L20 – Die Formen des göttlichen Willens
Die Bestimmung ist eins der kontroversen Themen, die oft
missinterpretiert werden, weil es an präzisem Verständnis
fehlt oder weil manchmal bösartige Absicht dahintersteckt. Um
dieses Thema zu erörtern, werden wir es hier so prägnant wie
möglich analysieren.
Alles auf dieser Welt basiert auf einer präzisen
Kalkulation, Logik und Gesetz. Jegliches wurde nach einem
bestimmten Maß an seinen Platz gesetzt und die definierten
Charakteristika beruhen auf Ursachen und Faktoren, von welchen
die jeweiligen Dinge abhängen.
So wie jedes Phänomen seine primäre Existenz von einer
spezifischen Ursache ableitet, so bekommen alle ihre äußeren
und inneren Eigenschaften von der gleichen Quelle. Jedes
Phänomen leitet seine Form und seinen Umfang von einer Ursache
ab. Da zwischen Ursache und Wirkung eine Homogenität besteht,
wird von der Ursache zwangsläufig eine sich charakteristisch
auswirkende Affinität der eigenen Essenz auf die Wirkung
übertragen.
Nach der Weltanschauung des Islams, hat die Bestimmung die
Bedeutung von Gottes festem Erlass bezüglich der sich
entfaltenden Angelegenheiten der Welt, deren Umfang und deren
Grenzen. Alle Phänomene, die innerhalb der Ordnung der
Schöpfung stattfinden, die menschlichen Taten eingenommen,
werden mithilfe ihrer Ursachen festgelegt und bestimmt, ihr
Sein ist eine Konsequenz der universellen Validität des
kausalen Prinzips.
Die Bedeutung der Bestimmung wird im arabischen zweierlei
unterschieden. Bestimmung, im Sinne von „Qada´“ hat etwas
Beendendes und Irreversibles und es bezieht sich auf die
Kreativität der Werke Gottes. Die Bedeutung von „Qadar“
bezieht sich auf den Umfang oder das Ausmaß und zeigt auf die
Natur und die Qualität der Ordnung Seiner Schöpfung und ihren
systematischen Charakter. Es bedeutet, dass Gott der Welt des
Seins eine geplante und systematische Struktur erweist. Mit
anderen Worten, die Bestimmung ist das Ergebnis Seiner
Kreativität, da sie Seinen Aufdruck überall hinterlässt.
Um es anders auszudrücken, was mit Bestimmung gemeint ist,
sind die externen und objektiven Festsetzungen von Grenzen und
Proportionen einer Sache - extern und objektiv, nicht mental.
Bevor ein Architekt seinen Entwurf umsetzt, wird er sich im
Kopf die Qualitäten und die Dimensionen des Komplexes
entwickeln, das er bauen möchte. Der Koran spricht bei den
festen Formen, Eigenschaften und Proportionen der Dinge von
Qadar: „Wir haben ein jegliches Ding nach Maß geschaffen.“
(Vgl. Koran: Sure 54, Vers 49), „(…) Für alles hat Gott ein
Maß bestimmt.“ (Vgl. Koran: Sure 65, Vers 3)
Der Terminus Qada´ bedeutet im Koran rationale und
natürliche Notwendigkeiten, all die Teile der Ursache, die zum
Hervorkommen einer Sache führen. Es impliziert, dass der Wille
Gottes sich nur implementiert, wenn die festgelegten Mengen,
Konditionen und Ursachen einer Sache miteinander ausgerichtet
sind.
Der Schöpfer berücksichtigt die raumzeitliche Situation der
Phänomene mit ihren Grenzen und ihren Proportionen und erteilt
dann Seinen darauf basierenden Erlass. Welcher Faktor oder
Ursache auch immer in der Welt sichtbar ist, ist die
Manifestation des Willen Gottes und Seines Wissens, und das
Instrument für die Erfüllung dessen, was Er vorherbestimmt
hat.
