2. Auf dem Roten Meer und an der arabischen Küste
Nachdem wir uns während des zweitägigen Aufenthalts in
Kosseir die nötigen Lebensmittel für eine Überfahrt, die
möglicherweise fünf Tage dauern konnte, eingekauft hatten,
schifften wir uns am letzten Tage des Monats Schual (21. Mai)
auf der »Mutter des Friedens« ein. Dies Schiff war ein offener
Kahn mit zwei plumpen Mastbäumen, an denen nur je ein großes
Segel hing, und war gewiss das ungeschickteste Schiff, das nur
je ein Meer befahren hat. Es war zudem so mit Passagieren
überladen, dass es ganz tief im Wasser ging und man
Strohmatten am Rande aufrichtete, womit man die überkommenden
Wellen abhalten wollte. Der Schiffsmann hatte uns, und allen
andern ebenfalls, versprochen, nur fünfzig Reisende
aufzunehmen; statt dessen fanden sich neunzig vor, von denen
jeder sich als den rechtmäßigen Passagier, die übrigen aber
als Eindringlinge betrachtete, woraus denn zunächst ein
allgemeines Geschimpfe entstand. Endlich trat etwas Ruhe ein.
Da es auf dem Schiff zu eng war, um sich frei bewegen zu
können, so musste jeder Reisende an dem Platz, den er einmal
gewählt hatte, sitzen bleiben. Die Frauen mussten alle
zusammenrücken, und um ihren Platz wurde ein zeltartiges Tuch
gespannt, damit kein frommer Pilger die Sünde begehen konnte,
fremden Frauen ins Gesicht zu schauen. Da wir nicht südöstlich
in direkter Richtung auf unser Ziel losfuhren, sondern wegen
einer Ladung Waren einen Umweg nach Norden machten, so bekam
ich ein großes Stück der arabischen Küste zu sehen. Den
übrigen Mitreisenden war diese Verzögerung gleichgültig, da
man ja für die längere Fahrt keinen höheren Preis verlangte,
und die Zeit hat für gläubige Moslems keinen Wert. Das
englische Sprichwort »time is money« würden diese Leute gar
nicht begreifen können.
Für gewöhnlich wagt es der arabische Schiffer nicht, weit
hinaus aufs Meer zu fahren, sondern er segelt an der Küste
entlang, um bei drohendem Sturme oder bei einbrechender Nacht
in einem der zahlreichen Ankerplätze einzulaufen. In unserm
Falle musste aber das Entsetzliche unternommen werden; wir
mussten nicht nur uns aufs offene Meer wagen, sondern uns auch
gefasst halten, zwei, vielleicht drei Nächte dort zuzubringen.
Viele unserer Gefährten zitterten denn auch aus Furcht vor den
Gefahren dieser nächtlichen Fahrt. Da wir Kosseir um 4 Uhr
morgens verlassen hatten, und der Wind im ganzen günstig
gewesen war, so befanden wir uns gegen Abend schon völlig auf
offener See und hatten die Küste aus den Augen verloren. Nach
dem Abendgebet ging unter den Pilgern und Matrosen eine
allgemein auffallende Veränderung vor sich. Jeder schickte
sich an, die Nacht auf dem offenen Meere mit Andacht und
Feierlichkeit zuzubringen. Ans Schlafen dachte niemand, denn
eine solche Nacht bedeutet für den Pilger eine große
Heldentat. Es wurde geraucht, geplaudert, gebetet, erzählt,
gegessen und Kaffee getrunken, alles gleichsam, als erwarte
man den Untergang der Welt oder doch etwas ganz
Außerordentliches. In dieser Nacht ereignete sich jedoch
weiter nichts Besonderes, als dass wir eine Zeitlang ganz
falsch steuerten und statt vorwärts zu kommen, uns wieder der
ägyptischen Küste näherten, so dass wir am andern Morgen
weiter von unserm Ziel entfernt waren als am Abend vorher. Der
gute Schiffshauptmann hatte nämlich geschlafen, aber das
Steuer doch in der Hand behalten und ihm in seinem Schlummer
ohne Willen eine ganz falsche Richtung gegeben. Die Folge
hiervon war, dass wir nun noch drei Tage und zwei Nächte auf
offenem Meer zubringen mussten, während wir sonst einen Tag
weniger gebraucht hätten. Wir mussten also noch zwei
feierliche Nächte unter Wachen, Kaffeetrinken, Essen, Gebeten
und frommen Erzählungen zubringen. Endlich, am vierten Tage
nach unserer Abreise von Kosseir, erblickten wir die lang
ersehnte arabische Küste. Alle Pilger brachen bei diesem
Anblick in einen Freudenjubel aus; nicht nur die überstandene
Gefahr, auch die Küste selbst, der heilige Strand des Gelobten
Landes, erregte diese freudigen Gefühle. Mein würdiger Freund
Scheich Mustapha hielt sich denn auch verpflichtet, mir bei
dieser Gelegenheit folgende Rede zu halten: »O Maghrebi, du
siehst das Land vor dir, von dem aller Segen ausgegangen ist,
wo der Prophet Gottes, Allah segne ihn, gewirkt und gewandelt
hat, wo Sidna Adam und Sittna Hauwa (Eva), nachdem sie aus dem
Paradies vertrieben worden waren, sich auf dem Berge der
Erkenntnis (Arafa) wiedergefunden haben, wo Sidna Brahim
(Abraham) und Sidna Smaïl (Ismael) dem Herrn den Tempel der
Kaaba erbauten. Dieses glückselige Land siehst du vor dir.
