wenn Kühlung wehte, auf das Dach. Da saß er im Sessel und sah mit leeren Augen in die Sterne.

»Liebes Licht!« sagte er und winkte den goldenen Brüdern.

Als Mohammed eines Tages zu sich kam, sah er Chadidjeh in Unterhandlung mit einem Reisenden, der von Medina eingetroffen war und gute Geschäfte in Essenzen und Ölen für sie gemacht hatte.

»Während du fiebrig plappertest, Mohammed,« Chadidjeh sah ihn an, »habe ich gehandelt.«

»O Weib,« sprach Mohammed, »dem Worte werden Füße wachsen, und es wird schreiten. Es wird ein Leib sein und eine Stirne haben. Seine harten Hände werden das Schwert schwingen und das Wort wird töten, welche an die Macht des Wortes nicht glaubten.«

Der Herbst, der die Blätter rötete und bräunte, färbte auch Mohammeds Haar und Bart wieder braun. Seine Glieder dehnten, seine Muskeln füllten sich. Ohne Stab vermochte er kraftvoll wie einst zu schreiten.

Leicht, und nur aus Zärtlichkeit auf Maria gestützt, ging er in den glitzernden Abend.

»Erzähle mir, Mohammed,« sprach Maria, »was sich ereignete, seit du uns im Ramadhan verlassen. Sofern es dich nicht schmerzt. Wenn es die Erinnerung belastet: wirf es von dir und auf mich. Ich will alle deine Lasten gern und heiter bis ans Ende aller Zeiten tragen. Peinigen dich aber meine Worte wie Mücken oder stechen sie wie giftige Kakteen: so laß uns schweigen und wie dunkle Palmen schweigsam im blauen Himmel stehn.«

Mohammed haschte nach einem fliegenden Käfer.

»Jahrhunderte, so schien es mir, raste ich einsam durch die Welt. Der einzige Mensch. Kein Bruder und keine Schwester, keine Gattin und keine Geliebte waren mir zugetan. Ich nährte mich von den Früchten der Wildnis und stillte meinen Durst an den springenden Bächen. Einst hatte ich Hunger nach Fleisch. Ich schnitzte mir einen Bogen und eine Lanze und jagte einer Hindin nach. Ich richtete den Bogen, der Pfeil schwirrte von der Sehne – ich fiel in mich zusammen. Blut rann aus meiner Brust. Der Pfeil hatte mich selbst durchbohrt. Niemals mehr stellte ich einem Tiere nach. Gazelle und Löwe folgten freundlich meinen Schritten. Taube und Geier begrüßten mich schnäbelnd aus den Lüften. Bart und Haar sprossen lang aus Haupt und Brust und Beinen. Wild ward ich und alt und hatte keine Gedanken, kein Wissen und keine Vernunft. Da kam ich an den Berg Hira und erstieg ihn stöhnend. Und als ich den Gipfel erklommen hatte – ich stieg aber Monate und Jahre –, fiel ich in einen tiefen Schlaf. Dem enttauchte wie aus dunklen Fluten ein schöner Jüngling. Er hielt ein beschriebenes seidenes Tuch vor sein Gesicht. Nicht sah ich sein Gesicht, nur seine elfenbeinerne Gestalt. Und der Jüngling sprach: ,Lies!' Ich aber lallte unwirsch kaum verständliche Laute – ich hatte in den Jahren und Jahrhunderten der Einsamkeit die Sprache vergessen und verloren. Da stülpte der Jüngling das Tuch mir über den Kopf, daß ich zu ersticken meinte, und donnerte: Mohammed! Dich ruft Gott! Ich bin Gabriel, sein Gesandter!«

Mohammeds Stimme wuchs und schlug wie der Donner von der felsigen Bläue des Himmels zurück.

»Der Engel aber riß das Tuch zurück und mit dem Tuch mein Haupt, das wie ein Bildnis blutend auf der Seide schwebte. Als ich das Bewußtsein wiedererlangte, lag ich in deinen Armen, Maria, und in den Armen von Chadidjeh. Ich sah vergehend noch den braunen Rücken eines Jünglings, der in das Abendrot schritt. In weiter Ferne unkörperlich sich entfaltete und in einer goldenen Wolke entschwand.«

Maria breitete die Arme.

Sie sank der Nacht an die schwesterlichen Brüste.

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