Die Namensgebung der Spekulativen Theologie Kalam
Für die Namensgebung dieser Wissenschaft (Kalam) gibt es
fünf Annahmen:
1. Da die wichtigste oder erste Frage, mit der sich die
Theologen (mutakallimun) befassten, die Frage war, ob das Wort
Gottes (Kalam Allah) erschaffen (hadit) oder ewig (qadim) sei,
nannte man diese Wissenschaft "Kalam".
2. Da man die Überschriften der verschiedenen Kapitel immer
mit dem Satz "ein Wort über..." (Kalamun fî kadha) versah,
wurde die damit verbundene Wissenschaft ebenfalls Kalam
genannt.
3. Da die spekulative Theologie (kalam) die Fähigkeit zum
Disput/Wortgefecht, zu Meinungsaustausch und zur Diskussion
impliziert, wurde sie die "Wissenschaft des Wortes" (Kalam)
genannt.
4. Ein weiterer Grund für diese Namensgebung ist, dass eine
ihrer Disziplinen darin besteht, Meinungen und Thesen der
Gegner ständig zu diskutieren und zu widerlegen.
5. Da gesagt wurde "dies ist die Rede/das Wort", nannte man
die Wissenschaft Kalam, denn die Vertreter dieser Wissenschaft
waren der Meinung, dass die Traditionswissenschaften (naqliyat)
und die gottesdienstlichen Handlungen (taabudiyat) gegenüber
den rationalistischen Wissenschaften (naqliyat) nichts sind
und also nicht als "Wort" bezeichnet werden können.
Wie auch immer, diese Wissenschaft wurde Kalam genannt.
Einen Teil dieser Erörterungen finden Sie im "Muwafiq" des
Qadhi Add Ighi und im Kommentar des Mir Sayyid Narif zum
Muwafiq. Über die Frage, was die spekulative Theologie (Kalam)
sei, sagt er: "Der Gegenstand dieser Wissenschaft ist die
Frage wodurch ist das Existierende existent?"
Um die spekulative Theologie Kalam von der Philosophie und
der Theologie ilahiyàt (ilàhiyàt bezeichnet im
Islam eher die dogmatische oder Fundamental-Theologie, wobei
obligatorische Glaubensinhalte vorausgesetzt und nicht mehr
diskutiert werden. Kalam ist eine spekulative Theologie, in
der Glaubensinhalte auf spekulativem Wege durch Dispute oder
“Wortgefechte” ermittelt werden. Hier spielen auch die Logik
und die Philosophie eine Rolle.) unterscheiden zu
können, wird Kalam mit dem Satz "über das Gesetz des Islam"
eingeschränkt. Wenn eine Diskussion also frei ist, fällt sie
in den Bereich der Philosophie, wenn sie sich in den Grenzen
des Islam abspielt, nennt man sie Kalam.
Die Aschariten vertreten eine spekulative Theologie, aus
der das Denken des absoluten Determinismus resultiert (dschabr).
Sie sagen, dass dies dem Gesetz des Islam entspricht.
Die Mutaziliten vertreten das Denken der völligen
Willensfreiheit (tafwid) und des "Sich-Überlassen-Seins",
dessen Gefahr weit größer ist als die der absoluten
Vorherbestimmung. Auch sie sind der Meinung, dass ihre Theorie
dem Gesetz des Islam entspricht. Sie haben theologische
Argumente, die sie Versen wie "und der Barmherzige lehnte sich
auf seinem Thron zurück" (Ta Hà, 5), "die Hand Gottes" (Nahl,
1), "der Befehl Gottes kam" (Maida, 64 und Yusuf, 40 & 67) und
ähnlichen entnehmen. Auf der Basis dieser Verse nehmen sie die
Körperlichkeit Gottes (tadschsim) an und behaupten, dies
entspräche dem Gesetz des Islam. Noch gereizter als alle
anderen vertreten die Chawaridsch eine spekulative Theologie (Kalam)
auf der Grundlage des Verses "Wahrlich, die Macht gebührt nur
Gott" (Anàm 57, Yusuf 40 & 67). Mit dieser Parole stellten sie
sich Ali entgegen und gingen davon aus, dass dies das Gesetz
des Islam sei. Eine Philosophie, die besagt :"weder absolute
Vorhersehung, noch absolute Willensfreiheit, sondern etwas
zwischen beiden." haben sie aufgegeben. Nach diesen
Entwicklungen sahen Philosophen wie Farabi und besonders
Scheich ar-Rais Abu Ali Sina, der einer der großen Philosophen
der Imamiya ist, ein, dass, wenn sie behaupten, "dies
entspricht dem Gesetz des Islam", es nicht klar ist, ob die
Vorbestimmung Gesetz des Islam ist oder Willensfreiheit bzw.
Churudsch. Es wird daraus nicht klar, was denn Gesetz des Islam
ist. Gegenüber diesem Zweifel einigten sie sich, dass der
Maßstab dafür, ob etwas mit dem Islam übereinstimmt oder
nicht, keine Behauptungen sondern reelle Tatsachen sein
müssen. Jetzt tut sich jedoch die Frage auf, ob diese "reellen
Tatsachen" eines Beweises bedürfen oder nicht. Wenn sie nicht
beweisbar sind, dann stellt jeder doch wieder nur Behauptungen
auf. Wenn sie beweisbar sind, welchen Maßstab setzt man bei
dieser Beweisführung an? Wie auch immer, diese Meinung setzte
sich bis zur Zeit des Muhaqqiq Lahidschi, dem Autoren des "Schawariq"
durch, der eines der wichtigsten schiitischen theologischen
Bücher verfasste. Er schreibt in der Einleitung des Schawariq:
"Als die Philosophie die islamische Welt erreichte, ließen die
Aschariten philosophische Inhalte in die spekulative Theologie
einfließen, um andere widerlegen zu können. Die Mutaziliten
bedienten sich der Philosophie in der Theologie, um ihre
Thesen zu bekräftigen. Die Auseinandersetzung mit der
Philosophie begann in Wirklichkeit nicht bei der Mutazila ,
sondern bei der Aschariya.