Danke Gott dafür und lobe ihn, bete, gib Almosen und faste, o
Maghrebi!«
Unsere Reise zog sich nun von Tag zu Tag an der arabischen
Küste hin. Die ganze Uferstrecke ist mit unzähligen
Korallenbänken beseht. Das macht die Schifffahrt bei
stürmischem Wetter ja sehr gefährlich, aber die Schiffer haben
überall aus Korallensteinen Türme aufgerichtet, womit sie die
Ankerplätze bezeichnen. Am fünften Tage unserer Küstenfahrt,
es mochte etwa 3 Uhr nachmittags sein, blieb die »Mutter des
Friedens« plötzlich auf einer Korallenbank sitzen und zwar so
fest, dass es schien, als wäre sie angenagelt. Man kann sich
denken, welch ein Wirrwarr nun an unserm Bord entstand. Frauen
heulten, Männer fluchten, alle liefen ratlos durcheinander,
und der Schiffshauptmann verkroch sich in irgendeinem Winkel.
Die Matrosen zitterten vor Angst, Kinder schrieen, der alte
Scheich Mustapha betete in größter Eile seinen Rosenkranz
einmal über das andere ab, alles schien einem baldigen
Untergang entgegenzusehen, und dies wäre auch sicher unser
Schicksal gewesen, wäre das Meer, statt vollkommen ruhig,
aufgeregt oder stürmisch gewesen. Dann hätten einige kräftige
Wellenstöße genügt, um die »Mutter des Friedens« auf der
Korallenbank in tausend Stücke zu zerschmettern, und die
Hadschadsch (Pilger) wären wohl zum größten Teil ertrunken.
Glücklicherweise war jedoch die See glatt wie ein Spiegel, und
nachdem alles eine Zeitlang gewehklagt hatte, fiel es einem
schnauzbärtigen Türken ein, dass man doch vielleicht etwas zu
unserer Rettung tun müsse. Zwanzig Kerle, so riet er, müssten
auf diese Korallenbank niedersteigen und das Schiff mit ihren
Schultern fortstoßen. Da die Korallen nicht über Wasser bauen,
so müsste man sich darauf gefasst machen, bis an die Knie, ja
stellenweise bis an die Schenkel Wasser zu haben, was manche
abschreckte, während andere sich vor Abgründen, selbst vor
vermeintlichen Seeungeheuern fürchteten. Endlich gelang es
uns, den Schiffshauptmann aus seinem Versteck hervorzuholen
und ihn zu bewegen, das Rettungswerk zu befehligen. Die
Matrosen wollten zwar lange nicht daran, ins Wasser zu
springen, weil sie behaupteten, die Korallenbank sei behext.
In Wirklichkeit fürchteten sie sich aber vor den vielen feinen
Zacken und Spitzen der Korallen, welche die Fußhaut schinden
und zerreißen. Da ihnen jedoch die beiden Türken mit gutem
Beispiel vorangingen, so sprangen sie endlich hinein, und nach
etwa einer halben Stunde waren im ganzen über zwanzig Männer
beschäftigt, das Schiff wieder flott zu machen, was denn auch
endlich gelang. Aber dann war man wenigstens eine Stunde lang
damit beschäftigt, die zahlreichen Fußwunden zu verbinden,
welche sich unsere Erretter geholt hatten. Einer von den
Türken war in einen Ritz zwischen zwei Korallenblöcke
hineingeglitten und hatte sich nur mit einem völlig
geschundenen Bein herausziehen können. Keiner war unverletzt
aus dem Wasser herausgekommen, so dass man die Furcht der
Matrosen vor der Korallenbank sehr wohl verstehen konnte. Am
Abend dieses Tages veranstalteten unsere Matrosen eine
Festlichkeit, um unsere glückliche Durchfahrt durch die
Klippen der arabischen Küste zu feiern. Sie hatten zu Ehren
eines Heiligen einen Ziegenbock geschlachtet, der halb
gebraten verzehrt wurde und wovon man der ganzen
Schiffsgesellschaft Stücke anbot. Aber nur den wenigsten
glückte es, diese Speise genießen zu können; die meisten gaben
die Versuche, sich an dem lederharten Fleisch dieses uralten
Bockes die Zähne auszubeißen, bald auf und begnügten sich mit
einer weniger frommen Speise.
In einem der Häfen besuchte ich mit Ali ein arabisches
Kaffeehaus, welches von einem Beduinen gehalten wurde. Wir
saßen kaum eine Viertelstunde dort, als ein Schlangengaukler
eintrat und einige sehr gewagte Kunststücke mit einer
Giftschlange ausführte. Was aber mein Erstaunen und meinen
Ekel im höchsten Maße hervorrief, war dies, dass er zum
Schluss die Schlange zu verzehren anfing und zwar auf eine
höchst sonderbare und gefährliche Weise. Er begann nämlich mit
dem Schwanze der noch lebenden Schlange, den er in den Mund
nahm und zerbiss, und arbeitete sich nach und nach mit den
Zähnen bis zum Kopfe hin, den er endlich auch verzehrte. Den
oberen Teil der Schlange hielt er aber nicht etwa mit den
Händen fest, wie man vielleicht denken möchte, sondern ließ
ihn völlig frei um sich hängen, so dass das in den Schweif
gebissene Tier sich in seiner Wut am Körper des Gauklers wand
und herumschlang und diesem hundert blutige Wunden beibrachte,
aus denen der rote Saft in Strömen auf den Boden floss. Da auf
diese Bisse keine Geschwulst folgte, so schloss ich, dass die
giftigen Speicheldrüsen dieser Schlange zerstört sein mussten.
