Mesnevi

Mesnevi

Dschalaleddin Rumi

Aus dem Persischen übertragen von Georg Rosen

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Erzählung aus dem Buch Kelila

Ein Märlein aus dem Buch Kelila höre,
Und mach’ dir wohl zunutze seine Lehre.
Das Wild in einem schönen Tale war
Vor einem Leu beständig in Gefahr.
Denn da er oft sie mörd’risch überfallen,
Graute vor ihrer Flur es ihnen allen.
Und listig wandten sie sich an den Grimmen:
„Lass uns dir einen Unterhalt bestimmen!
Nur jage außerdem nach keinem Tier,
Sonst wird uns herb der süße Rasen hier.“ –
Er sprach: „Wohl, wenn es wahr ist und kein Zug,
Denn mancherseits erfuhr ich Lug und Trug.
Der Lug und Trug der Welt hat mich gebrochen,
Skorpionen mich und Nattern mich gestochen.
Und in mir liegt die Gier im Hinterhalt,
Der ärgste Feind an Bosheit und Gewalt.
Der Spruch: „Nicht zweimal“ kam mir wohl zu Ohren,
Und ward mit Seel’ und Herz von mir erkoren.

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Sie sprachen: „Lass die Vorsicht, lass sie fahren!
Vor Unglück wird sie nimmer dich bewahren.
Sie quält, und umsonst ist deine Mühe, -
Drum stell’ dich dem Geschick anheim und ziehe!
Bekämpfe nicht, Gewalt’ger, das Verhängnis,
Dass nicht dich selbst es bringe in Bedrängnis.
Sei du wie tot vor deines Herrn Gebot,
Sonst möchte’ er Elend senden dir und Not.“ –

Er sprach: „Wohl ist ersprießlich die Ergebung,
Doch der Prophet gebeut auch die Bestrebung;
Denn er gab einst vernehmlich den Befehl:
‚Vertrau’ auf Gott, doch binde dein Kamel’
Der Strebende ist Gottes Freund, oh, merk’ es!
Vertrau’ Ihm, doch entschlag’ dich nicht des Werkes.“

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Sie sprachen: „Wiss’, ein Brocken Trugs, verschieden
Je nach dem Schlund, ist alle Tat hienieden.
Vertrau’ auf Gott und lass von der Bestrebung!
Denn was ist lieblicher als die Ergebung?
In Not kommt mancher, sich der Not entziehend,
Stößt auf den Drachen, vor der Schlange fliehend.
Ein Netz stellt jener, und ihn selbst umschlingt es,
Was Leben er gewähnt, sein Herzblut trinkt es.
Der schließt die Türe, wenn der Feind schon drinnen; -
Als Pharao, dem Unglück zu entrinnen,
Zahlloser Kindleid schuldlos Blut vergoss,
War das, wonach er sucht’, in seinem Schloss.
Kann doch dein Aug’ das Wahre nie ergründen, -
Lass in des Freundes Auge es verschwinden!
Welch großer Lohn: Sein Blick für unsern Blick!
In Seinem Auge strahlt dir jedes Glück.
Solang dem Kind es noch an Kraft gebricht,
Verlässt es seines Vaters Arme nicht;
Doch wächst alsdann die Kraft demselben Kinde,
Da widersetzt ins Blaue sich’s und Blinde.
In reinen Gottvertrauens Eden schweben
Die Seelen, die noch nicht den Leib beleben;
Doch der Befehl des Höchsten: ‚Steigt hinab!“
Macht ihnen Gier und Leidenschaft zum Grab.
Wir sind des Herrlichen milchdurst’ge Kleinen,
Denn sein Apostel nannte uns die Seinen.
Der Regen nieder uns vom Himmel sendet,
Denkst du, dass der nicht Brot auch gnädig spendet?“

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Der Leu sprach: „Wohl, doch hat der Herr der Welt
Uns Stufen vor die Füße hingestellt;
Nur Schritt für Schritt gelangt man zu den Zinnen;
Törichter Wunsch, sie ruhend zu gewinnen!
Es sind die Händ’ und Füße doch verliehen, -
Willst ihrer Anwendung du dich entziehen?
Wohl wird der Sklave, dem sein Herr den Spaten
Reicht, ohne Worte den Befehl erraten.
Dem Spaten gleich auch ein Befehl die Hand ist,
Den zu erkennen fähig dein Verstand ist.
Legst die Gebot des Herrn auf deine Seel’ du,
So wird er dir Geheimnisse verkünden,
Drin du Erlösung wirst und Wonne finden.
Der du trugst, wirst getragen fort und fort dann,
Du Ihm genehm, wie dir genehm, Sein Wort dann.
Seinen Befehl empfangend, kündest du,
Eingang zu ihm verlangend, findest du!
Wie für die Kraft, dies Huldgeschenk, der Dank
Die Tat, so ist Undankbarkeit der Zwang.
Der Dank für jene Kraft mehrt deine Kraft,
Der Zwang die Gnadengabe dir entrafft.
Der Zwang ist Schlaf; schlaf’ auf dem Pfade nicht!
O schlafe nicht, der du im Zwang befangen,
Bis du zu jenem Fruchtbaum wirst gelangen,
Den stets der Wind durchsäuselt, dass die süße
Frucht aus des Schläfers Haupt er nieder gieße!
Der Zwang ist Schlaf, ein Schlaf in Mörders Armen!
Der schwache Vogel findet kein Erbarmen.
Wenn jene Winke Gottes du verhöhnst,
So bist du Weib, ob du auch Mann dich wähnst;
Was an Verstand dir blieb, wird dir entzogen, -
Was ist das Haupt, der der erstand entflogen?
Schand’ ist und Schmach der Undank, und es fahren
Zu ew’gen Glut hinab die Undankbaren.
Ergebung ist nur löblich mit der Tat,
Drum Gott vertrauend sei deine Saat! –

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Da rief aus einem Mund das Waldgetier:
„Wohl haben Mann und Weib von je aus Gier
Die Saat der Tat gesät in allen Landen, -
Woher denn, dass sie nimmer Früchte fanden?
Ja, keine Zeit, die nicht viel hundert Rachen
Der Habsucht aufgesperrt, wie gier’ge Drachen!
Der kluge Mensch so manche List erdachte,
Die Felsgebirge selbst erheben machte,
Listen wie der Allmächt’ge sie beschrieben:
‚Um der Gebirge Gipfel zu verschieben!’
Doch blieb das ew’ge Schicksal, und vergebens
Hofften sie auf Erfolge ihres Strebens;
Fruchtlos war ihre Weisheit, ihre Werke,
Nur Gottes Wille blieb und seine Stärke!
Drum als ein Wort nur sieh’ das Streben an,
Als Einbildung die Tat nur, weiser Mann!“

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