Die mystische
Weltanschauung Dschelal ed din Rumis
Drei Dinge
sind es, auf denen sich die mystische Lehre Dschelal ed dins
aufbaut: Der Koran, die griechische Philosophie und
schließlich die Weisheit Indiens. Der Koran in erster Linie
und in uneingeschränktem Maße. Aber es ist nicht mehr das
heilige Buch, so wie es die Araber des siebenten Jahrhunderts
aus dem Munde des Propheten gehört und aufgenommen hatten. Es
ist der Koran, wie er sich einer viel verfeinerten,
nichtarabischen Gesellschaft unter fremden Einflüssen durch
mystische oder sonst allegorische Deutung darstellt. Das
materielle und augenfällige (zahir) wird als Sinnbild von
etwas Höherem, Verborgenen aufgefasst, und dieses Verborgene (batin)
ist der eigentliche Sinn der göttlichen Worte. Nicht, als ob
die im Koran erzählten Begebenheiten nicht als historisch wahr
angesehen würden und gelten sollten. Sie sind wohl wahr, aber
die an sich oft belanglosen Geschichten werden nur darum
erzählt, damit der 'Arif, der Eingeweihte, im Gegensatz zum 'Alim,
dem Schriftgelehrten und Dogmatiker, eine tiefere Bedeutung
daraus entnehmen soll. Läge nicht dieser tiefere Sinn unter
den oft grob materiellen Worten und den vielfach kindlich
naiven Erzählungen, dann müsste sich der Gebildete unter den
Gläubigen seines heiligen Buches fast schämen. So hatte schon
Philo von Alexandrien durch allegorische Deutungen das Alte
Testament mit der griechischen Wissenschaft auszusöhnen
gesucht, und von ihm zieht sich die gleiche Tendenz in drei
Strömen durch die Kabala des Judentums, durch die Scholastik
des Christentums und durch die Mystik des Islam. So rettet der
Sufismus den Koran. Und ähnlich ist es auch mit dem Mesnevi.
Auch gegen dieses wandte sich – und zwar schon zu Lebzeiten
des Dichters, - eine scharfe Kritik. Es wurde darin die
eigentliche Methode vermisst, der sichere Weg, auf dem der
Jünger von Stufe zu Stufe, aber doch schneller als auf allen
bisher bekannten Wegen, zum Seelenheil geführt wird. Dschelal
ed din hat diese Kritik seines Lebenswerkes selbst noch
erfahren und hat darauf unter Hinweis auf den Koran und auf
seine tieferen Deutungen im vierten Buche des Mesnevi
geantwortet. Diese Stelle ist für beides, Koranauffassung und
Mesnevi so bezeichnend, dass ich sie in ungekürzter
Übersetzung wiedergeben will:
Bevor noch
die Erzählung kommt zum Schluss,
Ergießt sich schon des Neides stink'ger Fluss!
Mir selbst wird zwar dadurch kein Leid getan,
Doch bringt's den Frommen leicht aus rechter Bahn.
Wie schön hat's doch Senai uns gelehrt,
Als er des Korans tiefern Sinn erklärt:
„Mich wundert's nicht, dass, die im Dunkeln gehen,
Nichts im Koran als nur den Wortsinn sehn.
Der Blinde spürt ja auch von Sonnenlicht
Die Wärme nur, den Glanz erkennt er nicht.“
Ein
Oberesel aus dem Eselstall
lässt nun ertönen seines Spottes Schall:
„Das Mesnevi besteht nur aus langweiligen
Geschichten von Propheten und von Heiligen.
Darin wird kein Mysterium und enthüllt,
Noch unseres Wissensdranges Durst gestillt.
Da wird kein neuer Weg uns angezeigt,
Darauf man stufenweise aufwärts steigt.
Es führt uns nicht empor in grader Richtung
Von der 'Entsagung' bis zur 'Selbstvernichtung',
Und immer weiter bis zur höchsten Höhe,
Der Mystik letztem Ziel, der 'Gottesnähe'.