Die Zuschauer aber glaubten natürlich alle an ein Wunder, das
irgendein Heiliger an diesem Gaukler bewirke.
Am Abend des 10. Du el Kada legten wir bei El Imbu, der
Hafenstadt von Medina, der Grabstätte des großen Propheten,
vor Anker. Da jedoch meine ganze Reisegesellschaft beschlossen
hatte, erst auf der Rückreise zu diesem Orte zu pilgern, so
faßte ich denselben Plan. Warum er leider nicht zur Ausführung
kommen konnte, das werde ich späterhin noch erzählen.
Es ist übrigens ein Irrtum, wenn man glaubt, dass zu einer
vollkommenen Pilgerfahrt auch eine Wallfahrt nach Medina
durchaus nötig sei. Am den Titel eines Hadsch (Pilger) zu
erwerben, sind vielmehr nur folgende fünf Dinge nötig:
- Die fromme Absicht und die Gebete, welche diese Absicht
bezeugen;
- die Anwesenheit auf dem Berge Arafa am neunten Tage des
Monats Du el Hödscha;
- das Anlegen des Ihrams, das heißt der Pilgertracht, und
das Abrasieren des Haupthaares;
- die sieben Umgänge um das Haus Gottes, nämlich die
Kaaba, den sogenannten Tempel Abrahams, der in der Mitte des
Hofraums der großen Moschee von Mekka gelegen ist;
- der Gang zwischen den beiden Hügeln Ssafa und Marua.
Wenn nun jemand diese fünf Bedingungen nicht erfüllen kann,
so darf er sich doch den Ehrennamen eines Hadsch zulegen, wenn
er nur die zweite, die wichtigste von allen, erfüllt, wenn er
am neunten Du el Hödscha sich auf Arafa befindet. Arafa allein
macht den Pilger, so hörte ich täglich sagen. Von jeder andern
Bedingung kann man sich durch das Opfern eines Schafes
loskaufen, nur nicht von der Anwesenheit auf Arafa am neunten
Du el Hödscha. An jedem andern Tage bedeutet aber auch die
Anwesenheit auf Arafa nichts, gar nichts. Nur an diesem Tage
ist er ein heiliger Berg.
In El Imbu kaufte ich mir einen kleinen tragbaren Herd zum
Kochen, wie sie eigens für die Pilger angefertigt werden. Mit
seiner Hilfe konnte ich mir späterhin immer Kaffee oder Tee
heiß machen und verhütete so manche Erkältung, die ich mir
sonst in dem schauderhaft ungesunden Pilgergewande zugezogen
hätte.
Das Kaffeehaus, in welches ich eintrat, war wie alle andern
von rohen Palmstämmen erbaut und besaß nur einen einzigen
niedrigen Saal, in welchem auf niedrigen Bänken von Palmholz
etwa vierzig Personen aus den verschiedensten Ländern
beisammensaßen. Unter den hier anwesenden Pilgern waren
Ägypter mit ihren beiden ziemlich anliegenden Kaftans, Araber
mit würdevollen weiten Gewändern und Perser mit großen,
zuckerhutförmigen Hüten von Schaffell und stattlichen,
pechrabenschwarzen Bärten. Auch einige Neger zeigten hier in
dem bunten Gemisch ihre schwarzen Gesichter und blendend
weißen Zähne.
Nachdem ich im Kaffeehause nicht ohne Mühe Platz gefunden
hatte (mein Neger ließ sich ganz einfach auf dem Fußboden
nieder und glich in dieser Stellung ganz einem aufwartenden
Hunde), kam der Kawadschi auf uns zu und fragte, ob er uns
zwei Tassen bringen solle. Ich wollte aber einmal ein anderes
Getränk probieren, nämlich den Kischer, das ist die Aufkochung
nicht von den Bohnen, sondern von den Kaffeeschalen oder
Hülsen, der in der Gegend, wo der berühmte Mokkakaffee wächst,
fast ausschließlich getrunken und der Bohnenaufkochung, die
für zu hitzig gilt, bei weitem vorgezogen werden soll. Im
Hedschas, dem Küstengebiete Arabiens, wo der Kaffeebaum nicht
gedeiht, kann man die Hüllen aber nicht frisch, sondern nur
trocken haben. So stellte sich denn heraus, dass der Kischer,
den mir unser Kawadschi brachte, zwar ein wenig vom Kaffeeduft
an sich hatte, aber doch recht fade schmeckte. Darum kehrte
ich bald wieder zum wirklichen Kaffee zurück und schlürfte für
Chamsa fatha die Tasse (fünf Para, nicht einmal drei Pfennige)
einige Fenadschel (Täßchen) hinab.