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Die Eigenschaft des Wachstums und der Entwicklung ist in
den Herzen der Dinge festgelegt. Materie, die den Gesetzen der
Bewegung unterworfen ist, hat die Fähigkeit, verschiedene
Formen anzunehmen und zahlreiche Prozesse zu durchlaufen.
Unter dem Einfluss verschiedener Faktoren, nimmt sie eine
Vielzahl an Stadien und Qualitäten an. Sie leitet ihre Energie
von bestimmten natürlichen Faktoren ab, die es ihr ermöglichen
voran zu schreiten, aber wenn sie auf andere Faktoren stößt,
verliert sie an Existenz und verschwindet. Manchmal besteht
sie in unterschiedlichen fortschreitenden Stadien weiter, bis
sie die höchste Stufe ihrer Entwicklung erreicht, zuweilen
fehlt es ihr an der nötigen Geschwindigkeit, um die nächste
Etappe des Fortschritts zu erreichen und ihre Bewegung wird
träge.
So ist das Ergebnis der Dinge nicht direkt mit dem
Schicksal und dem Geschick verbunden, da es eine Ursache gibt,
welche die Natur der Wirkung festlegt. Da die materiellen
Existenzformen mit einer Reihe von Ursachen verknüpft sind,
gehen sie notwendigerweise verschiedene Wege, wobei jede
Ursache die jeweilige Existenzform dazu bringt einen
bestimmten Pfad einzuschlagen.
Nehmen wir an, jemand hätte eine Blinddarmentzündung. Das
ist sein Schicksal, welches sich durch bestimmte Ursachen
ergab. Zwei zusätzliche separate Schicksale erwarten diesen
Arbeitsunfähigen: Entweder, er ist mit einer Operation
einverstanden, in diesem Fall wird er wieder genesen, oder er
lässt diese nicht zu und muss sterben. Beide Möglichkeiten
repräsentieren eine Form der Bestimmung.
Schicksale können daher austauschbar sein, aber welche
Entscheidung der Kranke trifft und danach handelt, es wird
nicht außerhalb der Sphäre sein, die Gott ihm bestimmt hat.
Man kann nicht mit gefalteten Händen dasitzen und zu sich
selbst sprechen, „Wenn es meine Bestimmung ist, werde ich am
Leben bleiben, und wenn es nicht meine Bestimmung ist, werde
ich sterben, egal wie sehr ich mich um eine ärztliche
Behandlung bemühe.“
Wenn man die Heilung sucht und dann gesund wird, ist dies
Bestimmung, und wenn man eine Behandlung ablehnt und stirbt,
so ist dies ebenfalls Bestimmung. Wo immer man hingeht, was
immer man tut, man ist vom Schicksal umgeben.
Menschen, die faul sind und nicht arbeiten wollen,
entscheiden sich zuerst nicht zu arbeiten und wenn sie dann
kein Geld mehr haben, geben sie dem Schicksal die Schuld. Wenn
sie sich entschlossen hätten zu arbeiten, das Geld, das sie
verdient hätten, wäre dies ebenfalls Schicksal gewesen. Ob man
nun aktiv und fleißig ist oder untätig und faul, man kann der
Bestimmung nicht zuwider handeln.
Eine Veränderung der Bestimmung bedeutet daher nicht das
Rebellieren eines bestimmten Faktors gegen das Geschick oder
eine oppositionelle Haltung gegenüber dem Gesetz der
Kausalität. Etwas, das eine Veränderung im Schicksal
verursacht, ist selbst ein Glied der Kausalitätskette, eine
Manifestation von Schicksal. Anders ausgedrückt, ein Schicksal
wird durch ein anderes Schicksal verändert.