Statt dessen sind's nur törichte Histörchen
Von A bis Z die reinen Kindermärchen.“
Als einst
auf Erden Gottes Buch erschien,
haben die Spötter ebenso geschrien:
„Da stehn nur alberne Geschichten drin,
Ganz ohne Wahrheit oder tiefern Sinn.
Ein rechtes Lesebuch für kleine Kinder!
Zur Unterhaltung dient's, nicht mehr, nicht minder:
Von Adam und der Schlange im Paradies,
Von Hud und wie den Sturm er wehen ließ,
Von Abraham und von dem Feuerbrand,
Darin er einen Rosengarten fand,
Von Noah und der Arche mit Weib und Mann
Und von dem sündigen Volk in Kanaan.
Von Joseph mit dem schönen Lockenhaar,
In den verliebt die Frau des Potiphar,
Von Ismael und wie so gut sich's traf,
dass gleich zur Stelle war das Opferschaf,
Und von der Elefantenmänner Krieg,
Und von der kleinen Schwalben großem Sieg,
Von Salomo und seiner Herrlichkeit
Und wie der Sabas Königin gefreit,
Von David und dem Psalter und Urias
Und von Schueib, dem Faster, der fast nie aß,
Von Jonas' Reise in des Fisches Bauch,
Von Lot und seines Volkes üblem Brauch,
Von Mirjams wunderbarer Mutterschaft
Und wie sie nährt der trocknen Palme Saft,
Wie Zacharias einen Sohn begehrt
Und wie ihm das (Kind) Johannes ward beschert,
Von Salih und dem trefflichen Kamel,
Von Ibris, dem Propheten sonder Fehl,
Von Lebenswasser, das Elias trinkt
Und von Karun, der in die Erde sinkt,
Von Hiobs schweren Leiden und Geduld
Und von der Juden Not durch eigne Schuld,
Und wie Gott ihnen seinen Beistand lieh
Und sie erlöste aus der Wüste Tih,
Von Moses' Feuerbusch und Wunderstab
Und wie ihm Allah die Gesetze gab,
Wie Jesus sich zum Himmel aufgeschwungen,
Von Alexander und vom 'Ewig Jungen'
Und von Muhammeds herrlicher Gestalt
Und wie den Mond er teilt durch einen Spalt.
Das ist ja kinderleicht und offenbar
Dem allereinfachsten Gemüte klar!
Wer diese Dinge wollte kommentieren,
Der würde dran nicht den Verstand verlieren.“
Doch der
Prophet in voller Seelenruh'
Hört diesem törichten Gerede zu,
dann sagt er einem dieser Spötter: „Seicht
Erscheint dir Gottes Buch und kinderleicht!
Das zu erproben wüsst' ich schon ein Mittel,
Schreib' du nur mal so ein Korankapitel!“ -
Ja,
wollten's Engel selbst und Geister schreiben,
Im ersten Vers schon würden sie stecken bleiben.
Nicht klar zu Tag liegt ja des Korans Sinn,
Im Offenbaren steckt Verborgnes drin,
In diesem wiederum ein Drittes, wer das will
Begreifen, dem steht der Verstand schon still,
Und dann ein Viertes, das nur der Prophet
Und Gott, der Unvergleichliche, versteht.
Und immer weiter eins im andern fort,
Dass siebenfachen Sinn gibt jedes Wort.
Der Tor sieht im Koran das Äußre bloß,
Dem Teufel ist Adam nur ein Erdenkloß.
Des Menschen Leib, des Korans äußrer Sinn
Sind sichtbar, - unsichtbar der Geist darin.
Was war es,
das diese bis zur Siebenzahl gesteigerte Deutung des Korans
ermöglichte? Es war die „Wissenschaft“. Die Wissenschaft des
Mittelalters war – im Orient noch mehr als im Abendlande – die
griechische Wissenschaft. Was einst Pythagoras,
was Plato und Aristoteles, Plotin und Philo gelehrt hatten,
das erlebte eine reiche Nachblüte. Das klassische Griechentum
wird im Lande der Barbaren geschätzt, im eigentlichen
Griechenlande, d.h. in Byzanz, ist es unter dem wuchernden
Dogmatismus und Ritualismus erstickt und dadurch auch dem
Abendlande verloren gegangen.
