Gottes Attribute

Inhaltsverzeichnis

Gott und seine Attribute

Sayyid Mudschtaba Musawi Lari

Lektionen in der Islamischen Doktrin - Buch I

Frei übersetzt unter Aufsicht von Dr. Mohammad Razavi Rad - übersetzt von A. Malik

L14 – Meinungen über Gottes Gerechtigkeit

Das Problem der Gerechtigkeit als ein Attribut Gottes hat seine eigene Geschichte. Verschiedene Denkschulen des Islams haben unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema vertreten, diese nach ihren jeweiligen Prinzipien interpretierend.

Manche Sunniten, die den Ansichten des Theologen Abu`l-Hasan Ash`aris folgen, glauben nicht an Gottes Gerechtigkeit als Teil ihres Glaubens und sie verneinen, dass die Gerechtigkeit durch göttliches Handeln vollendet wird.

Ihrer Ansicht nach behandelt Gott eine bestimmte Person unabhängig von dem, was sie scheinbar verdient hätte. Und welche Strafe oder welche Belohnung Er ihr auch immer gibt, Sein Urteil repräsentiert Gerechtigkeit und das absolut Gute, selbst wenn es nach menschlichen Standards als ungerecht erscheinen könnte.

Die Anhänger Ash`aris entnehmen Gottes Attribut der Gerechtigkeit Seinem Handeln und erachten daher all das für gerecht, was auf Gott zurück geführt werden kann. Wenn Er die Tugendhaften belohnt und die Sündigen bestraft, so ist dies gerecht, aber das Gegenteil davon wäre ebenfalls gerecht, denn es wäre immer noch Teil der weiten Sphäre Seiner Gerechtigkeit.

Hinter dem Anspruch, die Termini „Gerecht“ und „Ungerecht“ wären bedeutungslos, sobald sie auf Gott angewandt werden, steckt ohne Zweifel die Intention, Gottes heilige Essenz auf die höchste Position der Transzendenz zu heben. Aber keine nachdenkliche Person wird diese oberflächliche, inadäquate Vorstellung mit Gottes Transzendenz verbinden können. Tatsächlich involviert eine solche Haltung das Verneinen von Ordnung in der Welt und die Leugnung des Prinzips der Kausalität, sowohl in der generellen Ordnung der Welt als auch im Verhalten und in den Taten des einzelnen Menschen.

Die Anhänger Ash`aris glauben auch, dass die strahlende Lampe des Intellektes erlischt, sobald sie mit den Auffassungen und Problemen der Religion konfrontiert wird, und dass der Intellekt nicht in der Lage ist, dem Menschen seinen Weg zu erhellen.

Diese Behauptung ist weder mit den Lehren des Koran noch mit den Inhalten der Sunnah konform. Der Koran sieht im Intellekt das Potential der Fehlleitung und ruft den Menschen mehrmals dazu auf, zu reflektieren und zu meditieren, um göttliches und religiöses Wissen zu erlernen. Jene, die daran scheitern, von dieser strahlenden Lampe in ihrem Innersten zu profitieren, werden mit Tieren verglichen. Der Koran sagt: „Die schlimmsten Lebewesen vor Gott sind die Taubstummen, die nicht begreifen.“ (Vgl. Koran: Sure 8, Vers 22)

Der Prophet des Islams (Friede sei mit ihm und seiner Familie) sagte: „Gott hat dem Menschen zwei Führer gegeben. Die einen sind außerhalb von ihm, die Gesandten Gottes und der andere ist in ihm selbst, seine eigene Macht zu denken.“

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Die Mutazititen und die Shia stehen der Haltung der Ash`aris und seiner Denkschule oppositionell gegenüber. Von all den Attributen Gottes haben sie das Prinzip der Gerechtigkeit als Glaubensbekenntnis gewählt. Sich auf überlieferte und rationale Beweise verlassend, haben sie die Doktrinen der nicht vermittelbaren Wirkungen des göttlichen Schicksals und der Vorherbestimmung der menschlichen Handlungen als unvereinbar mit dem Prinzip der Gerechtigkeit zurückgewiesen und widerlegt.