Im Gegensatz zu den Wissenschaften, weist dies nur in eine
Richtung und zeigt nur die Orientierung von bestimmten
Aspekten der Phänomene. Die Gesetze der Metaphysik sind nicht
mit den Phänomenen aus der Warte der konjunktionalen
Sichtweise beschäftigt, auch wenn die Gesetze die Phänomene
regulieren sind sie doch gegenüber der Orientierung, die sie
annehmen, gleichgültig. In Wirklichkeit sind beide, die
Phänomene selbst und deren Orientierung, den gewaltigen und
umfassenden Gesetzen der Metaphysik unterworfen: Wohin auch
immer ein Phänomen tendiert, es wird unentrinnbar von diesen
Gesetzen umgeben sein.
Die Situation gleicht einer weiten, großen Ebene, in der
die am weitesten im Norden gelegenen Bereiche und die am
weitesten im Süden gelegenen Bereiche doch immer Teil dieser
Ebene bleiben.
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Kurz gefasst repräsentiert die Bestimmung gar nichts
anderes als die Universalität des Prinzips der Kausalität. Es
repräsentiert eine metaphysische Wahrheit, die nicht auf
gleiche Weise betrachtet werden kann, wie die Daten der
Wissenschaft.
Das Prinzip der Kausalität sagt, dass nur jedes Phänomen
eine Ursache hat, es kann selbst keine Voraussage machen. Dies
ist eine Eigenschaft, die sich dem Bewusstsein der Metaphysik
völlig entzieht.
Für die Gesetze der Metaphysik, die eine anschauliche Form
des Wissens darstellen und der feste und stabile Grund für
zahlreiche Phänomene in der Welt sind, macht es keinen
Unterschied, welches besondere Phänomen auftritt. Eine
Autobahn, die Menschen wegen ihrer Stabilität und Festigkeit
zum Reisen benutzen, ist der Richtung gegenüber, die diese
nehmen, völlig gleichgültig.
Ali, der Führer der Gläubigen (Friede sei mit ihm), hat
sich im Schatten einer wackeligen Mauer ausgeruht, die den
Anschein machte, kurz vor den Einstürzen zu sein. Plötzlich
stand er auf und setzte sich in den Schatten einer anderen
Wand. Er wurde gefragt: „Fliehst du vor dem, was Gott dir
geschrieben hat?“
Er antwortete, „Ich such Zuflucht in Gottes Macht vor dem,
was Er bestimmt hat.“, was bedeutet, „Ich fliehe von einer
Bestimmung zur anderen. Beides, das Sitzen als auch das
Aufstehen waren gleichermaßen dem Schicksal unterworfen. Wenn
eine defekte Wand über mich einstürzt und mich verletzt, wird
dies Schicksal sein und wenn ich den Gefahrenbereich verlasse
und dem Unheil entkomme, so ist auch dies Schicksal.“
Der glorreiche Koran beschreibt die Systeme und Gesetze der
Natur als göttliche Normen, die über der Welt regieren und
unvermeidlich und unveränderlich ihren Bahnen folgen. „(…) und
du wirst in Gottes Brauch nie einen Wandel finden.“ (Vgl.
Koran: Sure 33, Vers 62)
Die unveränderliche Norm Gottes erlässt unter anderem:
„Verheißen hat Gott denen unter euch, die glauben und gute
Werke tun, dass Er sie gewisslich zu Nachfolgern auf Erden
machen wird, (…)“ (Vgl. Koran: Sure 24, Vers 55)
Nach dem Koran ist das auch eine unveränderliche, göttliche
Norm: „(…) Gewiss, Gott ändert die Lage eines Volkes nicht,
ehe sie nicht selbst das ändern, was in ihren Herzen ist. (…)“
(Vgl. Koran: Sure 13, Vers 11)
Nach der religiösen Weltsicht, sind Realitäten nicht auf
die vier Wände der materiellen Verursachung beschränkt.
Phänomene sollten nicht nur in ihren sensorischen Beziehungen
und materiellen Dimensionen berücksichtigt werden.
Nichtmaterielle Faktoren haben zu Bereichen Zugang, die
materiellen Faktoren völlig verschlossen sind. Und sie spielen
beim Hervorkommen von Phänomenen eine unabhängige und
entscheidende Rolle.