Nachdem wir uns dem Kaffeetrinken nach Herzenslust
hingegeben hatten, verrichteten wir in einem kleinen Gewölbe,
in dem mit grünen Vorhängen das Bett eines Heiligen stand, der
selbst wohl unter dem Bett begraben sein mochte, unser
Mittaggebet. Jeder Muselmann muß täglich fünfmal sein Gebet
hersagen, zu Sonnenaufgang, Mittag, Nachmittag,
Sonnenuntergang und Abend. Dann gibt es noch zwei nicht so
wichtige Gebete, das allerfrüheste Morgengebet und das
allerletzte Abendgebet. Während nun die Türken dabei acht,
fünf, zehn, sechs und am Abend wieder zehn Rikat hersagen
müssen, brauchen die Art Mohammedaner, zu denen sich die
Maghrebi zählen, glücklicherweise nur zwei, vier, vier, drei
und dann wieder vier Rikat herzusagen. – Aber was ist denn ein
Rikat? Nun, ein vollständiges Gebet besteht immer aus mehreren
Rikat, und ein Rikat besteht wieder aus zwölf oder dreizehn
Teilen, die folgendermaßen beschrieben werden können:
- Der Rikat beginnt jedesmal mit den Worten, welche der
Mueddin von der Spitze des Minaretts verkündet. Diese
lauten: Allahu, akbar (Gott ist groß). Esch schähdu la
illaha ill Allah (Ich bezeuge, dass nur Gott der Herr ist).
Esch schähdu inna Mohamed rasullah (Ich bezeuge, dass
Mohammed der Prophet Gottes ist). Haija ala salats, Haija
ala fälla (Kommt her zu dem Gebet, her zu der frommen
Handlung). Allahu akbar (Gott ist groß). La illaha ill Allah
(Nur der Herr ist Gott). Jeder dieser einzelnen Sätze wird
zweimal wiederholt. Dieses Gebet wird stehend gebetet,
während man die Hände zu beiden Seiten des Hauptes in der
Richtung der Ohren offen entfaltet ausstreckt.
- Dann nimmt der Beter eine leichtgebückte Stellung ein,
in der er mehrere Male die Worte wiederholt: Asmu Allah
Hamida (Gelobt sei Gottes Namen).
- Darauf nimmt der Betende eine noch gebücktere Stellung
ein und sagt nochmals die Worte: Sebbaliah el Adim (Gelobt
sei Gott der Heilige).
- Darauf richtet man sich wieder gerade empor und sagt die
Worte: Allahu akbar (Gott ist groß).
- Hierauf wird das erste Kapitel des Korans hergesagt, in
kniender Stellung, wobei man die Hände, mit der flachen
Seite nach oben, in der Höhe der Brust gerade vor sich hin
hält.
- Dann folgen, in gebückter Stellung, neue Anrufe Gottes.
- Hierauf sagt man stehend ein Kapitel des Korans her,
welches man will. Die Gelehrten, welche den ganzen Koran
auswendig wissen, sagen gewöhnlich ein längeres her, um ihre
Gelehrsamkeit selbst im Gebet zur Schau zu tragen; die
Unwissenden begnügen sich mit einem leichteren Kapitel: wie
der Sure des Morgenrotes, der Sure des Volkes, der Sure des
Bekenntnisses, der Sure der Ungläubigen und anderen, welche
alle sehr kurz und bald gelernt sind.
- Darauf wird auf dem Angesicht gebetet. Dabei muß man so
auf dem Boden liegen, dass man wenigstens mit sieben Teilen
des Körpers die Erde berührt, nämlich mit der Stirn, dem
Kinn, der Brust, den beiden Knien und den beiden Fußspitzen.
Dabei sagt man Lobsprüche her.
- Dann folgt in kniender Stellung die erste Andacht.
- Die zweite Anrufung auf dem Angesicht.
- Die zweite Andacht im Knien.
- Man richtet sich wieder auf und sagt: Allahu akbar (Gott
ist groß).
- Zuletzt wiederholt man noch einmal das Bekenntnis, dass
es nur einen Gott gebe und Mohammed sein Prophet sei.
Endlich ist der Rikat vollendet, der, wie man sieht, nicht
so einfach ist. Auch hatte ich große Mühe, ihn zu lernen, und
da ich mich nicht traute, zu fragen, woran man doch meinen
Unglauben erkannt haben würde, so betete ich immer so leise,
dass niemand meine Fehler bemerken möchte. – Ist der erste
Rikat beendet, so schreitet man unverzüglich zum zweiten, der
eine genaue Wiederholung des ersten ist, mit der einzigen
Ausnahme, dass man bei der zu wählenden Sure eine andere
nimmt, und zu dem dritten und vierten Rikat, bei denen die zu
wählende Sure ganz wegfällt.
Damit man nun auch noch sehe, wie denn der Koran beschaffen
ist, so will ich ein Kapitel, nämlich die Sure des Erdbebens,
die stets meine Lieblingssure war, hierhersetzen. Sie lautet:
»Wenn die Erde dereinst mit einem mächtigen Zittern erbeben
wird; wenn aus dem Innern der Erde alles hervorgehen wird, was
die Jahrhunderte darinnen niedergelegt haben; dann wird der
Mensch fragen: was hat die Erde befallen? An jenem Tage, dem
Jüngsten Tage, wird die Erde ihre GeScheichte erzählen, wie
sie ihr Gott, dein Herr, geoffenbart hat. Am Jüngsten Tage da
werden die Menschen unstät umherirren; da werden sie suchen,
die Tafel zu sehen, auf der ihre Taten verzeichnet sind. Und
wer des Guten nur so viel getan hat, wie ein Gerstenkorn groß
ist, der wird es dort aufgezeichnet sehen; und wer des Bösen
nur so viel getan hat, wie ein Gerstenkorn groß ist, der wird
es dort aufgezeichnet sehen.«
Aber das wichtigste Kapitel ist das erste, das wahre
Paternoster des Islam, das von den Moslems vielleicht noch
öfter wiederholt wird, als das Vaterunser bei den eifrigsten
christlichen Betern. Keinen Muselmann gibt es, sei er sonst
auch noch so unwissend, der dies Kapitel nicht auswendig wüßte.