Sie glauben, dass Gerechtigkeit die Basis für Gottes handeln ist, sowohl beim Ordnen des Universums als auch bei dem Etablieren von Gesetzen. So wie menschliche Taten an Kriterien wie gut oder schlecht gemessen werden können, so ist auch Gottes Handeln demselben Kriterium unterworfen. Der Verstand stellt folgerichtig fest, dass Gerechtigkeit im inhärenten Sinne lobenswert ist und Ungerechtigkeit im inhärenten Sinne verwerflich Daher wird ein Objekt der Anbetung, dessen Charakteristika unendliche Intelligenz und Geist beinhaltet, niemals etwas unternehmen, was die Vernunft für unzulässig halten würde.

Wenn wir sagen, Gott ist gerecht, so bedeutet dies, das Seine allwissende, kreative Essenz nichts tut, was sich gegenüber Weisheit und Nutzen konträr verhält. Das Konzept der Weisheit, auf den Schöpfer angewandt, bedeutet nicht, dass Er die besten Mittel wählt, um Seine Ziele zu erreichen oder Seine Mängel zu beheben, denn nur der Mensch ist einberufen sich vom Mangel hin zur Perfektion zu bewegen. Gottes Anliegen ist es, Existenzformen aus dem Mangel hervorzubringen und sie zur Perfektion zu bringen und zu den Zielen, die in ihren Essenzen inhärent sind. Gottes Weisheit besteht daraus, dass Er erst eine Form nach Seinem Gefallen in jedes Phänomen implantiert und dann, nachdem Er ihm Sein erwiesen hat, bringt Er sie dazu, sich bis zur Perfektion seiner Kapazitäten zu vollenden, und auch dies geschieht nur durch das weitere Ausüben Seiner Großzügigkeit.

Gerechtigkeit hat dann eine sehr weitreichende Bedeutung, die natürlich die Vermeidung von Unterdrückung und aller törichter Handlungen mit einschließt. Imam Jaafar Sadiq (Friede sei mit ihm) sagt in seiner Erläuterung von Gottes Gerechtigkeit: „Gerechtigkeit in Bezug auf Gott selbst bedeutet, dass du Gott nichts zuschreibst. Tust du dies doch, so würde dies bewirken, dass du dafür verantwortlich gemacht wirst und dir dafür Vorwürfe gemacht werden.“[37]

Die Unterdrückung Anderer, und alle Formen der korrupten Aktivitäten, in denen sich der Mensch verwickelt, kommen zweifelsohne von der Ignoranz und dem Mangel an Bewusstsein, und sie sind an dem Bedarf einer innewohnenden Niedrigkeit gekoppelt. Manchmal ist es auch der Widerschein von Hass und Feindschaft, die aus dem Innersten des Menschen hervorspringen wie ein Funke.

Es gibt zahlreiche Leute, die von ihrer eigenen Unterdrückung und Korruption angeekelt sind. Nichtsdestotrotz sind sie sich durch ihre Ignoranz über das Endergebnis ihrer Taten nicht im Klaren. So fahren sie fort, unrecht zu tun und verunreinigen sich selbst mit allerlei beschämenden und korrupten Werken.

Manchmal fühlt der Mensch, dass er irgendetwas braucht, wofür ihn aber die Ressourcen und das Können fehlen. Das ist die Wurzel von vielem Übel. Das Gefühl des Brauchens, des Hungers, der Gier, das vorherrschende Verlangen des Menschen zu dominieren und zu schaden – all dies sind Faktoren, die zu aggressivem Verhalten führen.

Unter deren Einfluss verliert der Mensch die Zügel der Selbstkontrolle. Er konzentriert all seine Bemühungen darauf, seine Wünsche zu erfüllen und verletzt dabei ethische Einschränkungen. Er beginnt die Kehlen der Unterdrückten zu quetschen.

Die einzigartige Essenz Gottes, das unendliche Sein, ist frei von all solchen Tendenzen und Einschränkungen, denn nichts ist vor Seinem schrankenlosen Wissen verborgen und es ist unvorstellbar, dass Er ohnmächtig gegenüber irgendetwas wäre. Er ist der Vor-Ewige, Einer, dessen ewige Strahlen allen Dingen Leben und Nahrung schenken und der ihre Bewegungen, ihre Vielfalt und ihre Entwicklung gewährleistet.