Die Welt ist auf keinen Fall dem Unterschied zwischen Gut
und Böse gegenüber gleichgültig. Die Taten des Menschen
produzieren während seines Lebens bestimmte Reaktionen.
Freundlichkeit und Güte zum Nächsten und die Liebe und der
Dienst der Geschöpfe Gottes sind Faktoren, die mit
nichtmateriellen Mitteln letztlich zu einer Veränderung des
menschlichen Schicksals führen und zur Ruhe, Freude und einer
Fülle von Segnungen beitragen.
Unterdrückung, Böswilligkeit, Egoismus, Aggression bringen
bittere Früchte und haben zwangsläufig schädigende Wirkungen.
So ist der Natur aus dieser Sicht eine Form der Vergeltung
inhärent, denn die Welt besitzt Wahrnehmung und Bewusstsein,
sie sieht und sie hört. Die Art, wie sie die Taten rächt ist
eine Form der Manifestation der Bestimmung. Es ist unmöglich,
dem zu entfliehen, wo immer man auch hingeht, es wird einen
ergreifen.
Ein bestimmter Wissenschaftler erklärt: „Sagt nicht, die
Welt hätte keine Wahrnehmung, denn dann hat man sich selbst
beschuldigt keine Wahrnehmung zu haben. Du bist in die Welt
als Teil der Welt gekommen und wenn es keine Wahrnehmung in
der Welt gibt, gibt es auch in dir keine.“
Bezüglich der Rolle der nichtmateriellen Faktoren, die das
Schicksal gestalten, sagt der Koran folgendes: „Hätte aber das
Volk (jener) Städte geglaubt und wären sie rechtschaffen
gewesen, so hätten Wir ihnen ganz gewiss vom Himmel und von
der Erde Segnungen eröffnet. Doch sie leugneten; also
erfassten Wir sie um dessentwillen, was sie sich erwarben.“
(Vgl. Koran: Sure 7,Vers 96), „(…) Wir zerstören keine Städte,
ohne dass ihre Bewohner voll Ungerechtigkeit sind.“ (Vgl.
Koran: Sure 28,Vers 59)
Der Begriff des Schicksals wird von den Befürwortern des
Determinismus als einer ihrer Beweise angeführt. Ihrer Ansicht
nach, ist es nicht möglich, dass irgendeine Tat unabhängig von
irgendwem ausgeführt werden kann, denn Gott hat das Handeln
der Menschen schon vorbestimmt, im Allgemeinen wie im
Besonderen, im Guten wie im Schlechten, so dass kein Platz
mehr für ein gewolltes Schaffen durch den Menschen bleibt.
Es gibt einen Unterschied zwischen Determinismus und der
irreversiblen Bestimmung. Jedes Phänomen ist gebunden
aufzutreten, wenn erst einmal alle Ursachen für dieses
Phänomen gegeben sind. Ein Bindeglied in der Kausalitätskette
ist der Wille des Menschen, der eine eindeutige Rolle spielt.
Der Mensch ist eine Existenzform, die mit dem freien Willen
ausgestattet wurde, daher verfolgen seine Taten bestimmte
Ziele, und beim Streben nach diesen Zielen, geht er nicht
einem automatischen Gesetz der Natur nach, wie ein
Regentropfen, der dem Gesetz der Gravitation folgt. Wäre das
anders, der Mensch könnte faktisch nicht die Ziele anstreben,
die er sich, als Existenzform mit freiem Willen, vorgenommen
hat zu erreichen.
Dies steht im Kontrast mit der deterministischen
Sichtweise, die den freien Willen des Menschen als
funktionsunfähig betrachtet und alle Ursachen auf Gott allein
zurückführt und auf Faktoren, die außerhalb der menschlichen
Essenz liegen.