Die Kinder in der Schule lernen dies Kapitel natürlich zuerst;
aber wenn die kleinen Araber dies gelernt haben, gehen sie
nicht etwa zum zweiten über, sondern sie fangen den Koran von
hinten an (was wir der Schreibart wegen von vorn nennen
würden) und erlernen nach dem ersten das letzte, dann das
vorletzte und so fort, bis sie erst ganz zum Schluß ihrer
Lernzeit beim zweiten ankommen, und das nur darum, weil die
letzten Kapitel alle klein und leicht zu lernen sind, so dass
sie auf diese Weise viel mehr Gebete im Kopfe haben, als wenn
sie den Koran von vorn anfingen auswendig zu lernen.
Ehe wir von El Imbu Abschied nehmen, muß ich noch des
Wichtigsten gedenken, das eine arabische Stadt besitzt und ihr
erst wahrhaft Leben verleiht – des Trinkwassers. El Imbu
besitzt wohl einige schlechte Ziehbrunnen, aber deren Wasser
schmeckt außerordentlich brackisch, das heißt sehr stark nach
Meerwasser. Vor dem Bab El Medina (Tor nach Medina) liegen
einige Zisternen, die aber nur dann Wasser enthalten, wenn der
Winter, was nicht immer geschieht, Regen gebracht hat. Dennoch
sieht man täglich in der Stadt Leute mit Schläuchen
herumgehen, worin das schönste Trinkwasser enthalten ist, von
dem man sich für einen Spottpreis einen großen Krug füllen
lassen kann. Dieses Wasser wurde, wie man mir erzählte, eine
Wegstunde weit aus dem Innern des Landes geholt.
Nachdem wir noch ein Stündchen das bunte Gewimmel
betrachtet hatten, suchten wir im Hafen unser Schiff wieder
auf, wo wir die guten Ägypter höchst erstaunt über unsere
lange Abwesenheit fanden. Da jedoch die Zeit des Gebets
herangekommen war, so entzog ich mich allen unnützen Fragen
durch eine lange Andacht, die ich mit großer Natürlichkeit und
Umständlichkeit vornahm. Den Abend verbrachten wir unter
Gesprächen, bei denen es der fromme Scheich Mustapha nicht an
langweiligen Predigten fehlen ließ; dann legten wir uns
sämtlich auf der »Mutter des Friedens« schlafen.
Am zwölften Tage des zweiten Pilgermonats des Jahres 1276,
das heißt am 2. Juni 1860, verließen wir El Imbu, um unsere
Reise längs der Küste gen Dschedda fortzusetzen. Die ganze
Gesellschaft war von einem frohen Mute beseelt, denn in
einigen Tagen schon sollten wir ja das heilige Pilgergewand,
den Ihram, anlegen, und mit dem hat sich, wie ein arabisches
Sprichwort sagt, noch niemand bekleidet, der nicht Mekka und
Arafa zu sehen bekam. Das ist natürlich wieder ein Aberglaube,
da es nicht selten vorkommt, dass Pilger zwischen Rabörh, wo
man den Ihram anlegt, und Mekka sterben.
Nachmittags kamen wir an der Grabstätte eines Heiligen
vorbei, und nun nahm die »Mutter des Friedens« wieder ein
festliches Aussehen an. Die frommen Matrosen reichten Kaffee
herum, rauchten ihre ägyptischen Wasserpfeifen und erzählten
fromme GeScheichten von der Wunderkraft dieses Heiligen. Da
aus all diesen Märchen hervorging, dass der Heilige auch nach
seinem Tode noch die schlimmsten Krankheiten heilen könne, so
schlug ich unserm Schiffshauptmann, der, wie ich schon
erzählte, mit der Krätze behaftet war, vor, er solle doch
diesen Heiligen anrufen, der ihn ohne Zweifel von seinem
ekelhaften Übel befreien würde. Aber obgleich meine Freunde
diesen Vorschlag vortrefflich fanden und mich nicht wenig
wegen meiner Frömmigkeit priesen, so war doch der
Schiffshauptmann nicht dazu zu bringen, meinem Rate zu folgen.
Er schien sich offenbar ganz wohl mit seinem Hautleiden zu
befinden und hielt es gewiß für ein Unrecht, wegen solcher
Kleinigkeit die Hilfe eines Heiligen anzurufen. Überhaupt ist
es nicht Sitte, von Heiligen etwas zu verlangen, was bestimmt
bezeichnet werden kann. Man verlangt nur solche Dinge, die man
nachher immer so oder so deuten kann, bei denen sich aus
schwarz weiß machen läßt, so dass dann der Heilige immer recht
behalten muß.
