Erzählung aus dem Buch
Kelila
Ein Märlein aus dem Buch Kelila höre,
Und mach’ dir
wohl zunutze seine Lehre.
Das Wild in
einem schönen Tale war
Vor einem Leu
beständig in Gefahr.
Denn da er
oft sie mörd’risch überfallen,
Graute vor
ihrer Flur es ihnen allen.
Und listig
wandten sie sich an den Grimmen:
„Lass uns dir
einen Unterhalt bestimmen!
Nur jage
außerdem nach keinem Tier,
Sonst wird
uns herb der süße Rasen hier.“ –
Er sprach:
„Wohl, wenn es wahr ist und kein Zug,
Denn
mancherseits erfuhr ich Lug und Trug.
Der Lug und
Trug der Welt hat mich gebrochen,
Skorpionen
mich und Nattern mich gestochen.
Und in mir
liegt die Gier im Hinterhalt,
Der ärgste Feind an Bosheit und Gewalt.
Der Spruch:
„Nicht zweimal“ kam mir wohl zu Ohren,
Und ward mit
Seel’ und Herz von mir erkoren.
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Sie sprachen: „Lass die Vorsicht, lass sie fahren!
Vor Unglück wird sie nimmer dich bewahren.
Sie quält,
und umsonst ist deine Mühe, -
Drum stell’
dich dem Geschick anheim und ziehe!
Bekämpfe
nicht, Gewalt’ger, das Verhängnis,
Dass nicht
dich selbst es bringe in Bedrängnis.
Sei du wie tot vor deines Herrn Gebot,
Sonst möchte’
er Elend senden dir und Not.“ –
Er sprach: „Wohl ist ersprießlich die Ergebung,
Doch der
Prophet gebeut auch die Bestrebung;
Denn er gab
einst vernehmlich den Befehl:
‚Vertrau’ auf Gott, doch binde dein Kamel’
Der Strebende
ist Gottes Freund, oh, merk’ es!
Vertrau’ Ihm,
doch entschlag’ dich nicht des Werkes.“
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Sie sprachen: „Wiss’, ein Brocken Trugs, verschieden
Je nach dem Schlund, ist alle Tat hienieden.
Vertrau’ auf
Gott und lass von der Bestrebung!
Denn was ist
lieblicher als die Ergebung?
In Not kommt
mancher, sich der Not entziehend,
Stößt auf den Drachen, vor der Schlange fliehend.
Ein Netz
stellt jener, und ihn selbst umschlingt es,
Was Leben er
gewähnt, sein Herzblut trinkt es.
Der schließt
die Türe, wenn der Feind schon drinnen; -
Als Pharao,
dem Unglück zu entrinnen,
Zahlloser
Kindleid schuldlos Blut vergoss,
War das, wonach er sucht’, in seinem Schloss.
Kann doch dein
Aug’ das Wahre nie ergründen, -
Lass in des Freundes Auge es verschwinden!
Welch großer
Lohn: Sein Blick für unsern Blick!
In Seinem
Auge strahlt dir jedes Glück.
Solang dem
Kind es noch an Kraft gebricht,
Verlässt es
seines Vaters Arme nicht;
Doch wächst
alsdann die Kraft demselben Kinde,
Da widersetzt ins Blaue sich’s und Blinde.
In reinen
Gottvertrauens Eden schweben
Die Seelen,
die noch nicht den Leib beleben;
Doch der Befehl des Höchsten: ‚Steigt hinab!“
Macht ihnen
Gier und Leidenschaft zum Grab.
Wir sind des
Herrlichen milchdurst’ge Kleinen,
Denn sein
Apostel nannte uns die Seinen.
Der Regen
nieder uns vom Himmel sendet,
Denkst du,
dass der nicht Brot auch gnädig spendet?“
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Der Leu sprach: „Wohl, doch hat der Herr der Welt
Uns Stufen
vor die Füße hingestellt;
Nur Schritt
für Schritt gelangt man zu den Zinnen;
Törichter
Wunsch, sie ruhend zu gewinnen!
Es sind die
Händ’ und Füße doch verliehen, -
Willst ihrer
Anwendung du dich entziehen?
Wohl wird der
Sklave, dem sein Herr den Spaten
Reicht, ohne Worte den Befehl erraten.
Dem Spaten
gleich auch ein Befehl die Hand ist,
Den zu
erkennen fähig dein Verstand ist.
Legst die
Gebot des Herrn auf deine Seel’ du,
So wird er
dir Geheimnisse verkünden,
Drin du Erlösung wirst und Wonne finden.
Der du trugst, wirst getragen fort und fort dann,
Du Ihm
genehm, wie dir genehm, Sein Wort dann.
Seinen Befehl empfangend, kündest du,
Eingang zu
ihm verlangend, findest du!
Wie für die
Kraft, dies Huldgeschenk, der Dank
Die Tat, so ist Undankbarkeit der Zwang.
Der Dank für
jene Kraft mehrt deine Kraft,
Der Zwang die
Gnadengabe dir entrafft.
Der Zwang ist
Schlaf; schlaf’ auf dem Pfade nicht!
O schlafe
nicht, der du im Zwang befangen,
Bis du zu
jenem Fruchtbaum wirst gelangen,
Den stets der
Wind durchsäuselt, dass die süße
Frucht aus
des Schläfers Haupt er nieder gieße!
Der Zwang ist Schlaf, ein Schlaf in Mörders Armen!
Der schwache
Vogel findet kein Erbarmen.
Wenn jene
Winke Gottes du verhöhnst,
So bist du Weib, ob du auch Mann dich wähnst;
Was an
Verstand dir blieb, wird dir entzogen, -
Was ist das Haupt, der der erstand entflogen?
Schand’ ist
und Schmach der Undank, und es fahren
Zu ew’gen
Glut hinab die Undankbaren.
Ergebung ist
nur löblich mit der Tat,
Drum Gott
vertrauend sei deine Saat! –
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Da rief aus einem Mund das Waldgetier:
„Wohl haben
Mann und Weib von je aus Gier
Die Saat der
Tat gesät in allen Landen, -
Woher denn,
dass sie nimmer Früchte fanden?
Ja, keine
Zeit, die nicht viel hundert Rachen
Der Habsucht
aufgesperrt, wie gier’ge Drachen!
Der kluge
Mensch so manche List erdachte,
Die
Felsgebirge selbst erheben machte,
Listen wie
der Allmächt’ge sie beschrieben:
‚Um der Gebirge Gipfel zu verschieben!’
Doch blieb
das ew’ge Schicksal, und vergebens
Hofften sie
auf Erfolge ihres Strebens;
Fruchtlos war
ihre Weisheit, ihre Werke,
Nur Gottes
Wille blieb und seine Stärke!
Drum als ein Wort nur sieh’ das Streben an,
Als Einbildung die Tat nur, weiser Mann!“