L14 – Meinungen über Gottes Gerechtigkeit
Das Problem der Gerechtigkeit als ein Attribut Gottes hat
seine eigene Geschichte. Verschiedene Denkschulen des Islams
haben unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema vertreten,
diese nach ihren jeweiligen Prinzipien interpretierend.
Manche Sunniten, die den Ansichten des Theologen
Abu`l-Hasan Ash`aris folgen, glauben nicht an Gottes
Gerechtigkeit als Teil ihres Glaubens und sie verneinen, dass
die Gerechtigkeit durch göttliches Handeln vollendet wird.
Ihrer Ansicht nach behandelt Gott eine bestimmte Person
unabhängig von dem, was sie scheinbar verdient hätte. Und
welche Strafe oder welche Belohnung Er ihr auch immer gibt,
Sein Urteil repräsentiert Gerechtigkeit und das absolut Gute,
selbst wenn es nach menschlichen Standards als ungerecht
erscheinen könnte.
Die Anhänger Ash`aris entnehmen Gottes Attribut der
Gerechtigkeit Seinem Handeln und erachten daher all das für
gerecht, was auf Gott zurück geführt werden kann. Wenn Er die
Tugendhaften belohnt und die Sündigen bestraft, so ist dies
gerecht, aber das Gegenteil davon wäre ebenfalls gerecht, denn
es wäre immer noch Teil der weiten Sphäre Seiner
Gerechtigkeit.
Hinter dem Anspruch, die Termini „Gerecht“ und „Ungerecht“
wären bedeutungslos, sobald sie auf Gott angewandt werden,
steckt ohne Zweifel die Intention, Gottes heilige Essenz auf
die höchste Position der Transzendenz zu heben. Aber keine
nachdenkliche Person wird diese oberflächliche, inadäquate
Vorstellung mit Gottes Transzendenz verbinden können.
Tatsächlich involviert eine solche Haltung das Verneinen von
Ordnung in der Welt und die Leugnung des Prinzips der
Kausalität, sowohl in der generellen Ordnung der Welt als auch
im Verhalten und in den Taten des einzelnen Menschen.
Die Anhänger Ash`aris glauben auch, dass die strahlende
Lampe des Intellektes erlischt, sobald sie mit den
Auffassungen und Problemen der Religion konfrontiert wird, und
dass der Intellekt nicht in der Lage ist, dem Menschen seinen
Weg zu erhellen.
Diese Behauptung ist weder mit den Lehren des Koran noch
mit den Inhalten der Sunnah konform. Der Koran sieht im
Intellekt das Potential der Fehlleitung und ruft den Menschen
mehrmals dazu auf, zu reflektieren und zu meditieren, um
göttliches und religiöses Wissen zu erlernen. Jene, die daran
scheitern, von dieser strahlenden Lampe in ihrem Innersten zu
profitieren, werden mit Tieren verglichen. Der Koran sagt:
„Die schlimmsten Lebewesen vor Gott sind die Taubstummen, die
nicht begreifen.“ (Vgl. Koran: Sure 8, Vers 22)
Der Prophet des Islams (Friede sei mit ihm und seiner
Familie) sagte: „Gott hat dem Menschen zwei Führer gegeben.
Die einen sind außerhalb von ihm, die Gesandten Gottes und der
andere ist in ihm selbst, seine eigene Macht zu denken.“
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Die Mutazititen und die Shia stehen der Haltung der
Ash`aris und seiner Denkschule oppositionell gegenüber. Von
all den Attributen Gottes haben sie das Prinzip der
Gerechtigkeit als Glaubensbekenntnis gewählt. Sich auf
überlieferte und rationale Beweise verlassend, haben sie die
Doktrinen der nicht vermittelbaren Wirkungen des göttlichen
Schicksals und der Vorherbestimmung der menschlichen
Handlungen als unvereinbar mit dem Prinzip der Gerechtigkeit
zurückgewiesen und widerlegt.
Sie glauben, dass Gerechtigkeit die Basis für Gottes
handeln ist, sowohl beim Ordnen des Universums als auch bei
dem Etablieren von Gesetzen. So wie menschliche Taten an
Kriterien wie gut oder schlecht gemessen werden können, so ist
auch Gottes Handeln demselben Kriterium unterworfen. Der
Verstand stellt folgerichtig fest, dass Gerechtigkeit im
inhärenten Sinne lobenswert ist und Ungerechtigkeit im
inhärenten Sinne verwerflich Daher wird ein Objekt der
Anbetung, dessen Charakteristika unendliche Intelligenz und
Geist beinhaltet, niemals etwas unternehmen, was die Vernunft
für unzulässig halten würde.