Eine zarte Essenz, die alle Grade der Perfektion erfasst, braucht selbst nichts, als dass die Abwesenheit eines Bedarfs, wenn sie einen Wunsch danach hat, Besorgnis in Ihr erregen könnte. Seine Macht und Seine Fähigkeit sind ohne jeden Zweifel grenzenlos und erleiden keine Ermangelung, als dass Er womöglich von Seinem Pfad der Gerechtigkeit abweichen könnte und gegenüber jemand eine Übertretung machen könnte oder Vergeltung üben könnte oder etwas Unangemessenes, Krankhaftes unternehmen könnte.

Keine der Motivationen für Ungerechtigkeit kann in Gott gefunden werden und tatsächlich, das ganze Konzept der Unterdrückung und der Ungerechtigkeit sind auf ein Sein nicht anwendbar, dessen Großzügigkeit und Barmherzigkeit alle Dinge umfasst und die Heiligkeit Seiner Essenz ist in der ganzen Schöpfung klar manifestiert.

Der Koran verneint im Zusammenhang mit Gott die Idee der Ungerechtigkeit mehrmals. Im Hinblick auf Seine Heiligkeit liegen Ihm alle unwürdigen Handlungen völlig fern. Er sagt: „Wahrlich, Gott fügt den Menschen kein Unrecht zu, die Menschen aber begehen Unrecht an ihren eigenen Seelen.“ (Vgl. Koran: Sure 10, Vers 44)

In diesem Vers distanziert sich Gott von der Vorstellung der Ungerechtigkeit - die auch dem Menschen zuwider ist - und führt sie auf den Menschen zurück.

Wie wäre es möglich, dass Gott den Menschen dazu aufruft Gerechtigkeit und Fairness zu etablieren, während Er selbst Seine Hände mit nicht rechtschaffenen Werken befleckt? Der Koran sagt: „Gott gebietet Gerechtigkeit und uneigennützig Gutes zu tun und zu spenden an den Verwandten; und Er verbietet das Schändliche, das offenbar Schlechte und die Übertretung. Er ermahnt euch, auf dass ihr es beherzigt.“ (Vgl. Koran: Sure 16, Vers 90)

Der Islam schätzt die Gerechtigkeit so sehr, dass wenn eine Gruppe von dem Pfad der Gerechtigkeit abweichen will und sich mit der Unterdrückung zu beschäftigen beginnt, es gilt, diese Gruppe zu bekämpfen, selbst wenn das einen Krieg mit sich bringen würde. Das ist der Befehl des Korans: „Wenn zwei Parteien der Gläubigen miteinander streiten, dann stiftet Frieden unter ihnen; wenn aber eine von ihnen sich gegen die andere vergeht, so bekämpft die Partei, die sich verging, bis sie zu Gottes Befehl zurückkehrt. Kehrt sie zurück, dann stiftet Frieden zwischen ihnen nach Gerechtigkeit, und handelt billig. Wahrlich, Gott liebt die billig Handelnden.“ (Vgl. Koran: Sure 49, Vers 9)

Ein interessanter Punkt, der in diesem Vers angesprochen wird, ist, dass der Vermittler streng unterwiesen wird bei der Aussöhnung sicher zu stellen, dass der Streit mit Gerechtigkeit beigelegt wird, ohne dabei dem Aggressor Nachsicht zu zeigen. Es kann in manchen Fällen passieren, dass ein Krieg mit aggressiver Absicht begonnen wurde und ein Vermittler versucht den Disput zu schlichten, indem er auf Nachsicht besteht und Fehler übersieht, was dazu führt, dass eine Partei zum Vorteil der anderen auf gewisse Forderungen verzichtet. Diese nachsichtige Herangehensweise, auch wenn sie an sich legitim ist, kann den aggressiven Geist derer, die durch den begonnenen Krieg Vorteile gewonnen haben, noch verstärken. Es ist in der Tat üblich, dem Aggressor in solchen Fällen entgegen zu kommen, indem man ihm Zugeständnisse macht.

Auch wenn der freiwillige Verzicht eines Anspruchs an sich eine wünschenswerte Tat ist, kann es unter solchen Umständen eine nicht wünschenswerte Wirkung auf die Mentalität des Aggressors haben. Das Ziel des Islams ist, Gewalt und Ungerechtigkeit aus der islamischen Gesellschaft zu entfernen und seinen Bürgern deutlich zu machen, dass durch Gewalt und Ungerechtigkeit nichts Gewonnen werden kann.

