Mesnevi

Mesnevi

Dschalaleddin Rumi

Aus dem Persischen übertragen von Georg Rosen

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Gleichnis zu Achmed

Dem Achmed schnitt ein Spötter ein Gesicht,
Und ein verzognes Antlitz blieb dem Wicht;
Da rief er aus: „Verzeih meine Schuld,
O du, dem Weisheit ward von Gott und Huld!
Verhöhnt’ ich dich, so war’s aus Unverstand,
Der Spott hat auf mich selber sich gewandt.“

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Will Gott, dass jemand nackt, beschämt erscheine,
So macht er ihn zum Lästrer gegen Reine.
Will eine Untat Gott in Nacht versenken,
So lässt er ihrer keinen Hauch gedenken.
Will Gott mit Hilf’ und Beistand zu uns stehen,
Flößt er uns Drang zum Weinen ein und Flehen.

Selig das Aug’, das Ihm zerfließt in Tränen,
Glücklich das Herz, das Ihm erglüht in Sehnen!
Kein Weinen, das nicht Gott zum Lachen lenkt;
O Heil dem Knechte, der des Ausgangs denkt!
Es schießt das Kraut, wo immer Bäche fließen, -
Erbarmen sprießt, wo Tränen sich ergießen.
Dem Wasserrade  gleich, im Tränentau
Klage, bis frisch ergrünt der Seele Au!
Weinende tröste, wenn du Tränen liebst,
Denn Gnade wird dir, wenn du Gnade übst.

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Der Schah sah auf den Brand und sprach: Zerstörer,
Wo blieb denn deine Macht, du Weltverzehrer?
Was ist, wenn du nicht brennst, denn deine Kraft?
Oder ist’s mein Gestirn, dass du erschlaffst?
Nie schonst du deiner Diener; warum deren,
Die nimmer zu dir beten, dich nicht ehren?
Noch niemals hat man milde dich befunden, -
Was ist’s, dass hier die Brennkraft die geschwunden?
Ist etwa dies ein Band vor Geist und Augen,
Dass solche Gluten nicht zum Brennen taugen?
Ist Hexenkraft und Zauber, oder nur
Mein eigner Unstern diese Unnatur?“ –

Das Feuer sprach: „Ich bin dieselbe Glut;
Tritt her, und du empfindest meine Wut.
Mein Wesen blieb sich gleich; ich bin das Schwert
Des Wahren, das, wenn Er gebeut, verheert.
Wedelnd empfängt am Zelttor des Nomaden
Der Hund die Gäste, die sein Herr geladen;
Doch geht ein Fremder vor dem Zelt vorbei,
So springt der Hund auf, zornig wie ein Leu.
Kann sich der Hund als Diener mir vergleichen,
Der Turkoman an Macht den Herrn erreichen?
Wirkt in dir Schmerz die Glut deiner Natur,
Sie brennt dich nach des Höchsten Willen nur;
Wenn diese Glut dir Wonn’ und Lust erregt, -
Gott ist es, der die Wonne in sie legt.
Drum fühlst du Schmerz, so flehe himmelwärts,
Denn nach des Schöpfers Willen wirkt der Schmerz,
Der aus des Kummers Auge Freude macht
Und Freiheit aus dem Aug’ der Kerkernacht!

Diener sind Erd’ und Flut und Glut und Winde,
Für Gott lebendig, tot dem Menschenkinde.
Allzeit die Flame vor dem Höchsten steht,
Wie liebbeseelt hingaukelnd früh und spät.
IN Stahl schlägst du den Stein, heraus sie springt:
Gottes Befehl ist’s, der heraus sie zwingt.
O rühr’ nicht an der Lüfte Stahl und Stein, -
Wie Mann und Weib zeugt Unheil ihr Verein!
Ob Stahl und Stein als Kraft vor die erscheinen,
Sieh nach der höhern Kraft, o Mensch, der einen,
Der Urkraft, deren Folgen jene nur,
Ohne die keine Kraft in der Natur.
Mächtiger ist als ird’sche Kraft und höher
Die Kraft, die anweist seinen Pfad dem Seher,
Die geistige, die jene wirksam bald,
Und bald erfolglos macht, ohne Gestalt.
Jene der irdische Verstand erschaut,
Mit dieser wird der Seher nur betraut.

