Vorwort zur ersten Ausgabe
An den Leser
Die
vorliegende Arbeit soll dazu dienen, eins der berühmtesten
Erzeugnisse der persischen Mystik ein Werk, welches von vielen
Muhammedanern dem Koran und der Sunna an Heiligkeit fast
gleich geachtet wird und wie diese das ehrende Beiwort scherif
(erhaben, edel) führt, in Deutschland bekannter zu machen.
Doch kann ich bei dieser Veröffentlichung nicht umhin, in
verschiedener Hinsicht die Nachsicht meiner geneigten Leser in
Anspruch zu nehmen. Zunächst wird es den Fachgelehrten unter
denselben – denn an diese wende ich mich billig zuerst –
auffällig erscheinen, wie wenig in den erklärenden Anmerkungen
auf vielleicht vorhandene verdienstliche Arbeiten über
dieselben Gegenstände Rücksicht genommen worden ist. Leider
ist ein bereits über meine Wünsche hinaus verlängerter
Aufenthalt im Orient die Ursache, dass ich den Fortschritten
der Kunde des Morgenlandes in der Heimat nicht in der Weise
habe folgen können, wie dies bei einem Aufenthalte in
Deutschland meine Pflicht gewesen sein würde. Ich bitte
deshalb, an dies in Konstantinopel geschriebene Werk nicht den
Maßstab eines unter den schattenden Flügeln der Berliner
Bibliothek entstandenen anlegen zu wollen. Freilich
entschuldigt der Satz ultra posse nemo obligatur nur
das Nichtwissen und nicht die unter solchen Verhältnissen
gewagte Veröffentlichung; da mir indessen ein außerordentlich
gediegener Kenner der drei vorderasiatischen Idiome bei einem
im Herbst 1847 gemachten Besuche in Leipzig den Mesnevi als
ein Werk bezeichnet hatte, dessen Bearbeitung bei dem
gegenwärtigen Stande der orientalischen Wissenschaften
besonders wünschenswert sei, so fand ich in den vorbesagten
Umständen keinen hinlänglichen Grund, mich zum Schweigen zu
verurteilen. - Ein anderer Vorwurf, nämlich der der
Unvollständigkeit, kann mir nur von den Nichtkennern der
morgenländischen Literatur gemacht werden. In der Tat ist der
Mesnevi ein zu vielschichtiges Werk, als dass man je auf das
Erscheinen einer vollständigen Übertragung desselben in das
Deutsche hoffen dürfte. Denn wer möchte einen bedeutenden Teil
seiner Lebenszeit darauf verwenden, dreißig- bis
vierzig-tausend persische Doppelverse von sehr ungleichem
poetischen Werte ins Deutsche zu übersetzen? Schon im dritten
Jahrzehnt schaudert der Mensch billig vor dieser langen Kunst,
mit der das kurze Leben vielleicht nicht gleichen Schritt
halten möchte. Dennoch habe ich in der Beschäftigung selbst so
viel Genuss gefunden, dass ich im Falle einer günstigen
Aufnahme des vorliegenden Probestücks mich leicht zu einer
Fortsetzung, freilich unter Benutzung der schon gegen den
Schluss des mitgeteilten Abschnitts angewandten Methode des
Überschlagens einiger jeder Übersetzung widerstrebenden
Stellen, entschließen würde. Mehr als diesen Tadel habe ich
Grund, die Ausstellung zu fürchten, welche man mir wegen des
häufig mangelhaften Baues der Verse machen wird. Vielleicht
würde es mir bei einiger Aufmerksamkeit gelungen sein, eine
große Anzahl rhythmischer Fehler zu vermeiden; aber ich ging,
oft durch die Leichtigkeit überrascht, mit welcher sich der
Gedanke des persischen Dichters in gleicher Kürze im Deutschen
wiedergeben ließ, von dem falschen Grundsatze aus, dass ich
mich durch eine mehr lockere Behandlung der Verse dem Tone des
gleichfalls in dieser Beziehung sich viele Freiheiten
erlaubenden Originals näher anschließen würde. Erst beim
Nachlesen der früheren Aushängebogen bin ich auf den großen
Unterschied, der hier zwischen dem deutschen und persischen
Sprachgenius besteht, aufmerksam geworden.
Von früheren
Versuchen, den Mesnevi zu übersetzen, ist mir nur der
Hussardsche in den Fundgruben des Orients durch die
Gefälligkeit meines gegenwärtigen Chefs, Herrn Grafen A. Von
Pourtalès, aber leider erst zu einer Zeit bekannt geworden, wo
der Druck meiner Arbeit bereits zur Hälfte gediehen war. Die
Hussardschen Probestücke reichen bis zur vierten Erzählung und
umfassen demnach ungefähr zwei Drittel meiner Arbeit. Der
Zufall hat gewollt, dass ich mit ihrem Verfasser in Beziehung
auf die Umwandlung der trochäischen Verse des Originals in den
für die deutsche Sprache bequemeren fünffüßigen Jambus auf
denselben Gedanken gekommen bin. Das Versmaß des persischen
Textes ist nämlich folgendes:
Höre auf
den Ton des Rohrs, was er dir sagt,
Hör' die Flöte, wie sie ob der Trennung klagt;
wofür ich
gesagt habe:
Hör' auf
der Flöte Rohr, was es verkündet,
Hör', wie es klagt von Sehnsuchtsschmerz entzündet,
und Herr von
Hussard:
Die Flöte
höre, wie sie trauernd klagt
Bei ihrer Trennung seufzendem Gemählde
Während
indessen Herr von Hussard sich lediglich der sogenannten blank
Verses bedient, ist von mir durchgängig der Reim angewandt
worden, welcher mir bei der Nachbildung orientalischer
Dichtwerke durchaus unentbehrlich scheint. Überhaupt wird
schon eine oberflächliche Vergleichung einen jeden überzeugen,
dass die spätere Arbeit von der früheren unabhängig dasteht,
wie ja auch die Auffassung von sehr vielen Stellen eine
vollkommen verschiedene ist.