Es ist
vielleicht der schwierigsten und zugleich wichtigsten Fragen
der gesamten Kulturgeschichte, ob Plato durch seine Lehre von
dem Bestehen einer Welt der Ideen und dem gleichzeitigeen
„Nichtsein“ der uns sichtbaren Erscheinungswelt die Menschheit
auf ihrem Wege zur Erkenntnis und in ihrer ganzen geistigen
Entwicklung mehr gefördert oder gehemmt hat. Soweit der Orient
in Frage kommt, möchte ich das letztere annehmen. Was dem
Geiste des Okzidents doch nicht viel mehr ist, als ein
geistvolles Spiel, das nimmt der Orient leicht als
unanfechtbare Wahrheit hin. Die ganze Welt der Erscheinungen
ist ein vorübergehendes Trugbild, während das wirklich
Existierende seit aller Ewigkeit in der transzendenten Welt
der Ideen, der vollkommenen Urbegriffe ruht, in die auch wir
mit der Erscheinungswelt dereinst zurückkehren werden.
„Du
fragtest mich nach der Erscheinungswelt,
Willst wissen, was der Weise von ihr hält?
Ein Nebenbild, das aus dem Weltmeer steigt
Und wiederum zurück ins Weltmeer fällt.“
Solche Lehre
passte vorzüglich zu der orientalischen Tendenz der Abkehr von
der Welt, die mehr oder weniger alle Weisen des Morgenlandes
gelehrt hatten. Wie viel mehr Grund sich von dieser Welt
abzuwenden, wenn sie doch nur eine Art Fata Morgana ist, wenn
sie wirklich gar nicht existiert! Um wie viel stärker zieht es
die Seele zu ihrem eigentlichen Heim, der Welt der Ideen, die
in dem Urquell alles Bestehenden ruhen! -
Das Leben in
dieser Gedankenwelt hatte schon früh in Bagdad zur Auswertung
der Frage geführt, ob der Koran erschaffen oder, wie die „'anani
sabita“, die (platonischen) Ideen, präexistent wäre. Da das
Wort Gottes sich nicht geändert haben kann, muss es von jeher
bestanden haben, und somit kam man zu dem Schluss, der Koran
habe schon in der „anfangslosen Ewigkeit“ (azal) bestanden,
ebenso wie die „Tafel“ (louh), auf der die Geschicke aller
Wesen verzeichnet standen. Man braucht nur logisch weiter zu
denken, um auch den Propheten Mohammed als präexistent
anzunehmen, aber man war auf einem anderen Wege zu dieser
Lehre gelangt: Bekanntlich hatten die alexandrinischen
Gelehrten, unter ihnen Philo, die alte heraklitische Lehre vom
Logos weiter entwickelt, als der personifiziert gedachten
göttlichen Vernunft, die das erste gewesen sein sollte, was
der Schöpfer erschaffen hatte. Bekannt ist ja auch, wie im
Johannes-Evangelium der Logos (bei Luther „das Wort“), der im
Anfang war, Fleisch wird und sich in der Person Jesu Christi
verkörpert. Dasselbe finden wir nun bei den Mystikern des
Islams mit Bezug auf den Propheten wieder. Muhammes ist der „'Aql“,
die reine Vernunft, die von allem Anfang bei Gott war,
einerlei, ob von Ihm erschaffen oder ein Teil Seines Wesens.
So konnte denn, nach einem angeblich verbürgten „Hadis“
(Ausspruch des Propheten) Mohammed von sich sagen: „Kuntu
nebiyan wa Adam bein el ma wa't tin“, „Ich war schon Prophet,
als Adam noch zwischen dem Wasser und dem Lehm war“, d.h.,
bevor der Lehm angerührt war, aus dem ihn Gott erschaffen
hat.