Der 16. Du el Kada sollte für uns Pilger ein wichtiger Tag
werden, denn an ihm sollten wir Rabörh erreichen, wo die von
Ägypten kommenden Hadschadsch das heilige Gewand, den Ihram,
anlegen müssen. Dieser Hafenort, der nur aus etlichen
fünfundzwanzig ärmlichen, teils aus Korallensteinen, teils aus
Luftziegeln erbauten Häusern besteht, an die sich einige
dreißig Zelte anreihen, in denen der Markt abgehalten wird,
besitzt, obgleich sich hier die vielen, vielen Pilger doch
baden und rasieren lassen müssen, gar kein Bad und nur drei
Barbierzelte, welche Tag und Nacht von mehreren hundert
Pilgern umlagert werden, die sich oft um den Vorrang zanken,
schelten und prügeln. Nicht ohne große Mühe gelangte ich zum
Eingang eines dieser Barbierzelte, das jedoch so mit Menschen
angefüllt war, dass ich lieber wieder zum Schiffe zurückkehrte
und mich von einem unserer Matrosen, welche alle dieses
Handwerk gelernt hatten, rasieren ließ. Dann mussten noch die
Nägel an Händen und Füßen sorgfältig beschnitten werden, und
ich war zum Reinigungsbad bereit. Als Bad diente hier in
Ermangelung eines gemauerten Baderaumes das schöne, große,
offene Meer, in das die Pilger vor Anlegung des Ihrams
untertauchen, was ich denn auch tun musste. Unsere ganze
Reisegesellschaft tat desgleichen, ebenso einige zweihundert
Pilger, welche in vier andern Schiffen angekommen waren. Es
war ein seltsamer Anblick, alle diese braunen, meist mageren,
knochigen Gestalten ins Meer springen zu sehen. Eine Abkühlung
gewährte das Bad nicht; überhaupt hatte die Hitze derartig
zugenommen – Nabörh liegt am Wendekreis – dass die 37°R, die
vor fünfzig Jahren der Reisende Burckhardt in Arabien
beobachtet hat und die Alexander von Humboldt als die höchste
Temperatur bezeichnet, die jemals mit zuverlässigen
Instrumenten im Schatten beobachtet worden ist, wohl erreicht
wurden. Was ich von dieser Hitze litt, kann ich nicht
beschreiben. Zum Glück war ich bis jetzt gesund geblieben. Nun
aber drohte mir eine ernste Gefahr. Diese bestand darin, dass
ich nun gezwungen werden sollte, das Haupt völlig entblößt zu
tragen, in diesem Lande, welches sprichwörtlich das Land des
Sonnenstiches heißt. Nichts darf der Pilger auf dem Haupte
tragen, nicht einmal das dünnste Tuch; Schirme zu tragen, ist
keine Mode; das einzige, was man ihm erlaubt, ist, die Hände
auf dem Kopf zu halten, was natürlich nicht viel hilft, da ja
der Kopf gänzlich kahl rasiert worden ist. Sicher hat Mohammed
diese und die übrigen Vorschriften über die Pilgertracht gar
nicht so strenge gemeint; vielleicht wollte er nur sagen, dass
der Pilger in einem bescheidenen Gewande vor Gott an seiner
heiligen Kaaba erscheinen sollte, so einfach, wie sich die
Armen derzeit alle trugen, und die kannten keine Kopfbedeckung
und hüllten sich in zwei Tücher, wie die Pilger sie jetzt noch
tragen müssen. Nicht Mohammed, erst seine Jünger, die den
Glauben an Mohammed verlangten, gaben so strenge Vorschriften.
Es ist sicher, dass Mohammed niemals daran dachte, dass seine
Religion sich so weit verbreiten könne, wie es wirklich
geschehen ist; nennt er doch die Pilgerfahrt eine ganz leichte
Handlung, die man bequem jedes Jahr einmal unternehmen könne.
Hätte Mohammed im Geiste die Türken und Tartaren und
Nordperser gesehen, die in der ungewohnten Hitze Arabiens in
der ungesunden Pilgertracht Unsägliches leiden, er würde, bei
seiner sonstigen großen Milde, die ganze Bestimmung des Ihram
überhaupt aufgegeben haben. Aber seine strenggläubigen
Anhänger nehmen natürlich nicht an, dass Mohammed etwas nicht
gewusst oder vorbedacht habe. Und weil ihnen die Sitte des
Ihram als unumstößliches Gesetz gilt, so müssen denn jährlich
eine Menge armer Pilger dadurch der Krankheit, ja dem Tode
verfallen, dass sie sich in halbnacktem Zustande und mit
bloßem Kopfe einer Sonne aussetzen, die sie selbst in guter
Kleidung und unter Sonnenschirmen kaum ertragen können. Der
Ihram selbst besteht nur aus zwei viereckigen Tüchern aus
weißer, oft rotgestreifter Baumwolle, die man sich, eins um
die Lenden, eins um die linke Schulter und den Rücken
schlingt; der rechte Arm bleibt völlig frei. An den Füßen darf
man bei dieser Tracht nur hölzerne Sandalen tragen, die jedoch
bei jeder Gelegenheit, wie beim Gebet, beim Eintritt in eine
Moschee oder in Häuser wieder ausgezogen werden müssen.
So stand ich mit den zwei rötlich-weißen Tüchern behängt,
mit völlig kahlem Scheitel und mit nackten Füßen inmitten
einiger zweihundert anderen Pilger, welche alle, wie ich,
soeben den Ihram angelegt hatten. Jetzt erhoben alle diese
Pilger ihre Stimme, zum ersten mal auf unserer Fahrt brach aus
all diesen Kehlen laut und donnernd der Pilgerruf »Labik«
hervor.
Ein mitreisender Schriftgelehrter hatte es unternommen, uns
bei unserem Auftauchen aus dem Meer und bei der Anlegung der
Pilgertracht als Prediger zu empfangen. Aber der ganze Sinn
seiner Predigt drehte sich nur um dieses heilige Wort »Labik«,
das er uns jedoch nicht erklärte, sondern uns nur zu rechtem
Gebrauch ans Herz legte. Und alle aus dem Wasser auftauchenden
Menschen schrieen »Labik«. »Labik«, so tönte es am ganzen
Strande des Meeres bei Rabörh. »Labik«, so riefen hundert und
hundert Kehlen, »Labik«, so tönte es überall im Echo zurück.