Der Glaube an das Schicksal endet nur im Determinismus,
wenn man es als ablösende Kraft und Willen des Menschen
betrachtet, so dass keine Rolle oder Wirkung bei der
Ausführung seiner Taten seinen Wünschen zugeschrieben werden
kann. Tatsächlich jedoch, ist Bestimmung, das Schicksal und
die Fügung nichts weiter als das System der Ursache und
Wirkung.
Der Koran erklärt, dass einige von jenen, die den Propheten
ablehnten und den Banner der Rebellion gegen den von Gott
Erwählten erhoben das Schicksal in einer deterministischen
Weise interpretierten. Sie wollten nicht, dass sich die
bestehende Situation verändert, damit die soziale Ordnung des
Monotheismus die scheußlichen Bräuche nicht ersetzen würde
können, an denen sie festhielten.
Dies sind die relevanten Verse: „Und sie sprechen: Hätte
der Gnadenreiche es gewollt, wir würden sie nicht verehrt
haben! Sie haben keinerlei Kenntnis hiervon; sie vermuten nur.
Haben Wir ihnen ein Buch gegeben vor diesem (Koran), an dem
sie festhalten?“ (Vgl. Koran: Sure 43, Vers 20-21)
Im Gegensatz zu den Deterministen waren der Gesandte Gottes
und die Anhänger seiner göttlichen Lehren nicht mit dem Erhalt
des Status quo beschäftigt, sondern mit dem Umsturz der
Traditionen, denn sie blickten in die Zukunft.
Der noble Koran verspricht der Menschheit in seinem Kampf
gegen Tyrannei den höchsten Sieg und betont, dass die letzte
Regierung, welche die Erde beherrschen wird, eine gerechte
Regierung sein wird. Die Falschheit wird verschwinden und das
Endergebnis aller Angelegenheiten wird den Gottesfürchtigen
gehören. Das ist die Verheißung des Korans: „Und Wir
wünschten, denen, die im Lande als schwach erachtet worden
waren, Huld zu erweisen und sie zu Führern zu machen und zu
Erben einzusetzen.“ (Vgl. Koran: Sure 28, Vers 5), „Verheißen
hat Gott denen unter euch, die glauben und gute Werke tun,
dass Er sie gewisslich zu Nachfolgern auf Erden machen wird,
wie Er jene, die vor ihnen waren, zu Nachfolgern machte; und
dass Er gewisslich für sie ihre Religion festigen wird, die Er
für sie auserwählt hat; und dass Er gewisslich ihren (Stand),
nach ihrer Furcht, in Frieden und Sicherheit verwandeln wird:
Sie werden Mich verehren, (und) sie werden Mir nichts zur
Seite stellen. (…)“ (Vgl. Koran: Sure 24, Vers 55)
„Und Wir gaben dem Volk, das für schwach galt, die
östlichen Teile des Landes zum Erbe und die westlichen Teile
dazu, die Wir gesegnet hatten. Und das gnadenvolle Wort deines
Herrn ward erfüllt an den Kindern Israels, weil sie standhaft
waren; und Wir zerstörten alles, was Pharao und sein Volk
geschaffen und was an hohen Bauten sie erbaut hatten“ (Vgl.
Koran: Sure 7, Vers 137)
So stellt der Koran eine Opposition zwischen Glaube und
Unglaube dar, zwischen den Unterprivilegierten und den
Tyrannen. Und er sagt uns, dass die Welt sich in Richtung des
Triumphes der Wahrheit über die Falschheit bewegt, der
Benachteiligten über ihre Unterdrücker. Eine revolutionäre
Bewegung ist dabei zu geschehen, die in Harmonie mit allen
Geschöpfen hin zur Vollendung voranschreitet.
Der Ruf der Propheten, Belohnung und Bestrafung, Paradies
und Höllenfeuer – all dies beweist, dass der Mensch Pflichten
hat und Verantwortung trägt, und nach dem Koran sind die
Errettung des Menschen in dieser Welt und der Nachwelt an
seine Taten gekoppelt.