Aber noch
mehr ist Mohammed dem Sufi. Er ist der Anlass, die causa
movens der ganzen Schöpfung. Diese Lehre hatte eine um so
größere Wichtigkeit, als es an sich nicht einzusehen war,
weshalb Gott sich entschloss, die in der Vollkommenheit
schlummernde Welt zur Existenz zu erwecken und damit der
Unvollkommenheit preis zugeben. Die Erklärung fand man wieder
in einem Hadis, in welchem der Prophet Gott zu ihm sagen
lässt: „Ich war ein verborgener Schatz und wollte gekannt
sein, darum habe ich die Welt erschaffen.“ und in einem
weiteren „Hadis“ sagt Gott zu Seinen Propheten: „lou lak lama
akhlaqtu l aflak“, „wäre es nicht um Deinetwillen, so hätte
ich nicht die Sphären geschaffen“. So ist der Logos-Mohammed
der Grund und die Erklärung zugleich für die Erschaffung der
Welt, wie er denn auch der Schlussstein des Prophetentums auf
Erden ist.
Wenn man auf
dieser Grundlage weiter denkt, kommt man zu noch
erstaunlicheren Ergebnissen: Die ganze Weltanschauung der
semitischen Religionen ist auf Autoritätsglauben begründet.
Ohne diesen und seine Voraussetzung, die Offenbarung – kann
sie nicht auskommen. Deshalb setzt sie für jeden Zeitraum
einen Propheten voraus, der die Offenbarung und Befehle Gottes
den Menschen überbrachte und ihr Führer war. Da nach Mohammed
kein Prophet mehr erscheinen konnte, traten bei den Schiiten
die zwölf Imame an ihre Stelle, deren letzter, der Mahdi, noch
jetzt verborgen lebt. Er ist der sahib zaman, der Herr der
gegenwärtigen Zeit. Weniger ausgeprägt ist dieser Gedanke im
Chalifentum bei den Sunniten. Dagegen spielten im Sufismus,
der überhaupt viel mehr an den Schiitismus als an den Sunnitismus sich anlehnt, die Pire oder geistlichen Führer
eine ähnliche Rolle, wie die Imame. Ali ist nicht allein der
erste Imam der Schiiten (und Ismailiten), sondern auch der
Ausgangspunkt des Sufismus. Bei der unbegrenzten Verehrung,
welche die Pire bei ihren Anhängern und Nachfolgern genossen,
konnte man nicht umhin, auch ihnen, gleich dem Propheten, die
Präexistenz zuzusprechen. Sie haben also von allem Anfang an –
wenn es überhaupt einen Anfang gibt – bestanden und haben
somit an den Eigenschaften des höchsten Wesens teilgenommen.
Wenn sie dann, jeder zu seiner Zeit, auf die Erde gesandt
wurden, so waren sie immer noch der göttlichen Weisheit
teilhaftig. Was sie lehrten, waren nur Erinnerungsbilder,
Anamnesen, aus ihrem früheren und eigentlichen Zustande. So
wird denn in der monotheistischsten aller Religionen nicht nur
deren Stifter, der Prophet Mohammed, vergöttlicht, sondern es
wird außer ihm noch ein ganzer Olymp von Halbgöttern
geschaffen, die, wenn auch in sehr abstrakter Weise, an den
göttlichen Eigenschaften teilhaben. Im zweiten Buch des
Mesnevi trägt Dschelal ed din in eigenartiger Weise diese
Lehre von der Existens der Pire vor Erschaffung der Welt vor:
„Die
Präexistenz der Pire.
Wo sie die Tür sehn, zeigt sich dir nur Wand,
Was dir ein Stein, ist ihnen Diamant.
Mehr als dir widerstrahlt des Spiegels Schein,
Zeigt sich dem Pir in einem Ziegelstein.
Pire sind die, die, eh' das Schöpfungswort
Noch fiel, schon lebten in der Allmacht Hort.