Um nun auf
den Inhalt überzugehen, so wird die Frage, inwiefern der
Mesnevi das hohe Ansehen, das er bei allen Muhammedanern
genießt, verdiene, je nach dem orientalischen und
okzidentalischen Standpunkte verschiedene Beantwortungen
erfahren. Der gebildete Morgenländer sieht darin die höchste
Vollendung eines Erbauungsbuches, ein Werk, dessen Aufnahme in
Geist und Herz ihn sicher der Seligkeit, wie er sie daraus
verstehen lernt, entgegen führt, ein alles Ähnliche an
religiöser Beschaulichkeit und Innigkeit weit hinter sich
zurücklassendes Erzeugnis höherer Geistesweihe.
Dass der
Abendländer in dieses Lob nicht unbedingt einstimmen kann,
bedarf wohl keiner besonderen Erinnerung. Der Mystizismus ist
im allgemeinen kein Erzeugnis einer starken, gesunden Zeit; im
Gegenteil sehen wir ihn gewöhnlich in den Perioden moralischer
und physischer Erschlaffung, welche auf die höchste Blüte der
Nationen zu folgen pflegt, sein Haupt erheben und gleichsam
die unveräußerlichen Rechte, welche die Religion sonst auf
ganze Völker ausübt, zu ungeahnter Kraft in den Herzen weniger
Auserwählten vereinigen. Eine solche Zeit war im Islam auf die
ersten Jahrhunderte der Hidschra gefolgt, in denen wir die
neue Religion sich in politischer und literarischer Einheit
mit einer Kraft entwickeln sehen, welche in der Geschichte
fast beispiellos dasteht. Darauf aber begann allmählich durch
das Wiedererwachen des Nationalgefühls der verschiedenen dem
Chalifate untergebenen Völker eine zentrifugale Bewegung
innerhalb der einheitlichen Gesamtheit sich kund zu tun;
geschickte Anführer und Statthalter benutzten dieselbe, um
sich durch sie die Unabhängigkeit zu erkämpfen, indem sie
namentlich in Persien dafür sorgten, dass ihr durch die neu
ins Leben gerufene und sorgsam gepflegte heimische Literatur
beständig frische Nahrung zugeführt wurde, und so bildeten
sich jene berühmten Dynastien, welche größtenteils mit
welterschütternder Gewalt auftraten, um dann nach einem
ephemeren Dasein von anderen, mit gleichem Glanze sich
erhebenden verdunkelt und vernichtet zu werden, die dann
ebenfalls bei dem ersten Sturme an derselben Klippe wie ihre
Vorgängerinnen wieder zerschellten. Die freigebige
Unterstützung, welche die meisten der aus diesen Dynastien
hervorgegangenen Herrscher den Wissenschaften angedeihen
ließen, verzögerten den allgemeinen Verfall, welcher
gleichwohl bald immer deutlicher sich zeigte, - feldschukische
Türkenhorden gewannen mit Leichtigkeit die Oberhand in
Ländern, deren siegreiche Armen noch soeben drei Weltteile
hatten erbeben machen, und die Irrlehren
gnostisch-atheistischer Sekten, wie der Ismaelier, untergruben
den letzten Rest religiösen und sittlichen Bewusstseins in den
entarteten Völkern. - Dies ist das Feld, auf dem die Saat des
muhammedanischen Mystizismus keimte, welcher dann kurze Zeit
nachdem der gefährlichste Ausbruch des Geschwürs der
Irreligiösität, der Staat der Haschischi (Assassinen) mit
Feuer und Schwert vertilgt worden war, als eben die
heidnischen Mongolen von der einen und die christlichen
Kreuzfahrer von der anderen Seite den Islam zu vernichten
drohten, in dem Scheich Mewlana Dschelal ed din Rumi, dem
Verfasser des Mesnevi und Stifter des großen Derwischordens
der Meqleqi, seine schönste Blüte trug. Das Leben dieses
ausgezeichneten Mannes gebe ich hier nach einem türkischen
Werke über die persische Literaturgeschichte, dem
sefinetes-schuara, dessen Verfasser Fehim Efendi, seine
Nachrichten zum Teil dem persischen Literarhistoriker
Dewletschah und zum Teil dem berühmten späteren mystischen
Dichter Molla Abderrahman Dschami entlehnt hat, wobei ich nur
noch bemerke, dass die Mitteilungen des erstgenannten dieser
beiden Gewährsmänner ganz den Charakter historischer
Glaubwürdigkeit an sich tragen, während die des letzteren nur
als fromme Erdichtungen erscheinen, durch welche die Anhänger
des großen Sektenstifters dessen Haupt mit einem
Heiligenscheine zu umgeben trachten.
Konstantinopel, den 26. Mai 1849.
Georg Rosen.