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Wenn wir auf die Ordnung der Schöpfung schauen, so sehen wir, dass ein gewaltiges und umfassendes Gleichgewicht in allen physikalischen Phänomenen vorherrscht. Dies wird in der Regelmäßigkeit der Atome offensichtlich, der Schnelligkeit der Elektronen, der Rotationen der Planeten und der Bewegung aller Körper. Dies ist in den mineralischen und organischen Bereichen sichtbar, in den präzisen Beziehungen, die selbst unter den Organen der lebenden Existenzformen bestehen, in der Balance der einzelnen Komponenten des Atoms, und wird auch im Gleichgewicht der ausgedehnten himmlischen Körper und deren fein kalkulierten Anziehungskräften deutlich. All diese Formen der Ausgewogenheit und des Gleichgewichts, zusammen mit den anderen präzisen Gesetzen, welche die Wissenschaft immer noch versucht zu entdecken, bezeugen die Existenz einer unleugbaren Ordnung im Universum, die durch mathematische Gleichungen belegt wird.

Unser wahrheitsliebender Prophet hat die universelle Gerechtigkeit und das umfassende Gleichgewicht – der Fakt, dass nichts Irregulär und fehl am Platz ist – in dieser präzisen und eloquenten Erklärung ausgedrückt: „Es ist wirkliches Gleichgewicht und Symmetrie, welche die Erde und die Himmel bewahren.“

Der Koran führt folgende Worte auf Moses zurück (Friede sei mit ihm und unserem Propheten): „Er (Moses) sprach: Unser Herr ist der, der jedem Ding seine Gestalt gab (und es) dann leitete.“ (Vgl. Koran: Sure 20, Vers 50)

In diesem kurzen Satz legt Moses dem Pharao die Art und Weise dar, wie die Welt mit ihrer Ordnung und Schönheit geschaffen wurde, die auch zu den Zeichen Gottes zählen. Moses Ziel war es, Pharao vor fehlerhaften Gedanken zu retten und ihm zu helfen, die gerechte und göttliche Ordnung im Universum wahrzunehmen.

Eine der Normen, die unausweichlich über die Natur regieren ist daher die Ordnung und die Gerechtigkeit. Und alle Dinge, die diesen Normen und Gesetzen untergeordnet sind, befinden sich im Prozess der Evolution hin zur Perfektion, jedes auf seine spezifische Art und Weise. Jede Abweichung von diesem universellen Muster der Ordnung und die Beziehungen, die darauf gründen, würden zu einem Chaos und einer Verwirrung führen.

Wenn eine Ungleichmäßigkeit in der Natur auftaucht, so reagieren die Phänomene selbst, und innere oder äußere Faktoren kommen hervor, die gebraucht werden, um auf dem Pfad der Vollendung weiter machen zu können und um die Barrieren der Entwicklung zu beseitigen und erneut die Ordnung zu etablieren.

Wenn der Körper durch Mikroben und andere Faktoren der Krankheit attackiert wird, beginnen die weißen Blutkörperchen diese zu neutralisieren in Übereinstimmung mit der unausweichlichen Norm. Welche Medizin auch verschrieben wird, sie ist ein externer Faktor, der den weißen Blutkörperchen bei ihrer Aufgabe der Neutralisierung und Wiederherstellung des Gleichgewichts im Körper versucht zu unterstützen.

Es ist letztlich unmöglich, dass ein Gott, dessen Liebe unbegrenzt ist, und der Seinen Dienern uneingeschränkt Sein Wohlwollen gewährt, auch nur die geringste ungerechte und unangebrachte Tat ausführen würde. Der Koran erklärt: „Gott ist es, der die Erde für euch zu einer Ruhestätte geschaffen hat und den Himmel zu einem Zeltdach (gemacht hat) und der euch Gestalt gegeben und eure Gestalten vollkommen gemacht hat und euch mit guten Dingen versorgt hat. Das ist Gott, euer Herr. Segensreich ist drum Gott, der Herr der Welten.“ (Vgl. Koran: Sure 40, Vers 64)

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