Dort haben sie gelebt vor Raum und Zeit,
Eh's noch ein Meer gab, Perlen aufgereiht.
Als noch erwogen ward der Plan des Alls,
Standen sie schon im Werden bis zum Hals;
Und als die Engel dann, um Rat gefragt
(Eh' er das große Schöpfungswort gesagt),
Abrieten von der Schaffung der Geschöpfe,
Da schüttelten die Pire schon die Köpfe.
Sie hatten schon der Wesen Form gefunden
Eh' Gott sich noch an eine Norm gebunden.
Bevor die Himmelswölbung ward erbaut,
Hatten sie längst schon Saturn geschaut.
Des Brots Geschmack war ihnen schon bekannt,
Als noch kein Heer es gab und keinen Krieg,
Da kannten längst die Pire schon den Sieg.
Eh' es ein Hirn gab, eh' ein Herz pulsiert,
Haben die Pire schon philosophiert.
Eh' noch das Erz erreicht des Bergmanns Hacke,
Schieden sie das Metall schon aus der Schlacke.
Sie waren trunken von der Traube Saft,
Eh' noch den Weinstock schuf des Schöpfers Kraft,
Im Winter ahnten sie des Sommers Luft,
Mitten im Dezember sah'n sie den August,
Den Schatten sah'n sie in der Sonne Schein,
Im absoluten Nichts sah'n sie das Sein.“
Und dann
erklärt uns der Dichter noch, worin das Philosophieren der
Pire in jenem Zustande des Urschlummers bestand. Ihr
Denkinhalt waren eben jene „'ayani sabita“ die (platonischen)
Ideen oder Urbegriffe, die ja auch schon bestanden hatten und
damals noch, als nicht Raum und Zeit, nicht Vergangenheit und
Zukunft bestand, leicht beieinander wohnten:
„Ihre
Gedanken waren die 'Ideen',
das heißt, die Welt, die wir verkörpert sehen.
Befreit noch schwebten dort ihre Gedankenwelt
Von der Vergangenheit und Zukunft Schranken.
Wo diese beiden Hindernisse schwinden,
da ist des Rätsels Lösung leicht zu finden.“
In dieser
Ideenwelt hatten die Pire die absolute Einheit mit Gott und
damit die Einheit untereinander erreicht, den Zustand, der der
gesamten Mystik als Zweck und Ziel des Lebens vorschwebt.
Und sehn
zwei Pire wir vereint, so können
Wir eins sie oder auch hunderttausend nennen.
Die Zahl ist wie das Wasser, das sich kräuselt,
Wenn drüberhin des Zephirs Odem säuselt.
Ihr Vielsein ist den Wellen zu vergleichen,
Wenn übers ein'ge Meer die Winde streichen.
In Seelen teilt sich nur der Sonne Licht,
Wenn's durch der Einzelwesen Fenster bricht
Siehst du die Sonne an, ist sie nur eine,
Das Viel siehst du nur in der Körper Scheine.
Der tierische Instinkt allein sich teilt,
Der Menschengeist stets in der Einheit weilt.
Die Menschenseele ist des Weltgeists Erbe,
Die Tieresseele der Materie Scherbe.
Setzt man nun
die Ideen samt der Schicksalstafel als längst vorhandenen Plan
der Welt und alles Geschehens voraus, so brauchte der Schöpfer
nur das inhaltschwere Wörtchen „Kun“!, „Sei“! Auszusprechen
und die Welt stand fertig da. Dies bedeutet aber keineswegs
die Leugnug des Schöpfungsberichtes im Koran. Die Erschaffung
Adams aus Erde und Wasser setzt ja doch schon das frühere
Vorhandensein dieser beiden Elemente voraus. Aber auch hier
spielt neben der altsemitischen Überlieferung die griechische
Wissenschaft mit hinein, die ja die Entwicklung der höheren
Wesen aus der anorganischen Welt durch Pflanze und Tier
hindurch gelehrt hatte. Auch dieser Theorie begegnen wir im
Mesnevi:
Im
Mineralreich fing die Menschheit an
Und ging zum Pflanzenreich über dann.