Wenn wir sagen, Gott ist gerecht, so bedeutet dies, das
Seine allwissende, kreative Essenz nichts tut, was sich
gegenüber Weisheit und Nutzen konträr verhält. Das Konzept der
Weisheit, auf den Schöpfer angewandt, bedeutet nicht, dass Er
die besten Mittel wählt, um Seine Ziele zu erreichen oder
Seine Mängel zu beheben, denn nur der Mensch ist einberufen
sich vom Mangel hin zur Perfektion zu bewegen. Gottes Anliegen
ist es, Existenzformen aus dem Mangel hervorzubringen und sie
zur Perfektion zu bringen und zu den Zielen, die in ihren
Essenzen inhärent sind. Gottes Weisheit besteht daraus, dass
Er erst eine Form nach Seinem Gefallen in jedes Phänomen
implantiert und dann, nachdem Er ihm Sein erwiesen hat, bringt
Er sie dazu, sich bis zur Perfektion seiner Kapazitäten zu
vollenden, und auch dies geschieht nur durch das weitere
Ausüben Seiner Großzügigkeit.
Gerechtigkeit hat dann eine sehr weitreichende Bedeutung,
die natürlich die Vermeidung von Unterdrückung und aller
törichter Handlungen mit einschließt. Imam Jaafar Sadiq
(Friede sei mit ihm) sagt in seiner Erläuterung von Gottes
Gerechtigkeit: „Gerechtigkeit in Bezug auf Gott selbst
bedeutet, dass du Gott nichts zuschreibst. Tust du dies doch,
so würde dies bewirken, dass du dafür verantwortlich gemacht
wirst und dir dafür Vorwürfe gemacht werden.“[37]
Die Unterdrückung Anderer, und alle Formen der korrupten
Aktivitäten, in denen sich der Mensch verwickelt, kommen
zweifelsohne von der Ignoranz und dem Mangel an Bewusstsein,
und sie sind an dem Bedarf einer innewohnenden Niedrigkeit
gekoppelt. Manchmal ist es auch der Widerschein von Hass und
Feindschaft, die aus dem Innersten des Menschen hervorspringen
wie ein Funke.
Es gibt zahlreiche Leute, die von ihrer eigenen
Unterdrückung und Korruption angeekelt sind. Nichtsdestotrotz
sind sie sich durch ihre Ignoranz über das Endergebnis ihrer
Taten nicht im Klaren. So fahren sie fort, unrecht zu tun und
verunreinigen sich selbst mit allerlei beschämenden und
korrupten Werken.
Manchmal fühlt der Mensch, dass er irgendetwas braucht,
wofür ihn aber die Ressourcen und das Können fehlen. Das ist
die Wurzel von vielem Übel. Das Gefühl des Brauchens, des
Hungers, der Gier, das vorherrschende Verlangen des Menschen
zu dominieren und zu schaden – all dies sind Faktoren, die zu
aggressivem Verhalten führen.
Unter deren Einfluss verliert der Mensch die Zügel der
Selbstkontrolle. Er konzentriert all seine Bemühungen darauf,
seine Wünsche zu erfüllen und verletzt dabei ethische
Einschränkungen. Er beginnt die Kehlen der Unterdrückten zu
quetschen.
Die einzigartige Essenz Gottes, das unendliche Sein, ist
frei von all solchen Tendenzen und Einschränkungen, denn
nichts ist vor Seinem schrankenlosen Wissen verborgen und es
ist unvorstellbar, dass Er ohnmächtig gegenüber irgendetwas
wäre. Er ist der Vor-Ewige, Einer, dessen ewige Strahlen allen
Dingen Leben und Nahrung schenken und der ihre Bewegungen,
ihre Vielfalt und ihre Entwicklung gewährleistet.