Es war, als gäbe es kein anderes Wort mehr in der Sprache als
dieses, das die Pilger zum erstenmal rufen, wenn sie den Ihram
anlegen, und das sie jeden Tag mit neuem Eifer wieder und
wieder ausstoßen, bis sie endlich, am Ziel ihrer Wünsche, auf
Arafa, den heiligen Ruf am lautesten und wildesten ertönen
lassen. – Was dieses Wort »Labik« eigentlich bedeutet, das
wissen die wenigsten Araber; das wollen sie aber auch gar
nicht wissen; ja, wenn man sich nach dem Sinn dieses heiligen
Wortes erkundigt, so wird einem gewöhnlich mit einem
Achselzucken geantwortet und gesagt: »O Pilger, du bist sehr
neugierig!« So konnte ich denn den Sinn des Wortes erst
erfahren, als ich, in Europa angekommen, in einem arabischen
Wörterbuche nachschlagen konnte. Danach bedeutet das Wort »Labik«
etwa dies: »In Dir bin ich aus tödlicher Not geflüchtet und
folge Dir.« So drückt dieser Ruf die ganze Sehnsucht eines
elenden Sterblichen nach Gott aus und den heißen Wunsch, aus
dem irdischen Unglück einmal zum reinen Glück des Himmels
aufsteigen zu können – gewiss ein so schöner Sinn, wie man ihn
sonst in der mohammedanischen Religion nicht leicht
wiederfindet. Nachdem wir uns durch vieles Labikrufen fast
heiser geschrieen hatten, waren noch eine Menge Gebete zu
verrichten; ja, der ganze erste Abend verging unter frommen
Gesprächen, Gebeten und dem Anhören von Predigten, womit uns
Schick Mustapha und einige Schriftgelehrte beglückten. Als ich
am andern Morgen erwachte und alle diese halbnackten Gestalten
erblickte, da glaubte ich anfangs, in einem Tollhause zu sein,
so ungewöhnlich und lächerlich saß den Pilgern die neue
Gewandung. Wie gefährlich aber die Entblößung des Kopfes unter
diesen sengenden Sonnenstrahlen ist, das sollte ich noch an
demselben Morgen an einem schrecklichen Beispiel erleben.
Einer unserer jüngeren Mitreisenden wurde nämlich von
entsetzlichem Kopfweh und Fieber befallen, das in wenigen
Stunden so zunahm, dass er in völligen Wahnsinn verfiel,
bewusstlos wurde und endlich des Abends starb. Sein Vater
tröstete sich, wie ein echter Mohammedaner, indem er auf alle
Beileidsbezeugungen immer wieder antwortete: »Sein Leben war
kurz berechnet!« Da für Leute, welche glauben, dass alles, was
wir tun und was uns geschieht, vorausberechnet ist, und dass
es gar keine Möglichkeit gibt, aus diesen von Gott bestimmten
Bahnen herauszukommen, da für diese Leute der Verlust eines
Menschenlebens eine erbärmliche Kleinigkeit ist, so wurde
unsere Reise durch diesen Todesfall in keiner Weise
aufgehalten; der Tote wurde vielmehr nachts in aller Eile und
ohne jede Feierlichkeit am Lande eingescharrt. – Am folgenden
Tag war die Hitze besonders unerträglich. Glücklicherweise
konnte ich mein geschorenes und entblößtes Haupt unter einem
kleinen Verdeck auf dem Hinterteil des Schiffes, das man die
Kajüte nannte, vor den brennenden Sonnenstrahlen verbergen.
Die meisten Reisenden mussten sich jedoch in dem offenen
Schiffsraum schutzlos den gefährlichen Sonnenstrahlen
aussetzen, und ich wundere mich wirklich, dass sie nicht alle
den Sonnenstich davontrugen. Wir konnten von Glück sagen, dass
nur fünf oder sechs auf der sechstägigen Reise von Rabörh nach
Dschedda sich die Bakla (Sonnenstich) holten und auch
glücklich in die andere Welt befördert wurden. Aber, wie
gesagt, »ihr Leben war nur kurz berechnet«, das von einigen
Jünglingen sogar nur sehr kurz, und niemandem fiel es ein,
sich über diese Berechnung Allahs zu grämen.
In Obhor, wo wir ein paar Tage später eintrafen, fanden wir
den schönsten Ankerplatz, den wir noch auf dieser Fahrt gehabt
hatten. Die Einfahrt zu diesem flussartigen Meeresarm ist zwar
eng, aber ungefährlich, da sich zu beiden Seiten von Arabern
errichtete Korallentürmchen befinden, die den Weg genau
angeben. Aber keine Stadt, kein Dorf fand sich vor, nur
einzelne Beduinen hausten daselbst in schmutzigen, zerfetzten
Zelten und hielten für die Pilger einen Markt ab. Diese
Beduinen waren ein ganz unausstehlich rohes, aber natürlich
auch strenggläubiges Volk, die zum Beispiel einen armen
buckligen Pilger grausam verhöhnten, indem sie seinen Buckel,
der sich nicht unter dem Ihram verbergen ließ, mit Pech
anstrichen und Nesseln darauf klebten, außerdem sich eine
Menge anderer Scherze mit den armen Hadschadsch erlaubten. Die
unglücklichen Pilger müssen ja alles geduldig hinnehmen und
dürfen, wenigstens solange sie der Ihram bekleidet, sich
keinerlei Gegenwehr erlauben. Ebenso darf er kein Tier töten,
nicht einmal das ekelhafteste Insekt, was einen besonders
rohen Beduinen von Obhor zu dem unanständigen Scherze bewog,
einen armen Hadschadsch mit einem ganzen Heere von Läusen, die
er in einer Tüte gesammelt hatte, zu überschütten, mit welchen
scheußlichen Tierchen dieser schwergeplagte Pilger nun noch
bis Dschedda und Mekka wallfahrten musste, ohne auch nur im
geringsten sich Erleichterung verschaffen zu können, denn man
darf die Läuse nicht einmal mit der Hand abstreifen, aus
Furcht, man könnte sie verletzen.