Dort lebte sie Äonen ungemessen.
Und hat den Mineralzustand vergessen.
Als sie ins Tierreich dann den Weg gefunden,
Da war das Pflanzenreich ihr auch entschwunden,
Bis auf die Sehnsucht, die ins Grün sie zieht,
Besonders wenn der holde Lenz entblüht.
Sie gleicht dem Sehnen, welches unbewusst
Die Kinder hinzieht nach der Mutter Brust. -
Doch aus der Tierheit zog zu seiner Zeit
Der Schöpfer sie empor zur Menschlichkeit.
So stieg sie langsam auf von Art zu Art,
Bis sie vernunftbegabt und weise ward;
Vom Geisteszustand in den früh'ren Leben
Weiß sie sich keine Menschenschaft zu geben.
Wir glauben
hier Darwin oder Heackel zu hören, aber es ist in Wirklichkeit
Aristoteles, der der Vorläufer der Entwicklungstheorie ist.
Die Mystik knüpft gern an diese Lehre an, um auf eine noch
weitere Wandlung, die dem Menschen bevorsteht, hinzuweisen,
der Rückkehr in den Zustand des Fena, des Nichtexistierens,
d.h. des Aufgehens in der Weltseele. Dies ist der Punkt, in
welchem der persische Sufismus der indischen Gedankenwelt am
nächsten kommt. Wenn wir das von den Sufis angestrebte Fena
dem Nirwana der Inder gleichsetzen, so zeigt sich oft eine bis
zum Wörtlichen reichende Übereinstimmung beider Ideenwelten,
die aber nicht als ein Beweis des Zusammenhanges anzusehen
ist. An sich kann ja auch eine parallele Entwicklung die
Ursache der Übereinstimmung sein. Indessen gehen wir wohl
nicht irre, wenn wir eine erhebliche Einwirkung Indiens auf
die Entstehung und Gestaltung des persischen Mystismus
annehmen, wenn wir auch diesen Zusammenhang im einzelnen nicht
immer nachzuweisen vermögen. Aber auf einem Unterschied möchte
ich auch hinweisen: Das Fena (die Vernichtung) der Sufis ist
nicht ganz das Nirwana der Inder. Es erscheint mir nicht ganz
so negativ, nicht so absolut wie dieses, und bezieht sich mehr
auf den Zustand vor als nach dem Tode. Daher spricht auch die
sufische Lehre von einem baqa bil fana, einem „ewigen Leben in
der Vernichtung“. Aber trotzdem ist beiden Weltanschauungen
die völlige Abkehr vom Leben, überhaupt der vorwiegend
negative Charakter gemeinsam. Und gerade das Negative ist
oft, - in altindischen Hymnen wie in sufischen Gesängen –
dasjenige, was diesen ihre unerreichte Erhabenheit verleiht.
Das von allen Attributen geläuterte Bild der Gottheit steht
hoch über den vermenschlichten Vorstellungen, wie sie
beispielsweise die Griechen und die Germanen von ihren Göttern
hatten. Und ebenso ist es mit dem rauschartigen Zustanden der
Verzückung, in den der Sufi gerät, wenn er sich mit der
Gottheit eins fühlt. Der Diwan-i Schems-i Tabrizi, die
Odensammlung, welche Dschelal ed din seinem geistlichen Führer
(Schems-i Tabrizi, der „Sonne der Tabriz“) widmete, ist voll
von solchen Dithyramben, die noch heute den ganzen Orient
durchklingen. Die folgende Ode, z.B. die ich in fast
wörtlicher Übersetzung folgen lasse, hörte ich zum ersten Male
von einem Afghanen in Sumla, dann wieder von pendschadischen
Indern im Garten des Tadsch bei Agra und unzählige Male in
Persien singen. Sie ist vielleicht das bekannteste seiner
Lieder und mag als Probe seines lyrischen Stils gelten.