Eine zarte Essenz, die alle Grade der Perfektion erfasst,
braucht selbst nichts, als dass die Abwesenheit eines Bedarfs,
wenn sie einen Wunsch danach hat, Besorgnis in Ihr erregen
könnte. Seine Macht und Seine Fähigkeit sind ohne jeden
Zweifel grenzenlos und erleiden keine Ermangelung, als dass Er
womöglich von Seinem Pfad der Gerechtigkeit abweichen könnte
und gegenüber jemand eine Übertretung machen könnte oder
Vergeltung üben könnte oder etwas Unangemessenes, Krankhaftes
unternehmen könnte.
Keine der Motivationen für Ungerechtigkeit kann in Gott
gefunden werden und tatsächlich, das ganze Konzept der
Unterdrückung und der Ungerechtigkeit sind auf ein Sein nicht
anwendbar, dessen Großzügigkeit und Barmherzigkeit alle Dinge
umfasst und die Heiligkeit Seiner Essenz ist in der ganzen
Schöpfung klar manifestiert.
Der Koran verneint im Zusammenhang mit Gott die Idee der
Ungerechtigkeit mehrmals. Im Hinblick auf Seine Heiligkeit
liegen Ihm alle unwürdigen Handlungen völlig fern. Er sagt:
„Wahrlich, Gott fügt den Menschen kein Unrecht zu, die
Menschen aber begehen Unrecht an ihren eigenen Seelen.“ (Vgl.
Koran: Sure 10, Vers 44)
In diesem Vers distanziert sich Gott von der Vorstellung
der Ungerechtigkeit - die auch dem Menschen zuwider ist - und
führt sie auf den Menschen zurück.
Wie wäre es möglich, dass Gott den Menschen dazu aufruft
Gerechtigkeit und Fairness zu etablieren, während Er selbst
Seine Hände mit nicht rechtschaffenen Werken befleckt? Der
Koran sagt: „Gott gebietet Gerechtigkeit und uneigennützig
Gutes zu tun und zu spenden an den Verwandten; und Er
verbietet das Schändliche, das offenbar Schlechte und die
Übertretung. Er ermahnt euch, auf dass ihr es beherzigt.“
(Vgl. Koran: Sure 16, Vers 90)
Der Islam schätzt die Gerechtigkeit so sehr, dass wenn eine
Gruppe von dem Pfad der Gerechtigkeit abweichen will und sich
mit der Unterdrückung zu beschäftigen beginnt, es gilt, diese
Gruppe zu bekämpfen, selbst wenn das einen Krieg mit sich
bringen würde. Das ist der Befehl des Korans: „Wenn zwei
Parteien der Gläubigen miteinander streiten, dann stiftet
Frieden unter ihnen; wenn aber eine von ihnen sich gegen die
andere vergeht, so bekämpft die Partei, die sich verging, bis
sie zu Gottes Befehl zurückkehrt. Kehrt sie zurück, dann
stiftet Frieden zwischen ihnen nach Gerechtigkeit, und handelt
billig. Wahrlich, Gott liebt die billig Handelnden.“ (Vgl.
Koran: Sure 49, Vers 9)
Ein interessanter Punkt, der in diesem Vers angesprochen
wird, ist, dass der Vermittler streng unterwiesen wird bei der
Aussöhnung sicher zu stellen, dass der Streit mit
Gerechtigkeit beigelegt wird, ohne dabei dem Aggressor
Nachsicht zu zeigen. Es kann in manchen Fällen passieren, dass
ein Krieg mit aggressiver Absicht begonnen wurde und ein
Vermittler versucht den Disput zu schlichten, indem er auf
Nachsicht besteht und Fehler übersieht, was dazu führt, dass
eine Partei zum Vorteil der anderen auf gewisse Forderungen
verzichtet. Diese nachsichtige Herangehensweise, auch wenn sie
an sich legitim ist, kann den aggressiven Geist derer, die
durch den begonnenen Krieg Vorteile gewonnen haben, noch
verstärken. Es ist in der Tat üblich, dem Aggressor in solchen
Fällen entgegen zu kommen, indem man ihm Zugeständnisse macht.
Auch wenn der freiwillige Verzicht eines Anspruchs an sich
eine wünschenswerte Tat ist, kann es unter solchen Umständen
eine nicht wünschenswerte Wirkung auf die Mentalität des
Aggressors haben. Das Ziel des Islams ist, Gewalt und
Ungerechtigkeit aus der islamischen Gesellschaft zu entfernen
und seinen Bürgern deutlich zu machen, dass durch Gewalt und
Ungerechtigkeit nichts Gewonnen werden kann.