Die Kraft, die wirkende, dem Seile gleicht,
Das in des Brunnen Tiefe nieder reicht:
Es wirkt das Drehrad aus das Seil, doch regt
Dies Rad sich nur durch den, der es bewegt.
Hüte dich, Mensch, im seelenlosen Drehen
Des Rads den Grund der Wirkungen zu sehen,
Dass nicht dein Schwindel häuptlings dich verzehre!
Wenn Gott befiehlt, da wird zu Glut der Wind,
Denn seines Weines trunken beide sind.
Das offner Auge sieht des Zornes Glut
Aus Gott entsprungen wie der Milder Flut.
Und die die Frevler Aads verstand zu trennen,
Des Windes Seele sollte Gott nicht kennen?
Mit einem Strich umzog die Gläub’gen Hüd,
In diesem Strich brach sich der Windsbrut Wut;
Was aber außer diesem Strich geblieben,
Machte der Sturm zerfließen und zerstieben.
Er zog Scheiban, der Hirt, in gleicher Weise
Um seine Herde einen Strich im Kreise,
Auf dass, wenn Freitags er zum Beten ginge,
Kein gier’ger Wolf zu seinen Schafen dringe;
Und weder überschritt der Wolf das Zeichen,
Noch sah die Schafe aus dem Rund man weichen.
Der Strich des Frommen schloss dem Sturm der Gier
Des Wolfes und der Schade Tor und Tür.
Und weht nicht gleich dem West von Josephs Kleide
Des Frommen Todeshauch zur Wonn’ und Freude?
Den Abraham sengte das Feuer nicht,
Es schmerzte ihn, der Gott so teuer, nicht.
Den Reinen nicht der Lüste Brand durchglüht,
Der auf der Hölle Grund den Frevler zieht.
Die Gott aufbrausen hier, die Wog’ im Meere,
Schied Mosis Schar von der Ägypter Heere.
Treu dem Geheiße, das an die ergangen,
Der Erde Schlünde den Karun verschlangen.
Der feuchte Ton, den Jesu Hauch belebte,
Wurde zum Vogel, schwang sich auf und schwebte.
Auch dein Gebet entweht dem Ton, aus Hauchen
Des reinen Herzens Vögel Edens tauchen!
Zum Sofi ward, es drehte sich im Tanz
Des Horebs Felsgebirg vor Gottes Glanz!
Ist’s Wunder, dass ein Berg zum Sofi werde?
War nicht auch Moses eine Scholle Erde?

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Wohl diese Wunder sah der Schah, doch höhnend
Verleugnet er sie, frechem Spotte frönend.
„Halte dein Maß!“ rief ihm ein weiser Mann,
„O treib’ so wild des Frevels Ross nicht an!“ –
Den warf der Schah gefesselt ins Gefängnis,
Bedrängnis also häufend auf Bedrängnis.
Und eine Stimme scholl: „Du Hund, verweile
In deinem Trotz, dass dich mein Zorn ereile!“ –
Dann ward das Volk von vierzig Ellen langen
Flammen umkreist, die zehrend es verschlangen.

Ihr Ursprung war die Glut im Anbeginn,
Ihr Ende führte drum zur Glut sie hin.
Sie kehrten heim zur Glut, der sie entstammten,
Denn allzeit strebt der Teil heim zum Gesamten.
Den Christen zündete der Schah ein Feuer,
Doch brannte selbst drin loh wie leichte Spreu er;
Denn wem die Hölle Ursprung ist und Quelle,
Der findet keine Kraft als in der Hölle!

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Es sucht ja, wie die Mutter ihren Kleinen,
Das Ganze stets den Teilen sich zu einen!
Umdämme ein Gewässer rings: der Wind
Entführt das freie Element geschwind;
Unmerklich holt die Luft aus seiner Haft
Zum Quell es heim; nicht siehst du, was sie schafft.
So holt unmerklich unsre Seele auch
Aus dieser Kerkerwelt derselbe Hauch.

Zu Gott erhebt sich unsrer Worte Duft,
Von uns aufsteigend, bis wohin Er ruft.
Aufwärts sich unsre reinen Hauche wenden,
Als Gaben, die der bessern Welt wir spenden;
Alsdann vergilt zwiefältig einem jeden
Der Herrliche aus Gnaden seine Reden,
Und lässt zu andrem weiter uns gelangen,
Dass des Empfangen wir noch mehr empfangen.
Also erhebt es sich und senkt sich wieder
Ewig in gleicher Weise auf uns nieder.

Das heißt: dahin fühlt sich der Hauch gezogen,
Wo unsre Seele Wonne eingesogen.
Dahin ja wendet stets der Mensch den Blick,
Wo Luft ihm einst geworden ist und Glück!

Luft wirkt in uns das gleicher Art entstammte
- Gewährt dem Teil doch Wonne das Gesamte –
Oder das Artgemäße, das, der Art
Verbunden, in ihr aufgeht, ihr sich paart.
Das Brot, der Menschenart nicht angehörend,
Wird seiner Art, ihn mehrend und ihn nährend;
Fremd unsrer Art scheint äußerlich die Speise,
Doch ist sie unsrer Art in andere Weise.
Wenn je aus fremder Art uns Wonne ward,
So ist es, weil sie ähnlich unsrer Art.
Ähnliches gleich Erborgem, nützenden
Ohne Bestand dem es Besitzenden.
Denn letzt auch wohl den Vogel falscher Sang,
Ein fremdes Antlitz findend, flieht er bang.
So letzt ein luft’ger Schein des Pilgers Blick, -
Er sucht umsonst den Quell und flieht zurück.
So letzt ein Fund von falschem Gold den Armen,
Doch es verwirft die Münz’ es on’ Erbarmen.
O dass dich falsches Gold nie irre leite,
Nie eine Grube dir ein Wahn bereite!

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