Nach der Doktrin von Bestimmung und Schicksal, ist der
Mensch frei und für sein eigenes Schicksal verantwortlich,
welches er selbst lenkt. Das Schicksal ist in der Tat am Werk,
wenn ein Volk mächtig und ein anderes Volk miserabel und
unbedeutend ist, wenn eine Gemeinschaft triumphiert und stolz
ist und die andere besiegt und bescheiden dasteht. Dies ist
nur so, weil das Schicksal feststellt, dass ein Volk seine
Mittel für Fortschritt und Entwicklung nutzt und würdevoll und
ehrenvoll voranschreitet, während ein anderes Volk sich für
die Genusssucht und Indifferenz entscheidet und dafür nichts
als Verlust, Erniedrigung und Erbärmlichkeit erwarten kann.
Der Koran sagt sehr deutlich: „Dies, weil Gott niemals eine
Gnade ändern würde, die Er einem Volke gewährt hat, es sei
denn, dass das Volk seinen eignen Seelenzustand ändert. (…)“
(Vgl. Koran: Sure 8, Vers 53) Kein Zweifel besteht darin, dass
unsere Wünsche nicht immer so erfüllt werden, wie wir es
erwarten, aber dass beweist nicht im Geringsten, dass der
Mensch in seinen Handlungen festgelegt ist. Die Tatsache, dass
die Reichweite der gewollten Taten des Menschen begrenzt sind,
widerspricht in keinerlei Weise dem freien Willen, den er
besitzt. Zu behaupten, der Mensch hätte einen freien Willen,
bedeutet keineswegs, dass sein freier Wille unbegrenzt ist.
Gott lässt viele Faktoren in der weiten Fläche des Seins
arbeiten. Manchmal sind diese Faktoren zusammen mit den
Phänomenen, die sie verursachen, dem Menschen evident und
manchmal nicht. Eine sorgfältige und realistische
Interpretation des Konzeptes des Schicksals wird den Menschen
dazu bringen, sich stärker zu bemühen, sich mehr Wissen über
all diese Faktoren anzueignen, sodass er sie in Betracht
ziehend noch größere Leistungen anstrebt.
Weil der Mensch nicht in der Lage ist, alle Faktoren zu
kennen, die für seinen Erfolg notwendig sind, sind seine
menschlichen Fähigkeiten begrenzt und seine Wünsche bleiben
unerfüllt.
In Übereinstimmung mit dem generellen Prinzip der
Kausalität, ist das Schicksal jeder Existenzform an die
Ursache gekettet, die ihr vorausgeht. Ob man nun die Existenz
eines göttlichen Prinzips akzeptiert oder nicht, es hat keine
Auswirkung auf die Frage der Freiheit und des Schicksals eines
Menschen. Dies, weil man das System der Ursache und Wirkung
entweder dem Willen Gottes zuschreibt oder aber davon ausgeht,
dass es unabhängig und ohne Verbindung zu einem göttlichen
Prinzip steht. Wenn dieser Fall angenommen wird, kann man
ebenfalls behaupten, dass der Determinismus aus dem Glauben an
die Doktrin der Bestimmung resultiert. Was wir mit Bestimmung
meinen, ist die unzertrennliche Verbindung jedes Phänomens mit
ihrer Ursache, den Willen und die Entscheidungskraft des
Menschen eingenommen. Wir wollen nicht die Kausalität leugnen.
Die Bestimmung bringt die Existenz eines jeden Phänomens
durch das Mittel einer bestimmten Ursache hervor. Der
göttliche Wille regiert als universelles Prinzip und Gesetz
über die gesamte Welt. Jede Veränderung, die stattfindet
basiert auch auf der göttlichen Norm und Angewohnheit. Wäre
dies nicht der Fall, das Schicksal hätte nie irgendeinen
externen Ausdruck. Jede wissenschaftliche Gedankenschule, die
das Prinzip der universellen Kausalität akzeptiert, ist
verpflichtet die Realität der Beziehungen zwischen einem
Phänomen und der dazugehörenden Ursache zu akzeptieren, ganz
gleich, ob sie theistische oder materialistische Standpunkte
vertritt.