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Wenn wir auf die Ordnung der Schöpfung schauen, so sehen
wir, dass ein gewaltiges und umfassendes Gleichgewicht in
allen physikalischen Phänomenen vorherrscht. Dies wird in der
Regelmäßigkeit der Atome offensichtlich, der Schnelligkeit der
Elektronen, der Rotationen der Planeten und der Bewegung aller
Körper. Dies ist in den mineralischen und organischen
Bereichen sichtbar, in den präzisen Beziehungen, die selbst
unter den Organen der lebenden Existenzformen bestehen, in der
Balance der einzelnen Komponenten des Atoms, und wird auch im
Gleichgewicht der ausgedehnten himmlischen Körper und deren
fein kalkulierten Anziehungskräften deutlich. All diese Formen
der Ausgewogenheit und des Gleichgewichts, zusammen mit den
anderen präzisen Gesetzen, welche die Wissenschaft immer noch
versucht zu entdecken, bezeugen die Existenz einer unleugbaren
Ordnung im Universum, die durch mathematische Gleichungen
belegt wird.
Unser wahrheitsliebender Prophet hat die universelle
Gerechtigkeit und das umfassende Gleichgewicht – der Fakt,
dass nichts Irregulär und fehl am Platz ist – in dieser
präzisen und eloquenten Erklärung ausgedrückt: „Es ist
wirkliches Gleichgewicht und Symmetrie, welche die Erde und
die Himmel bewahren.“
Der Koran führt folgende Worte auf Moses zurück (Friede sei
mit ihm und unserem Propheten): „Er (Moses) sprach: Unser Herr
ist der, der jedem Ding seine Gestalt gab (und es) dann
leitete.“ (Vgl. Koran: Sure 20, Vers 50)
In diesem kurzen Satz legt Moses dem Pharao die Art und
Weise dar, wie die Welt mit ihrer Ordnung und Schönheit
geschaffen wurde, die auch zu den Zeichen Gottes zählen. Moses
Ziel war es, Pharao vor fehlerhaften Gedanken zu retten und
ihm zu helfen, die gerechte und göttliche Ordnung im Universum
wahrzunehmen.
Eine der Normen, die unausweichlich über die Natur regieren
ist daher die Ordnung und die Gerechtigkeit. Und alle Dinge,
die diesen Normen und Gesetzen untergeordnet sind, befinden
sich im Prozess der Evolution hin zur Perfektion, jedes auf
seine spezifische Art und Weise. Jede Abweichung von diesem
universellen Muster der Ordnung und die Beziehungen, die
darauf gründen, würden zu einem Chaos und einer Verwirrung
führen.
Wenn eine Ungleichmäßigkeit in der Natur auftaucht, so
reagieren die Phänomene selbst, und innere oder äußere
Faktoren kommen hervor, die gebraucht werden, um auf dem Pfad
der Vollendung weiter machen zu können und um die Barrieren
der Entwicklung zu beseitigen und erneut die Ordnung zu
etablieren.
Wenn der Körper durch Mikroben und andere Faktoren der
Krankheit attackiert wird, beginnen die weißen Blutkörperchen
diese zu neutralisieren in Übereinstimmung mit der
unausweichlichen Norm. Welche Medizin auch verschrieben wird,
sie ist ein externer Faktor, der den weißen Blutkörperchen bei
ihrer Aufgabe der Neutralisierung und Wiederherstellung des
Gleichgewichts im Körper versucht zu unterstützen.
Es ist letztlich unmöglich, dass ein Gott, dessen Liebe
unbegrenzt ist, und der Seinen Dienern uneingeschränkt Sein
Wohlwollen gewährt, auch nur die geringste ungerechte und
unangebrachte Tat ausführen würde. Der Koran erklärt: „Gott
ist es, der die Erde für euch zu einer Ruhestätte geschaffen
hat und den Himmel zu einem Zeltdach (gemacht hat) und der
euch Gestalt gegeben und eure Gestalten vollkommen gemacht hat
und euch mit guten Dingen versorgt hat. Das ist Gott, euer
Herr. Segensreich ist drum Gott, der Herr der Welten.“ (Vgl.
Koran: Sure 40, Vers 64)