Der nächste Tag mit seiner wolkenlosen Glut brachte wieder
einigen armen Hadschadsch den Sonnenstich. Überhaupt befanden
sich die meisten Pilger in einem höchst leidenden Zustande.
Litten sie nicht unter den brennenden Sonnenstrahlen, so doch
unter der massenhaften Verbreitung des Ungeziefers, namentlich
der Läuse, welche von dem in Obhor mit Läusen überschütteten
Pilger ausging. Der Körper dieses unglücklichen Hadsch war
unglücklicherweise auch noch sehr behaart, so dass die
ekelhaften Insekten in diesem Haar einen besonders festen Halt
gewannen. Alles Schütteln, das einzige, was der von Ungeziefer
geplagte Pilger tun durfte, half nur dazu, die Nachbarn
anzustecken; so dass die Nähe dieses Mannes bald wie die Pest
gemieden wurde. Dennoch musste er Nachbarn, und zwar sehr
dichte Nachbarn haben, da das Schiff mit Menschen wie
vollgestopft war. Die »Mutter des Friedens« hatte nämlich an
der ganzen arabischen Küste fast überall Passagiere
aufgenommen, so dass unsere Zahl auf nahezu hundertundfünfzig
angewachsen war, und da die »Mutter des Friedens« nur für
einige sechzig Platz hatte, so folgte daraus eine wahre
Heringsverpackung der armen Hadschadsch, welche durcheinander,
aneinander, übereinander und untereinander lagen, und dass
diese bei einer Hitze von 30°R aneinandergequetschten
Hadschadsch ganz furchtbar ausdünsteten, wird jeder meiner
arggeplagten Nase glauben. – Aber nicht allein von der Hitze
hatten die armen Pilger zu leiden, nein, auch, so sonderbar es
auch klingen mag, von Erkältungen, die diese Menschen sich
zugezogen hatten, weil sie ganz plötzlich ihre gewohnte
Kleidung gegen ein paar dürftige Umschlagetücher vertauscht
hatten, die besonders die Magengegend freiließen. So kam es
denn auch, dass wir nicht wenige an Durchfall und ähnlichen
Krankheilen Leidende an Bord der »Mutter des Friedens« hatten,
deren Zustand höchst ekelhaft war und zu den Greueln dieser
Pilgerfahrt nicht wenig beitrug.
Schon um 5 Uhr setzte sich das Schiff am andern Morgen
langsam und gemessen in Bewegung. Das heutige Ziel unserer
Reise sollte Dschedda sein, Dschedda, der Hafenort Mekkas, wo
unsere Schiffsreise ein Ende finden sollte. Diese frohe
Hoffnung hielt uns den ganzen Tag aufrecht, so dass wir unsern
schlechten körperlichen Zustand nicht so drückend empfanden. –
Gegen Mittag endlich sahen wir eine ziemlich ansehnliche
Häusermasse aus dem Meer auftauchen. Kuppeln erhoben sich,
Minaretts ragten in die Höhe, die Masten von Segelschiffen,
ja, sogar hier und da das Rohr eines Dampfschiffes; es war der
langersehnte Hafen, Dschedda, das Tor, welches uns Mekka
erschließen sollte. Alle Pilger gerieten in eine große,
freudige Aufregung, ihr Antlitz strahlte, ihre Augen glühten
vor Begeisterung. Da lag die Stadt der Elternmutter des
Menschengeschlechts, in der sich auch ihr Grab befindet (Dschedda
heißt die Großmutter), da lag Dschedda, schon durch dies Grab
heilig, aber unendlich viel heiliger dadurch, dass von hier
der Weg nach Mekka hinaufsteigt. Mein ehrwürdiger Freund
Scheich Mustapha konnte es denn auch nicht lassen, bei diesem
Anblick folgende Predigt an mich zu richten: »O Maghrebi, da
bist du nun im Angesicht der Elternmutter des
Menschengeschlechts angelangt. Rufe: Sei gegrüßt, Mutter Eva,
sei gegrüßt! Dort liegt sie, ohne die du gar nicht vorhanden
wärst. Lobe Gott, dass Allah sie geschaffen hat; aus einer
Rippe hat er sie geschaffen, o Maghrebi, aus einer Rippe von
Sidna Adam, dem Vater des Menschengeschlechts!«
So predigte Scheich Mustapha ungefähr noch eine Stunde
fort, während die »Mutter des Friedens« zwischen den
Korallenbänken und -klippen sich mühsam einen Weg suchte und
endlich gerade zur Zeit des Mittagsgebets in Dschedda
anlangte. Ein lautdonnerndes Labik war der Gruß der
Hadschadsch an dieses lang ersehnte Reiseziel, welches wir nun
endlich erreicht hatten.