Wenn nun eine definitive Verbindung zwischen dem Auftreten
eines Phänomens und seinen Ursachen – das menschliche Handeln
eingeschlossen – den Menschen dazu lenkt eine Maschine zu
sein, die in ihren Handlungen vorherbestimmt ist, sind
Theismus und Materialismus offen für Beanstandungen, insofern
sie beide Kausalität akzeptieren. Wenn es aber nicht zu dieser
Folgerung führt (was natürlich auch nicht geschehen sollte),
bleibt die Frage bestehen: Was ist der Unterschied zwischen
Theismus und Materialismus?
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Der Unterschied ist, dass die theistische Weltanschauung im
Gegensatz zur materialistischen das Ideal und nichtmaterielle
Faktoren für fähig hält, eine Wirkung auszuüben. Diese
Faktoren sind im Netz der Schöpfung tatsächlich subtiler und
komplexer als die materiellen Faktoren. Die Weltsicht, die auf
einen glauben an Gott basiert, schenkt dem Leben Sinn, Ziele
und Bedeutung. Sie erweist dem Menschen Courage, Vitalität,
einen weiten Horizont, tiefe Erkenntnis, stärkt die Vernunft,
verhindert, dass er in den Abgrund der Zwecklosigkeit fällt
und bringt ihn in einer nicht endenden Arche des Aufstiegs
hoch.
Ein Gläubiger, der vom Schicksal fest überzeugt ist, der
wahrnehmen kann, dass weise Absichten in der Schöpfung des
Menschen und des Universums am Werke sind, wird auf dem
geraden Weg mit Gottvertrauen voranschreiten, wissend, dass er
Unterstützung und Schutz durch Gott erfahren wird. Er wird
selbstsicherer und hoffnungsvoller bezüglich der Ergebnisse
seiner Aktivitäten sein.
Aber einer, der in der Weltanschauung des Materialismus
gefangen ist, dessen mentale Grundstrukturen ihn dazu neigen
lassen an ein materielles Schicksal zu glauben, genießt keine
dieser Vorteile. Er hat keine sichere und unbesiegbare
Unterstützung bei seinen Bestrebungen, seine Ziele zu
erreichen.
Es ist daher offensichtlich, dass es einen tiefgründigen
Unterschied zwischen den beiden Denkschulen bezüglich ihrer
sozialen und psychologischen Wirkung gibt. Anatole France
sagt: „Es ist die nützliche Wirkung der Religion, die den
Menschen den Grund für seine Existenz und die Konsequenzen
seiner Handlungen lehrt. Sobald wir die Prinzipien der
theistischen Philosophie ablehnen, wie es soviele heute in
einem Zeitalter der Wissenschaft und der Freiheit tun, haben
wir nicht mehr die Mittel zu wissen, warum wir in diese Welt
kamen und was wir zu schaffen haben, nachdem wir unsere Füße
auf diese Welt gesetzt haben.
Die Mysterien der Bestimmung haben uns mit ihren mächtigen
Geheimnissen umwickelt und wenn wir uns wünschen, der
traurigen Mehrdeutigkeit des Lebens zu entgehen, müssten wir
gar nichts mehr denken. Denn die Wurzel unseres Schmerzes
liegt in unserer kompletten Ignoranz des Zweckes unserer
Existenz. Physischer und spiritueller Schmerz, die Qualen der
Seele und der Sinne – alles wäre erträglich, wenn wir den
Grund für diese wüssten und glauben würden, dass Gott sie
gewollt hat.
Der echte Gläubige hat gefallen an den spirituellen Qualen,
die er erträgt. Selbst die Sünden, die er begeht, rauben ihm
nicht die Hoffnung. Aber in einer Welt, wo der Strahl des
Glaubens ausgelöscht ist, verlieren Schmerz und Krankheit an
Bedeutung und werden zu hässlichen Witzen, eine Art finsterer
Spott.“