Wir berühren nicht jeden
Die bereits beschriebenen Mahram-Regeln
betreffen nicht nur den Hidschab und das Ansehen bzw.
Sich-Zeigen. Auch berührt eine Muslima keinen Nicht-Mahram.
Das fällt natürlich in einer europäischen Gesellschaft
besonders ins Auge, wenn uns jemand freundlich die Hand reicht
und wir mit höflicher Bestimmtheit die Handreichung nicht
erwidern und in der Kürze der Zeit versuchen zu erläutern,
dass es keine Ablehnung des Gegenüber ist. Es hat auch nichts
damit zu tun, ob das Gegenüber ein Muslim ist oder nicht. Es
hat mit der ganz natürlichen “Affinität“ von Mann und Frau zu
tun, dessen Grenze wir religiös bedingt so setzen, dass wir
außer unserem eigenen Ehemann und den Mahram-Verwandten keinen
Mann berühren. Dabei fällt uns immer wieder der deutsche
Schlager ein: „Tausend Mal berührt, tausend mal ist nichts
passiert ...“ . Sicherlich wird doch durch die einfache
Begrüßung per Handschlag nichts “passieren“. Auch muslimische
Männer sind – entgegen der Vorstellung vieler – keine Monster,
die jede Frau überfallen würden, die ihnen die Hand reicht.
Aber der Islam geht in der Beziehung Mann-Frau einen
realistischen Weg, welcher der gegenseitigen Anziehungskraft
einen Riegel vorschiebt, da jene Anziehungskraft innerhalb der
Gesellschaft ohne geregelte Bahnen schädlich ist. Fängt nicht
jede Beziehung auch hier früher oder später mit der ersten
“Berührung“ an, und sei es nur das Handgeben?
Wir stehen in jeder Form zu unserer
Weiblichkeit und bekennen uns auch zu den Unterschieden der
Geschlechter. Wir erkennen, dass der Mann durchaus mehr
visuell orientiert ist und die Frau durchaus mehr auf
Berührungen reagiert. All diese Erkenntnisse und noch viel
mehr spiegeln sich in den Regeln für Mann und Frau im Islam
wieder, und dafür sind wir dankbar.
Es sei ergänzend erwähnt, dass auch
orthodoxe Juden das andere Geschlecht nicht berühren. Man kann
sich doch auch vernünftig miteinander unterhalten und auf der
gesellschaftlichen Ebene ggf. auch kooperieren, ohne sich
gegenseitig zu berühren. Im alten Knigge, dem Buch der
Anstandsregeln, war vermerkt, dass ein Mann von sich aus einer
Frau nie die Hand reichen darf, ohne dass sie es tut. Und z.B.
die englische Königin gibt kaum jemanden die Hand ohne
Handschuhe. All jene Verhaltensformen gehen auf den gleichen
Ursprung zurück, ohne dass es die Leute heute wissen; denn wer
kennt heute schon noch Knigge.
Da wir uns seltener in der Öffentlichkeit
befinden als unsere in der Arbeitswelt tätigen Männer,
schmerzt es natürlich zu erleben, dass unseren Ehemännern
vorgeworfen wird, sie würden Frauen verachten, weil sie ihnen
die Hand nicht geben würden. Genau das Gegenteil ist der Fall.
Aus einer besonderen religiösen Treue zu einer bestimmten Frau
bewahren sie diese “Berührungsexklusivität“ für ihre eigene
(oder zukünftige) Ehefrau auf, und wir freuen uns über diese
besondere Widmung, die alleine uns zusteht. Mag sein, dass
solch ein Verhalten in einer Gesellschaft, in der allgemeines
Flirten zum Freizeithobby auch von einigen Verheirateten
gehört und als “normal“ empfunden wird, etwas
merkwürdig erscheint. Aber es schadet doch der Gesellschaft
nicht, wenn eine bewusste Minderheit es mit der Treue etwas
“genauer“ nimmt?! Unsere nichtmuslimischen Freunde und
Bekannten jedenfalls, denen unser Handgebe-Verhalten bekannt
ist, kommen dennoch sehr gerne zu uns, und wir haben beste
nachbarschaftliche Verhältnisse, auch ohne Handgeben und auch
viele Freude zusammen.
Und sie sprachen zu dem Weisen:
„Obgleich die Sonne so wertvoll ist, hörten wir doch niemals,
dass jemand mit ihr Freundschaft schloss oder ihr seine Liebe
schenkte.“ Der Weise antwortete: „Weil sie täglich zu sehen
ist, außer zur Winterzeit, in der sie – ähnlich wie der Mond –
in Schleier gehüllt und liebenswert ist.
Gedicht von Saadi, aus dem
Persischen